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BERICHT/012: Bagger fressen Erde auf - Gegen Landraub und Vertreibung (SB)


Braunkohle-Tagebau mit Bagger - Foto: © 2011 by Schattenblick

Land Grabbing in seiner entwickeltsten Form
Foto: © 2011 by Schattenblick

Aus der Mitte der Gesellschaft

Kampf gegen geplanten Braunkohle-Tagebau Welzow-Süd II

Inhalt:

- Wie ein Fluch über Land und Leute
- Systemübergreifende Zwangsumsiedlung im Braunkohletagebau der DDR und BRD
- "Fortschritt" der Industrialisierung in Ost und West: potenzierte Zerstörung
- Entschiedenes Nein zum geplanten Tagebau Welzow-Süd II
- Verwüstete Landschaft
- Subventionierte Plünderung
- Mit Braunkohle den Klimakollaps provozieren
- Gegen Ambivalenz hilft nur Einseitigkeit



Wie ein Fluch über Land und Leute

Stellen Sie sich vor, eines Tages teilte man Ihnen mit, Ihr Haus werde abgerissen und Sie müßten wegziehen. Was man normalerweise mit einem repressiven Drittweltland assoziieren würde, findet hier und heute in der Bundesrepublik Deutschland statt. Beispielsweise in Proschim, einem Ort im südöstlichen Brandenburg, der dem Braunkohletagebau weichen soll. Geht es nach der Landesregierung werden von dort sowie aus dem nahegelegenen Bahnsdorfer Ortsteil Lindenfeld und dem Wohnbezirk V der Stadt Welzow in den nächsten Jahren insgesamt 810 Einwohner umgesiedelt, weil sich tief unter ihren Füßen der klimaschädlichste Energieträger überhaupt, die Braunkohle, befindet.

Vor rund vier Jahren hat die Vattenfall Europe Mining AG einen Antrag auf ihren Abbau gestellt und damit ein administratives Räderwerk in Gang gesetzt, an dessen Ende der vermeintlich unverzichtbare Abriß der Häuser und das Aufreißen der Landschaft stehen könnte. Die davon betroffenen Menschen bekommen aufs schmerzlichste zu spüren, daß sie nicht Herr über ihr Eigentum sind, wenn angeblich übergeordnete Interessen ins Spiel kommen oder, um mit dem Grundgesetz Artikel 14, Absatz 3, zu sprechen, es dem "Wohle der Allgemeinheit" dient. Für den Fall werden die Umsiedler plötzlich nicht mehr der Allgemeinheit zugerechnet, sondern von Amts wegen ausgegrenzt. Nicht mehr dazugehörig - so fühlt es sich für die Betroffenen dieser weitreichendsten Form des Land Grabbings, bei dem ganze Landschaften geraubt werden, tatsächlich an.

Gegenwärtig läuft das Planverfahren, bei dem noch bis zum 31. November Bürgerinnen und Bürger aus welcher Region der Bundesrepublik auch immer Einwendungen gegen die Erschließung des "Tagebau Welzow-Süd, Weiterführung in den räumlichen Teilabschnitt II und Änderung im räumlichen Teilabschnitt I" abgeben können. Aus diesem Anlaß appelliert eine Bürgerinitiative, die sich rund um einen örtlichen Firmenverbund gebildet hat und vom Netzwerk Grüne Liga unterstützt wird, sich noch in möglichst großer Zahl an Einwendungen gegen die Erschließung zu beteiligen. [1]

Die von einer Koalition aus SPD und Die Linke gebildete brandenburgische Landesregierung steht dem Braunkohleabbau positiv gegenüber und hat mit ihrem Koalitionsvertrag [2] ein klares Bekenntnis für die fortgesetzte Nutzung des fossilen Energieträgers abgegeben. Im Braunkohlenplan [3] wiederum, der Teil der brandenburgischen Landesplanung ist, wird der Teilabschnitt II als "nahtlose Fortsetzung des Teilabschnittes I" beschrieben und festgelegt, daß "zur Weiterführung des Tagebaus in den Teilabschnitt II (...) rechtzeitig ein erneutes Braunkohlenplanverfahren geführt werden" müsse.

Die Entscheidungsfindung, bis daß der Abriß der Häuser beginnen kann, zieht sich über viele Jahre hin. Mit dem eigentlichen Abbau der Braunkohle soll sogar erst im Jahr 2027 begonnen werden. Die langen Fristen spielen dem Energiekonzern Vattenfall in die Hände, denn über den potentiellen Umsiedlern hängt nun ein Damoklesschwert, auf dessen Bedrohung sie vermutlich ähnlich reagieren wie die Einwohner anderer Siedlungen und Dörfern, die zwangsgeräumt wurden. Erfahrungen haben gezeigt, daß sie häufig bereits weit im Vorfeld vernachlässigt werden: Banken geben keine Kredite, Investitionen bleiben aus, notwendige Reparaturarbeiten an den Häusern und der Infrastruktur werden nicht mehr ausgeführt, jüngere Menschen siedeln sich gar nicht erst am Ort an, ältere Menschen sterben lieber, als daß sie sich entwurzeln lassen, und die örtlichen Geschäfte und Unternehmen verlieren nach und nach ihre Kundschaft.

Das ganze wirtschaftliche und soziale Leben wird schleichend, aber unaufhörlich zerrüttet und zersetzt, als wäre ein Fluch über die Gegend ausgesprochen. In den nächsten Jahren dürfte sich deshalb die Einwohnerzahl Proschims, Lindenfelds und des Welzower Wohnbezirks V noch verringern - um so preisgünstiger wird dann für Vattenfall die Beseitigung der lückenhaft bewohnten Restsiedlungen. Es sei denn, die Betroffenen schlössen sich zusammen und machten gemeinsam Front gegen Landesregierung und Vattenfall, aber womöglich auch gegen Kräfte innerhalb der Verwaltung der Stadt Welzow, die im Braunkohleabbau eine Chance sehen und von deren Entscheidungen das am 26. Oktober 2003 eingemeindete Proschim - "zwangseingemeindete", wie der Stadtverordnete Günter Jurischka aus Proschim gegenüber dem Schattenblick sagte - abhängig ist.

Ein Fluch liegt anscheinend auch über der Landschaft rund um Welzow. Falls sich das gewaltige Schaufelrad vom Welzower Teilfeld I ins Teilfeld II hineingräbt und ab dem Jahr 2027 das Braunkohleflöz abgebaggert wird, entsteht ein riesiges Loch, das bereits heute bis an den Horizont reicht. Die Kippe mit den Sanden und den ohnehin nährstoffarmen brandenburgischen Böden aus der 90 bis 130 Meter dicken Deckschicht oberhalb der Braunkohle wird jahrzehntelang landwirtschaftlich kaum nutzbar sein und eignet sich daher nicht als Ausgleichsfläche für zwangsumgesiedelte Landwirte.

Damit der Braunkohletagebau, der in Welzow noch bis zum Jahr 2042 vorgesehen ist, nicht absäuft, muß permanent und großräumig Grundwasser abgepumpt werden, was "sümpfen" genannt wird. Der Welzower See, der anschließend entstehen soll, braucht viele Jahre, bis er aufgefüllt ist, und würde, weil durch saures Kippen-Grundwasser gespeist, solange ein weitgehend lebensfeindliches Milieu bilden, wie ihm kein Frischwasser beispielsweise aus der Spree zugeführt würde. Viele der ehemaligen Tagebauseen in der Lausitz weisen pH-Werte von unter 3 auf. Das entspricht beinahe dem Wert von Essig (pH 2,5). Zum Vergleich: Der saure Regen, der zum Baumsterben geführt und das Mauerwerk von Kirchen und anderen älteren Gebäuden zersetzt hat, lag mit einem pH-Wert von 5 sogar noch darüber.

Der Schwerpunkt der örtlichen Proteste gegen den geplanten Braunkohletagebau richtet sich nicht gegen den Klimawandel, aber indem in der Lausitz und darüber hinaus Widerstand gegen die Umsiedlung geleistet wird, kämpfen die Beteiligten auch gegen eine Nach-mir-die-Sintflut-Politik, von der weltweit Millionen Menschen existentiell betroffen sind. Ein solches Politikverständnis ist im übrigen kein Alleinstellungsmerkmal der brandenburgischen Sozialdemokraten mit ihrem Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, sondern ebenso des Christdemokraten Stanislaw Tillich, Ministerpräsident in Sachsen, auf das 2,4 Prozent der Fläche des umstrittenen Tagebaus Welzow-Süd II entfallen würde. Die Bezeichnung Landes"fürsten" als neofeudale Fortsetzung früherer absolutistischer Herrschaftsformen trifft bei ihnen allemal zu.

Tagebau-Grube und riesige Fördermaschine - Foto: © 2011 by Schattenblick

Mondlandschaft so weit das Auge reicht - Blick von Westen auf den Tagebau Welzow-Süd Teilfeld I
Foto: © 2011 by Schattenblick

Ein langes Sammlerrohr mit einer Reihe von Pumpanlagen - Foto: © 2011 by Schattenblick

Das nennt man Wasser abgraben - Pumpanlagen am Welzower Tagebau
Foto: © 2011 by Schattenblick

Systemübergreifende Zwangsumsiedlung im Braunkohletagebau der DDR und BRD

Durch die Geschichte des industriellen Braunkohletagebaus zieht sich wie ein roter Faden die Zwangsumsiedlung der in den betreffenden Regionen ansässigen Bevölkerung. Ihr Wunsch, die Heimat nicht zu verlassen, wird gegen ein von höherer Stelle diktiertes Gemeinwohl abgewogen und für zu leicht befunden. Dabei kommen grundlegende Rechte und Eigentumsansprüche unter die Räder, die der Form nach jedem Bürger zugestanden, doch in derartigen Fällen für null und nichtig erklärt werden. Was der Mensch für seinen unantastbaren Besitzstand erachtet, der seinem Leben Sicherheit und Perspektive zu verleihen scheint, erweist sich unversehens als bloßes Lehen, das ihm durchaus entzogen werden kann. Weit davon entfernt, die verschiedenen Interessen bestmöglich zum Nutzen aller abzugleichen und dabei insbesondere die Schwachen zu schützen, setzt die staatliche Ordnung in der vorherrschenden Widerspruchslage die Vorteilsnahme der Starken durch.

So unterschiedlich die wechselnden Gesellschaftssysteme in vielerlei Hinsicht sein mochten, stimmten sie doch in ihrer Ausrichtung auf grundlegende Verfahrensweisen großindustrieller Produktion und deren Zwangsfolgen überein. Was die vom Braunkohletagebau unmittelbar betroffenen Opfer betraf, änderte sich das Muster ihrer Vertreibung letztendlich nicht, ob sie nun im nationalsozialistischen Deutschland, der DDR oder der Bundesrepublik lebten. Grund und Boden, Haus und Hof, über Generationen aufgebaute Erwerbsweisen, gewachsene soziale Beziehungen im Umfeld und die kulturelle Einbindung galten nichts, wo die Maschinerie der großflächigen Rohstofförderung ihr Zerstörungswerk aufnahm. Wohl variierten die Zugriffsmöglichkeiten der Verfügung über die Existenz und Identität der Zwangsumgesiedelten je nach Verfaßtheit und Gesetzeslage des Staates, dessen Bürger sie waren, doch lief die Stoßrichtung ihrer Übervorteilung in der Konsequenz stets auf dasselbe hinaus: Ihre Entwurzelung und Umsiedlung unter unwiederbringlichem Verlust dessen, was in seiner Bedeutung für die eigenen Lebensmöglichkeiten zumeist erst dann in vollem Umfang erkannt wird, wenn man seiner beraubt worden ist.

Auch für die maßgeblichen Protagonisten dieser in ihrer Zerstörungswirkung besonders augenfälligen Form der Rohstoffgewinnung gilt, daß die Akteure wechselten, der zentralistische Übergriff zu Lasten regionaler Bestände und dezentraler Entwicklungsoptionen jedoch derselbe blieb. Von höchsten staatlichen Stellen festgeschrieben und über die verschiedenen administrativen Ebenen durchgetragen, entfalteten Entwicklungspläne und Energiekonzepte staatlich oder privat organisierter Unternehmen ihre schier unaufhaltsame Wucht. Ob Kombinate oder Konzerne, Politiker dieser oder jener Couleur, stets verbarg sich hinter Namen und Antlitz der Betreiber eine Legion gleichläufiger und mithin austauschbarer Strukturen, die demselben Zweck dienen: Sie befeuern die Ideologie des vermeintlich notwendigen Wachstums, um konkurrenzgetrieben den eigenen Vorteil zu maximieren, der nur auf ein unabsehbares Zerstörungswerk hinauslaufen kann.


"Fortschritt" der Industrialisierung in Ost und West: potenzierte Zerstörung

Wenngleich die früheste bekannte Förderung im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau bereits 1382 in Lieskau erfolgte, nahm die Förderung und Verarbeitung doch erst im Zuge der Industrialisierung einen Aufschwung, der im Rahmen der Autarkiepolitik im Deutschen Reich stark ausgeweitet wurde. Im Jahr 1924 wurde in der Grube "Agnes" bei Plessa die weltweit erste Abraumförderbrücke eingesetzt. Die beispiellose Großtechnik ermöglichte eine deutliche Steigerung der Fördermengen. Aus der Braunkohle wurde ein begehrter Brennstoff: zur Stromerzeugung im großen Stil, für Industrie und Haushalte und nicht zuletzt als Rohstoff für die chemische Industrie. [4]

Braunkohleförderung unter Einsatz eines Schaufelradbaggers wurde erstmals 1935 praktiziert, wobei man die damals in Mitteldeutschland geförderte Braunkohle als Rohstoff zur Herstellung von Treibstoffen für Flugzeuge und Panzer und somit als unverzichtbaren Rohstoff für die längst konzipierte Kriegführung erachtete. Nachdem später immer mehr Arbeiter zur Wehrmacht einberufen wurden, setzte das Regime Zwangsarbeiter ein, die im Tagebau nicht selten bis zum Tod schuften mußten, um den enormen Bedarf an Braunkohle befriedigen zu können. [5] Diese historischen Schlaglichter lassen ahnen, welche menschengemachten Raubzüge und Zerstörungswerke die glänzende Fassade einer expansiven Fortschrittsideologie auf dem Feld der Erzeugung und Anwendung von Energie seit jeher zu verbergen trachtet.

In der DDR wurde 1957 die gesamte Region um Cottbus zum "Energiebezirk" erklärt. Die dortige Tagebautechnologie stellte im Verein mit den rauchenden Schloten der Lausitzer Kraftwerke, Kokereien und Brikettfabriken die Energieversorgung der DDR auf eigene Füße und symbolisierte mehr als vieles andere den Stolz auf die eigene Leistungsfähigkeit. Legendär sind bis heute die "Winterschlachten", in denen Kumpel, Studenten, die Arbeitskollektive Lausitzer Betriebe, aber auch Strafgefangene und NVA-Soldaten gemeinsam dafür ackerten, daß die Republik nicht frieren mußte und das Licht nicht ausging. In Reaktion auf die Ölkrisen wurde ab den 1970er Jahren eine radikale Auskohlungspolitik betrieben, die weitere Regionen wie insbesondere jene bei Leipzig in Braunkohleindustrieland verwandelten.

Ein weiträumiges Gebiet, das über Jahrhunderte vor allem Bauernland gewesen war, band mit der Braunkohle als tragenden Säule der DDR-Wirtschaft immer mehr Arbeitskräfte. So wuchs die "2. sozialistische Wohnstadt" Hoyerswerda in weniger als 30 Jahren von 7.000 auf 77.000 Einwohner. Mannigfach miteinander verflochtene Industrieanlagen schufen Einkommen für viele, es gab moderne Wohnungen, verbesserte Lebensbedingungen und das Gefühl, im Zentrum von Fortschritt und Entwicklung zu stehen.

Die Kehrseite dieser Energiewirtschaft um jeden Preis, wie sie in der Konkurrenz der Gesellschaftssysteme unvermeidlich schien, war ein ökologisches und soziales Desaster, das zu DDR-Zeiten weitgehend ausgeblendet wurde. Durch die gravierenden Auswirkungen des Tagebaus wurden riesige landwirtschaftliche Flächen zerstört und zahlreiche Ortschaften unwiederbringlich vernichtet. Im Verlauf dieses Prozesses veränderte die Lausitz radikal ihr Gesicht. Bis zur Mitte der 1990er Jahre verwüsteten die Tagebaue rund 80.000 Hektar und damit eine Fläche, die ungefähr dem Großraum Hamburg entspricht. Zugleich mußten Abermillionen Kubikmeter Grundwasser abgepumpt werden, um die zum Teil tief unter der Erde liegenden Kohleflöze ausbeuten zu können.

Die hohe Intensität der Großtagebauförderung führt in den Abbaugebieten oftmals zur Zerstörung von Ortschaften oder Ortsteilen, deren Bewohner zwangsumgesiedelt werden. Im Zusammenhang damit verwendet man den Begriff "Devastierung". Er steht allgemein für Landschafts- und Siedlungszerstörungen durch Abholzung, Bergbau und Großprojekte wie Talsperren oder in Folge von Kriegshandlungen, Bränden oder Seuchen. Allein im Lausitzer Revier verschwanden im Laufe der Jahre 135 Siedlungen im Mahlwerk der wandernden Tagebaue. Rund 27.500 Menschen verloren ihr Heim und fanden sich zumeist in einer der neu entstandenen Plattenbausiedlungen wieder. Zahlenmäßig noch stärker betroffen war das Mitteldeutsche Revier mit einer Umsiedlung von 51.200 Menschen. Rechnet man das Rheinische und das Braunschweigisch-Helmstedtische Revier in Westdeutschland hinzu, so fielen dem gesamtdeutschen Braunkohlenbergbau seit Beginn des 20. Jahrhunderts 312 Siedlungen zum Opfer, 109.950 Einwohner wurden umgesiedelt. [6]

Nach dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik wurde die Braunkohleförderung zunächst deutlich zurückgefahren, da man die Rentabilität nach marktwirtschaftlichen Maßstäben vielfach als unzureichend einstufte. Zudem führten Umweltverschmutzung und Devastierung nun zu ungleich größeren Akzeptanzproblemen als in der Vergangenheit, wie es auch an Konzepten zu einer Nach- und Umnutzung fehlte. Rasche Abwicklung lautete die Devise, und so nahm man von ehemals 20 Tagebauen 17 außer Betrieb, womit auch die meisten Verarbeitungsbetriebe stillgelegt oder durch effizientere Kraftwerksneubauten ersetzt wurden. Im umgekehrten Verhältnis des Niedergangs der Braunkohleindustrie wuchs die Hoffnung und Erwartung der Menschen, die oberhalb der noch nicht ausgekohlten Flöze wohnten, niemals wieder von der Devastierung bedroht zu werden. Ein Irrtum, wie sich alsbald nach der Wende herausstellte.

Die Zahl der in der mitteldeutschen Braunkohleindustrie Beschäftigten sank innerhalb weniger Jahre von rund 60.000 dramatisch auf derzeit etwa 3.000. Zwar trug der forcierte Rückbau und Abriß für eine gewisse Frist dazu bei, daß zumindest ein Teil der Belegschaften weiter beschäftigt wurde, doch blieb dies eine begrenzte Maßnahme ohne dauerhafte Impulse für einen nachhaltigen Strukturwandel. Der Raum Cottbus verwandelte sich fast über Nacht vom einstigen Energiezentrum der DDR in eine ökologische Problemzone, und zahlreiche Menschen, die eben noch zur werktätigen Elite gezählt hatten, wurden nun zum Sozialfall. Gegenwärtig sind in der Lausitz noch vier Tagebaue aktiv, ein fünfter wird zur Wiederinbetriebnahme vorbereitet.

Förderband für Sand am Fuß der Tagebaukante - Foto: © 2011 by Schattenblick

Am Ende kilometerlanger Förderbänder ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

Ansammlung von Fördermaschinen - Foto: © 2011 by Schattenblick

... und des Vormarsches gigantischer Fraßwerkzeuge ...
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Förderband verliert sich in der Ferne - Foto: © 2011 by Schattenblick

... wachsen lebensfeindlicher Abraum und Profit
Foto: © 2011 by Schattenblick

Der Aufschluß des Tagebaus Welzow-Süd zwischen Spremberg und Welzow begann 1959 mit Entwässerungsarbeiten, worauf drei Jahre später der erste Abraum bewegt wurde und der Tagebau 1966 erstmals die schwefelarme Braunkohle lieferte. In den Jahren 1968/69 war Gosda mit 130 Einwohnern der erste Ort, der infolge des Tagebaus umgesiedelt werden mußte. Nach dem Anschluß der DDR 1989/90 war die Umsiedlung von Kausche nach Drebkau die erste bergbaulich begründete Zwangsmaßnahme dieser Region in der Bundesrepublik. Als größtes der fünf Tagebaugebiete des Konzerns Vattenfall sollte Welzow-Süd noch bis 2030 Kohle liefern. [7]

Nun plant Vattenfall, das angrenzende Teilfeld II des Tagebaus Welzow-Süd aufzuschließen, um dort Braunkohle für seine Kraftwerke zu gewinnen. Diesem Vorhaben stehen die Einwohner aus Proschim, Lindenfeld und Welzow im Weg. Für den Energiekonzern ist das kein ernsthaftes Problem, es sind nicht die ersten Menschen, die von ihm devastiert werden. Die Umsiedlungskosten, die auf Vattenfall zukommen, nehmen sich bescheiden aus gegenüber den eingesparten Kosten bei der Braunkohle, für die er nach bundesrepublikanischem Bergrecht einen Förderzins von zehn Prozent entrichten muß, es sei denn, eine Landesregierung beschließt, ihn zu erlasssen. Brandenburg macht Vattenfall die Braunkohle zum Geschenk. Rohstoffplünderung seitens transnationaler Konzerne findet nicht nur in den Ländern des Trikonts statt.

Der Ortsteil Proschim würde vollständig verschwinden, die Stadt Welzow befände sich auf einer Halbinsel, der Ort Lieske würde auf einem schmalen Streifen zwischen altem und neuem Bergbau eingeklemmt, Bahnsdorf stünde direkt an der Tagebaukante. Insbesondere Bewohner Proschims wehren sich gegen dieses Vorhaben, nicht zuletzt da sie ihre Ackerflächen verlieren und künftig auf der Bergbaukippe wirtschaften sollen, wo die Böden bestenfalls nach Jahrzehnten annehmbare Erträge brächten. Der Firmenverbund Proschim fürchtet um seine Existenz, falls der Tagebau kommt. Das früher eigenständige Dorf Proschim gehört zum Siedlungsgebiet der sorbischen Minderheit, die unter besonderem Schutz der Brandenburgischen Verfassung steht. Vernichtet würden neben bedeutenden landwirtschaftlichen Nutzflächen auch denkmalschutzwürdige Gebäude, sofern es nicht gelingt, die Absichten der Landesregierung und des Konzerns Vattenfall zu vereiteln.

Mit Sicherheit kämen die Potsdamer Bürokraten auf Alternativen zum Braunkohleabbau, wenn ihnen nicht die rechtliche Möglichkeit, Menschen enteignen und ganze Dörfer umsiedeln zu können, zur Verfügung stünde. Ob jene Alternativen in regenerativen Energiegewinnungsformen wie Photovoltaikanlagen, Windrädern und Biogasanlagen bestehen, ist fraglich. Dazu sollte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Denn das für die Magneten der Windradgeneratoren verwendete seltene Element Neodym stammt vor allem aus einem riesigen Tagebau in China, durch den Mensch und Umwelt extrem vergiftet werden, und in Biokraftwerken werden häufig "Energiepflanzen" verwendet, die mit Nahrungs- oder Futterpflanzen konkurrieren, folglich mitverantwortlich sind für den Nahrungsmangel in der Welt. Bei den regenerativen Energieträgern wäre somit von einer alternativen Brückentechnologie zu sprechen: Einerseits alternativ zu Braunkohle und anderen fossilen Energieträgern sowie Atomenergie, andererseits als Brücke zu einem Technologieverständnis, bei dem der zerstörerische Anteil und Verbrauch von Energien, die "Kollateralschäden" und das Vorenthalten von Überlebenschancen in anderen Weltregionen bewirken, permanent weiter verringert werden.


Entschiedenes Nein zum geplanten Tagebau Welzow-Süd II

Die Planungen von Regierung und Industrie sind so langfristig angelegt, komplex gestaffelt und rechtlich kompliziert, daß sie sich den Bürgern in aller Regel weitgehend entziehen. Welches zermürbende und existenzgefährdende Wechselbad für die Menschen daraus resultiert, zeigt die jüngere Geschichte Proschims. Zu DDR-Zeiten wurden sämtliche Bewohner zwangsausgesiedelt, da das Dorf dem Tagebau weichen sollte. Mit der Wende gab es Entwarnung, die sich mit der Hoffnung verband, daß die Gefahr endgültig gebannt sei. Die Bewohner kehrten zurück, nur um wenige Jahre später zu erfahren, daß Regierungspläne und Konzernstrategien ihre neuerliche Vertreibung auf die Tagesordnung gesetzt hatten. Was Behörden und Unternehmen als unverzichtbaren Bestandteil der Zukunftsgestaltung vorhalten, erleben die betroffenen Menschen umgekehrt als ihre Ohnmacht und Unsicherheit, da sie zum Spielball fremder Interessen degradiert werden.

Vattenfall hat 2007 den Antrag auf Einleitung eines Braunkohlenplanverfahrens gestellt, das nach dem Willen der Landesregierung spätestens 2015 abgeschlossen sein soll. Mit der erforderlichen strategischen Umweltprüfung wurde die Gutachterfirma Fugro beauftragt, die wegen jahrelanger Tätigkeit für Vattenfall und ihrer mutmaßlichen personellen Verflechtungen mit dem Konzern von den Umweltverbänden nicht als unabhängig akzeptiert wird. Die öffentliche Auslegung von Planentwurf und Umweltbericht fand vom 1. September bis 30. Oktober 2011 statt, die Stellungnahmefrist endet am 30. November 2011.

Derzeit läuft mithin die kritische Phase, in der noch Einwände geltend gemacht werden können, um dem Vorhaben frühzeitig etwas entgegenzusetzen. Beim Braunkohlenplan handelt es sich wohlgemerkt noch nicht um eine Genehmigung. Die wäre zusätzlich erforderlich und wurde von Vattenfall bislang noch nicht beantragt. Daß im Teilabschnitt II von 2027 bis 2042 Braunkohle gefördert werden soll, mag wie eine Entwicklung in ferner Zukunft anmuten, die noch längst nicht entschieden ist. Für die Bewohner Proschims und alle anderen Gegner dieses Vorhabens gilt jedoch, daß die Weichen schon heute gestellt werden.

In Proschim ist der flächenmäßig größte landwirtschaftliche Betrieb Brandenburgs beheimatet, und der dort bestehende Firmenverbund besteht aus fünf GmbHs mit rund 85 Angestellten. Hinzu kommen weitere Arbeitsplätze in vor- und nachgelagerten Unternehmen, die ebenfalls vom Tagebau gefährdet wären. Zu dieser beispielhaften Beschäftigung zahlreicher Menschen bis zum Rentenalter in der Nachwendezeit und der Schaffung von Ausbildungsplätzen gesellt sich mit der PRENAC ein Unternehmen des Verbunds, das bereits zahlreiche Gebäude mit Photovoltaikanlagen ausgestattet hat. Zusammen mit einer Biogasanlage und den 1997 aufgestellten vier Windkraftanlagen liefert das Gebiet einen deutlichen Überschuß an Strom aus erneuerbaren Energien. Das Vordringen der angeblichen "Brückentechnologie" Braunkohle würde also eine funktions- und ausbaufähige Erwerbsgemeinschaft und dezentrale Versorgungsstruktur zerstören, was die Behauptung Lügen straft, die großtechnologische Energieerzeugung sei fortschrittlich und alternativlos.

Firmengebäude PRENAC GmbH - Foto: © 2011 by Schattenblick

Zentrum der Niederlausitzer Solarbranche
Foto: © 2011 by Schattenblick

Biogasanlage, dahinter Gebäude mit Solarzellen - Foto: © 2011 by Schattenblick

Biogasanlage der Landwirte GmbH Terpe-Proschim
Foto: © 2011 by Schattenblick

Die Lebensqualität in der Stadt Welzow würde durch Lärm, Staub und Verlust des Umlandes schwer beschädigt. Eine Zerschneidung von Straßenverbindungen unter anderem zum Regionalzentrum Spremberg schädigte Pendler und Gewerbetreibende, ein weiterer Einwohnerverlust durch Umsiedlung aus Teilgebieten wäre nicht mehr zu verkraften. Investitionen gingen zwangsläufig zurück, Arbeitsplätze verloren. Da zwischen Abbaugebiet und Welzow keine Dichtwand vorgesehen ist, drohten der Stadt bei der Absenkung des Grundwassers und dessen späteren Wiederanstiegs massive Bergschäden, da sich Absenkungen, Abbrüche und Krater bilden könnten.

Der Eindruck, dem Abbau der Braunkohle müßten allenfalls rückständige, unproduktive und so gut wie überflüssige Produktions- und Existenzweisen geopfert werden, erweist sich bei Überprüfung als zielgerichtet eingesetzte Propaganda von Politik und Betreibern. Man kann sich im Gegenteil des Eindrucks nicht erwehren, daß der Zerfall bestehender wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge von langer Hand und systematisch betrieben wird, um den Widerstand der Bewohner zu schwächen und zu brechen. So zeichnet sich die Informationspolitik der Landesregierung durch ein beträchtliches Maß an Verschleierung aus. Als zuletzt in Brandenburg 2005 das Dorf Horno für den Braunkohletagebau Jänschwalde geräumt wurde, sorgte der Konflikt bundesweit für Schlagzeilen. Der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) versprach hoch und heilig, daß Horno die letzte Ortschaft sein werde, die dem Tagebau weichen müsse. Die derzeitige rot-rote Landesregierung will davon jedoch nichts mehr wissen und hält an ihren Braunkohleplänen fest.

Eine Studie des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums empfahl im Mai 2007 die Sicherung weiterer Kohlefelder. Die Namen der bedrohten Dörfer wurden nur durch Presseenthüllungen bekannt, während die Regierung sie offenbar bis nach der Entscheidung geheimhalten wollte. Nur unter starkem öffentlichen Druck nach der unfreiwilligen Bekanntgabe der Studie kürzte die Landesregierung die Anzahl der Kohlefelder. In den weiterhin betroffenen Gebieten lebende Menschen haben bislang nichts in der Hand als das Wort des Ministerpräsidenten Matthias Platzeck auf einer Pressekonferenz, daß sie nicht vor 2050 an der Reihe seien. [1]

Der Protest gegen Welzow-Süd II schlug so hohe Wellen, daß sich der brandenburgische Landesfürst im Juli 2011 veranlaßt sah, bei einem Besuch der Stadt Welzow Unterstützung zuzusagen. Zur Lösung der Probleme solle ein Koordinierungsgremium gebildet werden, dem Vertreter der Landesregierung, von Ministerien, der Stadt und des Landkreises angehören. Das wurde von Bürgermeisterin Birgit Zuchold (SPD) mit dem Argument begrüßt, daß die Stadt künftig einen konkreten Ansprechpartner habe. Hingegen forderte der Umweltverband Grüne Liga den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten auf, den Beschluß des Welzower Stadtparlaments vom Juni zu respektieren. Dort hatte sich eine knappe Mehrheit gegen die Abbaggerung des Ortsteils Proschim ausgesprochen. Welzow habe nur eine Zukunft, sofern das Teilfeld II nicht beschlossen wird, erklärte René Schuster, Mitglied des Braunkohleausschusses des Landes. Er warf Vattenfall und der Landesregierung eine Verschleierungstaktik vor, weil sie diese Wahrheit erst nach dem Beschluß des Braunkohlenplans 2013 aussprechen wollten. [8]

Unter dem Eindruck des ebenso entschiedenen wie fundierten Widerstands im Ortsteil Proschim erarbeiteten Vertreter des Konzerns Vattenfall und der Stadt Welzow ein sogenanntes Akzeptanzpaket, das die grundsätzliche Zustimmung zur Fortschreibung des Tagebaus im Teilgebiet II sicherstellen soll. Am 19. Oktober hat die außerordentlich einberufene Stadtverordnetenversammlung mit zehn Ja- und fünf Nein-Stimmen sowie einer Enthaltung das Paket in Höhe von 9,1 Mio. Euro für den Zeitraum 2011/12 angenommen. Mit dieser Summe will sich Vattenfall an kommunalen Projekten wie Straßenausbau, Freiflächengestaltung, Sanierung der Mehrzweckhalle, Kita-Sanierung und Abrißarbeiten beteiligen. [9] Doch offenbar sind bereits vor der offiziellen Annahme des Akzeptanzpakets Gelder geflossen, wie dem "Amtsblatt für die Stadt Welzow mit dem Ortsteil Proschim" vom 4. Oktober 2011 zu entnehmen ist. Darin schreibt die Bürgermeisterin im Rahmen ihrer Berichterstattung über den Stand und Fortschritt verschiedener Stadtentwicklungsprojekte:

"Bereits im vergangenen Jahr konnten wir einige moderne LED-Schmuckelemente zur weihnachtlichen Ausgestaltung des Welzower Stadtbildes anschaffen. In diesem Jahr wird eine zweite Straßenüberspannung und weitere fünf Motive für Straßenlaternen hinzukommen. Im Rahmen der Verhandlungen zum Akzeptanzpaket sind die beiden Maßnahmen mit Vattenfall verhandelt worden. Die Mittel dafür wurden uns kurzfristig zur Verfügung gestellt, so dass die Beauftragungen sowie die Realisierungen noch in diesem Jahr wirksam werden." [10]

Zuchold betrachtet das Akzeptanzpaket als "Basis um wichtige Entwicklungen zur Stärkung der Attraktivität und zur Erhöhung der Lebensqualität von Welzow jetzt noch stärker als bisher zu forcieren". Es sei für die Stadt ein "gutes Verhandlungsergebnis, denn eine modern gestaltete Kita, eine intakte Grundschule und gut ausgebaute Straßen gehören zu den wichtigen Standortfaktoren einer Stadt".

Doch was wiegen exakte Bürgersteigkanten aus Naturstein, ampelfreier Kreisverkehr mit fein geharkten Blumenrabatten, strahlendweiße Straßenmarkierungen auf kontrastreich schwarzer Asphaltdecke, ein ehemaliger Bahnhof samt Umfeld, der wie ein Modellbauhaus aufgehübscht und zum Museum ausgebaut wurde, als Standortfaktoren einer Stadt gegenüber einer Lage, bei der sie von drei Seiten aufs engste von der Tagebaugrube umzingelt und von ihrem Umland abgeschnitten ist?

Was als kulante Entschädigung präsentiert wird, dürften diejenigen, die sich gegen die Umsiedlung wehren, als Bestechung und Spaltungsversuch wahrnehmen. Sie wissen nur zu gut, daß es keinesfalls zu einer vollständigen Entschädigung dessen kommen würde, was sie über Jahre aufgebaut haben. Überdies erinnern sie daran, daß Heimat in ihrer Vielschichtigkeit wertzuschätzende Aspekte einschließt, die man ohnehin nicht mit Geld abgelten kann. So setzen sich die Ortsvorsitzende Petra Rösch, ihr Sohn Hagen Rösch vom Firmenverbund Proschim und der Stadtverordnete Günter Jurischka entschieden und kompetent dafür ein, das Vorhaben der Landesplanung und des Konzerns Vattenfall auf ganzer Linie zu verhindern. "Wir rufen die Bürger auch außerhalb der Lausitz auf, uns mit einer Einwendung zu unterstützen", so Petra Rösch. "Wir Proschimer wollen unsere Heimat behalten." Einwendungen schreiben könne jeder, da der durch Kohlekraftwerke beschleunigte Klimawandel überall stattfinde. [11]

Ein anderes prägnantes Beispiel für den Widerstand gegen die Zerstörung durch den Tagebau ist das Dorf Lacoma, das zum nordöstlichen Stadtteil Willmersdorf von Cottbus gehörte. Wenngleich das gewässerreiche Gebiet um Lacoma 1968 als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen worden war, wurde die Bevölkerung 1983 darüber informiert, daß ihr Dorf abgebaggert werden soll. Der überwiegende Teil der damals etwa 150 Bewohner wurde bereits vor 1989/90 ungeachtet ihres Protests umgesiedelt und einige Höfe wurden abgerissen. Anschließend stand das Dorf weitgehend leer. Im Mai 1992 wurden unbewohnte Gebäude von Cottbuser Abiturienten und Umweltaktivisten besetzt. Im Jahr darauf wurde der Verein Lacoma e.V. gegründet, der sich u.a. um die Legalisierung der Besetzungen und um eine gemeinnützige Dorfnutzung bemühte. Dieser Verein erhielt 1994 von der Stadt Cottbus bis 2003 befristete Zwischennutzungsverträge. Mehr als zwanzig Menschen bewohnten zu diesem Zeitpunkt den noch verbliebenen Teil des Dorfes.

Eigentümer der Dorfflächen war als Betreiber des Tagebaus Cottbus-Nord zuletzt der Energiekonzern Vattenfall. Ende 2003, nach Ablauf der Nutzungsverträge, ließ er das Dorf trotz fortgesetzten Widerstands durch die Polizei räumen. Nachdem das Eilverfahren der gegen die Abbaggerung des Gebietes klagenden Umweltverbände abgewiesen worden war, besetzten Aktivisten der Umweltschutzorganisation Robin Wood das Gebiet. Diese Besetzung wurde am 28. September 2007 durch einen von Vattenfall engagierten Sicherheitsdienst gewaltsam beendet. 2008 verschwand die Ortschaft Lacoma und die dazugehörige Teichlandschaft endgültig aus der Landschaft nördlich von Cottbus. Im Frühjahr 2010 erreichte die Kohlegrube den Ortskern. Wenngleich der jahrelange Kampf für die Rettung der Lacomaer Teiche vor dem Tagebau Cottbus-Nord letzten Endes nicht erfolgreich war, so hat doch der Druck durch die Gerichtsverfahren dazu geführt, daß deutlich mehr Ersatzmaßnahmen festgeschrieben wurden, als ursprünglich vorgesehen waren. [1]

Das kann natürlich die Verluste niemals ausgleichen, aber es zeigt, daß der Kampf um den Erhalt Lacomas nicht vergeblich war. Die Aussichten Proschims, den Tagebau zu verhindern, lassen sich nicht abschätzen. Eines aber ist gewiß: Je geschlossener der Widerstand, desto größer die Erfolgschancen. Die Ortschaft scheint jedoch gespalten. So wurde am 2. Oktober 2011 der Welzower Bürgermeisterin eine Liste mit den Unterschriften von rund einhundert Einwohnern übergeben, die eine Bürgerbefragung in Proschim zum Umgang mit der drohenden Umsiedlung fordern. [12]

Eine solche Befragung war im Welzower Wohnbezirk V durchgeführt worden, wobei nicht die Frage bestand, ob die Einwohner überhaupt, sondern ob sie lieber früher oder lieber später umsiedeln wollen. Eine solche Befragung, bei der die Grundsatzentscheidung schon vorweggenommen wird, wurde im Juni 2011 von den Proschimern aus nämlichem Grund zurückgewiesen. Nun also hat der Stellvertreter der Ortsvorsteherin und Vattenfall-Lokführer Gebhard Schulz rund ein Drittel der Wahlberechtigten für sein Anliegen gewonnen, mit Vattenfall zu reden, um auf die Abwicklung Einfluß zu nehmen. Bürgermeisterin Zuchold hat diese Steilvorlage angenommen, eine Überprüfung der Liste angekündigt und eine erneute Beschlußvorlage im Stadtparlament in Aussicht gestellt.

Diese Spaltung Proschims, mit auf der einen Seite der Aufforderung der Devastierungsgegner, nicht mit Vattenfall zu verhandeln, sondern sich mit Einwendungen am Planverfahren zu beteiligen, und auf der anderen denjenigen, die der Umsiedlung zumindest ambivalent gegenüberstehen und nachzugeben bereit sind, könnte sich in Zukunft unter dem unaufhörlichen Druck aufgrund des drohenden Tagebaus zu einem tiefen Riß der sozialen Gemeinschaft weiterentwickeln.


Verwüstete Landschaft - Subventionierte Plünderung

Wer sich auf Google Maps die Satellitenbilder von der Niederlausitz rund um Cottbus, Spremberg und Finsterwalde anschaut, dem werden vor allem drei verschiedene Farben auffallen: Die blauen Flächen stehen für die Seen aus den früheren Tagebauen, die braunen markieren den aktuellen Tagebau, und die grünen symbolisieren die Natur. Doch das Grün täuscht eine Naturbelassenheit nur vor, denn auch diese Flächen sind zumeist direkt vom Braunkohleabbau betroffen. Etwa 25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in dieser Bergbauregion wurde auf den Kippen des Tagebaus errichtet. Sind die brandenburgischen Böden sowieso schon nährstoffarm, so werden sie darin von den Kippenböden noch deutlich übertroffen. Es fehlt ihnen an Humus, es gibt keine gewachsene Bodenschichtung und eine nur spärliche Mikrofauna. Entsprechend bescheiden bleiben die Bemühungen, hierauf größere Erträge erwirtschaften zu wollen. Auch das ein Grund, warum die Landwirte der Region den Braunkohleabbau ablehnen. Bei einer Umsiedlung würden ihnen womöglich landwirtschaftliche Flächen zugewiesen, die nichts einbringen außer viel Arbeit und rote Zahlen im Haushaltsbuch.

Obgleich das Planverfahren für das Teilgebiet II noch nicht abgeschlossen und schon gar nicht eine Genehmigung erteilt ist, baut Vattenfall seit Ende 2010 eine bis zu 100 Meter in den Erdboden ragende, ein Meter breite, und 10,6 Kilometer lange Dichtwand. Mit solchen unterirdischen Bauwerken aus Ton, Sand und Bindemitteln soll der Grundwasserfluß unterbrochen und das Absaufen eines Tagebaus verhindert werden. Nun hat der Konzern aber eine Streckenführung gewählt, die unmittelbar entlang der Lausitzer Seenkette verläuft, so daß dadurch nicht nur das Teilgebiet I, sondern auch das Teilgebiet II geschützt würde. Das fassen die Gegner des Braunkohletagebaus als unzulässigen Vorgriff auf die noch nicht erteilte Genehmigung auf.

Zudem wird die Dichtwand bei dieser Streckenführung in der stark wasserleitenden Bahnsdorf-Blunoer-Rinne angelegt. Dabei handelt es sich um eiszeitliche Ablagerungen aus groben Sanden, Kieseln und mitunter Geröll. Das erhöht das Risiko, daß die Dichtwand unter- oder umspült wird oder daß sie an jenen Stellen Lücken aufweist, an der ein Findling im Weg liegt, der nicht beseitigt werden kann. Der BUND hat eine alternative Streckenführung [13] vorgelegt, die zwischen Teilfeld I und dem beantragten Teilfeld II verläuft. Eine Klage gegen den jetzigen Verlauf der Dichtwand ist noch anhängig.

Sollte das umstrittene Bauwerk seine Funktion nicht erfüllen und die hydrogeologischen Fließvorgänge in der eiszeitlichen Rinne nicht aufhalten, besteht die Gefahr, daß der Tagebau Welzow-Süd II absäuft. Dann müßte der Energiekonzern die Pumpleistungen hochfahren. Für den Ort Lieske bildete ein Dichtwanddurchbruch ein zusätzliches Risiko, ist der Ort doch sowieso schon durch die Erschließung des Teilfelds II hochgradig gefährdet. Der Ort befände sich auf einer Art Bahndamm, mit der Seenkette im Westen und dem neuen Tagebau im Osten. Von beiden Seiten her wäre der Untergrund von Wasser bedroht, das, sollte es an einer einzigen Stelle des Damms zu einem Durchbruch kommen, eine Sperrung ganz Lieskes nach sich zöge. So wie in vielen anderen Gebieten rund um die früheren Tagebauseen: Flächen, die für viele Jahre aus der Nutzung herausgenommen sind, bis sie, wie der Sedlitzer See, vollgelaufen und die Ufer gesichert sind.

Ortsschild Proschim Ende und Lieske 3 km - Foto: © 2011 by Schattenblick

Das Aus für Proschim, und Lieske auf dem Bahndamm - wenn's nach Vattenfall ginge
Foto: © 2011 by Schattenblick

Schild 'Lebensgefahr', dahinter See und Ufer - Foto: © 2011 by Schattenblick

Sedlitzer See - sauer, lebensfeindlich und Sperrbereich für viele Jahre
Foto: © 2011 by Schattenblick

Doch selbst durch vorgebliche Sicherungsmaßnahmen werden die Bewohner des Braunkohlereviers nicht vor Gefahren geschützt. Im Oktober 2010 rutschte im Bereich der ehemaligen Tagebauen Spreetal und Bluno bei Hoyerswerda eine Fläche von 600 Meter Breite und sage und schreibe 1,8 Kilometern Länge in den Bergener Tagebausee. Dabei ging eine Schafherde unter und fünf Lkws versanken. Vier von fünf Fahrern konnten sich selbst in Sicherheit bringen, der fünfte mußte mit einem eigens herbeigerufenen Hubschrauber gerettet werden. Jetzt ist die Region großflächig abgesperrt. Kurzerhand werden auf diese Weise Tausende Hektar Land aus der Nutzung durch die Einwohner herausgenommen. Einen adäquaten Ersatz gibt es dafür nicht.

Die Lausitz zählt mit weniger als 600 mm Jahresniederschlag zu den vergleichsweise niederschlagsarmen Regionen Deutschlands. Wasser ist hier ein besonders wertvolles Gut, mit dem nicht verschwenderisch umgegangen wird. Kohlekraftwerke benötigen jedoch großen Mengen an Kühlwasser, weswegen die Anlagen meist an Flüssen oder, wie hier in Brandenburg, in der Nähe von Tagebauseen errichtet werden. Ein Teil des Kühlwassers geht über die Verdunstung verloren, ein anderer Teil wird, aufgewärmt und sulfatbelastet, in die Flüsse oder Seen zurückgespeist. Ein weiterer Wasserverlust entsteht aufgrund der großen Verdunstungsoberfläche der Tagebauseen.

Obgleich Vattenfall einen hohen Wasserverbrauch verzeichnet, zahlt das Unternehmen für die Kühlung seiner Kohlekraftwerke zwischen gar nichts, wenn das Wasser wieder in den Fluß zurückgepumpt wird, oder 0,5 Cent, wenn es über die Kühltürme verdampft. Landesüblich sind jedoch Wasserentnahmegebühren von 10 Cent pro Kubikmeter! Diese indirekte Subventionierung des Konzerns geht auf das Jahr 1994 zurück und hat dem Land Brandenburg Mindereinnahmen in Millionenhöhe eingebracht. Vor kurzem hat die EU-Kommission die Bundesregierung angemahnt und sie daran erinnert, daß die preisgünstige bis kostenlose Wasserentnahme für Kraftwerke nicht mit EU-Recht vereinbar ist.

Es sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, daß solche Subventionierungen ebenfalls nicht dem Rechtsverständnis der Niederlausitzer, denen Vattenfall das Wasser abgräbt und die außerdem noch höhere Kosten für den Wasserverbrauch haben, entspricht. "Ich weiß noch, wir hatten zu Hause eine Schöpfpumpe", sagt Günter Jurischka. "Als Bengel habe ich mit ihr das Wasser geholt und in Eimern in den Kuhstall getragen." Damals sei man in zwei Metern Tiefe auf Wasser gestoßen, heute müsse man 80, 90 Meter tief bohren.

Durchfahrt verboten-Schild neben Sandpiste - Foto: © 2011 by Schattenblick

Für Vattenfall frei - dieses Motto hat sich die Landesregierung zu eigen gemacht
Foto: © 2011 by Schattenblick

Mit Braunkohle den Klimakollaps provozieren

Der Protest und Widerstand der Bürgerinnen und Bürger gegen den Braunkohletagebau und für den Erhalt ihrer Häuser und des Lands erfolgt zeitgleich mit internationalen Protesten gegen Kohlekraftwerke und für den Schutz des gegenwärtigen Klimas. Daß das inzwischen heftig aus dem Ruder läuft, hat unter anderem mit der Art der Energieproduktion und folglich auch mit dem Betrieb von Stein- und Braunkohlekraftwerken zu tun. Was Klimaexperten vor nur vier Jahren in ihren Computersimulationen als Worst-case-scenario beschrieben, wird neueren Erkenntnissen zufolge bereits überschritten. [14] Während sich die internationale Staatengemeinschaft vor zwei Jahren nicht einmal auf verbindliche Zusagen zur Einhaltung des viel zu schwachen 2-Grad-Ziels, bei dem die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen darf, einigen konnte - wirtschaftliches und hegemoniales Vorteilsstreben beherrschte die Interessenlage der großen CO2-Emittenten vollständig -, warnte der Klimaexperte Bill Hare vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung Anfang Oktober auf einer UN-Klimakonferenz in Panama City: "Wir bewegen uns zur Zeit auf eine Erwärmung deutlich über drei Grad zu, wenn nicht größere Anstrengungen zur Einhaltung der Zusagen unternommen werden." [15]

Solche "Anstrengungen" sind nicht erkennbar - auch nicht seitens der brandenburgischen Landesregierung, die von der Braunkohle als Brückentechnologie spricht, aber keine Brücke zu der von der Devastierung bedrohten Bevölkerung bauen will. Darüber hinaus haben die Potsdamer Bürokraten wiederholt erklärt, es ginge ihnen um den Erhalt von Arbeitsplätzen, aber sie haben damit nur den Erhalt ganz bestimmter Arbeitsplätze meint. Der bislang noch nicht bekanntgegebenen Zahl an Menschen, die der Energiekonzern Vattenfall einstellen will, um die Braunkohle aus dem Teilfeld II herauszuschaufeln, steht der voraussichtliche Verlust an Arbeitsplätzen in Proschim und Umgebung gegenüber. Davon betroffen ist nicht zuletzt jener über nunmehr 20 Jahre gewachsene Verbund an Firmen [16], in dem - mit der Landwirte GmbH Terpe-Proschim als Leitunternehmen - eine integrative Landwirtschaft aus Bullenaufzucht, Milchbetrieben, Futterproduktion, Schlachterei und Vertrieb sowie Photovoltaik bzw. regenerative Energien aufgebaut wurde. Bei einer Umsiedlung rechnen die Beteiligten mit empfindlichen Verlusten an Arbeitsplätzen. Im Gespräch mit dem Schattenblick machte Hagen Rösch, Geschäftsführer des Solarunternehmens PRENAC, auf einen weiteren Mißstand aufmerksam: "Das Argument [Anm. der SB-Red.: Erhalt von Arbeitsplätzen] wird von Vattenfall natürlich sehr oft gebracht. Aber wir stellen die Frage andersrum, nämlich: Was an Industrie und industrieller Ansiedlung hat der Bergbau verhindert? Denn wer siedelt sich in einer Gegend an, wo eine Ortschaft nach der anderen fällt? Und wo gar kein gewachsener Boden mehr ist, auf dem eine Industrie aufgebaut werden könnte?"

Unterdessen steigt der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre von Jahr zu Jahr an. Die globale Erwärmung und vermehrte Naturkatastrophen - Dürren, Überschwemmungen, Trinkwassermangel, Verlust an Biodiversität, Verschiebung der Klimazonen, Abnahme landwirtschaftlicher Flächen, Gletscherschmelze und anschließend Trinkwassermangel, Wüstenausbreitung, Meeresspiegelanstieg, Freisetzung von Methan aus den auftauenden Permafrostböden - sind die bekannten Folgen. Naturgemäß weiß man nicht, was darüber hinaus noch für Wechselverhältnisse Raum greifen, beispielsweise aufgrund sich selbst verstärkender Prozesse wie des Abschmelzens des arktischen Eises, der sich daraus ergebenden Reduzierung der Reflektionsfläche des Sonnenlichts, was zur Erwärmung des Nordpolarmeer und wiederum einem vermehrten Abschmelzen der Schnee- und Eisflächen beiträgt.

Unsicherheit herrscht unter Wissenschaftlern auch hinsichtlich der kaum zu bestimmenden Schwellenwerte oder Kippunkte, bei denen, werden sie erst einmal überschritten, eine hohe Dynamik greift und sich nach einer Phase chaotisch anmutender Prozesse gänzlich neue Verhältnisse auf der Erde einstellen könnten. Die wären möglicherweise lebensfeindlich. Jedenfalls muß global wirksamen Prozessen wie dem Abschmelzen des antarktischen Eispanzers und dem Ablösen der eisigen Gashydratfelder von den Ozeanböden aufgrund der Erwärmung der Meere - mit anschließender Freisetzung der Gase in die Erdatmosphäre - ein sehr hohes Risikopotential attestiert werden.

Für die Verstromung von einer Tonne Braunkohle rechnet man mit der Emission von rund einer Tonne Kohlendioxid. Vattenfall will aus dem Teilfeld II rund 204 Mio. t Braunkohle gewinnen. Diese Menge käme zu den 367 Mio. t des Teilfelds I hinzu. In der Bundesrepublik Deutschland wurden im Jahr 2010 mehr als 830 Mio. t CO2-Äquivalente (Kohlendioxid und andere Treibhausgase) emittiert, woran der Energiebranche und darin insbesondere der Braunkohleverstromung ein hoher Anteil zukommt. Deshalb wäre mit einer ungebremsten Verbrennung der Braunkohle das Ziel, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu reduzieren, kaum einzuhalten.

So wie die Industriestaaten über die Not der Bewohner der von Überschwemmungen bedrohten flachen Inselstaaten im Pazifik, die den Meeresspiegelanstieg als Folge der Erderwärmung bereits heute deutlich zu spüren bekommen, hinweggehen, wird auch auf unteren administrativen Ebenen Politik betrieben. Die brandenburgische rot-rote Koalitionsregierung glaubt anscheinend, auf die Stromgewinnung aus Braunkohle nicht verzichten zu können, weil ansonsten das öffentliche Interesse gefährdet wäre. Die Bürgerinnen und Bürger hingegen, die sich gegen jede weitere Devastierung wenden, haben berechnet, daß mit der Braunkohle aus dem bereits genehmigten Welzower Teilfeld I das Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe, dessen Name ausdrücklich im Braunkohlenplan erwähnt wird, noch bis etwa 2040 betrieben werden kann, sofern der Energieträger nicht anderweitig verschwendet wird. Da kommt der begründete Verdacht auf, daß Vattenfall die Welzower Braunkohle aus dem Teilfeld II zwecks Vermehrung seiner Profite im Kraftwerk Jänschwalde, einem der schmutzigsten Kohlekraftwerke Deutschlands, einsetzen will.

Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe aus der Ferne - Foto: © 2011 by Schattenblick

Kathedralen zentralistischer Energiepolitik
Foto: © 2011 by Schattenblick

Kühltürme und weitere Betriebsanlagen - Foto: © 2011 by Schattenblick

Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe - energiepolitische Sackgasse
hinter blendend sauberer Fassade
Foto: © 2011 by Schattenblick

Aus Klimaschutzgründen wäre es geboten, das nordöstlich von Cottbus gelegene Kohlekraftwerk Jänschwalde, das aus sechs 500-MW-Blöcken besteht, Schritt für Schritt abzuschalten; nicht zuletzt weil es nach einer veralteten Technologie arbeitet, die in einer Zeit entwickelt wurde, als sich die Menschen noch keine großen Gedanken über den Klimawandel machten. Heute weiß man es besser - zumindest sollte man es besser wissen. Die Proschimer Bürgerinitiative verlangt keinen sofortigen Ausstieg aus der Braunkohlegewinnung, aber sie fragt zurecht, warum ihre Ortschaft für eine Brückentechnologie geopfert werden soll.

Wenn die Braunkohle keine Zukunft hat, warum wird den Proschimern die Zukunft genommen? Nun, das kann keine ernsthafte Frage sein, denn wie die Interessen verteilt sind, liegt auf der Hand: Auf der einen Seite eine enge Kooperation von Landesregierung und Energiekonzern, auf der anderen die zur bloßen Manövriermasse abgestempelten Einwohner, deren Hab und Gut sich auf den Reißbrettern der Potsdamer Planungsbüros hin- und herschieben lassen wie Monopoly-Häuser. Welche verheerenden Folgen die Devastierung für die davon Betroffenen hat, kümmert die Bürokraten anscheinend nicht. Einen alten Baum reißt man nicht aus, heißt es im unmittelbaren wie im übertragenen Sinn. Die Ortsvorsteherin von Proschim faßte die schlimmen Folgen der Umsiedlung gegenüber dem Schattenblick in die treffenden Worte: "Die alten Menschen kommen nicht an."

Energiepolitisch ist der Aufschluß des Braunkohlegebiets Welzow-Süd II ein höchst zweifelhaftes Unterfangen. Es gab in letzter Zeit einige Aussagen, Andeutungen oder auch nur Spekulationen, daß Vattenfall seine Braunkohlekraftwerke abschalten oder einmotten könnte, falls das Unternehmen keine gesicherte Rechtsgrundlage für die Erforschung der CCS-Technologie erhält. Das Akronym CCS steht für Carbon Capture and Storage und meint die Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid aus großtechnischen Anlagen wie den Kohlekraftwerken. Ein entsprechender Gesetzentwurf, mit dem die Bundesregierung ihrerseits auf eine Vorgabe der Europäischen Union reagiert, ist im September im Bundesrat wegen der Länderklausel - jedes Bundesland kann die CCS-Technologie vollständig oder für Gebiete verbieten - gescheitert. Endgültig vom Tisch ist das Gesetz damit nicht, die Bundesregierung hat den Vermittlungsausschuß angerufen.

Neben dieser unabgeschlossenen Entwicklung steht die Frage im Raum, welchen Preis die Energiekonzerne in Zukunft für ihre CO2-Emissionen entrichten müssen. Für Vattenfall könnte sich der Braunkohleabbau aber selbst dann noch lohnen, wenn das Unternehmen ab dem Jahr 2013 im Rahmen der europäischen Klimaschutzinitiative Zertifikate für die Menge der von ihm ausgestoßenen CO2-Abgasen erwerben muß. Der Antrag Vattenfalls auf Erschließung des Welzow-Süd Teilgebiet II sowie weiterer Tagebaue in Ostdeutschland, für die ebenfalls Ortschaften devastiert werden sollen, deuten jedenfalls auf eine langfristige Energiepolitik, die wohl nicht so schnell über Bord geworfen wird.



Gegen Ambivalenz hilft nur Einseitigkeit

Der Braunkohletagebau Welzow-Süd bildet "nur" einen kleinen Ausschnitt aus einer seit Jahrzehnten immer wieder aufgerissenen und zugeschütteten Landschaft, aus deren Untergrund die Braunkohle ausgekohlt wurde. Entsprechend alt ist auch der Widerstand einzelner oder Gruppen dagegen, wobei die Einstellung der brandenburgischen Bevölkerung zur Braunkohle allgemein als ambivalent bezeichnet werden muß. Auch wenn die Initiatoren des im Jahr 2009 gescheiterten Volksbegehrens gegen neue Tagebaue in Brandenburg das in der Landesverfassung vorgeschriebene, überaus umständliche Verfahren einer Amtseintragung zurecht als Hauptursache des Mißerfolgs kritisieren, gibt es zahlreiche Menschen in der Region, die befürchten, daß ohne den Tagebau noch mehr Arbeitsplätze wegfallen als sowieso schon. Lieber ein Leben an der Abbruchkante des Braunkohletagebaus als an der Abbruchkante der sozialen Verhältnisse durch die Armutsverwaltung der Hartz-IV-Gesetzgebung, sagen sie sich.

Doch die Proschimer Bürgerinnen und Bürger und alle Mitstreiter legen eine Entschlossenheit im Protest und nicht zuletzt eine aus der Bedrängnis geborene klare Sichtweise der über sie hereinbrechenden Entwicklung und dahinterstehenden Interessen an den Tag, wie sie jedem zugestanden werden müssen, der um den Erhalt der von ihm geschaffenen Existenzgrundlage und sozialen Verhältnisse kämpft. Zwanzig Jahre nach der Wende, in denen sich diese Menschen dem allgemeinen Abwanderungstrend in den neuen Bundesländern entgegengestemmt und unter anderem einen florierenden Firmenverbund aufgebaut haben, der das moderne Konzept der regionalen Produktion und Vermarktung auf trefflichste erfüllt, soll das Geschaffene nun ungeschehen gemacht, sollen Verluste produziert werden, die durch nichts in der Welt entschädigt werden können. Immer wieder von neuem zerstört wird dabei auch die Chance zur Entwicklung einer menschlichen Lebensform, in der vollkommen ausgeschlossen ist, daß eines Tages abgehobene Administratoren und private Profiteure ihre Daumen über die Heimat anderer Menschen senken und über ihr Schicksal bestimmen können.


(Der Schattenblick wird seine Berichterstattung über den Widerstand gegen den Braunkohletagebau Welzow-Süd II mit Interviews zum Thema fortsetzen.)


Fußnoten:

[1] http://www.lausitzer-braunkohle.de/
[2] http://www.brandenburg.de/media/lbm1.a.4868.de/koalitionsvertrag.pdf
[3] http://www.bravors.brandenburg.de/sixcms/detail.php?gsid=land_bb_bravors_01.c.15994.de
[4] http://www.erih.net/de/regionale-routen/deutschland/lausitz/lausitz.html
[5] http://www.tagebau.org/tagebau-frueher.html
[6] http://www.devastiert.de/
[7] http://www.devastiert.de/tagebau/welzow-sued.php
[8] http://www.die-mark-online.de/artikel-ansicht/dg/0/1/972286/
[9] http://www.lr-online.de/regionen/spremberg/Welzow-sagt-Ja-zu-Vattenfall-Millionen;art1050,3539541
[10] http://www.welzow.de/download/amtsblatt/AB__Welzow_Okt_11.pdf
[11] http://www.taz.de/!79795/
[12] http://www.lr-online.de/regionen/spremberg/Proschimer-wollen-Befragung-zu-Bergbauplaenen;art1050,3555140
[13] http://www.bund-brandenburg.de/fileadmin/bundgruppen/lvbrandenburg/hintergrundpapier.pdf
[14] http://www.guardian.co.uk/environment/2011/nov/04/greenhouse-gases-rise-record-levels
[15 ] http://www.terradaily.com/reports/Planet_far_away_on_climate_goals_study_999.html
[16] http://www.wir-sind-die-lausitz.com/

Schild 'Auf Wiedersehen in Proschim' - Foto: © 2011 by Schattenblick

Ein Wiedersehen wird es nur geben, wenn man darum kämpft
Foto: © 2011 by Schattenblick

7. November 2011