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BERICHT/103: Hambacher Forst - Kehrwald voran ... (1) (SB)


Im Schatten der Kohlemeiler zur Zerstörung freigegeben

Führung im Hambacher Forst am 14. Juni 2015


Maßnahmen zur Verhinderung des Klimawandels sind in aller Munde, doch wenn es ans Eingemachte geht, beherrschen andere Interessen das Feld. Dies gilt insbesondere für die Seite der Produktion, wie zuletzt der sogenannte Kohlekompromiß gezeigt hat. Anstatt den ursprünglichen Plan zu verwirklichen, besonders klimaschädliche Braunkohlemeiler mit einer CO2-Abgabe zu belegen, hat Wirtschaftsminister Gabriel den Forderungen von Industrie und Gewerkschaft stattgegeben. Dadurch hat sich das ursprüngliche Ziel, das eine CO2-Minderung in Höhe von 22 Mio. Tonnen bis 2020 vorsah, halbiert. In Anbetracht der ohnehin hinter der zugesagten Reduktion von CO2-Emissionen um 40 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 hinterherhinkenden Bundesrepublik handelt es sich um nichts geringeres als die bewußte Inkaufnahme vermeidbarer Schädigungen von Mensch und Natur zugunsten der Rentabilität einer Industrie, deren Gewinne seit jeher durch öffentliche Subventionen und die externalisierten Kosten der durch die Kohleverstromung angerichteten Verluste gestützt werden.

Gabriels angebliches Eintreten für die von Arbeitsplatzverlust bedrohten Kumpel wird zudem durch eine finanzielle Entschädigung der Bergbauindustrie für die Stillegung einiger Kohlekraftwerke mit einem Aufschlag auf die Stromrechnung der Privathaushalte erkauft. Anstelle des ursprünglichen Ziels, die Energiekonzerne durch die Androhung einer Strafabgabe zur Einhaltung der Reduktionsziele zu zwingen, bleibt die zynische Pointe einer Bezichtigungslogik, die stets am individuellen Konsum ansetzt, während die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse weitgehend unbeachtet bleiben. Es ist nicht damit getan, daß der einzelne Mensch weniger Energie verbraucht, den Müll trennt und weniger Fleisch ißt. So lange die kapitalistische Wachstumslogik an oberster Stelle politischer Zielsetzungen steht und die Herstellung lebensnotwendiger Güter nicht am allgemeinen Bedarf orientiert, sondern der Maximierung der Kapitalakkumulation verpflichtet ist, sind individuelle Verhaltensänderungen von nachrangiger Bedeutung.


Hambacher Tagebau und Kohlekraftwerke - Foto: © 2015 by Schattenblick

Aus der Tiefe der Erde den Brand der Welt befeuern
Foto: © 2015 by Schattenblick

Und so wird unverändert ein Viertel der Elektrizität in der Bundesrepublik durch die besonders klimaschädliche, gesundheitsgefährdende und Landschaften wie Ökosysteme zerstörende Braunkohleverstromung gewonnen, was zugleich bedeutet, daß die Braunkohlekraftwerke ein Viertel der hierzulande anfallenden CO2-Emissionen ausstoßen. Dabei ist längst bekannt, daß mindestens 80 Prozent aller fossilen Energieträger weltweit in der Erde bleiben müßten, um auch nur das bereits als Zugeständnis an menschlichen Raubbau zu wertende Ziel zu erreichen, die durchschnittliche Erderwärmung auf zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit bis 2050 zu begrenzen.

Mit über 90 Millionen Tonnen Kohle jährlich ist das Rheinische Braunkohlerevier mit seinen drei Tagebauen Garzweiler, Hambach und Inden und seinen fünf Kohlekraftwerken das Zentrum dieser Form der Stromerzeugung in der Bundesrepublik. Von den größten Maschinen der Welt rund um die Uhr aus der Erde gerissen und mit einer eigens dafür eingerichteten Bahnlogistik an die nahegelegenen Kraftwerke gebracht, steht die Region praktisch im Zeichen eines Brandes, der im schroffen Gegensatz zum erklärten Ziel der Energiewende, des Naturerhaltes und Gesundheitsschutzes steht. Obwohl von einer industriellen Produktion der Superlative geprägt, findet das zwischen Aachen, Köln und Düsseldorf liegende Gebiet in der medialen Berichterstattung über die Probleme des Klimawandels erst in den letzten Jahren überregionale Beachtung.

Das liegt nicht zuletzt an dem entschlossenen Widerstand meist jugendlicher Aktivistinnen und Aktivisten, die sich zur Aufgabe gemacht haben, den Rest des bereits weitgehend vernichteten Hambacher Forstes gegen die immer weiter vorrückenden Rodungsmaschinen und Schaufelradbagger zu verteidigen. Die seit April 2012 stattfindenden Besetzungen des verbliebene Waldes, der von dem seit Tausenden Jahren an dieser Stelle existierenden und mit besonders altem Baumbestand versehenen Hambacher Forst übriggeblieben ist, sind exemplarische Aktionen zivilen Widerstandes. So setzen die Aktivistinnen und Aktivisten das Mittel passiver Verweigerung auch unter dem Risiko, bei der Räumung der besetzten Bäume körperlich zu Schaden zu kommen, konsequent ein.

An Unterstützung durch die lokale Bevölkerung, regionale Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen des Natur- und Klimaschutzes mangelt es zwar nicht, doch sind die Besetzerinnen und Besetzer stets durch die Legalität eines Rechtswesens bedroht, das privatwirtschaftliche Eigentums- und Nutzungsansprüche durchsetzt. Da die Legitimität ihres Widerstands keine rechtsförmige Entsprechung besitzt, während der Gruben- und Kraftwerksbetreiber RWE Power alle staatlichen Gewaltmittel auf seiner Seite hat, sind sie immer wieder repressiven Maßnahmen ausgesetzt, die von der Verhängung von Platzverboten, exorbitanten Geldstrafen bis zur Inhaftierung reichen.


Trägt Gedicht aus Buch vor - Foto: © 2015 by Schattenblick

Michael Zobel
Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Stimme des Waldes hörbar machen

Warum den auf vielleicht 800 Hektar geschätzten Rest dieses einmal 6000 Hektar umfassenden und nach jeder ökologischen Definition schützenswerten Waldes nicht in ein Modellprojekt verwandeln, das als Ausgangspunkt für eine Rekultivierung fungiert und aller Welt vor Augen führt, was man mit Bergbaulandschaften machen kann, wenn man sie nicht verheizt? Michael Zobel, der diesen in Anbetracht der anwachsenden Bedeutung verbliebener Naturreservate alles andere als utopischen Vorschlag macht, weiß, wovon er spricht. Als Naturführer und Waldpädagoge bringt er jung und alt auf Wanderungen durch Wald und Flur in Kontakt mit Organismen und Lebewesen, deren Leben in den betriebswirtschaftlichen Bilanzen neoliberaler Gesellschaftsorganisation bestenfalls als "Naturkapital" oder "Ökosystemdienstleistung" auftaucht.

Daß es sich dabei durchweg um nichtmenschliche Subjekte eigener Art handelt, kommt in der vom Primat ökonomischen Nutzens bestimmten Wahrnehmung dieses Lebens als Rohstoff und Produktionsmittel üblicherweise nicht vor. Sich zu Fuß in die Natur zu begeben und einmal genauer hinzuschauen kann jedoch dazu führen, daß der Mensch entdeckt, wie wenig sich das eigene Lebensinteresse von dem anderer Lebewesen unterscheidet. Dies nicht nur, weil seine Existenz in Stoffwechselprozesse eingebettet ist, ohne die seine Physis nicht lebensfähig wäre, sondern auch im Sinne eines grundsätzlichen Respektes vor alledem, was lange vor der Herausbildung seiner anthropozentrischen Weltsicht existierte und es auch noch in ferner Zukunft tun wird.

Einmal im Monat steht auch eine Führung durch den Hambacher Forst auf dem Programm Michael Zobels. Unter der Überschrift "Wald statt Kohle" finden sich dann Menschen auf einem entlegenen Parkplatz am Rande der ehemaligen A 4 ein, die aus nächster Nähe erleben wollen, was zwischen Kohlefront und Waldverteidigung geschieht. So auch an einem Sonntag im Juni, an dem Zobel seine Führung zum 14. Mal anbietet. Über 40 Interessierte finden sich an dem Treffpunkt ein, der für Ortsfremde gar nicht so einfach zu finden ist, liegt er doch in einem für die konventionelle menschliche Nutzung bereits aufgegebenen Gebiet, das über keine normale Verkehrslogistik mehr verfügt, ja bisweilen hinter irreführenden Straßenmarkierungen verborgen wird.


Barrikade am Hambacher Forst - Foto: © 2015 by Schattenblick

Zutritt nur für Freundinnen und Freunde des Waldes
Foto: © 2015 by Schattenblick

Etwas weiter die Landstraße hinunter endet der ehemalige Autobahnzubringer an einer Verkehrsblockade des Grubenbetreibers RWE, hinter der die Bagger ihre gigantischen Schaufeln ins Erdreich schlagen. Die von Zobel angeführte Gruppe zieht es daher vor, den Wald an einer Blockade zu betreten, die die Besetzerinnen und Besetzer errichtet haben, um den Zutritt von Räumungsgerät und Behördenvertretern zumindest zu behindern. Letztere treten, wie den Besuchern des rund um die Uhr besetzten Barrikade erklärt wird, unter anderem im Namen des Forstamtes Rhein-Erft-Sieg auf. Mit dem Argument der Verkehrssicherungspflicht wurde diese Barrikade bereits zwei Mal mit Unterstützung einer Hundertschaft Polizei geräumt, was die Aktivistinnen und Aktivisten nur dazu anregt, ihre Schutzmaßnahmen noch umfassender zu gestalten.

Benannt ist der Turm nach Rémi Fraisse. Der 21jährige französische Aktivist starb bei einem Protest gegen den Bau eines Staudammes, der zugunsten der Intensivlandwirtschaft in einem ökologisch wertvollen Biotop errichtet werden sollte, durch die Explosivkraft einer von der Polizei abgefeuerten Schockgranate, die zwischen seinen Rucksack und seinen Rücken geriet. Dieses Zeichen der Solidarität dokumentiert auch den internationalen Zusammenhang der radikalökologischen Bewegung, die sich in ganz Europa gegen die zerstörerische Wirkung industrieller und infrastruktureller Großprojekte wie die griechische Goldmine Chalkidiki, den Gold-, Erz- und Silberabbau im rumänischen Rosia Montana, den Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse im italienischen Susatal, eines Großflughafens an der französischen Atlantikküste bei Nantes oder des Bahnhofs Stuttgart S21 richtet.


Bild zum Gedenken an Rémi Fraisse - Foto: © 2015 by Schattenblick

Der Verteidigung des Lebens zum Opfer gefallen
Foto: © 2015 by Schattenblick

Wer den biologisch als Stieleichen-Hainbuchen-Maiglöckchen-Wald klassifizierten Forst nicht zum ersten Mal betritt, dem fällt sofort eine große Veränderung auf. Wo noch vor einem Jahr lauter Autoverkehr dröhnte, sind nun die im Wind raschelnden Blätter der Bäume zu vernehmen. Bis September 2014 verlief der Autoverkehr zwischen Aachen und Köln noch auf der alten A 4, die jedoch der Ausweitung des Hambacher Loches weichen mußte. Zwar wäre diese Straße noch bis 2017 befahrbar gewesen, doch hätte dies den Autofahrern permanent die Naturzerstörung vor Augen geführt, die durch den Braunkohletagebau angerichtet wird. Anstelle dessen verläuft der Verkehr nun über eine neue, 13 Kilometer lange Teilstrecke zwischen Düren und Kerpen, an deren Baukosten von 192 Millionen Euro der Betreiber des Hambacher Tagebaus RWE Power mit 84,5 Millionen beteiligt ist.

Der Vorteil der Einstellung des Verkehrs auf der alten A 4 für den Restwald ist so offensichtlich wie der Nachteil ihrer Verlegung für die Bewohner des nahegelegenen Buir. Diese müssen nun zusätzlich dazu, daß direkt am Ort eine DB-Bahnstrecke und die Kohle transportierende Hambachbahn verläuft, den Lärm ertragen, der von der nunmehr sechsstreifig ausgebauten A 4 ausgeht. Im Wald jedoch weiß man, daß es sich nur um eine befristete Entlastung handelt. Spätestens mit Beginn der Rodungsperiode, die von Oktober bis Februar dauert, wird der Wald vom Kreischen der Rodungsmaschinen erfüllt sein, die unaufhaltsam vorrücken, bis nur noch kleinste, quasi symbolische Restbestände des Hambacher Forstes übrig sein werden.


Waldszenen - Fotos: © 2015 by Schattenblick  Waldszenen - Fotos: © 2015 by Schattenblick  Waldszenen - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Fotos: © 2015 by Schattenblick

Um dies zu verhindern, könnten sogar administrative Interventionen geltend gemacht werden. Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) der EU dient dem Schutz wildlebender Arten und ihrer Lebensräume. Sie ist das zentrale Rechtsinstrument zur Umsetzung der diversen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten der EU zum Schutz der Artenvielfalt eingegangen sind. Da der Hambacher Forst den Naturschutzverbänden zufolge 142 geschützte Tierarten beherbergt, bestände, so Zobel, allemal Handlungsbedarf. Zwar siedle RWE einige besonders schutzwürdige Arten um und stelle zum Beispiel für die Haselmaus Fallen auf. Doch die Lebensräume andernorts sind bereits belegt, zudem könnten weder die Ameisen, die mit einigen beeindruckenden Hügeln als gigantischer Sozialverband in diesem Wald leben, noch andere Tiere wie Rotwild oder Wildschweine dieses Privileg in Anspruch nehmen. Letztere fielen viel mehr Jägern zum Opfer, die die auf immer kleinerem Lebensraum zusammengedrängten Tiere um so leichter abschießen könnten.

Zwar dürfen bei der Auswahl der Schutzgebiete durch die Bundesländer laut FFH-Richtlinie politische oder wirtschaftliche Interessen keine Rolle spielen, sondern ausschließlich Belange des Naturschutzes geltend gemacht werden. Trotz seines biologisch besonders wertvollen Baumbestandes und seiner schutzwürdigen Tierarten wurde der Hambacher Forst in NRW nicht als FFH-Fläche ausgewiesen, was ihn schon vor der Anerkennung als Erhaltungsgebiet vorläufig unter Naturschutz gestellt hätte. Da Verbände und andere Gruppen keine Möglichkeit haben, ein solches Verfahren in Gang zu setzen, obliegt es der jeweiligen Landesregierung, Pflanzen und Tieren Vorrang vor anderen Interessen zu geben. Es bedurfte eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gegen die Bundesrepublik, um die damalige Umweltministerin Merkel 1997 dazu zu zwingen, die FFH-Richtlinie im Bundesnaturschutzgesetz zu verankern. Auch das macht deutlich, daß weder die mehrhundertjährige Eiche noch die winzige Haselmaus eine Stimme haben, die sich Gehör verschaffen kann.


Legal gleich legitim? - Foto: © 2015 by Schattenblick

Im Spannungsfeld zwischen Herrschaft und Widerstand
Foto: © 2015 by Schattenblick

Im Bürgewald, einem Zeugnis historischen Gemeineigentums

Zwar ist der Hambacher Forst frei begehbar, doch befindet er sich im Besitz des Tagebaubetreibers RWE Power. So wurde bereits mehreren Aktivistinnen und Aktivisten das Betreten des Privatwaldes bei Androhung einer Strafe von bis zu 200.000 Euro oder eines entsprechenden Gefängnisaufenthaltes untersagt. Michael Zobel erinnert daran, daß es sich beim Hambacher Forst einst um einen sogenannten Bürgewald handelte. Laut einer Legende, derzufolge ein später zum Heiligen der Katholischen Kirche erklärter Hofmusiker Kaiser Karls namens Arnold den Bewohnern der an den Wald grenzenden Dörfer das Recht erwirkt hätte, dort nach Belieben Brennholz zu sammeln, wurde der Hambacher Forst von bis zu 49 umliegenden Gemeinden genossenschaftlich genutzt. Es handelte sich mithin um eine historische Form der Allmende oder des Gemeineigentums, auf deren sozialökologisch integre Funktion sich heute wieder Wachstumskritiker und Postsozialisten berufen.

Wird hingegen im Namen des Bergrechts Gemeinwohl geltend gemacht, dann wird dies in Form eines privatwirtschaftlichen Eigentumsanspruchs realisiert, dem die Tiere und der Wald ein zu beseitigendes Hindernis sind und der zahlreiche Menschen ausschließt. Einem Energiekonzern das Vorrecht zuzuerkennen, den Braunkohletagebau unter Umsiedlung der Dörfer, die über den unterirdischen Lagerstätten errichtet sind, und zum Nachteil der Natur, die mit dem großflächigen Aufreißen der Erde und dem Abpumpen des Grundwassers über die Grenzen des Tagebaus hinaus zerstört und beschädigt wird, durchzuführen, heißt vor allem, dem Interesse der Aktionäre und anderer von der Kohleverstromung profitierender Menschen entgegenzukommen. So sozialfreundlich der Begriff des Gemeinwohls erscheint, so exklusiv kommt er in der kapitalistischen Eigentümergesellschaft denjenigen zugute, die über die entsprechenden Rechts- und Besitztitel verfügen. Auch das zeigt, daß Energiekämpfe und Kohlewiderstand nicht im luftleeren Raum stattfinden, sondern der Analyse und Kritik kapitalistischer Vergesellschaftung bedürfen, um den Raubbau an der Wurzel zu packen.

(wird fortgesetzt)


Großer Ameisenhügel - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wer schützt das Gemeinwesen der Ameisen?
Foto: © 2015 by Schattenblick


15. Juli 2015


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