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RESSOURCEN/121: Britische Experten evaluieren globale Mangellage (SB)


Im Zeitalter der globalen Rohstoffverknappung

Britische Regierung schafft Grundlage für zukünftige
Ressourcensicherung


Horst Köhler, Präsident der Bundesrepublik Deutschland, hatte seinen Rücktritt eingereicht, weil er offen aussprach, daß deutsches Militär auch eingesetzt wird, um Handelswege freizuhalten. Eine Aussage, die sich zwar mit den Ausführungen im Weißbuch der Bundeswehr deckt, die aber so unverhohlen vom höchsten Repräsentanten Deutschlands noch nicht vernommen wurde. Damit hat Köhler an einem Tabuthema gerührt, wird doch der von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnte Bundeswehreinsatz in Afghanistan mit dem Schutz Deutschlands vor Bedrohungen am Hindukusch begründet.

Als wie wichtig Handelswege, die infrastruktureller Bestandteil der Ressourcensicherung sind, in den westlichen Gesellschaften angesehen werden, läßt sich am Beispiel der Einberufung einer neuen Expertenkommission durch die britische Regierung ablesen. Unter Federführung des Beratungsunternehmens AEA sollen Analysen zu drohenden globalen Knappheit an Ressourcen - sei es bei Fisch, Holz, Wasser, Phosphor oder seltenen Metallen - erstellt werden, meldete die britische Zeitung "The Guardian". [1]

Konkrete Anlässe zur Sorge sind zum einen Steigerungen diverser Rohstoffpreise in jüngerer Zeit und zum anderen Unruhen in mehreren Dutzend Ländern in den Jahren 2007 und 2008 wegen der hohen Lebensmittelpreise. Darüber hinaus macht sich die britische Regierung Sorgen, weil einige Länder angefangen haben, wichtige Materialien zu horten. Da will man nicht das Nachsehen haben. Aber auch die Übernahme von Unternehmen, das Pachten von Land und die Verhängung von Exportrestriktionen können als unzweideutiges Anzeichen für die globale Konkurrenz um Zugang zu Rohstoffen und deren Sicherung gedeutet werden.

Prof. Bob Watson, Chefwissenschaftler des britischen Ministeriums für Ernährung, Umwelt und ländliche Angelegenheiten (Defra - Department for Food, Environment and Rural Affairs), das eine Führungsfunktion in der neuen Initiative einnimmt, erklärte laut dem "Guardian", daß jeder Sektor der britischen Wirtschaft direkt oder indirekt anfällig für zukünftige Verknappungen ist. "Eine der Aufgaben der Regierung besteht darin, Informationen zu liefern ... eine gemeinsame Vorstellung einzubringen und mit dem privaten Sektor zusammenzuarbeiten, so daß es einen Wettbewerb gibt, eine tragfähige Wirtschaft, die vorankommt", zitiert der "Guardian" Watson.

Seltene Metalle und Erden werden für Elektronikbauteile gebraucht, die für Rüstungsgüter, Kernkraftwerke und viele "grüne" Technologien unverzichtbar sind. Phil Dolley, Direktor für Ressourceneffizienz bei AEA, erklärte, daß ihre Studie weder die Ölindustrie einschließt, die schon intensiv untersucht werde, noch Ökosystemdienste wie den Flutschutz, aber daß die Spanne noch immer sehr groß sei. Es handele sich um ein "heißes Thema", denn andere Länder dächten ebenfalls daran und hätten bereits eine Menge Arbeit geleistet.

Im anglo-amerikanischen Sprachraum findet die Bezeichnung "peak everything" zunehmend Verbreitung. Damit wird das "Fördermaximum von allem" bezeichnet. Am bekanntesten ist "peak oil", demzufolge weltweit ein Fördermaximum an Erdöl kurz bevorsteht, erreicht ist oder bereits überschritten wurde und von nun an eine sich exponentiell vergrößernde Diskrepanz zwischen Erdölverbrauch und dem Volumen neu entdeckter Erdölfelder zu beobachten sein wird. Bei "peak everything" gilt das für sämtliche Ressourcen.

Auch der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung globale Umweltveränderungen (WBGU) erstellt regelmäßig Gutachten, welche die Ressourcenfrage berühren, beispielsweise zu Fragen der Energieversorgung oder der Bodenqualität, und die deutsche Industrie hat die Frage aufgeworfen, ob die Bundesregierung genügend darauf vorbereitet ist, den Rohstoffnachschub zu sichern. Auf Ebene der Europäischen Union wiederum laufen seit 2009 Bemühungen, Maßnahmen zu ergreifen, damit als strategisch wichtig angesehene 49 Rohstoffe gesichert werden. [2] Ein Jahr zuvor hatte die EU-Kommission lediglich 20 Rohstoffe als gefährdet angesehen. Die Erweiterung der Liste kann als Hinweis auf die sich global zuspitzende Lage der miteinander konkurrierenden Nationen gewertet werden.

Von den USA, der EU und Mexiko werden bereits Klageschritte bei der Welthandelsorganisation WTO gegen China erwogen, da das Land Exportrestriktionen auf neun seltene Rohstoffe (u.a. Koks, Bauxit, Magnesium und Flußspat) verhängt hat. Japan dagegen hortet schwerpunktmäßig die sieben Metalle Nickel, Chrom, Wolfram, Kobalt, Molybdän, Mangan und Vanadium. [3]

Der globale Wettlauf um Ressourcen fällt nur deshalb nicht auf, weil er nicht so genannt, sondern statt dessen beispielsweise als "Kampf gegen den Terror" maskiert wird, und er sich über Jahre erstreckt und sehr viele Wirtschaftssektoren, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, abdeckt. Die verheerende Ölkatastrophe im Golf von Mexiko ist ebenso Ausdruck dieses Rohstoffrennens wie die sprunghaft angestiegene Landnahme in Afrika; die strategische Positionierung eigener "Hilfskräfte" im erdbebenzerstörten Haiti ebenso wie der Aufmarsch von Kriegsschiffen im Golf von Aden aus Anlaß der Piratenbekämpfung und Sicherung eines der weltweit wichtigsten Handelswege. Nicht zu vernachlässigen die Militarisierung der Arktis durch die Anrainerstaaten, die es auf die Vorkommen an Erdöl, Erdgas, Gold, Diamanten, aber auch ihren Fischreichtum abgesehen haben, sowie die Bemühungen der Nationen, sich für den Fall einer Aufteilung der Antarktis rechtzeitig vorteilhaft zu positionieren.

Ohnehin müssen auch die Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und Irak in einen Kontext gestellt werden, in dem die militärisch hochgerüsteten Staaten - in allen drei Beispielen vor allem die der NATO - Ressourcensicherung als Bestandteil ihrer globalhegemonialen Ambitionen betreiben. Wäre es vor sieben Jahren beim Angriff auf Irak ausschließlich um den Raub von Erdöl gegangen, hätte es die angloamerikanische Achse einfacher haben können, als deswegen einen Krieg anzuzetteln. Daß es nicht um die Wahrung der Menschenrechte oder die Befreiung des irakischen Volks von einem Diktator ging, pfeifen nicht nur die Spatzen von den Dächern, sondern wurde selbst vom Architekten des Irakkriegs, dem früheren US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz, bestätigt. Er sagte laut US Today, daß man in der US-Administration nach einem Grund für den Angriff gesucht habe, der auf breite Zustimmung stoßen würde, und sich auf "Massenvernichtungswaffen" geeinigt habe. [4] Die hat es nie gegeben, wie selbst der britische Premierminister Tony Blair, der vorgibt, durch gefälschte Geheimdienstexpertisen getäuscht worden zu sein, eingeräumt hat. Aber selbst wenn er gewußt hätte, daß es keine Massenvernichtungswaffen (WMD) im Irak gibt, hätte er den Krieg dennoch geführt, so Blair. [5] Er hätte ihn nur anders gerechtfertigt, lautet sein lapidarer Kommentar zu einer Entscheidung, die Millionen Irakern das Leben gekostet hat und noch heute zu Verstümmelungen, Traumatisierungen oder Tod führt.

Die Einberufung einer Expertenkommission, die für die britische Regierung Bewertungen zur Gefährdung der Gesellschaft durch den Rohstoffmangel vornehmen soll, geht wahrscheinlich wirtschaftlichen oder auch militärischen Maßnahmen zur Sicherung der zum eigenen Vorteil gereichenden Weltordnung voraus. Zwar haben die Kriege in Afghanistan und Irak nicht das Ausmaß an Zerstörungen und Vernichtung von Menschenleben des Zweiten Weltkriegs erreicht, ihn an Dauer aber bereits übertroffen. Das 21. Jahrhundert mit seinen vielfachen Krisen wird durch Verteilungskriege gekennzeichnet sein. Das muß nicht zwingend auf einen großen Crash zwischen den NATO-Staaten und China oder Rußland hinauslaufen, kann es aber. Wie auch immer, im Ergebnis wird es dann nur noch Weltinnenpolitik geben.

Zu bewaffneten Konflikten, die dann hauptsächlich nur noch asymmetrisch ausgeführt werden - hochgerüstete Weltadministration versus Aufständische - kommt es vor allem deshalb, weil der Mangel an Ressourcen gegen große, marginalisierte Bevölkerungsteile in Stellung gebracht wird. Das gilt zwar bereits heute, wie bestimmte, dramatisch unterversorgte Konfliktregionen in Afrika und Asien zeigen, könnte sich aber als das bestechendste Charakteristikum der neuen Weltordnung herausstellen.

Diese Entwicklung birgt die Gefahr, daß das sogenannte Umweltbewußtsein, das ursprünglich einmal auch die Idee der Systemkritik enthielt, auf der Strecke bleibt bzw. zur von oben administrierten Maßregelung des dem Mangel an Energie, Fleisch, Wasser, etc. unterworfenen Individuums verkommt. Die Mehrheit der Menschen wird sich außerdem an die zerstörerische Umwandlung von riesigen Wasser- und Landarealen anpassen müssen. Je knapper die Ressourcen, desto destruktiver deren Gewinnung und desto globaler die Folgen. Ein Drittel des Golfs von Mexiko darf nicht mehr befischt werden, das ausgetretene Erdöl hat inzwischen die Küste Floridas erreicht. Für sechs Monate hat US-Präsident Barack Obama die Genehmigungen für die Offshore-Erdölförderung auf Eis gelegt. Eine derart kurze Spanne kann als Indiz für den unmittelbar bevorstehenden Erdölmangel und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verwerfungen gesehen werden.


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Anmerkungen:

[1] "Government review to examine threat of world resources shortage", The Guardian, 31. Mai 2010
http://www.guardian.co.uk/politics/2010/may/31/world-resources-shortage-threat-review

[2] "EU starts screening raw materials `critical list´", EurActiv.com, 1. Dezember 2009
http://www.wbcsd.org/Plugins/DocSearch/details.asp?ObjectId=MzY3MjQ

[3] "Rare Metals Stockpiling Program", Japan Oil, Gas and Metals National Corporation, online abgerufen am 2.6.2010
http://www.jogmec.go.jp/english/activities/stockpiling_metal/raremetals.html

[4] "Wolfowitz comments revive doubts over Iraq's WMD", 1. Juni 2003
http://www.usatoday.com/news/world/iraq/2003-05-30-wolfowitz-iraq_x.htm

[5] "Tony Blair says Iraq war was necessary, even without WMD", Deutsche Welle, 12. Dezember 2009
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5009037,00.html

3. Juni 2010