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BERICHT/030: Down to Earth - grüne Versprechen aus Technik und Industrie (SB)


Grüne Industrie - die Ausbeutung ist nachhaltig



In der Geografie wird die Energieversorgung den sogenannten Daseinsgrundfunktionen des Menschen zugerechnet: Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Ver- und Entsorgen, Bilden, Verkehr, sich fortpflanzen. Da die Inanspruchnahme dieser sieben Grundfunktionen mit teils massiven gesellschaftlichen Konflikten einhergeht, wäre es eigentlich naheliegend, daß sich dies gemäß ihrer Relevanz auch angemessen in Menge und Qualität der geografischen Forschungsarbeiten niederschlägt. Das ist offenbar nicht der Fall. Allgemein scheint die Wissenschaftsdisziplin die Neigung zu haben, im Beschreiben zu verharren. Das kann dann etwas distanziert wirken angesichts der existentiellen Not, in die viele Menschen von ihren Artgenossen, die Jagd nach den Energieträgern machen, getrieben werden.

Ob Uran, Erdöl, Erdgas oder Kohle, der Zugriff auf die verschiedenen Energieträger ist oftmals hart umkämpft. Militärisch überlegene und wirtschaftlich bevorteilte Staaten betreiben mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Ressourcensicherung. Die kriegerische Neuordnung des erdölreichen Nahen und Mittleren Ostens, dazu der Verkauf von deutschen Panzern nach Saudi-Arabien, das Entfachen immer neuer Kämpfe im rohstoffreichen Ostkongo, das Land Grabbing (Landraub) in Afrika, die Vertreibung indigener Bevölkerungen Südamerikas aus ihren angestammten Gebieten für den Anbau von Zuckerrohr - all die bewaffneten Kämpfe und Umwidmungen von Verfügungsgewalt dank ökonomischer Zwangsmittel gelten mittelbar oder unmittelbar der eigenen Versorgung mit Energie.

Es scheint so, als ob der physikalische Verbrauch der Energie, bei dem der Träger für die menschliche Nutzung unwiederbringlich verloren geht, seine Entsprechung innerhalb der Gesellschaft hat. Die Energieversorgung der Reichen ist gesichert, die der Armen dagegen häufig prekär. Selbst innerhalb des privilegierten Wohlstandsraums Deutschland wurde im Jahr 2010 schätzungsweise in 600.000 bis 800.000 Haushalten zwangsweise der Strom abgestellt, weil die Nachzahlungsfristen versäumt worden waren. In der Bundesrepublik wird alles mögliche gezählt, aber in dieser Frage ist man auf Hochrechnungen angewiesen. Zusammenfassend läßt sich somit feststellen, daß die Energieversorgung auf vielfältige Weise konfliktträchtig ist, auch in der Bundesrepublik Deutschland.

Verschachtelte Dachgeschoßwohnung in der Kölner Innenstadt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Verschachtelte Konstruktionen nicht nur in der Geografie Foto: © 2012 by Schattenblick

Hier war die Energieversorgung lange Zeit von der Öffentlichkeit kaum reflektiert worden, und schon gar nicht kritisch. Womit die Energieversorger, die sich früher oftmals in staatlicher Hand befanden, ihre Energie erzeugten, interessierte nur die Experten. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher stand im Vordergrund, daß - abgesehen von der Zuverlässigkeit der Energieversorgung - der Preis möglichst niedrig sein sollte. Erst mit dem Aufkommen der Anti-Atombewegung ging ein Teil der Gesellschaft auf Gegenkurs. Ihm war es nicht mehr egal, womit die Energie erzeugt wurde, und es kam die Idee der "alternativen Energien" auf. Einige verknüpften die rein technische Frage mit der grundsätzlichen Frage nach den Produktionsverhältnissen. Mit vielen dezentralen Systemen sollte die Vormachtstellung des sich nach und nach auf Kosten der kommunalen Energieproduzenten aufblähenden Oligopols der Energiekonzerne gebrochen, sollten "Alternativen" geschaffen werden. Die Idee der Energieautarkie kam auf: Mit einem Windrad im eigenen Garten oder Solarzellen auf dem Dach, so die Hoffnung, konnte mensch sich ein kleines bißchen von der infrastrukturellen Zwangsjacke, die nur allzu deutlich zu spüren war, wegträumen.

Dabei wurden zwar bestimmte Voraussetzungen jener relativen Autarkie ausgeblendet, respektive die stete Abhängigkeit von der zuverlässigen Versorgung mit industriellen Gütern und Dienstleistungen, aber es wurde auch dank randständiger und idealistischer Projekte eine Saat gelegt, die inzwischen aufgegangen ist. Aus den alternativen Energien wurden die erneuerbaren bzw. regenerativen Energien, und sie leisten in Deutschland bereits einen Anteil an der Energieversorgung von rund 25 Prozent.

Wer am Ende die Ernte einfährt, steht allerdings nicht fest. Der Traum der Energieautarkie wurde nicht verwirklicht. Vier große Energiekonzerne sowie vier Netzbetreiber beherrschen das Feld - der großindustrielle Goliath ist keineswegs vor den vielen kleinen Davids in die Knie gegangen. Bereits 2009 hatte der inzwischen verstorbene Präsident der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien EUROSOLAR e.V. und Träger des Alternativen Nobelpreises, der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, auf der Energiekonferenz der Partei Die Linke gewarnt: "Unter der Decke des allgemeinen Bekenntnisses zu erneuerbaren Energien" haben wir es nicht mit einem abflauenden, sondern einem sich zuspitzenden Energiekonflikt zu tun. Indem Atom- und Kohlekraftwerke nicht mehr als Alternative zu erneuerbaren Energien gestellt, sondern als Brückentechnologie beschrieben würden, werde auf den Psychologismus gesetzt, daß man sich nicht vorstellen könne, eine gesicherte Energieversorgung sei ohne Großkraftwerke möglich. Es werde die Suggestivkraft des Großen angesprochen, kritisierte er.

Recht sollte er behalten. Die heutige Bundesregierung hat dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz eine andere Note verliehen. Der Schwerpunkt der Förderung wird allmählich verlagert, weg von der individuellen Energieproduktion, hin zu Großkraftwerken. Atomkraftwerke werden frühestens in zehn Jahren abgeschaltet sein (wenn überhaupt) und Braunkohle als "die" Brückentechnologie schlechthin gehandelt. Dafür werden sogar ganze Dörfer, Stadtteile und alter Baumbestand geopfert. In anderen Ländern das gleiche Bild. So werden in den Appalachen ganze Bergkuppen weggesprengt, um Kohle mit der Kohle zu machen, und Täler mit dem Abraum eingeebnet, was sich verheerend auf Umwelt und Gesundheit der Bewohner dieser Region auswirkt.

Nicht weniger konfliktträchtig ist die Förderung von Erdöl. Beispielsweise im Niger-Delta, deren Bewohner in einer Umgebung aufwachsen, leben und sterben, die äußerst umweltschädlich ist, da die maroden Pipelines lecken, manchmal auch bersten und das mit dem Erdöl geförderte Erdgas häufig noch abgefackelt wird, was die Luft verpestet. Und wenngleich die Sicherung des irakischen Erdöls nicht der Hauptgrund für die beiden Kriege des von den USA angeführten Westens gegen das Zweistromland unter Saddam Hussein war, so spielte die Ressourcenfrage auch in diesen Konflikt mit hinein.

Wie aber verhält es sich mit den sogenannten erneuerbaren Energien? Stellen sie tatsächlich eine Alternative zum vorherrschenden Energiesystem und den hier nur skizzenhaft angerissenen Gewaltkonflikten dar? Nein, denn ungeachtet all der genannten und noch nicht genannten Problemen rund um die Verseuchung der Umwelt mit radioaktiven Partikeln, Schwermetallen, Treibhausgasemissionen, Ruß und vielem mehr, von denen noch auszuloten ist, bis zu welchem Ausmaß nicht auch die Erneuerbaren Energieträger Anteil daran haben, wird ein permanenter, uralter Grundkonflikt unterschlagen: die soziale Frage. Solange Menschen fremdbestimmte Arbeit verrichten müssen, um ihr Überleben zu sichern, spielt es keine nennenswerte Rolle, ob sie in einer Fabrik für ethisch vermeintlich saubere Solarzellen arbeiten oder in einer, in der spritfressende, emissionsstarke Autos hergestellt werden.

Was haben Geografen zu diesem vielschichtigen gesellschaftlichen Konfliktfeld der Energieversorgung zu sagen? Das zu erfahren schien der International Geographical Congress (Weltgeografenkongreß), der vom 26. bis 30. August 2012 nach über einhundert Jahren erstmals wieder in Deutschland stattfand, der geeignete Ort zu sein. Als Teilnehmer der Session "Transition of energy systems and green industry development: Regional and country perspectives 3" (Wandel von Energiesystemen und Entwicklung grüner Industrie: Regionale und Landesperspektiven 3) am Montag, den 27. August, konnte man den Eindruck gewinnen, als brächten die vier Vortragenden jeweils auf ihren Gebieten großes Engagement auf. Doch an jenem oben skizzierten sozialen Grundkonflikt wurde selten gerührt, und wenn doch, dann sehr verhalten.

Beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Assoz. Prof. Dr. Harald Rohracher
Foto: © 2012 by Schattenblick

Harald Rohracher, assoziierter Professor der Universität Klagenfurt, verglich unter dem Vortragstitel "Urban transitions towards sustainability" (Städtische Übergänge in Richtung Nachhaltigkeit) die beiden Städte Freiburg und Graz. Beide gelten als Modellstädte für Erneuerbare Energien, weisen jedoch Unterschiede und Gemeinsamkeiten auf. Das Interesse des Forschers und das seinen Kollegen Philipp Späth von der Universität Freiburg, mit dem Rohracher häufiger gemeinsam publiziert hat, besteht in der Beschreibung der Veränderung der Städte durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Rückwirkung dieser Entwicklung auf den Menschen. Rohracher möchte mit seinen Forschungen erreichen, daß die Voraussetzungen und Bedingungen für eine sozial- und umweltverträgliche Technikgestaltung besser verstanden werden. Typische Fragestellungen seines Vortrags waren, wie aus Nischentechnologien dominante Technologien werden und wie örtliche Regierungen wiederum soziotechnische Wandlungsvorgänge von Energiesystemen beeinflussen. Die Bedeutung des Wandels, so Rohracher resümierend, läge wohl nicht so sehr im Materiellen als vielmehr im Institutionellen.

Beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Fabian Faller
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Doktorand Fabian Faller von der Universität Luxemburg hat aus seiner noch laufenden Forschungstätigkeit berichtet und einen Vortrag zu "Energetic regionalisations as processes for the transition to renewable energies" (Energetische Regionalisierungen als Prozesse für den Übergang zu erneuerbaren Energien) mit dem Schwerpunkt der Biospritproduktion gehalten. "Regionalisierung" versteht er als Ausdruck bestimmter Strukturen und alltäglicher Handlungen. Am Beispiel des Projekts RUBIN (Regionale Strategie zur nachhaltigen Umsetzung der Biomasse-Nutzung), das von den Europäischen Gemeinschaften im Rahmen des Programms "INTERREG III (A) Saarland-Moselle (-Lothringen) -Westpfalz" kofinanziert wird, hat er festgestellt, daß die verschiedenen Akteure mit sehr unterschiedlichen Erwartungen an die Biospritproduktion herangehen. Faller fragt: Wie nehmen Politiker und Ökonomen solche Transitionsregionen, in denen Pflanzen für Biosprit angebaut werden, wahr? Wie nehmen auf der anderen Seite Bürger solche Entwicklungen wahr und wie beeinflußt das eine das andere? Welche Strategien werden von den Unternehmen entwickelt, und wie gehen die Medien damit um? Die vorläufige Schlußfolgerung: Biomasse sollte regional produziert werden, weil längere Transportwege unwirtschaftlich und ökologisch schädlich sind. Durchaus vergleichbar mit Rohracher hat auch er beobachtet, daß die Praktiken das Gesicht der Regionen verändern und daß dies wiederum die Praktiken beeinflußt.

Beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Carmen Dienst
Foto: © 2012 by Schattenblick

Ausschnittweise berichtete Carmen Dienst vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie über die Forschungsergebnisse aus der Projektgruppe SEPS (Sustainable Energy Project Support), die nachhaltige Energien in Entwicklungsländern fördert. Das können so verschiedenartige Initiativen sein wie der Bau von kleineren Windkraftanlagen in Peru, ein LED-Beleuchtungsprojekt in Tansania, ein Biosprit-Projekt in Indien oder ein Kocherprojekt in Laos. In ihrem Vortrag mit dem Titel "Transition to sustainable energy services in developing countries - the role of community socio-economic structures" (Übergang zur nachhaltigen Energieversorgung in Entwicklungsländern - die Bedeutung kommunaler sozioökonomischer Strukturen) betonte die Referentin, daß ein Erneuerbare-Energie-Projekt nicht erfolgreich sein könne, wenn es nicht die Zustimmung der örtlichen Behörden und der Gemeinden habe. Die Leute müßten an dem Vorhaben partizipieren. Damit dürfte sie das Leitmotiv der Initiative WISIONS, an der sie mitarbeitet, getroffen haben. Der Name ist ein Akronym, das für Wuppertal Institute (WI) und der Vision für nachhaltige Entwicklung (engl. Sustainability) steht.

Unabhängig von der Technologie und der Region wiesen diese Projekte Gemeinsamkeiten auf, was sich untersuchen und kategorisieren ließe. Dahinter steht unter anderem die Absicht, Erfahrungen aus dem einen Projekt in andere Projekte einzubringen und diese dadurch zu verbessern, oder, um es fachsprachlich auszudrücken: Das Ziel besteht in der Identifizierung und Strukturierung von Elementen, die für die Bewältigung sozio-ökonomischer Aufgaben relevant sind.

Beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Claudia Kölsche
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Regierung Deutschlands habe für Investitionssicherheit gesorgt, sagte Claudia Kölsche, Doktorandin der Universität Bonn, in dem diese Session abschließenden Vortrag "About the role of energy regions as part of the energy transition" (Über die Bedeutung von Energieregionen als Bestandteil der Energiewende). Die Geografin hat ausführlich über die Förderung der erneuerbaren Energien gesprochen und das Herausbilden von "Energieregionen", die eine Versorgung mit 100 Prozent erneuerbare Energien anstreben oder teilweise schon erreicht haben. Kölsche hält es für wichtig, daß die Regionen genau abgegrenzt werden, damit sie vergleichbar werden. Politik und Wirtschaft nähmen unterschiedliche Standpunkte ein, um ihr Interesse zu formulieren. Mit Niklas Luhmanns Systemtheorie könne man ein besseres Verständnis der Strukturen der Energiewende erlangen.

Die vier Referentinnen und Referenten haben innerhalb ihrer jeweiligen Forschungen den ein oder anderen Konflikt in Verbindung mit erneuerbaren Energien erwähnt. Doch an mancher Stelle konnte man den Eindruck gewinnen, als diene die verschachtelte Beschreibung von Perspektiven und Akteuren der Verschleierung der beteiligten Interessen, die auf Seiten der Ökonomie auf fortgesetzte Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und auf Seiten der Administration in der Sicherung und Qualifizierung der Verfügungsgewalt liegen.

Gerade bei einem so aktuellen und konfliktträchtigen Thema wie die Energieversorgung, die immer vor dem Hintergrund globaler Umwälzungen stattfindet, hätte man sich eine deutlichere Positionierung gewünscht. So aber waren die geografischen Beschreibungen vergleichbar damit, daß jemand die Erdölkrise 1973 nur aus der Sicht der Anpassungsleistungen der davon Betroffenen beschreibt, nicht aber den übergreifenden politischen Kontext und schon gar nicht, was der eigene Wirtschaftsraum damit zu tun hat, erwähnt.

Solange die Produktions- und Reproduktionsbedingungen unhinterfragt bleiben, wird sich jede mutmaßliche Alternative bestenfalls als alter Wein in neuen Schläuchen erweisen, schlimmstenfalls als genau jenes Moment, das zur Qualifizierung der Verfügbarkeit der Menschen entscheidend beigetragen hat. Diese Gefahr besteht auch bei den erneuerbaren Energien. Denn die grüne Industrie ist immer noch eine Industrie, sie hat sich halt einen frischegrünen Anstrich verpaßt.

28. September 2012