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RESSOURCEN/205: Raubzug am Meeresgrund (SB)


Meeresbodenbergbau - Angriff auf das "gemeinsame Erbe der Menschheit"


Weiße Flecken auf der Landkarte sind kein Relikt vergangener Jahrhunderte. Bis heute wurde der Tiefseeboden nicht vollständig erkundet, sind Tauchboote oder robotische Sonden nur stellen- oder vereinzelt streckenweise in die Tiefsee vorgedrungen. Trotz ihrer weitgehenden Unkenntnis haben die Menschen nichts Eiligeres zu tun, als am Meeresgrund in teils mehreren tausend Metern Tiefe Rohstoffe abzubauen.


Schwarzweiß-Unterwasseraufnahme eines hockenden Tauchers, der so etwas wie leuchtende Tafel in der Hand hält, am Meeresboden. Zwei lange Schläuche gehen in Richtung Wasseroberfläche - Foto: Louis Boutan http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k10250505/f243.image

Wissenschaft und Wirtschaft gehen Hand in Hand. Die umstrittenen Pläne zum Meeresbodenbergbau wären ohne die Vorarbeit der Forschung kaum vorstellbar.
Der Ozeanograph und Biologe Emil Racovitza vom Observatoire océanologique de Banyuls-sur-Mer im Jahr 1899 bei der Arbeit.
Foto: Louis Boutan, via: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k10250505/f243.image

Ahnungslosigkeit schützt nicht vor den Folgen des eigenen Tuns. Unter anderem Deutschland, United Kingdom, Frankreich, Indien, mehrere pazifische Inselstaaten und China zählen zu den Ländern, die von der in Kingston, Jamaika, ansässigen Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority - ISA) eine Genehmigung zur Exploration erhalten haben. Sie dürfen unter Einhaltung bestimmter Bedingungen (legal code) abgesteckte Areale hinsichtlich ihrer Eignung als kommerzielle abbauwürdige Lagerstätte für Bodenschätze erkunden. Das betrifft zunächst Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfide, die jeweils für die Industrie hochinteressante Elemente enthalten, wie sie auch und gerade für erneuerbare Energien, Elektromobilität und die Industrie 4.0 benötigt werden. Eine Ausbeutung (exploitation) ist zur Zeit noch nicht erlaubt, doch will die ISA noch in diesem Jahr die Regeln erlassen, nach denen der Bergbau am Meeresboden gestattet werden soll.

Der Startschuß wird voraussichtlich 2019 fallen, und so stehen einige Länder bereits jetzt Gewehr bei Fuß, um die Tiefsee unabwendbar in eine ökologische Katastrophenlandschaft zu verwandeln. Galt bisher die Schleppnetzfischerei, bei der breite Streifen des Meeresbodens aufgewühlt und marine Ökosysteme vernichtet werden, als besonders zerstörerische maritime Technologie, wird dies in Zukunft noch deutlich von der Wühlarbeit der teils hausgroßen Bergbaumaschinen am Meeresgrund übertroffen. Davon geschädigt werden nicht nur die unmittelbar einverleibten Lebensräume der Meeresbewohner, sondern auch riesige Gebiete, die weiter entfernt liegen und von den Sedimentfahnen getroffen werden, die bei der Wühlarbeit oder beim Zurückleiten des Abraums ins Meer entstehen und von der Strömung davongetragen werden.

Die Volksrepublik China, die als "Werkbank der Welt" einen enormen Rohstoffhunger hat, könnte das erste Land sein, das in dem Gebiet, das von der ISA als das "gemeinsame Erbe der Menschheit" verwaltet wird, Rohstoffe abbaut. Zwar sind die Vorbereitungen und Maßnahmen des kanadische Unternehmen Nautilus Minerals in der Bismarcksee schon weiter fortgeschritten, doch jenes Gebiet obliegt rechtlich der nationalen Souveränität Papua-Neuguineas, wohingegen die ISA ausschließlich für die "Area" außerhalb der nationalen Jurisdiktion zuständig ist.

Im August dieses Jahres hat China sein Forschungsschiff Xiang Yang Hong 06 auf eine dreimonatige Reise in die sogenannte Clarion-Clipperton-Zone geschickt. Diese tektonische Bruchzone erstreckt sich über 7.000 Kilometer knapp nördlich des Äquators zwischen Hawaii und Mexiko. Dort ist der Meeresboden stellenweise übersät mit Manganknollen, die auch "polymetallische" Knollen genannt werden, weil sie neben Mangan und Eisen noch verschiedene andere Rohstoffe enthalten, mit denen die Industriemaschinerie immer weiter gefüttert werden muß, damit sie niemals zum Stillstand kommt.


Schaubild mit Windmühle (im Jahr 1700), Dampfmaschine (1800), Auto (1900) und digitale Technologien (2000); jedem Schritt zugeordnet immer mehr Symbole der für diese Technologie benötigten Rohstoffe - Grafik: Meeresatlas 2017, Petra Böckmann/Heinrich-Böll-Stiftung, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Rohstoffhunger - die Not des technologischen Fortschritts wächst permanent an
Grafik: Meeresatlas 2017, Petra Böckmann/Heinrich-Böll-Stiftung, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Wie die "Global Times" [1] berichtete, sehen die Pläne Chinas vor, daß im Jahr 2020 pro Stunde 30 Tonnen Rohstoffe aus 1700 Meter Tiefe vom Meeresboden heraufgeholt werden. Später will man in bis zu 4.500 Meter Tiefe vorrücken. An Bord des chinesischen Forschungsschiff fährt nun erstmals ein Vertreter des Rohstoffunternehmens China Minmetals Corp (CMC) mit, um die Möglichkeiten des Rohstoffabbau konkreter zu erkunden.

CMC ist eines von 17 Unternehmen (contractor), die in der Clarion-Clipperton-Zone oder im Indischen Ozean nach Manganknollen suchen dürfen. Seine Erkundungsgenehmigung erstreckt sich nach Angaben der ISA vom 12. Mai 2017 bis 11. Mai 2032. "Die Frage ist nicht, ob China Reisen für Tiefseebergbau durchführen muß, sondern ob wir mit solchen Reisen jetzt, fünf Jahre später oder in zehn Jahren beginnen sollten", sagte Li Maolin, stellvertretender Generalmanager am Changsha Research Institute of Mining and Metallurgy Co. (CRIMM) in der zentralchinesischen Provinz Hunan gegenüber "Global Times". Nach Einschätzung CRIMMs hat die Clarion-Clipperton-Zone gewaltige Rohstoffreserven: 21 Mio. t Kupfer, 27 Mio. t Nickel, 4,6 Mio. t Kobalt und 528 Mio. t Mangan. Da die Rohstoffe auf Chinas eigenem Territorium nicht genügen, um die Maschinerie am Laufen zu halten, und laut Li die Lagerstätten mit Kupfer, Nickel, Zink und Mangan in rund zwanzig Jahren ausgeschöpft sein werden, drückt das Land offenbar beim Meeresbodenbergbau aufs Gaspedal.

Die Meeresbodenbehörde vergibt an jeden Contractor Flächen von 150.000 Quadratkilometer Größe, die exklusiv erkundet werden dürfen. Da kleinere Staaten wie Tonga oder Nauru nicht über die Wirtschaftskraft verfügen, um sich eigene Forschungsschiffe zu leisten, können sie sich mit Unternehmen zusammentun und "gemeinsam" die Möglichkeiten des Rohstoffabbaus ausloten. Daß dabei der Geldgeber das Sagen hat, steht zu erwarten.


Lodge hinter Stehpult beim Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Michael Lodge, damals noch "legal advisor" der ISA, beim Internationalen Workshop zu den mineralischen Ressourcen des Meeresbodens im März 2013 in Kiel.
Foto: © 2013 by Schattenblick

Michael Lodge, Generalsekretär der ISA, schrieb per E-Mail an "Global Times", daß zwar einige Umweltschutzorganisationen den Meeresbodenbergbau komplett verbieten wollten, aber rechtlich sei die Erkundung vom Seerechtsübereinkommen (UN Convention on the Law of the Sea - UNCLOS) abgedeckt. Es bestehe ein großes Interesse am Tiefseebergbau als alternative, langfristige Quelle für strategische Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt und Nickel. In den nächsten fünf Jahren werde sich erweisen, ob Tiefseebergbau auf kommerzieller Basis betrieben werden könne oder nicht. [2]

Dann dürfte sich auch erweisen, daß trotz einer Reihe von Umweltschutzauflagen, die die ISA verhängt hat, der Rohstoffabbau in der Praxis katastrophal für die Meeresbewohner ausfallen wird. Wo ganze submarine Landschaften in die industrielle Verwertungskette eingespeist werden, wird eine Mondlandschaft zurückbleiben, wie man sie vom landgestützten Bergbau her kennt. "Umweltschonender Bergbau" ist ein Widerspruch in sich.


Feingliedriger, roter Krebs auf gelber, gefächerter Koralle - Foto: NOAA Okeanos Explorer Program, Gulf of Mexico 2014 Expedition

Die wirtschaftliche Verwertung der einzigartigen Meeresumwelt erhält von der ISA den legalen Segen.
Ein Springkrebs hat sich auf einer Koralle im West Florida Escarpment niedergelassen.
Foto: NOAA Okeanos Explorer Program, Gulf of Mexico 2014 Expedition


Fußnoten:


[1] http://www.globaltimes.cn/content/1068279.shtml

[2] Die Berichterstattung über den Workshop in Kiel finden Sie im Infopool des Schattenblick unter UMWELT → REPORT, sowohl unter BERICHT als auch INTERVIEW, jeweils mit dem kategorischen Titel "Rohstoff maritim" versehen. Beispielsweise: BERICHT/050: Rohstoff maritim - Reste oder Sourcen? (SB)


8. Oktober 2017


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