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RESSOURCEN/148: Guatemala - blutiger Konflikt um Silbermine El Escobal (SB)


Tahoe Resources will in Guatemala Silber abbauen - Einwohner der betroffenen Region wehren sich

Regierung verhängt Ausnahmezustand über Unruhegebiete



Auf der ganzen Welt tritt der gesellschaftliche Grundkonflikt, daß der Reichtum von wenigen auf der Armut von vielen gründet, beim Bergbau besonders krass hervor. Mit Hilfe der jeweiligen Regierungen treiben Unternehmen Schächte und Stollen ins Gestein, sprengen ganze Bergkuppen weg oder heben bis zum Horizont reichende, Hunderte Meter tiefe Gruben aus, um den Griff auf die begehrten Rohstoffe zu bekommen. Die Anwohner der betroffenen Gebiete werden, wenn sie Glück haben, für ihre Vertreibung von Haus und Hof entschädigt. Meistens haben sie kein Glück.

In jedem Fall aber macht die sogenannte Entschädigung immer nur einen geringen Bruchteil dessen aus, was ein Unternehmen durch den Verkauf der Rohstoffe einnimmt. Die Profite werden in der Regel privatisiert - wobei das Unternehmen häufig schon nach wenigen Jahren die Investitionskosten für sein Bergbauprojekt herausgeholt hat -, während die Verluste, wie zum Beispiel die Folgekosten aus der Beseitigung von teils schwerwiegenden Umweltverschmutzungen, vergesellschaftet werden. Das Unternehmen zieht sich aus der Affäre, baut seine Zelte ab, und für die lokale Bevölkerung bleibt nur das Erbe der durch Abraum und Chemikalien kontaminierten Umwelt.

Zu den Hauptargumenten der Befürworter von Bergbauprojekten gehört, daß durch sie das Wirtschaftswachstum gefördert und die Infrastruktur verbessert wird und daß Arbeitsplätze entstehen. Unterschlagen wird hierbei, daß das Wirtschaftswachstum nicht gleichbedeutend mit einer allgemeinen Anhebung des Lebensstandards der Bevölkerung ist, daß die Infrastruktur oftmals nur so weit verbessert wird, wie sie für den Abtransport der Rohstoffe sowieso gebraucht würde, und daß zwar Jobs geschaffen werden, aber aufgrund des Bergbauprojekts auch Arbeitsplätze verloren gehen und ganze Gemeinden, in denen Subsistenzwirtschaft betrieben wird, zerrüttet werden.

Der Bergbau in Guatemala ist ein Paradebeispiel für die hier skizzierten Merkmale. Im April dieses Jahres hat die Regierung des zentralamerikanischen Staates dem kanadischen Unternehmen Tahoe Resources Inc. eine auf 25 Jahre befristete Schürflizenz für die Silbermine El Escobal ausgestellt. Nach Einschätzung Tahoes zählt die Lagerstätte zu den fünf größten Silbervorkommen der Welt.

Im Jahr 2010 hat das Unternehmen Tahoe Resources, das von dem ehemaligen Präsidenten der Goldcorp Inc., Kevin McArthur, gegründet wurde, 60 Prozent der Anteile an der Silbermine von eben jenem kanadischen Unternehmen übernommen und dafür 505 Millionen US-Dollar bezahlt.

Die Probleme begannen bereits im Jahr 2007, als Goldcorp in diese Region, rund 50 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Guatemala City gelegen, kam und erklärte, es habe von der Regierung eine Schürflizenz erhalten. Davon wurde die örtliche Bevölkerung vollkommen überrascht. Sie protestiert seitdem gegen die noch für dieses Jahr geplante Inbetriebnahme der Mine. Die Einwohner, von denen viele der Minderheit der Xinka-Indianer angehören, gehen inzwischen regelrecht auf die Barrikaden. Das Bergbauprojekt wird ihrer Einschätzung nach große Wassermengen verschlingen und schwerwiegende Umweltverschmutzungen auslösen. Als gefährdet gilt insbesondere der Ayarza-See, der nur 2,5 Kilometer stromabwärts der Mine liegt und über einen gemeinsamen Grundwasserspeicher mit dem Bergbaugebiet verbunden ist. Zwischen See und dem unterirdischen Wasserkörper befindet sich eine nur 200 Meter dicke Gesteinsschicht, die womöglich im Laufe der Jahre von den Abwässern der Mine durchdrungen wird.

Weil weder das Unternehmen noch die Behörden der wiederholten Aufforderung der Bewohner dieser Region nachgekommen sind und das Projekt gestoppt haben, gewannen die Proteste in den letzten beiden Monaten an Schärfe. Straßen wurden blockiert, Gebäude angezündet, Demonstrationen abgehalten.

Auf der anderen Seite wurden am 17. März vier Xinka-Anführer von maskierten Bewaffneten entführt. Zwei der Geiseln konnten fliehen, eine weitere Geisel wurde von der Polizei befreit, doch Exaltación Marcos Ucelo, Sekretär des Xinka-Parlaments, fand man nur noch tot auf. Und Ende April schossen die Sicherheitskräfte der Mine auf Demonstrierende und verletzten dabei sechs von ihnen. Nach Unternehmensangaben [1] wurden "nur" Gummigeschosse verwendet; Einwohner berichteten jedoch, daß auch mit scharfer Munition geschossen wurde.

Einen Tag darauf entführten die Einwohner 23 Polizeibeamte - das berichtete zumindest Innenminister Mauricio López Bonilla, während Tahoe die Entführung nicht mit seinem Bergbauprojekt in Verbindung bringt. Beim Versuch, die Geiseln zu befreien, sind im Zuge eines Schußwechsels ein Beamter und ein Demonstrant getötet worden. Lopez, Anfang der 1980er Jahre ein junger Leutnant unter dem berüchtigten Juntaführer Ríos Montt, kündigte sechsmonatige Ermittlungen seitens der Generalstaatsanwaltschaft in der Unruheregion an und versuchte, die Demonstranten in die Ecke der organisierten Kriminalität zu rücken. Angeblich wurden in der Vergangenheit schon mal Sprengstoff und andere Dinge von der Mine gestohlen.

Aber erstens weiß man nicht, ob die Diebe die gleichen sind, die gegen das Projekt protestieren, und zweitens, noch wichtiger, kann man in Anlehnung an ein bekanntes Brecht-Zitat fragen: Was ist der Raub solcher Ausrüstungsgegenstände gegen den Raub, den das Unternehmen mit Hilfe der Regierung an der Bevölkerung begeht, indem es das Silber aus dem Boden herausholt, gewachsene soziale Strukturen zerstört und die Umwelt mit Giften verschmutzt?

Am 2. Mai dieses Jahres verhängte Guatemalas Präsident Otto Pérez Molina in den Städten San Rafael Las Flores und Casillas (beide im Department Santa Rosa) sowie Jalapa und Mataquescuintla (beide im Department Jalapa) einen zunächst auf 30 Tage befristeten Ausnahmezustand. Zugleich entsandte er 500 Polizeibeamte und 2000 Soldaten in die Region. Seitdem patrouillieren mit Maschinenpistolen bewaffnete Sicherheitskräfte durch die Straßen und sorgen für die Einhaltung des Versammlungsverbots, der nächtlichen Ausgangssperre und auch des Verbots, Waffen zu tragen. Bei Razzien wurden zahlreiche Personen verhaftet. All das weckte bei den Einwohnern böse Erinnerungen an die Zeit der Militärdiktatur und des jahrzehntelangen Bürgerkriegs (1960 - 1996), bei dem schätzungsweise 200.000 Menschen gewaltsam ums Leben kamen.

Der Ausnahmezustand in den genannten vier Städten wurde von dem guatemaltekischen Präsidenten, der im Rang eines Generals ebenfalls unter Ríos Montt gedient hat und sich Fragen wegen seiner Rolle bei der brutalen Aufstandsbekämpfung 1982/83 in der Ixil-Region stellen mußte, später wieder abgemildert. Das bedeutet, daß die Soldaten nicht mehr länger verdachtsunabhängige Verhaftungen vornehmen dürfen. Andere Zwangsmaßnahmen blieben bestehen.

In einem Telefoninterview mit der Internetseite Upside Down World erklärte Moisés Divas, bei der Diözese in Santa Rosa Koordinator der Kommission für den Erhalt der Natur (CODIDENA), daß Unternehmen und Regierung das von der Verfassung geschützte Demonstrationsrecht der Einwohner verletzt haben. Menschliches Leben sei nicht mehr respektiert worden. "Die Vertreter der Regierung, die eigentlich dem Volk dienen sollten, haben sich gegen das Volk gewandt, um ein transnationales Projekt zu verteidigen", so Divas. [2]

Besonders erzürnt hat die Demonstranten, daß der Sicherheitschef der Mine El Escobal, Alberto Rotondo, laut einem mitgeschnittenen Telefongespräch, über das die Zeitung "The Guatemala Times" berichtete [3], die Order an seine Leute ausgegeben hat, "diese Stücke Scheiße" und "Söhne einer Hure" zu töten. Nachdem das bekannt wurde, wurde Rotondo am Flughafen La Auroro in Guatemala City verhaftet. Medienberichten zufolge hat er zu fliehen versucht, das Unternehmen dagegen behauptet, es handele sich um ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen der Bekanntgabe des Telefonats und der Verhaftung.

Abgesehen von den Unruhen in den Gemeinden rund um die Silbermine kam es nach Angaben der deutschen Sektion der Organisation "peace brigades international" auch in den guatemaltekischen Regionen Alta Veracruz und Izabal zu ähnlichen Auseinandersetzungen. [4]

Tahoes Kommunikationskoordinator Andres Davila wendet sich gegen die Vorwürfe, das Unternehmen verschmutze die Umwelt. Beim Auswaschen des Erzes würde zwar auch Zinkcyanid eingesetzt, aber das werde nicht in die Flüsse geleitet, sondern innerhalb der Mine wiederverwendet. Außerdem betonte er laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AP die vermeintlichen Vorteile dieses Bergbauprojekts: Die Hälfte der Minenarbeiter stamme aus der nahegelegenen Stadt San Rafael, und 95 Prozent (der rund 650 Beschäftigten) seien aus Guatemala. 1300 Subunternehmen profitierten von der Zuarbeit. Von jedem Dollar, den das Unternehmen einnehme, verblieben 35 Cent in Form von Steuern, Lizenzen und freiwilligen Verpflichtungen (die im Rahmen des langjährigen Konflikts von ein auf fünf Prozent angehoben wurden) in Guatemala. [5]

Selbst wenn solche Zahlen einer genauen Überprüfung standhalten würden, sagen sie nichts darüber aus, wie die Gelder verwendet werden und wer davon profitiert. Die örtliche Bevölkerung scheint das Minenprojekt nahezu geschlossen abzulehnen. Das berichtete zumindest Oscar Morales, Vorsitzender des kommunalen Entwicklungsrats, eines institutionellen Bindeglieds zwischen Regierung und Zivilbevölkerung. Eine Umfrage von 4.222 Erwachsenen in acht Kommunen habe gezeigt, daß nahezu alle Befragten gegen die Mine sind, so Morales, der sich zum Zeitpunkt des AP-Gesprächs an einem geheimen Ort aufhielt, da Sicherheitskräfte sein Haus nach Waffen durchsucht haben und er seine Verhaftung oder noch Schlimmeres befürchten muß.

Einem anderen, älteren Bericht zufolge sprach Morales davon, daß die Kommunen gespalten sind, da ein paar Einwohner von der Mine profitierten. Die meisten aber befürchteten, daß sich der Bergbau negativ auf Landwirtschaft und Viehzucht auswirken werde. [6]

Auch wenn hier nicht bestritten werden soll, daß es einige wenige Einwohner als gute Gelegenheit betrachten dürften, durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft und mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit auch auf Kosten ihrer Gesundheit für sich und ihre Familien ein Einkommen zu erwirtschaften, indem sie für einen ausländischen Konzern unter Tage erzhaltiges Material herausstemmen, hat das Ansehen des Unternehmens im allgemeinen unter den Vorfällen schweren Schaden erlitten.

Das Leben als Subsistenzbauer ist in den häufig niederschlagsarmen, inneren Landesteilen Guatemalas sicherlich nicht einfach. Aber die Indigenen vom Volk der Xinka, die in dieser Region sogar noch vor den Maya siedelten, haben hier gelebt und überlebt, als es die Silbermine noch nicht gab. Die Xinka-Indianer sind ganz sicher nicht auf die Job-Angebote des Konzerns angewiesen.


Fußnoten:

[1] http://www.tahoeresourcesinc.com/tahoe-clarifies-reports-regarding-incidents-near-escobal-project/

[2] http://upsidedownworld.org/main/guatemala-archives-33/4270-state-of-siege-mining-conflict-escalates-in-guatemala

[3] http://www.guatemala-times.com/news/guatemala/3653-tahoe-resources-mining-executive-in-guatemala-gives-direct-orders-to-kill-protestors.html

[4] http://www.pbideutschland.de/country-groups/pbi-deutschland/aktuelles-von-pbi/nachrichten/news/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=3855&cHash=790f21b8d6b2063d788b6ee3b1a8eaca

[5] http://finance.yahoo.com/news/guatemalan-mine-dispute-militarizes-region-082530842.html?utm_source=twitterfeed&utm_medium=twitter

[6] http://www.viewpointonline.net/mining-resistance-in-guatemala-james-rodriguez.html

9. Juni 2013