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BERICHT/155: Klimaschutz in der Schiffahrt - scheinentsorgt, verschoben und verschleiert ... (SB)



Beim Vortrag, stehend - Foto: © 2019 by Schattenblick

Dr. Stefan Schmolke
Foto: © 2019 by Schattenblick

Als Antwort auf strengere Grenzwerte für Luftschadstoffe wie Schwefel haben Reeder angefangen, sogenannte Scrubber zur Abgasreinigung in die Schiffe einzubauen. Deswegen dürfen diese weiter mit dem billigen, aber besonders schadstoffreichen Schweröl betrieben werden. Mit Scrubbern werden die Schadstoffe aus den Abgasen regelrecht herausgewaschen und entweder mit dem Abwasser direkt ins Meer geleitet oder aber gesammelt und an Land gebracht. Viele Häfen sind allerdings noch nicht dafür ausgelegt, den Sondermüll aufzunehmen und zu entsorgen. An der Scrubber-Technologie wird beispielhaft deutlich, wie unter den vorherrschenden Produktionsweisen die Probleme von einer Ecke in die andere verschoben werden können, solange nicht aus Kostenersparnis die Quelle der Schadstoffentstehung beseitigt wird und zweitens sich der Verursacher vor der Verantwortung für die Schadensfolgen aufgrund der Luftschadstoffe drücken darf.

Mit Luftschadstoffen aus der Schiffahrt hat sich die Naturschutzorganisation NABU Hamburg seit 2014 bereits mehrfach in Form Maritimer Abgasrunden befaßt. In diesem Jahr wurde aus Aktualitätsgründen der Schwerpunkt auf Treibhausgase gelegt, und so trug die Veranstaltung am 4. September den Titel "Klimaschutz in der Schifffahrt - Ein Sektor ab vom Kurs?". Mit dem Abschlußvortrag des Treffens wurde jedoch wieder an die Tradition angeknüpft. Dr. Stefan Schmolke, Leiter des meereschemischen Labors des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Sülldorf stellte die Ergebnisse eines Projekts zur Untersuchung der Schadstoffbelastung im Scrubber-Waschwasser von Nord- und Ostsee vor.

Scrubber sind aufwendig gestaltete Systeme, durch die Abgase von Schiffsmotoren geleitet werden, um die Schadstoffe aus dem Gas herauszuwaschen. Dazu existieren neben trockenen Scrubbersystemen zwei Hauptvarianten, Open-Loop- und Closed-Loop-Naßwäscher. Bei ersterem wird das schadstoffreiche Waschwasser gleich wieder ins Meer geleitet, bei letzterem findet eine Nachbehandlung des Waschwassers, das in Tanks mitgeführt wird, und eine Aufkonzentration der Schadstoffe statt. Bei Closed-Loop-Systemen fließt nur eine geringe Menge Waschwasser ins Meer.

Das BSH hat im Rahmen eines Projekts des Umweltbundesamts (UBA) zwei Open-Loop- und drei Hybrid-Schiffe, bei denen beide Scrubber-Verfahren zur Anwendung kommen, untersucht. Einige der Umweltschadstoffe wie PAK (Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe) oder Schwermetalle Vanadium, Nickel, Kupfer und Zink waren in dem Waschwasser um das 8.000fache stärker angereichert als im umgebenden Meerwasser. In der Ostsee, die viel weniger Austausch mit dem erheblich größeren Wasserkörper des Nordatlantiks hat als die Nordsee, haben auf Meßreihen beruhende Modellrechnungen gezeigt, daß auch nach drei Jahren noch keine Sättigung stattfindet, sondern die Konzentration weiter steigt. Nord- und Ostsee zählen zu den am meisten befahrenen Meeresgewässern der Welt. Das schlägt sich in dem für Schmolke überraschend hohen Wert nieder, daß nach einem Jahr Schiffsbetrieb in der Ostsee von einem Kubikmeter (1000 Liter) Meerwasser bereits zwei Liter mindestens "einmal durch den Scrubber durchgegangen" sind.

"Open-Loop-Anlagen verlagern die Schadstoffbelastung aus dem Abgasstrom, also aus der Atmosphäre, in die Wassersäule und verbrauchen dafür auch noch zusätzliche Energie", konstatierte Schmolke, der sich jedoch zurückhielt, aufgrund seiner Analyseergebnisse irgendwelche Handlungsempfehlungen auszusprechen. Am Ende müsse die Industrie Schlüsse daraus ziehen und sich fragen, ob die Scrubbertechnologie zukunftssicher ist oder ob es sich bestenfalls um eine Übergangstechnologie handelt, meinte er.

Schmolkes Vortrag hat die Bedenken unter anderem des NABU hinsichtlich der Scrubber-Technologie bestätigt. Diese setzt an einem viel zu späten Zeitpunkt der Schadstoffbehebung an, bei der es sich eigentlich um eine bloße Verschiebung handelt. Zum Schutz der Menschen gehört Schweröl in keinen Verbrennungsmotor, denn es werden Schwefeloxide (SOx), Stickstoffoxide (NOx) sowie Ruß und Feinstaub produziert, wie sie aufgrund der gesundheitlichen Risiken und gesellschaftlichen Folgekosten bei landgestützten Verkehrsmitteln in dieser Konzentration verboten wären. Dabei tragen Scrubber nicht nur Schadstoffe ins Wasser ein, sie verstärken auch die Versauerung und Erwärmung der vielbefahrenen Küstengewässer, was wiederum die Meeresökologie beeinflußt.

Vom kommenden Jahr an gilt für die Emissionen der Schiffahrt ein höherer Schwefelgrenzwert. Die Reeder haben längst angefangen, sich darauf einzustellen, indem sie auf die Scrubbertechnologie bauen oder aber den Schiffsbetrieb auf andere Treibstoffe umstellen. Letzteres wäre eine kurzfristige Lösung. Selbstverständlich ist die Industrie nicht davon begeistert, daß sie Umrüstungen vornehmen oder auf schwefelarmen Schiffs- bzw. Marinediesel umsteigen muß. Letzteres erhöht die Kosten pro Tonne Treibstoff schätzungsweise um 150 bis 250 Dollar; möglicherweise werden die Preise sogar noch höher steigen. Die gesamte Branche rechnet mit Mehrkosten in Höhe von 60 Milliarden Dollar, meldet Edison (Handelsblatt). [1]

Diesen finanziellen Verlusten der Reeder stehen allerdings andere, unbezifferbare Verluste der Gesellschaft gegenüber: Allein in Europa sterben jährlich schätzungsweise 50.000 Menschen vorzeitig in Folge der Emissionen aus dem Schiffsverkehr. [2] Besonders Ruß ist gefährlich, können sich doch toxische Schwermetalle an ihn binden und über die Atemwege inkorporiert werden. Atemwegserkrankungen und Erkrankungen des Herzkreislaufsystems sind typische Folgen schadstoffbelasteter Luft. Der Vollständigkeit wegen sollte hier nicht unerwähnt bleiben, daß Straßenverkehr, Hausheizungen, Industrie und auch die Landwirtschaft ebenfalls große Mengen an Luftschadstoffen produzieren.

Beim Einbau von Scrubbern muß aus Sicht der Reeder die gesamtwirtschaftliche Entwicklung berücksichtigt werden. Denn Schweröl ist ein Abfallprodukt von Raffinerien, das für den Schiffsbetrieb aufbereitet wird. Sollte in Zukunft immer weniger Erdöl verbraucht werden, um die klimarelevanten Emissionen zu reduzieren und schließlich auf Null zurückzufahren, wird es kein Schweröl mehr geben. Dadurch könnten Scrubber überflüssig werden. Der Einbau solcher Abgasreinigungsanlagen kostet die Schiffseigner zwischen drei und fünf Millionen Euro pro Schiff und erfordert dessen fast zweimonatige Stillegung in einer Werft während des Umbaus. Open-Loop-Systeme sind zwar kostengünstiger, aber die Gebiete, in denen sie nicht genutzt werden dürfen, nehmen zu, wie das Beispiel China zeigt. [3]

Nach Annex VI des Internationalen Übereinkommens zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL-Konvention) dürfen ab 2020 Schiffsemissionen nur noch einen Schwefelgehalt von maximal 0,5 Prozent aufweisen. Heute liegt der Grenzwert bei 3,5 Prozent. Lediglich in ausgewiesenen Emissionssondergebieten (Emission Control Area - ECA) beträgt der Grenzwert 0,1 Prozent, beispielsweise seit 2015 auch in Nord- und Ostsee. Doch selbst dieser Wert liegt noch immer um den Faktor 100 über dem für den Straßenverkehr zulässigen Höchstwert von 0,001 Prozent Schwefel.

Da stellt sich die Frage, warum für den Schiffsverkehr nicht die gleichen Bestimmungen gelten wie die, die aus gesundheitlichen Gründen für den Straßenverkehr offenbar geboten sind. Die Schadstoffe sind ja nicht deshalb weniger gefährlich, weil sie auf See erzeugt werden. Mit dem Wind werden sie auch aufs Land geweht und tragen zur allgemeinen Schadstoffbelastung der Atemluft bei.

Es drängt sich die Vermutung auf, daß hier ein Verkehrssystem begünstigt wird, weil der Handel auf dem Seeweg, über den immerhin 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs abgewickelt werden, ansonsten einbrechen und/oder sich verteuern würde. Bisher fallen die Transportkosten auf dem Seeweg im Verhältnis zu dem Wert der beförderten Waren kaum ins Gewicht. Das muß nicht so bleiben, wenn die Transportkosten steigen. Würde das weltweite, über den Seeweg abgewickelte Handelsvolumen insgesamt abnehmen, wäre das zwar für eine von Wachstumsnot getriebene, profitorientierte Wirtschaft ein Problem, gleichzeitig jedoch ein großer, wahrscheinlich sogar unverzichtbarer Schritt zur Einhaltung des 2015 beschlossenen internationalen Klimaschutzabkommens von Paris. Und so schließt sich dann doch wieder der Kreis von einem Vortrag zur Scrubber-Technologie zum Hauptthema des NABU-Treffens, dem Klimawandel.


Fußnoten:

[1] https://edison.handelsblatt.com/erleben/strengere-umweltvorschriften-fuer-schiffe-setzen-reeder-unter-druck/23976080.html

[2] https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/verkehr/schifffahrt/16641.html

[3] https://lloydslist.maritimeintelligence.informa.com/LL1127698/China-might-expand-scrubber-restriction-zone


Bisher zur Veranstaltung "Klimaschutz in der Schifffahrt - Ein Sektor ab vom Kurs?" der Naturschutzorganisation NABU Hamburg am 4. September 2019 im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/154: Klimaschutz in der Schiffahrt - Maßnahmen unreflektiert ... (SB)
BERICHT/155: Klimaschutz in der Schiffahrt - scheinentsorgt, verschoben und verschleiert ... (SB)
INTERVIEW/297: Klimaschutz in der Schiffahrt - freier Flug und freie Schrauben ...    Daniel Rieger im Gespräch (SB)
INTERVIEW/298: Klimaschutz in der Schiffahrt - Schranken statt Planken ...    Sönke Diesener im Gespräch (SB)

12. September 2019


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