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RESSOURCEN/236: Fracking - und wählt nicht Boris Johnson ... (SB)



"Wenn Schiefergasreserven in London ausgebeutet werden können, sollten wir keinen Stein unumgedreht oder ungefrackt lassen, um die Lichter am Brennen zu halten."
(Boris Johnson, einst Bürgermeister von London, im Juli 2013) [1]

Der britische Premierminister Boris Johnson, bislang vehementer Verfechter des Frackings, verhängt wegen der Erdbebengefahr ein Moratorium gegen diese umstrittene Methode der Erdgasförderung. Mit diesem offensichtlichen Schachzug will er der Labour-Partei Wahlkreise abringen, da diese traditionell führend in den potentiellen Erdgasfördergebieten ist. In ihnen wird Fracking mehrheitlich abgelehnt. Boris Johnson, als notorischer Lügner verrufen, könnte nach seiner Wahl das Frackingverbot wieder lockern.

Das Schiefergaspotential des Vereinigten Königreichs beträgt bis zu 90 Billionen Kubikmeter und könnte den Erdgasbedarf des Landes mehr als eintausend Jahre lang decken, lautet die inzwischen als sehr übertrieben bewertete Prognose des Britischen Geologischen Dienstes (BGS - British Geological Survey). Seit Beginn des Aufbaus von Erdgasfördertürmen vor drei Jahren wurden erst drei Bohrlöcher angelegt. Alle Standorte befinden sich bei der Preston New Road in der Grafschaft Lancashire. Die Regierung hat schon 32 Mio. brit. Pfund (umgerechnet mehr als 37 Mio. Euro) in die Erschließung der Erdgasvorkommen gesteckt, die beteiligten Firmen haben eine wesentlich höhere Summe investiert.

Fast die Hälfte der vom Staat aufgewendeten Summe wurde ausgegeben, um die anwachsenden Proteste von Umweltschutzorganisationen in Bündnis mit der lokalen Bevölkerung gegen die Schiefergasförderung zu handhaben. Nachdem sich schon seit längerem selbst die wirtschaftsnahe Partei der Liberal-Demokraten (LDP) und Teile von Johnsons Konservativen gegen Fracking ausgesprochen haben - so wie auch die Grünen, die Labour-Partei und die Schottische Nationalpartei (SNP) -, nutzt der britische Premierminister für seine Entscheidung die Aktualität der Veröffentlichung eines Berichts der Prüfbehörde Oil and Gas Authority (OGA) vom 2. November 2019, wonach "weitere inakzeptable Folgen für die örtliche Bevölkerung nicht ausgeschlossen" werden können, sollte bei Preston New Road weiter gefrackt werden. Energieministerin Andrea Leadsom kündigte an, ihre Regierung werde keine neuen Projekte bewilligen, solange es nicht "überzeugende Beweise" für die Unbedenklichkeit von Fracking gebe.

In dieser Aussage ist die Ambivalenz schon enthalten, denn wer, wenn nicht die Regierung selbst, beurteilt, ob ein Unbedenklichkeitsbeweis überzeugend ist oder nicht? Leadsom stellte jedenfalls unmißverständlich klar, daß ein vollständiges Verbot des Frackings, wie von der Opposition gefordert, nicht in Frage kommt. Gegenüber der BBC bezeichnete die Ministerin Fracking weiterhin als riesige Gelegenheit für das Land. [2] Und das mit dem Frackingvorhaben betraute Unternehmen Cuadrilla hat angekündigt, es wolle neue Daten vorlegen, die die Regierung davon überzeugen, daß sie das Moratorium aufhebt. [3]

Erdgas, das nicht in größeren Gasblasen vorliegt, sondern in Form vieler kleiner Einschlüsse und Spalten kann nicht ohne Fracking gefördert werden. Eine solche Schieferformation lediglich anzubohren würden nichts bringen. Das gasführende Gestein muß wiederholt regelrecht aufgesprengt werden, was mit Hilfe einer Flüssigkeit aus Wasser, einem Chemikalien-Cocktail und Sand, die unter extrem hohen Druck in den Untergrund gepreßt wird, geschieht. Der Sand hat die Funktion, die Spalten und Risse offen zu halten, sobald der Druck nachläßt, damit auch weiterhin Gas zusammenströmen und gefördert werden kann. Die Chemikalien sollen, neben vielen weiteren Aufgaben, verhindern, daß sich Bakterien vermehren und dadurch die Lücken im Gestein geschlossen werden. Erst nachdem der Untergrund aufgebrochen wurde, strömt genügend Gas zusammen, das sich zu fördern lohnt.

Es läßt sich gut vorstellen, daß sich natürliche tektonische Spannungen im zerklüfteten Gesteins entladen, sobald dieses künstlich erschüttert wird. Deshalb waren die Frackingunternehmen angehalten, die seismischen Aktivitäten zu überwachen und ab einer Erdbebenstärke von 0,5 auf der Richterskala den Frackingvorgang eine Zeitlang zu unterbrechen. Seitdem im August dieses Jahres in der Nähe des Standorts Preston New Road ein Beben der Stärke 2,9 auftrat, war das Fracking sowieso schon ausgesetzt gewesen.

Die Klimaschutzorganisation 350.org bezeichnet das Moratorium als "Sieg der Macht des Volkes und eine Demonstration dessen, was kommen wird, wenn immer mehr Menschen ein Ende der fossilen Brennstoffe fordern und Maßnahmen zur Klimagerechtigkeit ergreifen." [4]

Allerdings diente nicht das Klima, sondern die Erdbebengefahr der Regierung als Begründung für ihre Vorwahlkampfabkehr vom Fracking. Insofern ist der Jubel dieser und anderer Klimaschutzorganisationen über die Entscheidung der britischen Regierung zwar nachvollziehbar, aber möglicherweise voreilig. Anders gesagt: Würde sich die Regierung ernsthaft Sorgen wegen des Klimas machen, hätte sie Fracking von Anfang an nicht genehmigen dürfen. Denn weltweit sollten 80 bis 90 Prozent der bekannten Lagerstätten von fossilen Energieträgern (Kohle, Erdöl, Erdgas) nicht gefördert werden, weil bei ihrer Verbrennung so viele Treibhausgase entstehen, daß sich die Erde aufheizt, Naturkatastrophen häufiger und intensiver auftreten und lebensfeindliche Klimazonen entstehen.

Von den sozioökonomischen Folgen der sich wandelnden Natursysteme werden viele Menschen unmittelbar negativ betroffen sein, auch im Vereinigten Königreich. Leute wie Boris Johnson ficht das nicht an, sie setzen darauf, daß sie ihre Schäflein rechtzeitig ins Trockene bringen, haben sie doch eine gesellschaftliche Machtposition errungen, die das Versprechen birgt, sich stets auf die Seite der Verfügenden und nicht der Verfügungsmasse schlagen zu können. Ohne die tiefe Beteiligung des Wahlvolks an den vorherrschenden Verhältnissen käme ein Boris Johnson niemals an die Macht, bzw. solch eine gesellschaftliche Machtposition würde erst gar nicht aufgebaut oder zugelassen.


Fußnoten:

[1] https://www.theguardian.com/environment/2013/jul/02/shale-gas-energy

[2] https://www.bbc.com/news/business-50267454

[3] https://www.theguardian.com/environment/2019/nov/04/cuadrilla-vows-new-data-to-overturn-uk-fracking-moratorium

[4] https://350.org/press-release/350-response-to-uk-fracking-ban/

5. November 2019


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