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RESSOURCEN/160: Dammbruch in Goldmine - Land der First Nations in Kanada verseucht (SB)


Warnungen ignoriert

Umweltkatastrophe in British Columbia bekräftigt Kritik an Plänen der Extraktionsindustrie, die kreuz und quer durch Kanada Erdöl- und Erdgaspipelines legen will



Hätten die Bewohner Nordamerikas die Eroberung ihres Kontinents verhindern können, wenn sie mit den Eindringlingen Verträge abgeschlossen und im Falle eines Streits ihre Rechte vor einem Gericht dieser Eindringlinge eingeklagt hätten? Unvorstellbar, zumal jene heute den "First Nations" zugerechneten Menschen mehr als einmal versucht hatten, den Rechtsweg einzuschlagen. Wie sich zu ihrem Leidwesen herausstellte, dienten die Verträge mit den Bleichgesichtern ausschließlich dazu, den Indianern das Land wegzunehmen und sie in Reservate zusammenzutreiben. Recht und Gerichte befanden sich fast ausnahmslos auf seiten der den indigenen Bauern und Hirten militärtechnologisch weit überlegenen Invasoren.

Daran hat sich bis heute wenig geändert, ob einst Verträge abgeschlossen wurden oder nicht und den First Nations somit rechtlich gesehen das Land noch gehört. Das zeigt der Kampf zahlreicher kanadischer Stämme gegen den weiteren Raubbau an der Natur durch die Erdöl- und Erdgasindustrie. Rechtlich gesehen gehört den First Nations in der kanadischen Provinz British Columbia das Land, das wurde ihnen vom Obersten Gerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 1997 bescheinigt. Verträge und Abmachungen, Besitzrecht und Grundsatzurteile sind jedoch das Papier nicht wert, sobald "höhere" Interessen ins Spiel kommen. Das jüngste Beispiel: Am 17. Juni 2014 gab die Regierung von Premierminister Steven Harper für den Bau der umstrittenen Northern-Gateway-Pipeline durch das Unternehmen Enbridge grünes Licht - gegen den erklärten Willen zahlreicher First Nations.

Über die Pipeline sollen täglich 525.000 Barrel (80 Millionen Liter) Öl von den Ölsandfeldern der Provinz Alberta zu der 1177 Kilometer entfernten Hafenstadt Kitimat in British-Columbia transportiert werden. Über eine zweite Pipeline soll Frack-Gas-Fluid in die Gegenrichtung fließen.

Über den Kampf der Stamms der Unist'ot'en der Wet'suwet'en Nation gegen diese und ein knappes Dutzend weitere Pipelines in ihrem Gebiet berichtete kürzlich in einem öffentlichen Vortrag in Berlin die Kanadierin Kim Croswell aus erster Hand. Sie ist zwar kein Stammesmitglied und sprach auch nicht im Namen der Unist'ot'en, wohnt aber in British-Columbia und engagiert sich bei der Nichtregierungsorganisation Wildcoast.ca (VICFAN - Vancouver Island Community Forest Action Network) gegen den Raubbau an der Natur. [1]

Wie begründet die Sorgen der Umweltschützerinnen und -schützer sind, daß es durch die Extraktionsindustrie zu einem Unfall mit anschließender Verseuchung ihres Lebensraums kommen kann, wurde jüngst erneut bestätigt, wenngleich diesmal nicht durch die Erdölindustrie, sondern den Gold- und Kupferbergbau.

Am 4. August brach der Damm eines Absetzbeckens (tailings pond) der Mount Polley Mine der Imperial Metals Company (IMC). Dadurch strömten rund 4,5 Millionen Kubikmeter giftige Schlämme und 10 Millionen Kubikmeter giftige Abwässer in den Polley Lake, dessen Pegel daraufhin um 150 Zentimeter anstieg. Von dort bewegte sich die toxische Brühe in den Hazeltine Creek, der sich von 1,20 Meter auf 50 Meter verbreitete, weiter in den Quesnel Lake, der bis dahin als der sauberste tiefe See der Welt galt [2], und nochmals weiter in seine mehrfach verzweigten Abflüsse. Für das Quesnel-Flußsystem wurde ein Trinkwasserverbot verhängt und die Warnung ausgesprochen, daß es nichts nutzt, das Wasser abzukochen. Das Absetzbecken enthielt nämlich stark gesundheitsgefährdende Substanzen wie Arsen, Blei und Nickel, berichtete die Provinzregierung von British Columbia. [3]

Für das gesamte Gebiet wurde der regionale Notstand ausgerufen, der bis heute nicht aufgehoben ist. Der Shuswap Tribal Nations Council (STNC), ein Rat der ursprünglichen Bevölkerung, hatte gefordert, daß unverzüglich Gegenmaßnahmen ergriffen werden, aber inzwischen ist das vier mal vier Kilometer große Absetzbecken bis auf die Schlammreste am Grund leer.

Die Verseuchung wird als eine der schlimmsten Umweltverschmutzungen British Columbias bezeichnet. Seit Jahren habe man Imperial Metals wegen mangelhafter Sicherheitsmaßnahmen kritisiert, so der STNC. Außerdem habe das Unternehmen die Abmachung ignoriert, die benachbarten First-Nation-Gemeinschaften zu informieren, sobald es zu einem Unfall kommt. Schon 2011 war in einem detaillierten Bericht festgestellt worden, daß die 1995 eingerichtete Mine über keinen angemessenen Notfallplan verfügt. [4]

Er habe von morgens um 6.00 Uhr an den ganzen Tag über versucht, jemanden von der Mine zu erreichen, um mehr über den Unfall zu erfahren, aber niemanden erreicht, berichtete Shuswap First Nation Councillor Willie Sellars. [5]

Am 7. August wurden die Einwohner des 30 Kilometer von der Mine entfernt liegenden Ortes Likely, die kein sauberes Trinkwasser mehr haben, mit 18.000 Wasserflaschen und 1440 Wasserkanistern versorgt, berichtete die Regierung von British Columbia.

Ihr zufolge war am 24. Mai dieses Jahres eine Untersuchung des Absetzbeckens durchgeführt und kein Schaden entdeckt worden. Der Abstand zur Dammkrone sei geringer als zugelassen gewesen, aber nicht an der Stelle, die am 4. August gebrochen ist, hieß es. Allerdings berichtete die Website Mining.com, daß Experten schon vor drei Jahren auf den hohen Füllstand des Absetzbeckens aufmerksam gemacht hatten. [6]

Von dem Unfall sind weite Gebiete im Süden der Provinz betroffen, nicht nur die Trinkwasserversorgung ist gefährdet. Brisant ist die Verseuchung auch wegen der Wanderung der Lachse, die in diesem Jahr in besonders großer Zahl erwartet werden und zum Laichen tief ins Landesinnere vordringen. Sollten die Fische mit Schwermetallen vergiftet werden oder umkommen, beeinträchtigt das die Ernährungsgrundlage der Bevölkerung und schadet einem wichtigen Wirtschaftszweig.

Wie bei den zahllosen kleineren und größeren Umweltverschmutzungen im Zusammenhang mit dem Abbau von Gold, Kupfer und Teersanden, dem hydraulischen Aufbrechen tiefer Gesteinsschichten durch die Methode des Frackings und dem Transport der Ressourcen über Pipelines, Lastwagen oder Tanker wird der Dammbruch der Mount Polley Mine von der Wirtschaft und der Regierung als Einzelfall behandelt, nicht jedoch als systemimmanenter und alles andere als "kollateraler" Schaden der Extraktionsindustrie.

Unter den First Nations in Kanada hat sich eine breite Bewegung gegen diese Art von "Fortschritt" entwickelt. Nachdem im Laufe der ersten Jahreshälfte neun Klagen gegen die Northern Gateway-Pipeline eingereicht worden waren, folgten im Juli acht weitere Stämme mit ihren Klagen. [7] Durch eine dermaßen schwerwiegende Umweltkatastrophe wie aktuell in British Columbia dürfte die Ablehnung der industriellen Entwicklungspläne der Harper-Regierung nicht nur bei Mitgliedern der der First Nations anwachsen.


Fußnoten:

[1] Einen Bericht zum Vortrag und ein Interview mit Kim Croswell finden Sie hier:
BERICHT/084: Alte Wunden, neues Blut - Ureinwohnerfront Kanada (SB)
Indigener Widerstand gegen Öl- und Gasleitungen
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0084.html

INTERVIEW/123: Alte Wunden, neues Blut - Vergeßt die Verträge ..., Kim Croswell im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0123.html

[2] http://www.wltribune.com/news/270019941.html

[3] http://www.newsroom.gov.bc.ca/2014/08/friday-aug-8mount-polley-tailings-pond-situation-update.html

[4] http://www.vancouverobserver.com/news/grand-chief-compares-mount-polley-disaster-exxon-valdez

[5] http://www.vancouverobserver.com/news/calls-about-mount-polley-tailings-breach-allegedly-went-unanswered-hours

[6] http://www.mining.com/canadas-mount-polley-disaster-experts-warned-tailings-pond-getting-large/

[7] http://www.vancouverobserver.com/news/northern-gateway-facing-legal-doom-eight-new-first-nations-lawsuits-video

12. August 2014