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RESSOURCEN/162: Rohstoffsicherung im Indischen Ozean (SB)


Beim Meeresbodenbergbau sollen ärmere Länder mit ins Boot

... nur an welchem Platz das sein wird, ist noch offen



Als europäische Seefahrer vor einigen Jahrhunderten die Segel setzten, um mit fernen Ländern Handel zu treiben, stießen sie mitunter auf Menschen, die jedem Kontaktversuch feindselig begegneten. Sobald jemand den Fuß in ihr Land oder an ihren Strand setzte, wurde er angegriffen.

Die lang anhaltende Kolonialgeschichte und, nach ihrem formalen Ende, die anschließende neokolonialen Periode sind so sehr von Unterwerfung, Sklaverei, Ressourcenraub, wirtschaftlichem Ausbluten und einer westlich-kulturellen Vereinnahmung bestimmt, daß jener unbestechlichen Aversion mancher Stämme und Völker eine Überlebensratio nicht abgesprochen werden kann.

Im nachhinein betrachtet bleibt festzustellen, daß durch die Feindseligkeit der Übergriff nur verzögert, nicht jedoch verhindert werden konnte. Dennoch lehrt dieses Beispiel, daß eine frühzeitige Intervention gegen Vereinnahmungsinteressen Vorteile mit sich bringen kann. Im übrigen gehen die feindlichen Absichten der Eindringlinge in der Regel der ihnen entgegengebrachten Feindseligkeit voraus.

Auf eine frühzeitige Intervention, noch bevor von außen herangebrachte Verwertungsinteressen Fuß fassen können, trifft man heute in manchen Protestformen von Umweltschützern gegen zumeist industrielle Entwicklungsprojekte und administrative Vorhaben. So setzen sich im Vereinigten Königreich (und nicht nur dort) Bürgerinnen und Bürger seit längerem gegen die geologische Vor-Ort-Erkundung von Schiefergasvorkommen zur Wehr. [1] In Kanada wehren sich die Ureinwohner im Unist'ot'en-Protestlager gegen den Bau von Erdöl- und Erdgaspipelines in ihren Stammesgebieten und verhindern nach Möglichkeit auch schon die - vermeintlich gewaltfreie - Erkundung ihres Gebiets. [2] In der japanischen Präfektur Miyagi vereiteln seit mehreren Tagen Einwohner durch eine Sitzblockade die Entnahme von Bodenproben durch Mitarbeiter des Umweltministeriums, die einen Lagerstandort für radioaktiv hochkontaminiertes Material wie Reisstroh suchen. [3]

In allen drei beispielhaft herausgegriffenen Fällen versuchen Menschen Vorgänge, die ihren Interessen zuwiderlaufen, frühzeitig aufzuhalten. Doch wo fängt "frühzeitig" an? Das ist in den seltensten Fällen eindeutig zu bestimmen. Zum Beispiel werden Wissenschaftler der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) am 31. Oktober zu einer Expedition des niederländischen Forschungsschiffs PELAGIA stoßen, um im Indischen Ozean am Meeresboden des deutschen Lizenzgebiets südlich der Insel Rodrigues (in Wassertiefen von 2500 bis 4000 Meter) mit speziellen chemo-physikalischen Sensoren nach metallischen Bodenschätzen (marine Massivsulfide) zu suchen. [4]

Die Explorationslizenz für das Gebiet hat die Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) in Kingston, Jamaika, vergeben. Bereits in der jetzigen Phase der Erkundung muß eine Reihe von Umweltschutzmaßnahmen erfüllt werden. Die marinen Massivsulfide (polymetallische Sulfide), die vulkanischen Ursprungs sind, dürfen nicht an noch aktiven heißen Quellen, in deren Umfeld sich außergewöhnliche Lebensformen entwickelt oder angesiedelt haben, abgebaut werden. Das verbietet das Seerecht.

Dennoch sind Forschungsfahrten wie diese Wegbereiter eines zukünftigen industriellen Meeresbodenbergbaus, dessen Auswirkungen dann, wenn er an vielen Orten gleichzeitig sowohl innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszonen, die der jeweiligen nationalen Souveränität unterliegen, als auch außerhalb in dem sogenannten Gebiet (the Area), das die ISA verwaltet, betrieben wird, unabsehbar sind und möglicherweise schwerste ökologischen Schäden an der marinen Flora und Fauna auslösen. Da für Bergbauaktivitäten in dem Gebiet zahlreiche Umweltschutzauflagen erfüllt werden müssen, vermuten Meeresschützer, daß Zerstörungen der Meeresumwelt vor allem innerhalb der Gebiete unter nationaler Jurisdiktion stattfinden werden. Das steht aber nicht im Widerspruch zu der ebenfalls unter Experten verbreiteten Befürchtung, daß es zu einer Aufsummierung der verschiedenen Folgeschäden in den Weltmeeren kommen kann - analog zu den Zerstörungen am Meeresboden und der Bildung von langen Sedimentfahnen der Schleppnetzfischerei.

Die BGR zählt zur weltweiten Führungsgruppe von Institutionen, die die Möglichkeiten von Meeresbodenbergbau erforschen. Die Bundesrepublik Deutschland als Industriestandort, der kaum über eigene metallische Rohstoffe verfügt, ist massiv an der Erschließung des Gebiets interessiert und hat sich abgesehen von diesem Lizenzgebiet auch ein sehr viel größeres in der Clarion-Clipperton-Zone im Zentralpazifik zwischen Hawaii und der US-Westküste, dem sogenannten Manganknollengürtel, gesichert.

In der Regel halten die an der Exploration beteiligten Forscher ihre Tätigkeit für unbedenklich, da sie nur die Informationen liefern, noch keine ökologischen Schäden anrichten und die Entscheidung, ob Rohstoffe abgebaut werden oder nicht, zu einem späteren Zeitpunkt und an ganz anderer Stelle (Politik, Wirtschaft) getroffen wird. Doch sind solche Expeditionen fester Bestandteil einer Verwertungskette, die, einmal in Gang gesetzt, auf das Ziel der Meeresbodenausbeutung hinauslaufen wird. Bis dahin wird es nur noch darum gehen, unter welchen Bedingungen dies geschieht.

Man könnte sagen, daß die Verwertungskette an der Stelle ihren Ausgangspunkt nimmt, an der in der Vergangenheit jemand - womöglich ein abenteuerlustiger Forscher, der mit einem Tauchboot die lichtlosen Tiefen erkundet - ein Stück mit Massivsulfiden vom Meeresboden abbricht und ins Labor zur Analyse gibt. Spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem in der Probe relativ hohe Gehalte an Gold, Silber und Kupfer oder auch Hochtechnologiemetallen wie Gallium, Indium, Kobalt, Nickel, Selen und Tellur nachgewiesen werden, klingeln die Dukaten in den Augen all der vielen Dagobert Ducks in den Wirtschaftsministerien und Geschäftszentralen rund um den Globus.

"Die marinen Massivsulfide können künftig einen wichtigen Beitrag zur Rohstoffversorgung Deutschlands leisten", schreibt die BGR. Darüber hinaus ergibt sich aus der Erkundung mariner Rohstofflagerstätten für Deutschland ein weiterer Nutzen. In mehreren tausend Metern Meerestiefe Manganknollen zu ernten und Massivsulfide abzubauen erfordert eine Technologie, die bisher noch nicht im industriellen Maßstab erprobt wurde. Hier könnte sich die Bundesrepublik positionieren, womöglich eine Führungsposition einnehmen. Immer vor dem Hintergrund, daß mit den Rohstoffen eine wachstumsorientierte Produktionsweise unterstützt wird, die parallel zur weiteren Rohstoffsicherung an Land allmählich ihren Blick auf den Meeresboden richtet, um das Gebiet als "gemeinsames Erbe der Menschheit" unter denen zu verteilen, die über das nötige Kapital und die Technologie verfügen.

Die ISA-Bestimmungen sind so abgefaßt, daß die Industriestaaten das Gebiet nicht unter sich aufteilen dürfen, sondern ärmere Länder mit ins Boot holen bzw. diese einen Nutzen von der Verwertung der Rohstoffe haben müssen. An welcher Stelle die ärmeren Länder im Boot Platz nehmen werden, ist noch offen. Die bisherige Geschichte der technologischen Entwicklung, die zu der heutigen, stark hierarchischen Weltwirtschaftsordnung geführt hat, läßt vermuten, daß ihr Platz nicht am Steuerrad, sondern, da es keine Ruderbänke mehr gibt, eher im Maschinenraum sein wird.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-150.html

[2] Website des Unist'ot'en camps:
http://unistotencamp.com/
SB-Bericht über den Widerstand der Unist'ot'en:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0084.html

[3] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-sitzblockaden-gegen-lagerung-von-dekontaminationsabfaellen-dauern-an/1142958/

[4] http://tinyurl.com/ny9gvll

28. Oktober 2014