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RESSOURCEN/176: Fracking in Grundwassernähe (SB)


Gefracktes Grundwasser - nur eine Ausnahme?


Die Europäische Union und die USA wollen ein gemeinsames Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) verabschieden, das über die bereits bestehenden Zollerleichterungen hinaus die Wirtschaftsräume enger aneinander binden und ihnen Vorteile bringen soll. Vordergründig richtet sich ein solches Abkommen gegen alle anderen Staaten, denen diese Vorzugsbehandlung nicht zugestanden wird, und das sind in erster Linie Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien. Vor allem aber richtet sich so ein Abkommen gegen die Menschen, die ihre Arbeitskraft zu Markte tragen und mehr denn je gegeneinander ausgespielt werden können, da die Bedingungen, unter denen Arbeit in Zukunft geleistet wird, noch mehr zum Vorteil der Unternehmen gestaltet werden.

Mit TTIP und den zahlreichen anderen Freihandelsabkommen, die nach dem Scheitern des Multilateralen Investitionsschutzabkommens (MAI), jener Großoffensive des Neoliberalismus Ende der 1990er Jahre, zwischen einzelnen Staaten abgeschlossen wurden oder gegenwärtig im Gespräch sind, wird die Ordnung der Weltgesellschaft in souveräne Nationalstaaten unterminiert und der ungebremsten Verwertung von Arbeitskraft geopfert. Der Staat tritt immer weniger als Vermittler zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen auf.

Es gibt also viele gut begründete Kritikpunkte am TTIP, einer davon betrifft die Umweltgesetzgebung. Sollte es zu der gewünschten Angleichung der Bedingungen kommen, nach denen in den USA und der EU gewirtschaftet wird, so ist mit einer Verwässerung der Regeln, nach denen in Deutschland und anderen EU-Staaten Umweltgesetze abgefaßt und durchgesetzt werden, zu rechnen. Die Europäische Union hält sich zumindest theoretisch an das Vorsorgeprinzip. Das heißt, ein Unternehmen muß gewährleisten, daß durch sein Produkt kein Schaden angerichtet wird. In den USA dagegen muß einem Unternehmen nachgewiesen werden, daß sein Produkt einen Schaden hervorruft. Der Unterschied ist gravierend.

Was das konkret bedeutet, wird am Beispiel Fracking deutlich. Es war die Bush-Cheney-Regierung, die einst die Erdöl- und Erdgasunternehmen, die mittels des Frackings, also des Aufbrechens des erdöl- oder erdgashaltigen Gesteins unter hohem Druck durch ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien, von einer Reihe von Umweltbestimmungen befreit hat. Anschließend wurden, ganz nach dem Motto "frack as frack can", Lagerstätten von Kalifornien bis Pennsylvania angebohrt und aufgebrochen.

Der Frage besorgter Bürgerinnen und Bürger, ob durch die Erdöl- und Erdgasförderung nicht ihr Grundwasser kontaminationsgefährdet sei - ganz abgesehen davon, daß an jeder Bohrstelle zig Millionen Liter Wasser verschwendet werden -, wurde seitens der Industrie stets mit dem Argument begegnet, daß sich das Fracking in so großer Tiefe abspiele, daß zwischen dem Grundwasserhorizont und der Lagerstätte mehrere Kilometer dicke und dichte Gesteinsschichten liegen.

Das war eine Täuschung. Der Forscher Robert Jackson von der Stanford University und seine Kollegen haben jetzt die Ergebnisse der ersten (!) landesweiten Studie zur Tiefe der Frackingbohrungen veröffentlicht. Im Journal "Environmental Science & Technology" schreiben sie, daß von den rund 44.000 untersuchten Bohrungen fast 7.000 nicht einmal eine Meile (1,6 km) tief reichten. Somit wurde jede siebte Bohrung relativ oberflächennah ausgeführt. [1]

Die Gesteinsrisse, die beim Fracking entstehen, können durchaus sechs- bis siebenhundert Meter (2000 Fuß) nach oben reichen. Grundwasserführende Schichten liegen manchmal in mehreren hundert Metern Tiefe. Es kann passieren, daß Grundwasserhorizonte bei Flachbohrungen direkt getroffen werden.

Die Zahlen wurden von der Website FracFocus entnommen. In den meisten US-Bundesstaaten sind die Fracking betreibenden Unternehmen nicht gezwungen, dort Angaben über ihre Bohraktivitäten zu hinterlegen. Möglicherweise halten sich Unternehmen, die aufgrund ihrer umweltgefährdenden Aktivitäten mit Schwierigkeiten rechnen, zurück. Oder sie passen ihre Angaben ihren Wunschvorstellungen an, um Ärger zu vermeiden. Wer wollte ihnen das nachweisen? Das heißt, daß die Studie über die tatsächliche Tiefe der Brunnen sogar noch ein geschöntes Bild wiedergeben könnte.

Damit soll nicht behauptet werden, daß Fracking in größeren Tiefen sicher ist. Allein durch das Bohren quer durch die Gesteinsschichten hindurch werden potentiell Wege geschaffen, an denen entlang beispielsweise Methan im Laufe der Jahre aufsteigt. Außerdem sind die Betonummantelungen des Bohrlochs chemischen Verwitterungsprozessen unterworfen, sie dürften mit der Zeit durchlässig werden. Sollte es zu Erdbewegungen kommen, was ja bereits natürlicherseits vorkommt, aber durch die Praxis des Verpressens von verbrauchtem Produktionswasser durch die Unternehmen sogar noch verstärkt wird, entstehen Risse im Beton, durch die das Grundwasser kontaminiert werden kann.

Möglicherweise wird sich das ganze Ausmaß des flächendeckenden Aufsprengens und Zerrüttens des Untergrunds erst in einigen Jahren zeigen, wenn die Erdöl- und Erdgasgesellschaften längst ihre Zelte abgebrochen haben und weitergezogen sind oder - zumindest rechtlich - gar nicht mehr existieren und niemand zur Verantwortung gezogen werden kann, sobald sich herausstellt, welche Umweltzerstörungen sie angerichtet haben.

Es hatte seinen Grund, warum die erdölfreundliche US-Regierung das Fracking unter anderem von den Trinkwasserschutzbestimmungen ausgenommen hat. Eben dieser Grund sollte eigentlich alle Alarmglocken läuten lassen. Doch die deutsche Regierung will Fracking "regeln", das heißt, den Weg vor allem für Konzerne aus den USA freimachen, so daß sie noch ein paar Jahre länger Profit auf Kosten einer Umwelt generieren können, von deren unabsehbaren Schadensfolgen sie nicht betroffen sein werden.


Fußnote:

[1] http://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/acs.est.5b01228?journalCode=esthag

26. Juli 2015


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