Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

BERICHT/050: Rohstoff maritim - Reste oder Sourcen? (SB)


Internationaler Workshop zu den mineralischen Ressourcen des Meeresbodens vom 18. bis 20. März 2013 in Kiel

Einführung und Überblick



Aus Sicht der Geologen enthält die Weltkarte noch etliche weiße Flecken, weshalb für sie ein Großteil der Oberfläche den Titel "unbekanntes Terrain" trägt. Zwar weiß die Forschung schon ziemlich genau, wo sich selbst am Meeresboden Berge und Täler befinden, welche Neigung die Hänge haben, wo sie durch Erosionskräfte eingeschnitten oder tektonische Kräfte aufgewölbt wurden, aber sie weiß nur sehr wenig darüber, aus welchem Gestein die Strukturen am Meeresboden der Tiefsee aufgebaut sind. Eine Wassersäule von häufig mehreren tausend Metern über dem Grund hat eine vollständige, flächendeckende Erkundung bislang verhindert. Da ist unser staubtrockener Nachbarplanet Mars in manchen Regionen geologisch genauer erforscht.

Jene weißen Flecken auf der Landkarte stehen nicht nur für "unbekannt", sondern zugleich für "sollen erkundet" und "können ausgebeutet werden". Exploration und Exploitation, Erforschung und Ausbeutung, gehen stets Hand in Hand. Kein Lebensraum zu Wasser und zu Land, der nicht den begehrlichen Blick des Menschen auf sich gezogen hätte, zunächst den des Forschers, dann den des Investors.

Zwei hydrothermale Schlote, aus denen Rauch aufsteigt - Foto: National Oceanic and Atmospheric Administration

Die Tiefsee - eine weitgehend unerforschte Welt
Foto: National Oceanic and Atmospheric Administration

So herrschte auch auf dem Workshop "Seafloor Mineral Resources: scientific, environmental, and societal issues" (Mineralische Ressourcen des Meeresbodens: wissenschaftliche, umweltbezogene und gesellschaftliche Fragen), der vom 18. bis 20. März 2013 von dem Kieler Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft" zusammen mit dem GEOMAR - Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung ausgerichtet wurde, unter den angereisten Wissenschaftlern eine gewisse Aufbruchstimmung. Nicht im Sinne eines "Hurra!" oder "Let's go!", wohl aber im Sinne einer Ratio, derzufolge es nicht falsch sein könne, das Potential der Meeresböden als Lagerstätte für mineralische Rohstoffe zu erforschen, da das noch keine kommerzielle Verwertung sei. Und wenn nur die erforderlichen Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstandards sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt seien, daß dann dem marinen Bergbau nichts im Wege stünde.

Meeresböden werden seit langem zur Gewinnung beispielsweise von Diamanten, Kies, Sand und Schwermineralsanden genutzt. Von welchen mineralischen Rohstoffen ist also die Rede, wenn in der heutigen Zeit, da die Rohstoffpreise stark gestiegen sind, der Meeresboden wieder ins Gespräch gebracht wird und die Presse bereits von einer "Jagd nach Rohstoffen" [1] spricht oder meint, einen "Kampf um Rohstoffe" [2] in der Tiefsee auszumachen?

Erstens Manganknollen, die - abgesehen von ihrem rund 25prozentigen Mangan-Anteil - Kupfer, Kobalt, Zink, Nickel und Eisen sowie Spurenelemente wie Molybdän, Lithium und Seltene Erden (u.a. Yttrium, Neodym) enthalten. Der hohe Eisenanteil von rund 30 Prozent gilt indes als wenig interessant, da es genügend Lagerstätten an Land gibt, die günstiger auszubeuten sind. Die zumeist kartoffel- bis blumenkohlgroßen, in Schichten aufgebauten Manganknollen liegen in Wassertiefen zwischen 4000 und 6000 Metern, teilweise dicht an dicht, und sind von keiner Sedimentschicht überdeckt. Sie könnten also aufgepickt werden wie die Münzen aus dem Wunschbrunnen und haben schon vor Jahrzehnten Unternehmen dazu verlockt, Bergungstestläufe im Pazifik durchzuführen.

Blick von oben in Brunnen mit Münzen am Grund, Piazza Duomo, Brescia - Foto: Stefano Bolognini, 25.12.2007, freigegeben als gemeinfrei via WikimediaCommons

Verlockende Schätze am Grund
Foto: Stefano Bolognini, 25.12.2007, freigegeben als gemeinfrei via WikimediaCommons

Die Entstehung der Manganknollen gilt in der Forschung als nicht vollständig verstanden. Laut Prof. Werner Müller vom Institut für Physiologische Chemie der Universität Mainz waren daran Mikroben als "Starthilfe" beteiligt. [3] Die Manganknollen werden u. a. aus den Kalkschalen mariner Kleinstlebewesen aufgebaut und wachsen über einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren heran. Besonders der Tiefseeboden des Pazifischen Ozeans weist reiche Vorkommen auf, die Experten sprechen von einem regelrechten "Mangangürtel" innerhalb der sogenannten Clarion-Clipperton-Bruchzone, die sich zwischen Mexiko im Osten und der Inselgruppe Hawaii im Westen erstreckt.

Zweitens Kobaltkrusten (auch Mangankrusten oder Tiefseekrusten genannt), die sich in 1000 bis 2500 Meter Meerestiefe an den Hängen submariner Höhenzüge befinden. Diese Krusten bauen sich wie die Manganknollen über Millionen von Jahren auf und stammen aus dem kalkhaltigen Schutzschild von Algen (Coccolithophoriden), die in 100 Metern Meerestiefe leben. Sterben die Organismen ab, sinken die Kalkhüllen zum Ozeanboden. Auf dem Weg dahin tritt ihre chemische Umwandlung mit der Bindung von Mangan, Eisen sowie einer ganzen Reihe von Spurenmetallen (Kobalt, Kupfer, Nickel, Platin) ein.

Drittens Massivsulfide, entstanden in Folge vulkanischer Aktivitäten beispielsweise von sogenannten hydrothermalen Schloten, je nach Erscheinungsform auch Schwarze Raucher oder Weiße Raucher genannt. Die Ablagerungen dieser "Unterwasser-Rauchsäulen" liegen 500 bis 5000 Meter unter der Wasseroberfläche und enthalten Elemente wie Schwefel, Zink, Gold, Kupfer, Blei und Eisen sowie Hochtechnologiemetalle wie Indium, Germanium, Wismut und Selen. Darüber hinaus gelten Massivsulfide als potentielle Quelle für die Elemente der Seltenen Erden.

Die Entstehung der mineralienhaltigen Rauchsäulen wird damit erklärt, daß Meerwasser aufgrund des hohen Wasserdrucks, der in mehreren hundert Metern Wassertiefe herrscht, durch Poren, Klüfte und Risse in den Meeresboden gedrückt wird, dort auf heißes Gestein trifft, sich erhitzt, aus der Umgebung Mineralien chemisch löst und wieder aufsteigt. Typischerweise sind die Schwarzen Raucher in der Nähe tektonischer Spreizungszonen angesiedelt. Das sind Gebiete, in denen Bruchstücke der Erdkruste auseinandertreiben, wobei die Lücken laufend mit Magma aufgefüllt werden.

22 Zentimeter große Gesteinsprobe - Foto: NOAA

Stück eines hydrothermalen Schlots mit Kupfer, Eisen, Zink und Barium
Foto: NOAA

Nach Einschätzung japanischer Wissenschaftler um Yasuhiro Kato von der Universität von Tokio enthält der pazifische Meeresboden beispielsweise riesige Mengen Seltener Erden in der Nähe von Schwarzen Rauchern und Schlammvulkanen, deren Konzentration teilweise doppelt so hoch ist wie in den Lagerstätten an Land. [4]

Die Manganknollen und anderen Rohstoffe des Tiefseebodens gelten als "nachwachsende Rohstoffe". Das wird in der GEOMAR-Broschüre "Massivsulfide - Rohstoffe aus der Tiefsee" (S. 5) treffenderweise als "irreführend" bezeichnet, da Jahrmillionen vergehen, bis sich die Metalle anreichern. Sollten Manganknollen jemals kommerziell abgebaut werden, dann handelt es sich um einen Einmalvorgang, nicht anders als bei der Förderung fossiler Energieträger.

Wenn auf jenen knapp 30 Prozent der Erdoberfläche, die nicht vom Meer bedeckt sind, schon so viele Lagerstätten für Rohstoffe entdeckt werden, wundert es natürlich nicht, daß sich die geologischen Fundstätten auch am Meeresboden fortsetzen. Die Frage ist jedoch, inwiefern diese Gebiete zugänglich sind.

Einen Bergbau am Meeresboden werde es nur dann geben, wenn er nicht teurer kommt als der Bergbau an Land oder kostenmäßig möglichst noch darunter liegt, betonte auf dem Kieler Workshop der Geologe Mark Hannington von der Universität Ottawa gegenüber dem Schattenblick. Mit dieser Anmerkung hält der Kanadier, der den marinen Bergbau durchaus begrüßt, den allzu hochgesteckten Erwartungen das Kalkül des Ökonomen entgegen. Es ist keineswegs eine ausgemachte Sache, daß der Meeresboden Rohstoffe liefern wird. Die dafür notwendige Technologie existiert teilweise erst als Konzept, wie auch aus dem Vortrag von Christian Dornieden von der Unternehmensgruppe Aker Wirth hervorging. [5]

Die Argumentation des sich als "economic geologist" bezeichnenden Hannington ist insofern plausibel, als daß sich kein Investor auf eine nahezu unerprobte Technologie wie die des Meeresbodenbergbaus einlassen wird, wenn für ihn nicht zumindest die Aussicht auf hohe Profite besteht; nur das läßt die Risiken eines solchen Vorhabens akzeptabel erscheinen. Dennoch muß Hanningtons Aussage ergänzt werden. Es gibt einen weiteren Grund, der nicht primär ökonomischen Kriterien folgt, weswegen Bergbau betrieben werden könnte: Aus geostrategischen Erwägungen könnten Regierungen in entsprechende Projekte investieren, da sie sich von Rohstoffimporten unabhängig machen wollen.

Bei Energieträgern ist das sogar gang und gäbe. Die US-Regierung subventioniert den Maisanbau zur Produktion von Biosprit und hat der Förderung von unkonventionellem Gas (durch das sogenannte Fracking) auf heimischem Boden den Weg bereitet. Deutschland hat jahrzehntelang den eigenen Steinkohlebergbau subventioniert, die Kernenergie gefördert und schießt jetzt hohe Summen in die sogenannten erneuerbaren Energien.

Das sind staatliche Maßnahmen, die nicht nur, aber eben auch die Funktion erfüllen, die Importabhängigkeit zu verringern. Deutschland ist ein relativ rohstoffarmes Land, folglich erfordert seine Industrie einen ständigen Zustrom an entsprechenden Materialien zur Verarbeitung. Aufgrund des hohen Importsbedarfs, der schwankenden Weltmarktpreise und einer global veränderten Rohstoffsituation durch Schwellenländer wie China hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) auf Anregung des früheren Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle (FDP) am 4. Oktober 2010 eine Deutsche Rohstoffagentur (DERA) gegründet. Sie versteht sich als "das rohstoffwirtschaftliche Kompetenzzentrum und die zentrale Informations- und Beratungsplattform zu mineralischen und Energierohstoffen für die deutsche Wirtschaft". [6]

Da die Meeresböden eine potentielle Quelle für Rohstoffe bilden, wie sie nicht zuletzt von der deutschen Umweltwirtschaft benötigt werden, haben die Organisatoren des Kieler Workshops mit Dr. Peter Buchholz den Leiter der DERA eingeladen. Daß sein Vortrag "World metal production and future demands" (Weltmetallproduktion und zukünftiger Bedarf) ausgerechnet im institutionellen Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in besonderer Weise mit Finanzmitteln ausgestatteten Exzellenzclusters "Ozeane der Zukunft" gehalten wurde, der sich wiederum intensiv mit der Rohstoffgewinnung befaßt, paßt zur erklärten Absicht der Regierung, die Rohstoffversorgung durch politische Lenkungsmaßnahmen sicherstellen zu wollen.

Meeresbodenprobe mit Manganknollen im Metallkasten - Foto: United States Geological Survey

Manganknollen - frisch eingetroffen
Foto: United States Geological Survey


... manches sollte man als Staatsoberhaupt nicht aussprechen

Die Rohstoffversorgung Deutschlands war spätestens mit dem Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler am 31. Mai 2010 wegen der Kritik an seinen Äußerungen zum Themenkomplex Bundeswehreinsatz und Rohstoffsicherung in die Aufmerksamkeit der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit gerückt. Der höchste Mann im Staat hatte etwas über die Auslandseinsätze der Bundeswehr angedeutet, was eigentlich längst bekannt war, nämlich sinngemäß, daß den deutschen Soldaten im Zweifelsfall auch die Aufgabe zukommt, Handelswege freizuhalten, um den Rohstoffnachschub sicherzustellen, und daß man sich darüber klar sein sollte, daß dabei auch Menschen ihr Leben verlieren könnten.

Köhlers hier zusammengefaßt wiedergegebene Aussagen decken sich mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 18. Mai 2011, die "den strategischen Rahmen für den Auftrag und die Aufgaben der Bundeswehr als Teil der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge" beschreiben. Darin heißt es, daß die "Risiken und Bedrohungen (...) aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen" stammen. Zur Wahrung seiner Sicherheit sei Deutschland bereit, "das gesamte Spektrum nationaler Handlungsinstrumente einzusetzen". Das beinhalte "auch den Einsatz von Streitkräften". [7]

Der Militäreinsatz ist eine nicht auszuschließende Option der Rohstoffsicherung. Doch bevor sie in Anspruch genommen wird, werden offensichtlich ganz andere Maßnahmen ergriffen. Beispielsweise kontrolliert China die Weltproduktion von Seltenen Erden. Diese Elemente kommen nicht selten vor, doch haben die Industriestaaten bislang keinen Wert auf ihren Abbau gelegt, weil er relativ aufwendig und teuer ist. Inzwischen erhalten Seltene Erden einen strategischen Wert, da sie in vielen Schlüsseltechnologien (dazu gehören unter anderem Windräder, Solarzellen, Batterien, Brennstoffzellen, Partikelfilter, Handys, Plasmabildschirme, LEDs) verwendet werden.

China, das bei Seltenen Erden einen Weltmarktanteil von bis zu 97 Prozent hält, hat Exportbeschränkungen verhängt; für manche der insgesamt 17 Elemente dieser Gruppe - Yttrium, Thulium und Terbium - besteht sogar ein Exportverbot. Dagegen wurde von der EU, den USA und Japan vor der Welthandelsorganisation (WTO - World Trade Organization) Klage eingereicht. Die "Financial Times Deutschland" titelte "Amerika im Abwehrkampf" und "Handelskrieg mit China". [8]

Ein Handelskrieg ist zwar noch kein Krieg, aber ausgerechnet China wurde schon einmal von einem europäischen Land militärisch gezwungen, seine Märkte zu öffnen und Handel zuzulassen. Dabei war es vor allem um den Rohstoff Opium gegangen. Der sogenannte Erste Opiumkrieg zwischen dem British Empire und dem Kaiserreich China dauerte von 1839 bis 1842. Er endete mit der Niederlage Chinas. Die einflußreiche britische East India Company war damals der weltweit größte Drogenhändler.

Nicht wenige Analysten vermuten als Motiv hinter den Golfkriegen I und II durch die USA, dem Falklandkrieg zwischen dem United Kingdom und Argentinien, dem gewaltsamen Sturz des libyschen Machthabers Muamar Ghaddafi, dem "nation building" in Afghanistan und anderen militärischen Konflikten Rohstoffinteressen seitens der Interventionisten. Wenngleich solche Mutmaßungen wohl etwas zu kurz greifen, kann umgekehrt nicht ausgeschlossen werden, daß die Sicherung von Rohstoffen und Transportwegen zu der jeweiligen Entscheidung, militärisch vorzugehen, beigetragen haben.

Verschiedene Meeresbewohner am Meeresgrund - Foto: Mountains in the Sea 2004. NOAA Office of Ocean Exploration; Dr. Les Watling, Chief Scientist, University of Maine

Vielfältiges Leben am Balanus Seamount (Unterwasserberg)
Foto: Mountains in the Sea 2004. NOAA Office of Ocean Exploration; Dr. Les Watling, Chief Scientist, University of Maine

Was die Rohstoffe vom Meeresboden betrifft, so scheint eine militärische Option zu ihrer Sicherung gegenwärtig äußerst fern zu liegen. Das gilt offenbar selbst für die Arktis, deren Schnee- und Eisflächen schrumpfen und den Zugang zu Rohstoffen erleichtern. Nachdem russische Wissenschaftler am 2. August 2007 auf dem Meeresgrund am Nordpol in 4261 Metern Tiefe eine russischen Flagge aus Titan aufstellten, wurde das in manchen Medien als Ausdruck einer sich anbahnenden Eskalation gedeutet, die zu militärischen Konsequenzen führen könnte.

Dieser Interpretation der Ereignisse widersprach Harald Brekke vom Norwegian Petroleum Directorate (NPD) in seinem Vortrag "Seabed resources, politics, and maritim limits in the Arctic" (zu deutsch: Meeresbodenressourcen, Politik und maritime Grenzen in der Arktis) entschieden. Er präsentierte eine Fülle von Daten, die ein ganz anderes Bild von der politischen Situation der Arktis zeigten. Demnach sind die territorial umstrittenen Gebiete verschwindend klein, und es besteht eine enge institutionelle Zusammenarbeit zwischen den Anrainerstaaten. Die Arktis könnte man somit als Beispiel für eine politisch stabile Region ansehen und nicht umgekehrt als zukünftiges Schlachtfeld widerstreitender Interessen.

Gleiches gilt auch für die Erforschung maritimer Rohstoffe in der Tiefsee. 1994 wurde im Rahmen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS - United Nations Convention on the Law of the Sea) die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA - International Seabed Authority) gegründet. Die in Kingston, Jamaika, ansässige Einrichtung ist zuständig für jenen Teil des Meeresbodens, der außerhalb der nationalen Jurisdiktion liegt, und hat den Auftrag, die Bodenschätze der Tiefsee als "gemeinsames Erbe der Menschheit" zu verwalten.

Obwohl die Menschheit noch nicht gestorben ist, wird ihr Erbe derzeit schon kräftig verteilt, könnte man etwas flapsig anmerken. Die ISA hat ein rechtliches Rahmenwerk geschaffen und vergibt fleißig Explorationslizenzen für die Tiefsee. Darüber berichtete auf dem Workshop der Legal Counsel (Rechtsberater) Michael Lodge in dem Vortrag "Law of the Sea and licensing of mining activities" (zu deutsch: Seerecht und Lizenzierung von Bergbauaktivitäten).


Futter für die rohstoffhungrige deutsche Wirtschaft

Deutschland zählt seit langem zu den in der Meeresforschung führenden Nationen und hat schon in den siebziger Jahren damit angefangen, das Vorkommen von Manganknollen am Meeresgrund zu erforschen. Dabei wurden von Anfang an auch Umweltaspekte in den Blick genommen, worüber Dr. Gerd Schriever vom BioLab Forschungsinstitut Hohenwestedt unter dem Titel "Past German environmental impact studies on manganeses nodules" (Vergangene deutsche Umweltfolgenstudien zu Manganknollen) referierte.

Der Wissenschaftler hatte an der Seite von Prof. Hjalmar Thiel [9] an einer Reihe von Expeditionen des Projekts DISCOL (Disturbance and recolonization experiment of a manganese nodule area of the southeastern Pacific. Zu deutsch: Störungs- und Rekolonisierungsexperiment in einem Manganknollengebiet des südöstlichen Pazifik) auf dem deutschen Forschungsschiff "Sonne" teilgenommen. Abgesehen von der deutschen Forschung waren an DISCOL auch die japanische Deep Ocean Mining Corp., International Nickel Comp. Ltd. aus Kanada und die US-amerikanische South East Drilling Corp. beteiligt.

Alles in allem hat die Bundesregierung mehr als 100 Mio. Euro für ca. 90 Fahrten "zur Erforschung mineralischer Vorkommen in der Tiefsee und damit zusammenhängender Fragestellungen" ausgegeben. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung vom 28. Februar 2012 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag zu den "Auswirkungen des Tiefseebergbaus auf die maritime Umwelt und Biodiversität" hervor. [10]

Von Anfang an bestand kein Zweifel daran, daß mit der Tiefseeforschung wirtschaftliche Interessen verfolgt werden. So auch für die Untersuchungen, die zwischen 1977 und 1981 im Zentralgraben des Roten Meeres im Rahmen der Projekte MESEDA I und II (MEtalliferous SEDiments Atlantis II) durchgeführt wurden. Saudi-Arabien und der Sudan hatten damals eine gemeinsame Kommission gegründet und dort den mögliche Abbau von metallhaltigen Schlammsedimenten erkunden lassen.

Die Geschichte der Industrialisierung und des Abbaus von Rohstoffen haben allzu oft Beispiele dafür geliefert, daß schädliche Umweltauswirkungen des Bergbaus kurzerhand der Gesellschaft aufgedrückt werden. Meere, Flüsse, Seen, aber auch die Atmosphäre und die Böden wurden und werden noch heute als ungeregeltes Endlager für Abfall und Abgase benutzt. Die globale Erwärmung mit all ihren Klimawandelfolgen, die Zerstörung der Ozonschicht, der Eintrag langlebiger organischer Schadstoffe (POPs - von engl. persistent organic pollutants) fern ihrer industriellen Produktionsstätten, das Wachstum riesiger Müllinseln inmitten der Ozeane sind nur einige der prominenteren Beispiele für vergesellschaftete Umweltverschmutzungen.

So eine Entwicklung soll beim Bergbau am Meeresboden gar nicht erst eintreten. Das ging unmißverständlich aus den Äußerungen der Vertreterinnen und Vertreter von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf dem Treffen in Kiel, das sich zudem ausdrücklich an Studierende aus dem In- und Ausland wandte, hervor. Die Nachfragen und Diskussionsbeiträge aus dem Publikum bestätigten, daß Umweltfragen heute ein enormes Gewicht haben.

Problematisch ist jedoch, daß inzwischen kaum ein Unternehmen darauf verzichtet, sich "umweltverträglich" und "nachhaltig" auf die eigene Fahne zu schreiben. Dabei handelt es sich um Attribute, die durch ihre breite Interpretierbarkeit gekennzeichnet sind. Ob das auch für den zukünftigen Bergbau am Meeresboden gilt? Dazu ein Beispiel: Beim Abbau von marinen Rohstoffen werden Sedimente aufgewirbelt, wodurch Lebensformen geschädigt werden. Wo die Grenze der akzeptierten Zerstörungen festgelegt wird, liegt ganz im Ermessen des Verursachers bzw. der zuständigen Regulierungsbehörde, beispielsweise der ISA. Die wiederum entscheidet unter anderem auf der Grundlage von Forschungen, wie sie von Wissenschaftlern in Projekten unter Beteiligung der Industrie betrieben wurden. Auch die Diskussionen und Ergebnisse von so hochkarätig besetzten internationalen Workshops wie der in Kiel sind Bestandteil eines umfassenden Fachdiskurses, von dem möglicherweise noch zu treffende rechtliche Bestimmungen beeinflußt werden. Der ISA-Rechtsberater Lodge sah sich jedenfalls fachkundigen Nachfragen ausgesetzt und dürfte seine Eindrücke in seine Rechtsberatung einfließen lassen.

Deutschland hatte bei der ISA einen Antrag auf Erforschung eines 75.000 km² großen Claims innerhalb der im Pazifischen Ozean zwischen Mexiko und Hawaii liegenden, 4000 Meter tiefen Clarion-Clipperton-Zone, die reich an Manganknollen ist, gestellt. Weitere 75.000 km² Meeresgebiet mit vergleichbaren Manganvorkommen müssen den Bestimmungen zufolge ungenutzt bleiben. Seit Juli 2006 erkundet die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) dieses durch starke tektonische Verwerfungen geprägte Gebiet hinsichtlich des Abbaus von Rohstoffen. Auch Frankreich, das United Kingdom, Korea, China, Rußland, die USA und eine Reihe weiterer Staaten haben von der ISA Lizenzrechte in diesem mindestens neun Millionen Quadratkilometer großen Manganknollengürtel zwecks Exploration erhalten - mit der Perspektive auf eine zukünftige Exploitation.

Greifarm trägt vom Boden getrennte Koralle davon - Foto: National Oceanic and Atmospheric Administration

Koralle - zur falschen Zeit am falschen Ort
Foto: National Oceanic and Atmospheric Administration


Fazit

Auf dem Einband des Magazins "Future Ocean Research 2011/2012" des Kieler Exzellenzclusters ist ein klauenartiges Greifwerkzeug zu erkennen, das eine Koralle in den Zangengriff nimmt. Das Foto versinnbildlicht treffend, was derzeit in den Weltmeeren seitens der Wissenschaft vorbereitet wird. Ohne die Erforschung würde es keine Ausbeutung geben.

Abgesichert durch ein komplexes Regelwerk zur vermeintlichen ökologischen Verträglichkeit und ökonomischen Gerechtigkeit bringt die Meeresbodenforschung im Prinzip die gleichen Methoden zum Einsatz, wie sie später von der Industrie angewandt werden: Die Koralle wird aus ihrer Lebensverankerung gerissen, um sie der wissenschaftlichen Verwertung zuzuführen. Die für die Wirtschaft interessanten Elemente, die sie aus Manganknollen, Massivsulfiden, Kobaltkrusten und inzwischen sogar aus den Sedimenten des Meeresbodens [4] gewinnen möchte, liegen oft nur in geringer Konzentration vor. Für ihren Abbau müßten gewaltige Mengen Material bewegt werden; die Folgen dürften denen des Bergbaus an Land ähneln, und die sind in der Regel verheerend.

Wenn aber die wissenschaftliche Erkundung schon mit der Störung oder gar Zerstörung eines Lebensraums und seiner Bewohner in eins fällt, bleibt es nicht aus, daß auch seine perspektivisch angepeilte Nutzung in Form von "Rohstoffen" aufs gleiche hinausläuft. Die Wissenschaft verschanzt sich hinter dem Argument, daß sie "nur" das Wissen bereitstellt - was Politik und Gesellschaft daraus machen, ginge sie nichts an und sei nicht mehr ihre Angelegenheit. Das scheint doch eine allzu bequeme Einstellung zu sein angesichts der schwerwiegenden Folgen.

Die Forschung liefert noch auf andere Weise die Voraussetzungen für die fortgesetzte Zerstörung eines Lebensraums. Indem sie Kategorien verwendet wie "genetischer Pool" oder "Art" und feststellt, daß Flächen, von denen die Manganknollen abgeerntet wurden, nach nur wenigen Jahren häufig wieder von Vertretern der ursprünglichen Arten besiedelt werden, liefert sie die Rechtfertigung für die Vernichtung ganzer Lebensgemeinschaften. Denn vor und nach dem Rohstoffabbau sind in einem Fördergebiet die gleichen, aber sicherlich nicht dieselben Lebewesen anzutreffen.

Die Manganknollen, Massivsulfide und Kobaltkrusten mögen vielleicht in mehreren tausend Metern Meerestiefe und damit in Regionen liegen, in denen kein Mensch lebt - die Verarbeitung und der Gebrauch der Rohstoffe dagegen würde innerhalb der von Menschen belebten Sphäre stattfinden. Auf dem Workshop wurde nicht thematisiert, zu welchem Zweck die enormen Mengen an Rohstoffen eigentlich gebraucht werden, für deren Abbau nun sogar der bislang ungenutzte Meeresboden der Tiefsee umgepflügt werden soll, und was es für die Menschen bedeuten könnte, auf dem eingeschlagenen Weg der wachstumsorientierten Produktion immer weiter vorangetrieben zu werden und gar nicht mehr innehalten zu können.

Die Ausbeutung der Rohstoffe vom Meeresboden hat noch gar nicht richtig angefangen, selbst die Erkundung steckt noch in den Anfängen, und doch scheint der Zug schon abgefahren und sein Kurs allenfalls über die eine oder andere Weichenstellung modifizierbar zu sein. Es gibt offenbar niemanden, der bereit ist, die Notbremse zu ziehen.


Angelehnt an die Vorträge, Diskussionen und Interviews des Kieler Workshops wird der Schattenblick einzelne Aspekte (Umwelt, Wirtschaft, Recht) des Bergbaus am Meeresboden in weiteren Beiträgen beleuchten.

Gruppenbild - Foto: © 2013 by Schattenblick

Referentinnen und Referenten
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/rohstoffe-jagd-nach-rohstoffen-vom-meeresboden/7184872-5.html

[2] http://www.fr-online.de/wirtschaft/haftungsfragen-kampf-um-rohstoffe-am-meeresgrund,1472780,7125450.html

[3] http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-9939-2009-05-20.html

[4] http://www.nature.com/ngeo/journal/v4/n8/abs/ngeo1185.html

[5] Der Vortrag trug den Titel "Economic consideration of future marine mining activities and production technology" (Ökonomische Erwägungen zukünftiger mariner Bergbauaktivitäten und der Produktionstechnologie)

[6] http://www.deutsche-rohstoffagentur.de/DERA/DE/Ueber-Uns/ueber-uns_node.html

[7] http://www.bmvg.de/

[8] http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:handelskrieg-mit-china-amerika-im-abwehrkampf/70067601.html

[9] Ein Interview mit Prof. Thiel vom Kieler Workshop finden Sie unter UMWELT, REPORT, INTERVIEW:
INTERVIEW/049: Rohstoff maritim - Sanfter Abbau, Prof. Thiel im Gespräch (SB)

[10] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/087/1708753.pdf

26. März 2013