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BERICHT/156: Klimaschutz in der Schiffahrt - zweifelhafte Alternativen ... (SB)



Beim Podiumsgespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Torsten Mundt (DNV GL) berichtet über alternative Schiffstreibstoffe
Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Schiffahrt steht vor einem gravierenden technologischen Umbruch, muß sie doch die Emissionen sowohl von Luftschadstoffen als auch Treibhausgasen stark verringern. Als Treibstoffalternative zum billigen, aber besonders umweltschädlichen Schweröl erfährt in den letzten zwei, drei Jahren Ammoniak (NH3) einen Hype. [1] Dieses Gas wird aus der Synthese von Stickstoff und Wasserstoff hergestellt; die Verbrennungsgase enthalten Stickstoff (oder Stickoxide) und Wasserstoff (oder Wasser). Steht eine ammoniakgetriebene Schiffahrt ohne Beteiligung von Kohlenstoff bevor? Nicht ganz ...

Was nach einer genialen Lösung der Klimaproblematik aussieht und bei der Ammonaikindustrie und ihren Lobbyorganisationen eine Welle der Begeisterung ausgelöst hat, hat einen Haken: Für die Ammoniaksynthese werden enorme Mengen Energie benötigt. Zwar wurden Fortschritte gegenüber dem vor rund hundert Jahren erfundenen, extrem energieintensiven Haber-Bosch-Verfahren erzielt, aber ganz ohne Energie geht es nicht. Die Industrie stellt seit langem Ammoniak in großem Maßstab her - unter anderem für die Düngemittelproduktion - , allerdings bislang unter Einsatz von fossilen Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und Kohle, die ja eigentlich durch den kohlenstofffreien Treibstoff ersetzt werden sollen.

Die Möglichkeiten und Grenzen von Ammoniak als alternativen Schiffstreibstoff wurden auch auf der Veranstaltung "Klimaschutz in der Schifffahrt - Ein Sektor ab vom Kurs?" der Naturschutzorganisation NABU am 4. September 2019 in Hamburg thematisiert. In seinem Vortrag über alternative Treibstoffe verknüpfte Torsten Mundt von der Klassifizierungsgesellschaft DNV GL die Ammoniakherstellung an die Bedingung, daß dafür erneuerbare Energien eingesetzt werden.

Genau da liegt aber das Problem. Mit erneuerbaren Energien (Wind, Sonne, Gezeiten, Wasser, Geothermie, Biomasse, etc.) will inzwischen jeder Industriezweig und jeder gesellschaftliche Sektor seinen Bedarf decken. Es gibt aber bei weitem nicht die ausreichende Menge an diesen Energiegewinnungsformen. Abgesehen von noch ungeklärten Fragen durch den Zubau erneuerbarer Energieträger - selbst die Atomwirtschaft versucht sich als "nachhaltig" zu verkaufen -, stellt sich die Frage, wieviel Energie benötigt wird, um all die Windräder, Solarkraftwerke, etc. zu produzieren, deren Energie für die Ammoniakherstellung benötigt werden. Zumindest anfangs wären hierfür noch fossile Energien erforderlich, weil ja die kohlenstoffarmen Energiesysteme für die Ammoniaksynthese erst noch gebaut werden müssen.

Zwar existiert schon eine weitläufige Ammoniak-Infrastruktur, aber auch diese müßte weiter ausgebaut werden. Neue Schiffsmotoren, Tanks, Terminals sowie gegebenenfalls Fabrikerweiterungen, Pipelines, Tanklastzüge und so weiter würden den fossilen Energieverbrauch zunächst erhöhen.

Das International Transport Forum, ein Think Tank der OECD , schreibt in einer 2018 veröffentlichten Studie, daß mit der vorhandenen Technologie die Schiffahrt bis 2035 vollständig dekarbonisiert werden kann und daß dabei Ammoniak als Treibstoff eine Schlüsselrolle spielt. [2] Die Industrie geht von zusätzlich 200 Mio. Tonnen Ammoniak pro Jahr aus, wenn dieser Treibstoff das Schweröl in der Schiffahrt ersetzen soll. [3] Die DNV GL hat vor wenigen Tagen ihren Energy Transition Outlook 2019 veröffentlicht. Darin weist sie Ammoniak einen Anteil von 25 Prozent an Schiffstreibstoffen im Jahr 2050 zu. [4]

Wie sich die Schiffahrt in den nächsten Jahren entwickelt, läßt sich heute kaum absehen. Um sich zumindest eine vage Vorstellung davon zu machen, von welchen Dimensionen des zusätzlichen Energiebedarfs für die Transformation des Handels auf dem Seeweg auszugehen ist, eignet sich ein Zitat aus einer nicht speziell auf Ammoniak, aber diesen potentiellen Treibstoff berücksichtigenden Untersuchung zur Dekarbonisierung der europäischen Schiffahrt der Umweltorganisation Transport & Environment:

"Auch wenn ein Technologiemix aus Batterien, flüssigem Wasserstoff und Ammoniak eine optimale Lösung zu sein scheint, sollten die Auswirkungen auf die zukünftige Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in der EU nicht unterschätzt werden. Nicht nur im Bereich der erneuerbaren Energien, sondern auch bei den Stromübertragungsnetzen, den landseitigen Ladestationen, den Wasserstoff/Ammoniak-Produktionsanlagen, neuen Schiffsantriebs- und Energiespeicherkonzepten und der flächendeckenden Bereitstellung neuer Hafenbunkerinfrastrukturen sind sehr hohe Zusatzinvestitionen erforderlich. (...)
Auf dem Pfad des technologischen Mixes, bei dem unter T&E-Annahmen neben dem elektrischen Batterieantrieb auch flüssiger Wasserstoff und flüssiger Ammoniak verwendet wird, würde die Dekarbonisierung der EU-Schiffahrt rund 25 Prozent zusätzlicher Stromerzeugung über das Niveau der EU 2015 hinaus erfordern." [5] (Übersetzung: Schattenblick)

Man würde also zunächst einmal mehr Treibhausgasemissionen produzieren, um sie zu einem späteren Zeitpunkt reduzieren zu können. Soviel Zeit bleibt der Menschheit aber nicht. Das Maximum der CO₂-Emissionen muß spätestens 2030 überschritten sein und anschließend dürfen diese auch nicht allmählich abnehmen, sondern müßten spätestens zwei Jahrzehnte darauf komplett eingestellt sein. Die Menschheit muß eine technologische Vollbremsung vollziehen, um eine globale Erwärmung zu vermeiden, durch die sich ansonsten die Lebensbedingungen für große Teile der Menschheit auf teilweise existentiell bedrohliche Weise verschlechtern würde.

Ammoniak ist bei geringem Druck und -33 Grad Celsius lagerbar, aber nicht in herkömmlichen Tanks, berichtete Mundt, der berichtete, daß er fast keinen Motorenhersteller kenne, der sich nicht mit Ammoniak als Treibstoff befaßt. Doch in technologischer Hinsicht seien noch Fragen offen. Wie Ammoniak brennt, in welchen Motoren und bei welchen Drehzahlen, das werde zur Zeit von der Industrie geklärt.

Ammoniak brennt nicht von selbst, man braucht einen kräftigen Zündstrahl, um es zum Brennen zu bringen. Ergänzend zum Vortrag sei hier erwähnt, daß aufgrund der Verwendung beispielsweise von Schiffsdiesel für den Zündstrahl ein Ammoniakmotor womöglich nicht komplett CO₂- und rußfrei ist. Mundt warf noch eine Reihe weiterer Fragen auf, die zügig analysiert werden sollten, wenn man in diese Technologie einsteigt. Das Verhalten von Stickoxidemissionen aus der Ammoniakverbrennung auf See ist noch unsicher und ebenso die Frage, ob so etwas wie Methanschlupf auftritt. (Damit sind nicht Leckagen gemeint, sondern unter anderem das Entweichen unvollständig verbrannten Gases.)

Im Verhältnis zu Schweröl ist Ammoniak pro Energieeinheit dreimal so schwer und benötigt doppelt so viel Speicherraum. Beides bedeutet, daß die Schiffe in Zukunft mehr Energie für die gleiche Leistung verbrauchen. Ammoniak ist giftig und hat schon zu schweren Unfällen (Verätzungen, Explosionen) geführt. Allerdings bergen auch fossile Treibstoffe vergleichbare Risiken.

Die IMO (International Maritime Organization) hat beschlossen, die CO₂-Emissionen der Schiffahrt bis 2050 mindestens zu halbieren. Das ist zwar vom Standpunkt der Reeder aus sehr ehrgeizig, denn es bedeutet, daß sie ihre Flotten spätestens bis 2030 mit Antrieben ausgerüstet haben müssen, durch die dieses Ziel erreicht wird, aber es genügt dennoch nicht. Würde sich jede andere Branche die gleichen Ziele setzen, wäre das im Klimaübereinkommen von Paris beschlossene Ziel, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten, möglichst um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen zu lassen, verfehlt - mit katastrophalen Folgen beispielsweise für flache Inselstaaten, niedrige Küstengebiete, auf Gletscherwasser angewiesene Weltregionen, von ausgedehnten Dürren bedrohte Klimazonen.

Die Idee, kohlenstoffarme, erneuerbare Energie in Ammoniak zu speichern, klingt nur auf den ersten Blick attraktiv. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich sehr wohl die Fallstricke, die sich in der Vergangenheit bei technologischen Innovationsschüben üblicherweise erst hinterher gezeigt haben. Die prognostizierte globale Klimaentwicklung erfordert unverzögertes Handeln, läßt aber keine Schnellschüsse, die das Ziel verfehlen, zu. Eine Reduktion des globalen Warenverkehrs und Verbrauchs könnte dazu eine vergleichsweise sanfte Alternative sein.


Fußnoten:

[1] https://www.ammoniaenergy.org/ammonia-is-taken-up-by-wide-circulation-media/

[2] https://www.itf-oecd.org/sites/default/files/docs/decarbonising-maritime-transport.pdf

[3] https://www.ammoniaenergy.org/maritime-industry-targets-ammonia-fuel-to-decarbonize-shipping/

[4] https://eto.dnvgl.com/2019

[5] https://www.transportenvironment.org/sites/te/files/publications/2018_11_Roadmap_decarbonising_European_shipping.pdf


Zur Veranstaltung "Klimaschutz in der Schifffahrt - Ein Sektor ab vom Kurs?" der Naturschutzorganisation NABU Hamburg am 4. September 2019 im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/154: Klimaschutz in der Schiffahrt - Maßnahmen unreflektiert ... (SB)
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BERICHT/156: Klimaschutz in der Schiffahrt - zweifelhafte Alternativen ... (SB)
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13. September 2019


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