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RESSOURCEN/090: Australien nähert sich territorial der Antarktis (SB)


Antarktis - ein Kontinent voll ungehobener Ressourcen

UN-Kommission für Kontinentalschelfgrenzen spricht Australien ein Stück Meeresboden unterhalb des 60. Grads südlicher Breite zu


Im vergangenen Jahr rückten ungeklärte territoriale Fragen in der Arktis in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Rußland hatte eine Flagge in über 4000 Meter Tiefe auf dem Meeresboden des Nordpols aufgestellt, und russische Forscher wollen eine geologische Verbindung zwischen dem Lomonossow-Rücken und dem Kontinentalschelf Rußlands festgestellt haben; die USA entdeckten plötzlich, daß der Kontinentalabhang in Alaska weiter ins Meer hinausragt als bis dahin angenommen; Dänemark sandte ein Forschungsschiff zur Erkundung des Lomonossow-Rückens aus, und die Forscher der Expedition behaupteten prompt, den Beweis für eine geologische Verbindung dieser submarinen Bergkette zu Grönland erbracht zu haben; Bundeskanzlerin Merkel besuchte Grönland, machte auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam und forderte einen verantwortlichen Umgang mit den arktischen Ressourcen. Die Liste an Meldungen zu geostrategischen Positionierungen auf den unterschiedlichsten Ebenen, mit denen sich die Anrainerstaaten und andere Konkurrenten um den arktischen Rohstoffreichtum, zu denen auch Deutschland zählt, ein Stück vom Kuchen des voraussichtlich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weitaus zugänglicher werdenden Ressourcenraums des Nordens sichern wollen, ließe sich noch erheblich verlängern.

In geopolitischen Analysen wird die Arktis als ein potentielles Konfliktgebiet der internationalen Staatengemeinschaft ausgewiesen, über das sogar Kriege entbrennen könnten. Beim starren Blick auf den hohen Norden wird jedoch allzu leicht übersehen, daß die Antarktis ebenfalls territorial ungeklärt ist und daß dort Ressourcen nachgewiesen wurden oder vermutet werden, die denen in der Arktis an Menge und Wert in nichts nachstehen.

Die 46 Unterzeichner des 1959 vereinbarten Antarktisvertrags haben sich zwar unter anderem dazu verpflichtet, auf dem südlichen Kontinent keinen Bergbau zu betreiben, vor dem Hintergrund der gegenwärtig praktizierten Auflösung völkerrechtlicher Vereinbarungen wie den Genfer Konventionen oder der Aufhebung internationaler Abrüstungsverträge muß damit gerechnet werden, daß der Antarktisvertrag in dem Moment seine Gültigkeit verliert, sobald es einem der auf dem eisigen Kontinent engagierten Staaten opportun erscheint. Konflikte, auch militärischer Art, können nicht ausgeschlossen werden.

Im Jahr 2041 läuft der Antarktisvertrag aus. Der Zeitpunkt, an dem das Vertragswerk, das außerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen beschlossen wurde, ausgehebelt wird, liegt womöglich in einer nicht so fernen Zukunft. Darauf deuten jüngste Entwicklungen. Im Januar hat der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg persönlich den Kontinent besucht und damit den Anspruch seines Landes auf einen Teil der Antarktis unterstrichen. "Ich glaube nicht, daß der Antarktisvertrag gefährdet ist", sagte der Ministerpräsident laut Reuters (30. Januar 2008). "Er hat den Kalten Krieg und den Disput der Supermächte überlebt und wird auch dies überleben." [1] Man muß kein Sprachforscher sein, um zu erkennen, daß die Aussage ihr Gegenteil impliziert. Wäre es anders, käme Stoltenberg wahrscheinlich gar nicht erst auf die Idee, von einer Gefährdung des Antarktisvertrags zu sprechen.

Sicherlich nicht minder bedeutsam für die Zukunft der Antarktis als der norwegische Besitzanspruch dürfte die Entscheidung der UN-Kommission für die Kontinentalschelfgrenzen (CLCS - Commission on the Limits of the Continental Shelf) vom 23. April 2008 gewesen sein. Da hat die Kommission einen Antrag Australiens auf Erweiterung seiner exklusiven Wirtschaftszone stattgegeben. Vor vier Jahren war die australische Regierung mit einem ähnlichen Antrag am Widerstand der USA und Rußlands gescheitert. Im April 2005 hatte Canberra einen erneuten Anlauf unternommen [2]. Unter Berufung auf Artikel 76, Absatz 8 der UN-Seerechtskonvention, die am 10. Dezember 1982 in Kraft trat, vermochte Australien diesmal seine Ansprüche rechtswirksam geltend zu machen, wie RIA Novosti am 24. April dieses Jahres berichtete [3].

Australien bekam die Wirtschaftsnutzungsrechte für neun Einzelgebiete mit einer Gesamtausdehnung von 2,5 Mio. Quadratkilometern zugesprochen; die Fläche entspricht der siebenfache Größe Deutschlands. Einige Gebiete schließen sich direkt an die australische Kontinentalmasse an, andere hingegen grenzen beispielsweise an die Mac Donald- und Heard-Inseln im südlichen Indischen Ozean und beziehen den Meeresboden des Kerguelen-Gaußberg-Rückens ein, der sich von den beiden Inseln aus weiter nach Süden in Richtung der Davissee erstreckt, wo sich die wichtigste australische Antarktisstation befindet.

Damit seien erstmals Eigentumsrechte unterhalb des 60. Grads südlicher Breite vergeben worden, erklärte Dr. Julia Jabour, Antarktis-Rechtsexpertin an der Universität von Tasmanien, laut einer ABC-Meldung vom 25. April [4]. Der Antarktisvertrag verbietet zwar jegliche Bergbauaktivitäten auf dem Kontinent, doch wird in ihm keine Aussage über die Nutzung des Kontinentalschelfs getroffen. Außerdem gibt es bislang keine rechtsverbindliche Vereinbarung über die Nutzung der biologischen Ressourcen der Antarktis. Jabour erklärte, daß das Institut CRC (Antarctic Climate and Ecosystems Cooperative Research Centre) der Universität von Tasmanien in Zusammenarbeit mit dem Pharmaunternehmen Cerylid bereits 7400 verschiedene Mikrobenarten in der Antarktis eingesammelt hat.

Zur Zeit haben solche Explorationen noch verhältnismäßig geringe Auswirkungen auf die Umwelt, doch sollte der Meeresboden aufgewühlt werden, weil die Konzerne nach neuen Arten suchen, die attraktive chemische Verbindungen enthalten, könnte dies die empfindlichen zirkumantarktischen Ökosysteme nachhaltig zerstören.

Die Nachrichtenagentur RIA Novosti, die sich in ihrer Meldung auf die Wirtschaftszeitung "RBC Daily" beruft, bewertet den territorialen Zuschlag für Australien als eine geopolitische Entscheidung von weitreichender Konsequenz. Das wird bereits in der Überschrift unmißverständlich ausgedrückt: "Umverteilung der Welt: Präzedenzfall Antarktis-Schelf gefährlicher als Kosovo" [3].

Der "Kampf um die Südpol-Ressourcen" werde "verschärft"; Experten bewerteten die Entscheidung als "gefährlicher als die einseitig verkündete Unabhängigkeit der Provinz Kosovo", nun gehe es um eine "Umverteilung der Welt", schrieb die Nachrichtenagentur. Der Vergleich zu Kosovo geht auf den Politologen Dmitri Jewstafjew zurück, der das Schweigen Rußlands in diesem Zusammenhang für verwunderlich hält. Darüber hinaus schlug der Politikwissenschaftler einen Bogen zum Streitpunkt Arktis und verlangte, daß Rußland seine dortigen Bemühungen intensivieren müsse.

Der Antarktis-Vertrag lasse keine Ansprüche zu, wird Wladimir Kutschin, Vizechef der russischen Antarktis-Expedition, zitiert. Die UNO besäße keine Territorien und könne über deren Vergabe nicht entscheiden. Eine Aufteilung der Antarktis könnte nur unter Beteiligung aller Vertragsländer beschlossen werden, stellte der russische Wissenschaftler zutreffend fest. (Eine Zeitlang hatte die Uno versucht, das Antarktisvertragswerk an sich zu ziehen, was jedoch die Unterzeichnerstaaten des Antarktisvertrags ablehnten.)

Obgleich der Novosti-Bericht ein wenig den Eindruck erweckt, als werde hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen - immerhin hat sich Australien zur Einhaltung des Antarktisvertrags verpflichtet -, und die Nachrichtenagentur auch unsauber mit Zahlenangaben umgeht - die territoriale Erweiterung Australiens von 2,5 Mio. Quadratkilometern durch die CLCS bezieht sich nicht, wie in dem Bericht behauptet, auf den antarktischen, sondern auf den australischen Kontinentalschelf -, erinnert diese Reaktion dennoch daran, daß das Thema "Rohstoffe in der Antarktis" reichlich Sprengstoff birgt.

Deshalb verhielt sich der australische Minister für Ressourcen, Martin Ferguson, ziemlich ungeschickt, als er damit prahlte, daß sein Land "eine Goldgrube" ("bonanza") erhalten habe [5]. In dem Meeresboden, der Australien zugeschlagen wurde, werden größere Mengen Öl und Gas vermutet - allerdings in einer Tiefe von bis zu 2,4 Kilometern, was eine technologische Herausforderung an die Förderunternehmen darstellt. Die lukrativsten Explorationsaussichten bietet nicht das in Richtung Antarktis weisende Meeresgebiet, sondern eines, das nordwestlich von Australien liegt, stellte Phillip Coorey von der Petroleum Exploration Society of Australia gegenüber AFP klar [5]. Zumindest kurzfristig sind die biologischen Ressourcen der Antarktis von größerem Interesse.

Abgesehen von Australien versuchen auch andere Staaten, territoriale Ansprüche im Umfeld des südlichen Kontinents gelten zu machen. So berichtete die englische Zeitung "The Guardian" am 18. Oktober 2007 [6], daß das britische Außenministerium beabsichtigt, einen Antrag an das CLCS auf territoriale Erweiterung um ein mehr als eine Million Quadratkilometer großes Stück Meeresboden, das vor dem britischen Teil der Antarktis liegt, zu stellen.

Für die Emsigkeit einiger Staaten, mit der sie in letzter Zeit Gebietsansprüche reklamieren, gibt es einen konkreten Grund. Für alle Anträge der Staaten an die CLCS auf Erweiterung des eigenen Wirtschaftsnutzungsraums gilt der Stichtag Mai 2009. Das dürfte ein Datum sein, ab dem das Rennen um die Sicherung der letzten weißen Flecken auf der Landkarte noch an Fahrt gewinnen wird.

Eine typische Konfliktzone bilden die Falkland-Inseln, die zu Großbritannien gehören und 1982 kurzzeitig von Argentinien besetzt wurden. Damals war die britische Kriegsmarine unverzüglich ausgerückt und hatte die gering besiedelten und wirtschaftlich wenig ertragreichen Inseln zurückerobert. Ein wichtiger Grund für das entschlossene Vorgehen der Briten war der enorme territoriale und geostrategische Zugewinn, der mit dem Gebiet vor der Südspitze Südamerikas verbunden ist.

Während seines Besuchs der norwegischen "Troll-Station" auf der Antarktis im Januar dieses Jahres sagte der norwegische Ministerpräsident Stoltenberg, daß gegenwärtig ein norwegisches Forschungsschiff seismische Vermessungen des Kontinentalschelfs vornimmt [1]. Mit diesen Aktivitäten reagiert auch Norwegen auf den Stichtag Mai 2009, aber selbstverständlich unterstreicht das Land gleichzeitig seinen Anspruch auf ein Gebiet in der Antarktis.

Die Frage des Besitzstands wurde jedoch im Antarktisvertrag nicht geregelt, sondern zunächst auf Eis gelegt. Das hat bis heute funktioniert. Niemandem gehört die Antarktis, auch wenn der Kontinent wie bei einem Tortendiagramm in länderspezifische Gebiete eingeteilt ist. Neben den erwähnten Ländern Australien, Argentinien, Norwegen und Großbritannien erheben auch Neuseeland, Frankreich und Chile Gebietsansprüche. Die USA, Rußland, China, Japan, Deutschland, Belgien, Italien und die vielen anderen Staaten, die eine von über 80 Forschungsstationen auf der Antarktis betreiben, beanspruchen zwar in diesem Sinne kein Territorium, doch zeigen sie mit ihrer Präsenz, daß sie nicht gewillt sind, Verletzungen des Antarktisvertrags, also nationale Gebietsansprüche, zuzulassen.

Zudem schaffen die Vereinigten Staaten mit ihren zwei von der US-Marine gebauten Seehäfen McMurdo und Palmer sowie mehreren Forschungsstationen Fakten. Die McMurdo-Station am Rossmeer gilt sogar als inoffizielle Hauptstadt des Kontinents. Sie ist über eine ins Eis geschnittene Autostraße mit der am Südpol gelegenen Amundsen-Scott-Basis verbunden. Zudem soll von dort aus ein 1700 Kilometer langes Glasfaserkabel zu der von Italien und Frankreich ganzjährig besetzten Station Dome Concordia am Rand der Antarktis verlegt werden. Wenn das Internationale Polarjahr 2009 ausläuft, soll diese Internetverbindung stehen. Von Concordia wird der Datenstrom via Satelliten weitergeleitet.

Die Australier haben inzwischen die erste Landebahn für Passagierflugzeuge in der Antarktis gebaut und am 10. Dezember 2007 in Betrieb genommen. Einen Monat zuvor hat China ein riesiges Aufgebot von 188 Wissenschaftlern und Mitarbeitern zu seinen beiden Forschungsstationen Changcheng und Zhongshan am Rand der Antarktis gesandt. Dort befand sich ungefähr die gleiche Anzahl an Bauarbeitern, die innerhalb von zwei bis drei Jahren auf dem höchsten Punkt des antarktischen Eisschilds, dem 4.300 Meter hohen Dome A, eine dritte chinesische Station aufbauen sollen. Rußland, Großbritannien, Deutschland und weitere Akteure innerhalb der antarktischen "Familie" errichten gegenwärtig neue Stationen oder bauen ihre alten weiter aus. Das Interesse an der Antarktis wächst.

Unstrittig ist der enorme wissenschaftliche Nutzen der zahlreichen Projekte auf der Antarktis und in ihren Randbereichen. Aber ebenso unstrittig dienen wissenschaftliche Erkenntnisse politischen Zwecken. Jeder Rechtsanspruch, der mittels der Vermessung der kontinentalen Schelfgrenzen durchgesetzt wird und auf territorialen Zugewinn hinausläuft, bedeutet Ausschluß aller anderen potentiellen Nutznießer.

In den bevorstehenden Zeiten des Klimawandels, die mit einem Mangel an Lebensraum und Ressourcen einhergehen werden, stellt die Antarktis aus herrschaftspolitischer Sicht einen Anachronismus dar. Die harmlos wirkenden Aktivitäten von heute bilden die Voraussetzung für die von Hegemoniestreben geprägten Verhandlungen von morgen. Als 1952 argentinische Expediteure in Hope Bay über die Köpfe ihrer britischen Konkurrenz hinwegfeuerten, wußten sie sehr wohl, was sie taten, auch wenn sie sich später dafür entschuldigt haben. Bei der Eroberung und Erschließung des südlichen Kontinents wurde von jeher mit harten Bandagen gekämpft - es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß die künftige wirtschaftliche Nutzung anders vonstatten gehen wird. Die Gefahr, daß dabei Umweltschutzfragen immer weiter ins Hintertreffen geraten, ist insofern groß, als daß die Versorgungsnot auf allen anderen Kontinenten weiter wachsen wird.


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Anmerkungen:

[1] http://www.reuters.com/article/latestCrisis/idUSL28734632

[2] http://www.un.org/depts/los/clcs_new/submissions_files/submission_aus.htm

[3] http://de.rian.ru/world/20080424/105807670.html

[4] http://www.abc.net.au/science/articles/2008/04/25/2226878.htm?site=science&topic=latest

[5] http://afp.google.com/article/ALeqM5gVBmJQ7VTVMLS-lZgHeoQFH77Nxg

[6] http://www.guardian.co.uk/environment/2007/oct/18/climatechange.fossilfuels

6. Mai 2008