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BERICHT/004: Klima, Aerosole - Schadensträger im Fadenkreuz, Teil 1 (SB)


Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften (ZMAW) - Foto: © 2011 by Schattenblick

Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften (ZMAW)
Foto: © 2011 by Schattenblick

Generation Aufbruch in der kritischen Forschung

Bericht von der Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events" am 11./12.8.2011 in Hamburg

Teil 1: Grundfragen der Wissensproduktion, einleitende Übersicht zu den Konferenzthemen und Diskussion über Simulationen und Modelle

Beim verbreiteten Bild des Elfenbeinturms, in den sich die Wissenschaftler zurückgezogen haben und nun auf das in seiner Einfältigkeit gefangene Volk hinabblicken, werden zwei Dinge unterschlagen: Der Turm steht nicht nur als Sinnbild für die Abgehobenheit der Forscherzunft, sondern gleichzeitig auch für die Gefangenschaft seiner Bewohner. Diese müssen sich dessen nicht einmal gewahr sein, so sehr lassen sie sich mitunter von ihrer Arbeit fesseln. Zu einem persönlichen Gefängnis wird der Turm wohl immer da, wo die Initianden beim Überschreiten der Türschwelle die Überbleibsel ihrer noch aus frühen Kindheitstagen bewahrten Fähigkeit, fragend die Welt zu erforschen, ohne sich mit den Antworten der fertig entwickelten Erwachsenen abspeisen zu lassen, an der Pforte abgeben. Einige Wissenschaftler dürften sich an solche frühen Erlebnisse erinnern, in denen sie in Berührung mit ihrer Umgebung kamen und sie neugierig anfingen, diese zu erkunden. Andere dagegen sind bereits zu lange dem bleichenden Schein im Innern ihres tour d'ivoire ausgesetzt, als daß sie sich noch daran erinnerten, sich irgendwann einmal an ihre verlorengegangene Neugier erinnert zu haben.

Zum anderen versinnbildlicht jener Turm die Gefangenschaft der Menschen außerhalb. Auch sie unterliegen einem Irrtum, wenn sie die Fähigkeit, Fragen zu entwickeln, an die Wissenschaftler überantworten und diese mit solch schwerem Gepäck auf dem Rücken zum Elfenbeinturm schicken, offenbar von dem Motiv getrieben, selbst nicht mehr daran erinnert zu werden, daß einst auch in ihnen sich etwas zu keimen anschickte, das keinesfalls ein- oder ausgeschlossen werden wollte. So existiert der Elfenbeinturm nicht ohne seine Umgebung. Das Gefesseltsein sowohl seiner Bewohner als auch der Beobachter außerhalb legt den Schluß nahe, daß es nicht genügt, seine Fenster und Türen weit zu öffnen, alle Räume und Nischen kräftig durchzulüften und sich vorzunehmen, fortan Brücken zu bauen und Übergänge zu schaffen zwischen der Welt der Wissensproduktion und der ihres gesellschaftlichen Gebrauchs.

Würde nicht ein solches, womöglich von hehren Motiven getragenes Anliegen die Gültigkeit des Turms mehr denn je befestigen und seine Herrschaft unüberwindbar erscheinen lassen? Um der Wirkmächtigkeit des Elfenbeinturms und seiner Umgebung entgegenzutreten und die Fragen aus ihrer elfenbeinernen Gebundenheit zu befreien, muß Hand angelegt, muß das Gebäude von innen wie von außen bis auf die Grundmauern geschliffen werden, bis daß nichts mehr von ihm übrigbleibt ...

Nichts mehr als die Fragen von Belang in ihrer partikularen Ursprungsform, nämlich als Staub. Weiß man doch, daß dessen Zusammenspiel ungeheure globale Effekte auszulösen vermag. Das hat die zweitägige Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events - Pathways, Impacts and Policies on Large Aerosol Injections into the Atmosphere" (zu deutsch: Größere Atmosphärische Aerosol-Ereignisse - Wege, Einflüsse und politische Anforderungen bei großen Aerosoleinträgen in die Atmosphäre) am 11./12. August 2011 im Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften (ZMAW) in Hamburg eindrücklich und variantenreich vor Augen geführt. Offenbar wurde der etwas sperrig wirkende Titel von den Veranstaltern mit Bedacht gewählt, denn das internationale Treffen am KlimaCampus, jenem von der Exzellenzinitiative der Bundesregierung geförderten "Leuchtturm der Klimaforschung", führte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich ansonsten von ihren unterschiedlichen Fachrichtungen her wahrscheinlich niemals getroffen hätten, aber auf ihre jeweilige Weise zu Aerosolen forschen, zusammen.

Für den Nicht-Wissenschaftler oder nicht wissenschaftlich Vorgebildeten hört sich der Begriff "Aerosol" eigentlich recht harmlos an. Schließlich enthält er in der Vorsilbe "Aero" die positiv besetzte Implikation der Leichtigkeit des Luftraums (Aero = Luft), die man im Allgemeinverständnis mit weiteren positiven Assoziationen wie aerodynamisch (stromlinienförmig, widerstandsarm und damit energiesparend und sinnvoll) besetzt. Als Aeronauten bezeichnen sich gern Segelflieger (die sich mittels aerodynamischer Technik und Nutzung natürlicher Gegebenheiten von Luft und Aufwinden fortbewegen, sich also - vom motorbetriebenen Aufschleppen einmal abgesehen - relativ energiesparend verhalten). Die Nachsilbe "Sol" hingegen kommt aus der Kolloidchemie und beschreibt einen Zustand, in dem feste Teilchen in einer Flüssigkeit so verteilt sind, daß sie zähflüssiger wird, aber immer noch frei fließen kann. Mit "Aerosol" wird somit eigentlich zunächst das Medium beschrieben, in dem freibewegliche kleine Partikel oder Schwebeteilchen eine Art Luft-Sol bilden. Wobei letzteres schon eine Beziehung oder Wechselwirkung der Bestandteile untereinander impliziert. Daß diese harmlos erscheinenden Teilchen bei genauerer wissenschaftlicher Betrachtung ab einer bestimmten Menge bedrohliche Konsequenzen nach sich ziehen, ist aber das, was Klimaforscher und andere Wissenschaftler sofort mit diesem Begriff verbinden.

Die Entstehung und Auswirkung großer Emissionen von Schwebeteilchen und ihre Einflüsse auf Klima und Umwelt, gesellschaftliche Folgen und mögliche politische Konsequenzen waren die Themen, zu denen das Organisationskomitee mit Prof. Dr. Martin B. Kalinowski, Leiter des Carl Friedrich von Weizsäcker Zentrums für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF), an der Spitze und weitere Experten wie Prof. Dr. Jürgen Scheffran, Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit im Hamburger Exzellenzcluster Integrated Climate System Analysis and Prediction (CliSAP), internationale Geologen, Meteorologen, Physiker und zahlreiche Wissenschaftler und Experten anderer Fachgebiete oder Ausrichtung wie Rüstungskontrollexperten, Friedensforscher und Soziologen eingeladen hatte, ihre Forschungsergebnisse oder Erkenntnisse darzulegen und zur Diskussion zu stellen. Ausgesprochen oder unausgesprochen begleitet wurden die Vorträge von der Frage, was der Mensch tun kann, um die zukünftigen bedrohlichen Ereignisse bzw. gravierenden Folgen für Klima, Umwelt und Gesellschaft rechtzeitig abzuwenden. Kann der Mensch überhaupt etwas tun?

Zu den sogenannten Naturkatastrophen, die für gravierende Aerosoleinträge verantwortlich sein können, zählen beispielsweise extrem große Vulkanausbrüche, Super-Eruptionen, auf die man aus erdgeschichtlichen Daten rückschließt und die das Klima über Monate oder sogar Jahre beeinflußt oder verändert haben sollen. Aus datierbaren Sedimenten und Ablagerungen, die Vulkanologen auf frühe Ereignisse zurückführen, lassen sich gewaltige Aschewolken annehmen, die die Sonne in dem Maße verdunkelt haben müssen, daß die Temperatur auf der Erde abnahm. Sind solche Ereignisse in Zukunft zu erwarten und wie würden sich ähnliche Eruptionen beispielsweise auf die heute existierende Gesellschaft auswirken? Würde der zusätzliche Eintrag an Feinstaubpartikel enthaltenen vulkanischen Aerosolen in die Atemluft, die krebserregend oder auch Herzkreislauf beeinflussend sein können, die Todesstatistiken nach oben treiben?

Naturereignisse wie Waldbrände, die aus sich heraus, aber durchaus auch unter indirekter oder direkter Einwirkung des Menschen entstehen, können zumindest das regionale Klima und Wetter stark beeinflussen. Derartige durch Aerosolemissionen verursachte Klimaänderungen könnten dann die Landwirtschaft beeinträchtigen und weltweite Hungersnöte auslösen, mit unvorstellbar dramatischen Konsequenzen für die Gesellschaft und die Sicherheit der Menschen, wie man sie bislang nur aus filmisch verarbeiteten Endzeitszenarien kennt.

Darüber hinaus wurde vor allem im zweiten Teil des Themenkomplexes zu umweltrelevanten Konsequenzen (Panel II) sowie im Panel IV zu Anforderungen an die Politik darüber gesprochen, warum die Warnungen von Wissenschaftlern in den 1980er und 1990er Jahren, ein massiver Kernwaffenkrieg würde einen sogenannten "nuklearen Winter " auslösen, trotz der inzwischen vertraglich verringerten Zahl an diesen ultimativen Destruktionsmitteln immer noch Relevanz und Aktualität besitzen. Jüngere Studien hätten gezeigt, daß der Einsatz von 100 Kernwaffen Folgen zeitigt, die seinerzeit nuklearer Winter genannt wurden. Schließlich stellten Valery Yarynich, ehemaliger Oberst der sowjetischen Nuklearstreitkräfte, und Prof. Steven Starr von der Universität von Missouri das weltweit bekannte nukleare Abrüstungskonzept "global zero" vor.

Auf der Konferenz wurden auch vom Menschen bewußt in die Atmosphäre eingebrachte Aerosole thematisiert - im Rahmen von Konzepten, die unter dem Stichwort Geo-Engineering verfolgt werden, um mit umweltbelastenden Maßnahmen den als weitaus schwerwiegender eingeschätzten Treibhauseffekt, d. h. der gefürchteten globalen Erwärmung, entgegenzuwirken. Interessant war in dieser Hinsicht festzustellen, daß die teilweise doch sehr hypothetischen Ergebnisse aus der Vulkan- und Klimaforschung von Befürwortern ebenso wie von Kritikern eines solchen technologischen Eingriffs in das globalklimatische Geschehen gewissermaßen als Feldversuche gewertet werden, um mögliche Effekte einer künstlichen Aerosolinjektion auf die Menschheit zu extrapolieren. Auch die gesundheitlichen Auswirkungen wurden in einzelnen Studien dargestellt.

Konferenzteilnehmer verfolgen aufmerksam einen Vortrag - Foto: © 2011 by Schattenblick

Konferenzteilnehmer verfolgen aufmerksam die Vorträge
Foto: © 2011 by Schattenblick

Das Panel I zum Thema "Life-cycle of large aerosol injections" (Lebenszyklus bedeutender Aerosoleinträge) wurde von Fragestellungen und Ergebnissen der computergenerierten Modellbildung dominiert. Zum Auftakt stellte Prof. Dr. Hans-F. Graf von der Universität von Cambridge Simulationen zu Aufbau, Zusammensetzung und Verhalten von Rauch- und Aschewolken, die von Vulkanen oder Wald- und Buschbränden ausgehen, vor. Daran schloß der russisch-amerikanische Wissenschaftler Prof. Georgiy Stenchikov, der heute an der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi-Arabien forscht, mit einem detailgenauen Modell zur Verteilung und dem sich selbst dynamisierenden Aufstieg vulkanischer Wolken an.

Die Ausführungen beider Forscher, die als Kapazitäten auf ihrem Gebiet gelten, waren dem Thema und der Fragestellung gemäß sehr theoretisch verankert und würden über die auf dieser Fachkonferenz vertretenen Kreise hinaus einem breiteren Publikum sicherlich schwer zugänglich sein. Wo dieses in der Zahlenschieberei nur eine staubtrockene Wüste bis zum Horizont erkennen wird, öffnet sich dem Auge des Forschers eine blühende Kulturlandschaft ganze Berufsleben füllender wissenschaftlicher Dispute. Die gesellschaftliche Relevanz solcher und weiterer simulationsgestützter Forschungsergebnisse, die auf der Konferenz vorgestellt wurden, ist nicht zu unterschätzen.

Solche Modelle bilden unter anderem die Grundlage für die Analyse von Staubwolken, wie sie am 11. September 2001 nach dem Kollaps des World Trade Centers in New York entstanden waren, und auch für die Verhängung von Flugverbotskorridoren nach Vulkanausbrüchen wie dem des isländischen Eyjafjallajökull im vergangenen Jahr. Und sollten eines Tages beispielsweise im Rahmen eines internationalen Klimaschutzvertrags Geo-Engineering-Maßnahmen gegen den Treibhauseffekt finanziert werden, so ständen Wissenschaftler und Geschäftsleute bereit, um ihre Konzepte zum künstlichen Ausbringen von Schwefeldioxidpartikeln oder Wasserdampftröpfchen anzubieten. Simulationsmodelle spielen selbst dann eine Rolle - neben einer Reihe von anderen Methoden -, wenn es um den Versuch geht, rechtzeitig vor Vulkanausbrüchen zu warnen. Damit das keine Kaffeesatzleserei wird, versuchen Forscher aus den Rauch- und Aschewolken auf spezifische vulkanische Erscheinungen zu schließen.

An dieser Stelle sei allerdings angemerkt, daß der Einsatz superschneller, leistungsstarker Rechner und die umfassende Mathematisierung von statistischen Daten aus der Feldforschung und Laboranalyse eine Präzision der Aussage nahelegen, die so nicht erfüllt wird. Ein vereinfachtes Beispiel mag dies erläutern: Forscher betreiben mit ihren Computerberechnungen und -analysen einen recht großen Aufwand, um anschließend, wenn es um die konkrete Prognose geht, zu einer vagen Aussage zu gelangen, die dann in etwa lautet: Die Wahrscheinlichkeit eines baldigen Vulkanausbruchs hat zugenommen, in den nächsten Monaten oder Jahren ist eine Eruption zu erwarten. Wer weiß, ob die Einheimischen, die seit Generationen am Fuße jenes Vulkans leben, etwas ähnliches nicht auch ohne den technologischen Aufwand mit keiner geringeren Präzision hätten vorhersagen können.

Des weiteren sollte nicht vergessen werden, daß in den Simulationen eine Kontinuität von Abläufen präsentiert wird, die nur unter erheblichen Einschränkungen bzw. Vorannahmen das spiegeln, was Menschen als Wirklichkeit bezeichnen. Schreitet man den Weg von einer Simulation zurück zu ihren Ursprüngen ab, so gelangt man zunächst zu einer Fülle von Kurvendiagrammen. Jede Kurve wiederum abstrahiert von Daten, die Forscher irgendwann einmal wahrscheinlich in Tabellenform aufgezeichnet haben, und idealisiert die Meßreihen, indem Daten dazuerfunden werden. In der Wissenschaft herrscht Einigkeit darüber vor, daß es kein Problem ist, wenn der Betrachter eines Kurvendiagramms nicht mehr daraus ablesen kann, ob hinter einem beliebig abgegriffenen Punkt auf der Kurve ein tatsächlicher Meßwert steckt oder ob dieser Punkt einen Bereich zwischen zwei Meßpunkten repräsentiert.

Entblättern wir die Simulation noch weiter, so gelangen wir zu - in der Regel unüberschaubar vielen - Datensätzen, den eigentlichen Meßreihen. Mit dem Messen ist es aber so eine Sache, bereits dieser Tätigkeit liegt eine Abstraktion und Idealisierung inne. Wer zum Beispiel jemals ein Maßband um einen Baum gelegt und seinen Umfang bestimmt hat, könnte gemerkt haben, daß er abstrahiert, sich also sprichwörtlich von dem zu messenden Gegenstand abhebt. In diesem Fall wird immer nur die Verbindung zwischen den am weitesten außen liegenden Borkenstücken gemessen. Und wer in einer Sandgrube einen Zollstock an die Wand anlegt, um die Mächtigkeit der geologischen Schichten zu messen, abstrahiert von der Unebenheit des Untergrunds. Zudem würde die gleiche Sandschicht bereits wenige Fingerbreit weiter nicht mehr die ursprünglich gemessene Mächtigkeit aufweisen. Der Forscher kann aber nicht unendlich viele Messungen nebeneinander durchführen und wird ... abstrahieren! Er wird wahrscheinlich bereits beim Meßvorgang Einschätzungen seines Aufschlusses vornehmen, ungefähre Mittelwerte aussuchen und die Extreme oben und unten weglassen. Spätestens beim Übertragen seiner Daten in ein Kurvendiagramm wird er diese sogenannten Ausreißer ignorieren oder "verrechnen" - die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs ist beabsichtigt.

Was bedeuten diese einleitenden Anmerkungen zu einer wissenschaftlichen Konferenz zum Thema Aerosole? Warum könnte es wichtig sein, beispielsweise Meßmethoden zu hinterfragen? Das läßt sich an einem weiteren Beispiel veranschaulichen. Wenn ein Forscher erklärt, daß während einer bestimmten geologischen Epoche der indische Subkontinent aufgrund eines Vulkanausbruchs mit einer 15 Zentimeter dicken Ascheschicht bedeckt wurde, dann beruht die vermeintliche Präzision der Aussage auf einer Kette von Abstraktionen und Idealisierungen. Die Forscher wissen es oder sollten es zumindest wissen, Laien jedoch machen sich das nicht immer klar: Auf der gesamten Fläche standen den Forschern nur wenige Aufschlüsse an geographisch weit voneinander entfernten Orten zur Verfügung.

Es klingt banal, aber kein Forscher hat die obersten Bodenschichten ganz Indiens abgetragen. Dennoch wird die Aussage getroffen, daß ganz Indien unter einer 15 Zentimeter dicken Ascheschicht lag. Mit dem Zusatz "durchschnittliche" Mächtigkeit der Schicht wird zwar berücksichtigt, daß es sich bei der vermeintlich präzisen Angabe um eine statistische Aussage handelt, aber in Computersimulationen wird dann nur mit einem bestimmten Wert oder wenigen Szenarien gerechnet. Da die Wissenschaft auf Genauigkeit pocht, muß sie sich an ihrem eigenen Anspruch messen lassen. Wenn die Daten zu geologischen oder historischen Vulkanausbrüchen tatsächlich eindeutig und nicht interpretierbar wären, dürfte es eigentlich keinen wissenschaftlichen Disput darüber geben.

Übrigens: Physiker wissen um die Unsicherheit von Messungen. Sie haben die Irritation, daß sie nicht in der Lage sind, gleichzeitig Ort und Geschwindigkeit eines Gegenstands zu messen - in der Regel wird dieses Problem anhand kleinster Teilchen veranschaulicht - kurzerhand in ihr Theoriengebäude integriert. Der Unsicherheit wird allerdings nicht so konsequent Rechnung getragen, daß dabei die eigenen Meßvoraussetzungen in Frage gestellt würden. Statt dessen wird dieser Umstand zum Anlaß genommen, weiteren Forschungsbedarf anzumelden, mit dem fortgesetzten, berufsständische Interessen bedienenden Versprechen, daß sich dann alles zum Guten wende.

Der anthropogene Klimawandel mit dem Umbau der Atmosphäre, das nahe Ende zentraler Rohstoffe für die Industriegesellschaft, das weltweite Artensterben, die Versauerung der Meere, der Hungertod von Millionen Menschen jedes Jahr und nicht zuletzt die Gefahr, daß in Folge eines nuklearen Schlagabtauschs ganzjährig Winter auf der Erde einzieht, sind nicht nur, aber auch Ergebnis wissenschaftlicher Konzepte, Modelle und Theorien. Wenn also Wissenschaftler den Standpunkt einnehmen, daß sie Lösungen für die gesamte Menschheit betreffende Probleme anzubieten haben, dann müßten sie sich schon etwas anderes einfallen lassen, als lediglich die Segelstellung ihres Gefährts neu auszurichten.

Vor Beginn der Tagung zu Aerosolen dürfte bei einigen Teilnehmern die Frage aufgekommen sein, ob der breit angelegte Titel die ganze Veranstaltung thematisch genügend eng zu klammern vermag, so daß die Beteiligten disziplinenübergreifend ins Gespräch kommen können. Summa summarum läßt sich das bejahen. Durch die Einteilung der Konferenz in vier aufeinander aufbauende Panels wurde dem Risiko der inhaltlichen Zergliederung und allzu losen Verknüpfung überzeugend entgegengetreten. Nach der beispielhaften Vorstellung der Grundlagenforschung und der Analyse umweltrelevanter Fragen der Aerosol-Forschung rückten zunehmend gesellschaftspolitische Fragen von allgemeinerem Interesse in den Mittelpunkt, so daß sich über den Verlauf der beiden Tage eine Dynamik ergab, die in der abschließenden Diskussion in dem Wunsch mündete, die Ergebnisse zu verschriftlichen und Forschungen zum Thema Aerosole weiter auszubauen.

Der Leiter des Organisationsteams, Martin Kalinowski, erwiderte im Anschluß an die Konferenz auf eine entsprechende Nachfrage des Schattenblicks mit sichtlicher Erleichterung, daß sich seine Erwartungen vollauf erfüllt hätten. Das werde wohl auf Jahre hinaus eines der wichtigsten Ereignisse für ihn sein. Für uns Anlaß genug, die Berichterstattung über die Konferenz und die auf ihr angesprochenen wichtigen Fragen weiter fortzusetzen.

Prof. Dr. Martin B. Kalinowski - Foto: © 2011 by Schattenblick

Prof. Dr. Martin B. Kalinowski
Foto: © 2011 by Schattenblick

18. August 2011