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BERICHT/047: Down to Earth - Tausend Gründe, doch verwandt (SB)


Diplomgeographin Gerdis Wischnath zu Klimawandel als möglicher Kriegsauslöser

IGC 2012 - Weltkongreß der Geographie vom 26. bis 30. August 2012 an der Universität Köln



In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts brachten westliche Sicherheitsexperten vermehrt das Thema Klimawandel als möglicher Kriegsauslöser auf. So verlangten im April 2007 elf hochrangige US-Generäle und -Admirale im Ruhestand, daß die Folgen des Klimawandels in den Strategien zur nationalen Sicherheit und nationalen Verteidigung der Vereinigten Staaten von Amerika berücksichtigt werden sollten. [1] Ins gleiche Horn stießen fünf ehemalige Generalstabschefs der NATO im Rahmen einer Stellungnahme, in der sie den atomaren Erstschlag befürworteten, und prognostizierten: "Unter allen globalen Trends ist es der Klimawandel, der in den strategischen und Sicherheitserwägungen der Zukunft neues Gewicht auf die Geostrategie legen wird." [2]

Vor knapp sechs Jahren hat der UN-Sicherheitsrat erstmals den Klimawandel auf seine Agenda gesetzt, und im März 2008 legten EU-Chefdiplomat Javier Solana und EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner dem Europäischen Rat einen Report zum Thema "Klimawandel und internationale Sicherheit" vor. Darin kamen sie zu dem Ergebnis, daß die Folgen der allgemeinen Erderwärmung als "Bedrohungsmultiplizierer" für bestehende Konflikte anzusehen sind. Es würden "Sicherheitsszenarien ohne Präzedenzfall" eintreten. Als Beispiel für einen möglichen Konfliktauslöser nannten sie die enormen Kohlenwasserstoffressourcen (Erdöl, Erdgas) im polaren Norden, wo sich im Zuge der Erderwärmung Schnee und Eis zurückzögen. Das würde "geostrategische Dynamiken" in Gang setzen, die "potentiell Folgen für die internationale Stabilität und europäischen Sicherheitsinteressen" besäßen. Diese seien "direkt" betroffen. [3]

Diese Quellen stehen beispielhaft für einen seit Jahren in Kreisen von Politik und Militär geführten Sicherheitsdiskurs: Die zunehmende Erderwärmung wird bestehende Konflikte verschärfen; die Gefahr von neuen innerstaatlichen ebenso wie zwischenstaatlichen Konflikten wird wachsen und die beteiligten Akteure möglicherweise dazu verleiten, die Spannungen mit allen zur Verfügung stehenden Gewaltmitteln lösen zu wollen. Der Klimawandel erhöht somit die Gefahr des Ausbruchs von Bürgerkriegen und Kriegen.

Publizistisch wurde das Thema vor einigen Jahren von dem Kulturwissenschaftler Harald Welzer aufgegriffen, der das Buch "Klimakriege - Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird" [4] schrieb und darin den Konflikt in Darfur als Beispiel eines Klimakonflikts aufführte, da die Niederschlagsmengen in dieser westsudanesischen Provinz in den letzten Jahren zurückgegangen waren und die Einwohner gezwungen wurden, klimatisch vorteilhaftere Gebiete aufzusuchen. Das habe zu Spannungen mit der dort ansässigen Bevölkerung geführt.

Armselige Behelfsbehausungen in dürrem Flüchtlingslager - Foto: USAID, Aufnahme vermutlich 2005, freigegeben als Public Domain via Wikimedia Commons

Irgendwo im Nirgendwo - Binnenflüchtlinge in Darfur Foto: USAID, Aufnahme vermutlich 2005, freigegeben als Public Domain via Wikimedia Commons

Gwynne Dyer, kanadischer Historiker und einst Dozent an der renommierten englischen Militärakademie Sandhurst, schrieb das Buch "Schlachtfeld Erde. Klimakriege im 21. Jahrhundert" (2010) [5]. Darin entwirft er sieben Szenarien zu möglichen militärischen Konflikten als Folge klimatisch bedingter Veränderungen.

Wie aber verhielt es sich in der Vergangenheit? Haben Staaten Krieg gegeneinander geführt, weil sich das Klima verändert hat? Sind Bürgerkriege entstanden, weil beispielsweise der Regen ausgeblieben ist oder umgekehrt weil es zuviel geregnet hat? Läßt sich eventuell ein statistischer Zusammenhang - fachsprachlich Korrelation genannt - zwischen Klima und Krieg nachweisen? Dazu existieren in der Fachliteratur gegensätzliche Einschätzungen. Der Geographieprofessor Halvard Buhaug und die Diplomgeographin Gerdis Wischnath vom Peace Research Institute Oslo (PRIO) wollten es genauer wissen und sind am Beispiel Asien der letzten fünfzig Jahre der Frage nachgegangen, ob Kriege durch Klimaveränderungen ausgelöst werden.

In der Session "Geographie von Gewalt 2" auf dem Weltkongreß der Geographie 2012 stellte Wischnath ihre gemeinsame Studie vor. Der Vortrag "Climate Wars Redux? On Climate Variability and Armed Conflicts in Asia" (Wiederkehrende Klimakriege? Über Klimaveränderungen und bewaffnete Konflikte in Asien) deckt sich inhaltlich weitgehend mit einer gleichnamigen Veröffentlichung vom norwegischen Peace Research Institute Oslo. [6]

Die Forschergruppe wollte jene potentielle Verbindung zwischen Klimavariabilität und Kriegen bzw. Bürgerkriegen einem empirischen Test unterziehen. Asien wurde ausgewählt, weil dort die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, die Hälfte der weltweiten bewaffneten Konflikte stattfindet und große Gebiete keine Bewässerungslandwirtschaft haben, also auf natürliche Niederschläge angewiesen sind und deshalb empfindlich auf klimatische Veränderungen reagieren. Außerdem, so Wischnath, hätten sich andere Untersuchungen zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Klimaveränderungen meist auf Afrika beschränkt. Das mache zwar Sinn mit Blick auf die Häufigkeit von bewaffneten Konflikten und die Anfälligkeit des Kontinents für klimatische Veränderungen, aber davon sei Afrika eben nicht allein betroffen.

Abgesehen von ihrem Fokus auf Asien unterscheide sich die Studie in zwei wesentlichen Belangen von den meisten anderen. Erstens erkenne man an, daß der ethnisch-politische Kontext ein bestimmender Faktor dafür ist, ob beispielsweise Dürren in Gewaltausbrüchen münden. Durch "Umweltstreß" wie zum Beispiel eine lange Trockenperiode würden gesellschaftliche Unterschiede akzentuiert, da marginalisierte Gruppen oftmals keine alternativen Möglichkeiten besäßen, ihr Überleben zu sichern und Einkünfte zu erwirtschaften. Zudem erhielten sie unter allen Mitgliedern der Gesellschaft wahrscheinlich am seltensten staatliche Unterstützung.

Die spezifische Sichtweise der Friedensforschung zeigte sich in dem Vortrag insbesondere in einem Schaubild zur "Theorie" der Untersuchung und dabei den möglichen Konfliktauslösern:

- Lokale klimatische Veränderungen könnten bewaffnete Konflikte betreffen, weil die Menschen um die knappen Ressourcen konkurrieren.

- Streitigkeiten zwischen den Kommunen könnten Vertreibungen auslösen.

- Makroökonomische Schocks könnten sich bis auf die lokale Ebene durchschlagen und dort Mangel erzeugen.

- Aufgrund von Umweltstreß könnte die Aggression auch auf individueller Ebene zunehmen.

Die Ergebnisse der Studie lauten zusammengefaßt, daß Klimaveränderungen nicht eindeutig mit dem Ausbruch von Bürgerkriegen in einen Wirkzusammenhang gebracht werden können. Die Ursachen für Bürgerkriege seien politisch, sozial und historisch, nicht aber umweltmäßig zu verorten. Dennoch sollten noch weitere Forschungen betrieben werden, um genauere Ergebnisse zu erhalten. Deshalb könnte die Behauptung, daß der Klimawandel die Sicherheitsfrage des 21. Jahrhunderts sei, nach Einschätzung der PRIO-Forscherin womöglich mehr Schaden anrichten als Gutes tun.

Die Forscher reklamieren einen Aufklärungsanspruch, indem sie behaupten, daß die öffentliche Debatte von Vermutungen und haltlosen Spekulationen behaftet sei. Seriöse wissenschaftliche Untersuchungen fänden nicht genügend Gehör, alarmistische Stellungnahmen und Vorhersagen erlangten viel häufiger die öffentliche Aufmerksamkeit.

Die empirische Studie, so ausgearbeitet sie auch ist, zeigt von vornherein eine Schwäche. Nicht in der Datenverarbeitung, die von Wischnath ausführlich beschrieben wurde, sondern vom grundsätzlichen Ansatz her. In der gesamten Zivilisationsgeschichte des Menschen gibt es keinen Vergleich für die Klimaentwicklung, wie sie derzeit beobachtet und von Experten noch für dieses Jahrhundert prognostiziert wird. Die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre war höchstwahrscheinlich in den letzten 30 bis 40 Millionen Jahren niemals so hoch wie heute. Die globale Durchschnittstemperatur hat den höchsten Wert der letzten 400, vielleicht sogar der letzten 1000 Jahre erreicht, befand der National Research Council (NRC), das wichtigste wissenschaftliche Beratergremium der US-Regierung, bereits vor sechs Jahren. [7]

Kurvendiagramm - Foto: NASA GISTEMP, als public domain freigegeben via Wikimedia Commons

Konfliktfaktor Klima? Temperaturverlauf 1880 - 2009, getrennt in nördliche Hemisphäre (rot) und südliche Hemisphäre (blau). Fette Linien in rot und blau stehen für 5-Jahres-Mittelwert, 18.2.2010
Foto: NASA GISTEMP, als public domain freigegeben via Wikimedia Commons

Damit müßte sich eigentlich jeder empirische Ansatz erübrigen, selbst wenn hier und da im Laufe der Menschheitsgeschichte aus Gründen klimatischer Veränderungen Kriege vom Zaun gebrochen worden sein sollten oder zumindest wenn sie als ein Faktor von vielen an einem Kriegsausbruch beteiligt waren. Vor allem aber liefert die gewählte Zeitspanne von nur 50 Jahren wenig Anhaltspunkte, um darauf gestützt Entwicklungen für potentielle Konflikte in der Zukunft herzuleiten.

Der empirische Vergleich erscheint in diesem Zusammenhang noch aus einem anderen Grund als wenig zweckmäßig: Noch nie zuvor haben so viele Menschen auf der Erde gelebt wie heute. Das stellt vollkommen neue Herausforderungen für die Globalgesellschaft dar. 1950, also am Beginn des Untersuchungszeitraums der PRIO-Studie, lebten rund 2,5 Milliarden Menschen auf der Erde, 1975 waren es 4,0 Milliarden und 2000 schon 6,1 Milliarden. Wenn in der Literatur der etwas reißerische Titel "Klimakriege" verwendet wird, dann wird von einer Weltbevölkerung von 8,0 Milliarden (2025) oder gar 9,3 Milliarden (2050) ausgegangen.

Eine so hohe Zahl an Menschen könnte die Bereitschaft, Konflikte um knappe Ressourcen gewaltsam auszutragen, verstärken. Beispielsweise stehen theoretisch an sogenannter produktiver Landfläche global 8,3 Mrd. Hektar zur Verfügung, was bedeutet, daß ab der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die durchschnittliche Landfläche pro Person von dreieinhalb auf heute etwas über einen Hektar abgenommen hat. Das erzeugt Druck auf die landwirtschaftlichen Systeme, und fast eine Milliarde Hungernde in der Welt sind ja bereits eine Gewaltfolge dieser, auch klimatisch bestimmten Verhältnisse.

Mit diesen Daten soll nicht behauptet werden, daß beispielsweise dem Römischen Imperium der gesamte Erdball zu seiner Ausdehnung zur Verfügung gestanden hat, aber es läßt sich doch kaum übersehen, daß auf eine Menschheit mit acht oder neun Milliarden Individuen in einer Welt ohne weiße Flecken auf der Landkarte, die noch erobert werden könnten, und mit endlichen Ressourcen vollkommen neue Zwangslagen entstehen. Eine wachsende Anwendung von Gewalt könnte die Folge sein. Auch deswegen dürfte der Nutzen einer empirischen Untersuchung zu Klima und Krieg sehr begrenzt sein. Jede Zukunft ist beispiellos - in diesem Fall wird das besonders deutlich.

Im übrigen stellt sich die Frage, ob nicht beispielsweise die Flüchtlingsabwehr der wohlhabenden Regionen den bewaffneten Konflikten zugerechnet werden müßte. So hat die Europäische Union eigens die Grenzschutzagentur Frontex geschaffen, um zu verhindern, daß Menschen aus anderen Weltregionen - und die sind, abgesehen von ihrer möglicherweise politischer Instabilität, häufig auch klimatisch benachteiligt - nach Europa gelangen. An den EU-Außengrenzen tobt ein Konflikt, dessen Fronten bis tief in die Lebensverhältnisse der Menschen in entfernten Weltregionen verlaufen und von den Betroffenen zweifelsohne als Auswuchs einer Gewalt angesehen werden. Klima bzw. Klimaveränderungen wären somit einer von vielen Gründen für Gewaltkonflikte.

Im Anschluß an Wischnaths Vortrag bestand die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Dabei wurde auch Kritik vorgebracht. So wandte jemand ein, er stimme zwar ganz und gar mit den Schlußfolgerungen der Studie überein, doch warum sei der Klimawandel überhaupt mit anderen Aspekten gekreuzt worden? Es sei doch aus der Geschichte bekannt, daß die Kriege in Asien - Bürgerkrieg in Birma seit 1949, Vietnamkrieg, Bürgerkrieg im Süden Thailands - in diesem Zeitraum nicht durch das Klima ausgelöst wurden. Klimawandel als Auslöser von Kriegen sei ein "Nicht-Thema", eine "Nicht-Frage", rang der Kongreßteilnehmer um die passenden Worte.

Bürgerkrieg in der thailändischen Hauptstadt - Foto: Takeaway, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons

15. Mai 2010, Bangkok brennt - Klima der Angst, aber keine Angst vor dem Klima
Foto: Takeaway, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Diese Kritik teilen wir nicht. Obwohl wir oben erläutert haben, daß der Ansatz a priori unzureichend ist, muß es sich bei der hier vorgestellten Studie keineswegs um eine "Nicht-Frage" handeln. Wenn die Untersuchung des Peace Research Institute Oslo dazu führt, daß die Frage weiterentwickelt wird, und das ursprüngliche Anliegen, nämlich laut den Statuten dieser Organisation, "den Frieden zu fördern durch Konfliktlösung, Dialog und Versöhnung, öffentliche Informationen und politische Aktivitäten" [8], dann könnte die Studie sehr wohl einen Nutzen haben. Weiterentwickeln ließe sich die Frage beispielsweise dahingehend, daß erkannt wird: Klimaveränderungen sind ein Faktor für das Entstehen bewaffneter Konflikte, aber als Auslöser vernachlässigbar. So hätte die Friedensforschung von der Untersuchung den Gewinn, sich fortan noch stärker auf andere, möglicherweise wesentlichere Fragen konzentrieren zu können.

Wenn die "Nicht-Frage" diese Wirkung besäße, hätte sie vielen vermeintlich wichtigen Fragen in der Geographie einiges voraus. In der Friedensforschung geht es um nicht weniger als die Vorstellung, Erwartung und Hoffnung, die Gewalt zwischen den Menschen beenden zu können, wenn man nur ganz genau analysiere, wie sie entsteht. Ob aber die Empirik oder eine andere wissenschaftliche Methode des Erkenntnisgewinns überhaupt dazu geeignet ist, die Umklammerung durch Krieg und Frieden, den beiden Armen gesellschaftlicher Gewalt, zu lösen, und die wirksamen Mittel zu ihrer Beendigung bereitzustellen, wäre durchaus die eine oder andere "Nicht-Frage" wert.

Satellitenaufnahme Dutzender Atolle der nördlichen Malediven, Indischer Ozean - Foto: NASA sowie GSFC/METI/ERSDAC/JAROS und das amerikanisch-japanische ASTER-Wissenschaftsteam, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Malosmadulu-Atoll, Malediven, 22.12.2002 - Der Anstieg des Meeresspiegels wird vermutlich ganze Staaten untergehen lassen und ihre Einwohner vertreiben. Von wem werden sie aufgenommen?
Foto: NASA sowie GSFC/METI/ERSDAC/JAROS und das amerikanisch-japanische ASTER-Wissenschaftsteam, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons


Fußnoten:
[1] http://www.cna.org/reports/climate

[2] http://csis.org/files/media/csis/events/080110_grand_strategy.pdf

[3] http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressdata/EN/reports/99387.pdf

[4] Rezension zum Buch: http://www.schattenblick.com/infopool/buch/sachbuch/busar440.html

[5] Rezension zum Buch: http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar552.html

[6] http://www.prio.no/Global/upload/CSCW/Climate%20Wars%20Redux%20070611.pdf

[7] Surface Temperature Reconstructions for the Last 2,000 Years (2006),
http://www.nap.edu/openbook.php?record_id=11676&page=1

[8] http://www.prio.no/Global/upload/About%20Prio/PRIO-Statutes-2010.pdf


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8. Januar 2013