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INTERVIEW/009: Bagger fressen Erde auf - Proschim streut Sand ins Getriebe (SB)



Gespräch mit Mitgliedern der Bürgerinitiative gegen den geplanten Braunkohletagebau Welzow-Süd II am 28. Oktober 2011 in Proschim

Ähren, Getreidesäcke und Agrarprodukte aus der Region - Foto: © 2011 by Schattenblick

Kein Erntedank mit Vattenfall
Foto: © 2011 by Schattenblick
Der Widerstand gegen den Braunkohletagebau in der Lausitz wächst. Hier, im Osten der Bundesrepublik, unweit der Grenze zu Polen und Tschechien, sollen ganze Dörfer von der Landkarte getilgt und Menschen zwangsumgesiedelt werden, nur damit der Konzern Vattenfall den fossilen Energieträger Braunkohle abbauen und das Bundesland Brandenburg elektrischen Strom exportieren kann. Derzeit läuft ein sogenanntes Planverfahren, bei dem Bürgerinnen und Bürger zunächst acht Wochen Zeit erhielten, aufs Amt zu gehen und sich die dort ausliegenden Pläne, von denen ihr zukünftiges Leben maßgeblich bestimmt wird, anzusehen. Noch bis zum 30. November können Einwände gegen die Erschließung eines neuen Tagebaus bei der Stadt Welzow eingereicht werden. Einen Musterbrief hält die Bürgerinitiative www.lausitzer-braunkohle.de bereit.

Käme der Tagebau Welzow-Süd Teilfeld II, würden 810 Einwohner aus der Ortschaft Proschim, dem Welzower Wohnbezirk V und dem Bahnsdorfer Ortsteil Lindenfeld umgesiedelt. Die Stadt Welzow wäre dann von drei Seiten vom Braunkohletagebau umschlossen, und das Dorf Lieske läge nur noch auf einer bahndammartigen Landbrücke zwischen der Seenkette aus dem Alttagebau auf der einen Seite und dem neuen Aufriß der Landschaft auf der anderen.

Im Jahr 2007 hat Vattenfall, das bereits Tagebau bei Welzow betreibt, einen Antrag auf Erschließung des Teilfelds II gestellt. Die Gemeinsame Landesplanung (GL) von Berlin und Brandenburg steht dem Anliegen positiv gegenüber, sie spricht von der Braunkohleverstromung als "Brückentechnologie". Global gesehen führt eben diese Brücke offensichtlich schnurstracks in die Katastrophe, weil Kohlekraftwerke große Mengen an Treibhausgasen emittieren, so daß sich das Klima aufheizt. Das ganze Ausmaß der enormen ökologischen Schäden in der Region durch den Braunkohleabbau ist der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Die Seen sind sauer, die Kippen nährstoffarm, für Landwirtschaft kaum geeignet, und immer wieder kommt es zu Grundbrüchen, bei denen der Boden absackt oder wegrutscht.

Am 28. Oktober 2011 sprach der Schattenblick mit Vertretern einer Bürgerinitiative der Ortschaft Proschim, die sich gegen die geplante Umsiedlung zur Wehr setzen. Im folgenden geben wir Auszüge eines längeren Gesprächs mit Petra Rösch, Ortsvorsteherin Proschims und Geschäftsführerin der Landwirte GmbH Terpe-Proschim, ihrem Sohn Hagen Rösch, Geschäftsführer der PRENAC GmbH, Henry Mattick, Projektleiter der PRENAC GmbH, und Günter Jurischka, für die CDU-Opposition im Stadtrat von Welzow, wieder. Zur genaueren Einordnung und Bewertung der Aussagen empfehlen wir die Lektüre unseres Berichts über den geplanten Aufschluß des Teilfelds II [www.schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0012.html].


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Schattenblick: Wie sind Sie in die Lage geraten, sich gegen den Abriß Ihrer Häuser und Betriebe zur Wehr setzen zu müssen?

Petra Rösch: Schon zu DDR-Zeiten sollte ein neuer Tagebau Proschim aufgemacht werden. Da waren unser Ortsteil Karlsfeld und einige Häuser von Proschim schon vom BKK Senftenberg [Anm. der SB-Red.: BKK - Braunkohlekombinat] aufgekauft worden, und der Ort war bis auf eine Frau leergezogen. Dann kam die Wende. Anschließend wurden die Häuser wieder an Privatpersonen veräußert oder vermietet. Dadurch sind in unserem Ort Proschim sehr viele Fremde dazugekommen. Einige haben die Häuser gekauft, andere sind als Mieter vom Bergbau dort eingezogen. Deshalb gingen wir davon aus, daß Proschim bleibt. 2006/2007 hat dann Vattenfall den Antrag gestellt, das Teilfeld II in Anspruch zu nehmen.

Hagen Rösch: Das ist doch verrückt: Der Ort stand unter Bedrohung, war schon leergezogen, dann kommt die Wende und 1992/93 wird die Tagebauplanung Proschim eingestellt. In einem abgesiedelten Ort werden von außen fremde Menschen hingesiedelt mit der Perspektive, daß sie dort leben können. Dreizehn Jahre später behauptet die Landesplanung, es sei schon immer klar gewesen, daß Proschim wegkommt! In den letzten 100 Jahren sind in der Lausitz mehr als 30.000 Menschen umgesiedelt worden, 136 Orte verschwanden ganz oder teilweise. Allein für den Tagebau Welzow-Süd wurden 15 Ortschaften abgerissen. Unvorstellbar! Das ist das größte Opfer, das für den Tagebau in Deutschland gebracht werden mußte. Man sieht ihn sogar vom Weltraum aus.

Petra Rösch beim Tischgespräch - Foto: © 2011 by Schattenblick

Petra Rösch
Foto: © 2011 by Schattenblick
SB: Zur Zeit läuft noch das Planverfahren. Sind Sie damit zufrieden?

PR: Nein, von der Landesplanung wäre doch mindestens zu erwarten gewesen, daß sie die Betroffenen, deren Eigentum überplant wird, anschreibt und ihnen mitteilt: "Wir beabsichtigen, über Ihr Eigentum eine Planung zu veröffentlichen. Wenn Sie in diesem Planverfahren jetzt nicht Stellung nehmen, haben Sie die Frist verwirkt." Das wurde nicht getan, dabei betrifft das doch auch viele ältere Menschen. Die lesen im Welzower Amtsblatt höchstens die Seite, wer gestorben ist und wer Geburtstag hat. Wenn aber mal jemand das Amt aufsucht und sich erkundigen will, steht er dann ratlos vor diesem Wälzer.

Henry Mattick: Da sind Leute aufs Amt gegangen und haben gesagt: "Mein Gott, wie sollen wir da durchkommen. Das schaffen wir doch alles gar nicht." Mitnehmen durften sie den Bericht nicht.

PR: Die von der Gegenseite sagen natürlich, es sei ja gar nicht notwendig, nachzuschauen, der Tagebau komme sowieso, dagegen könne man nichts machen. Ich habe den Eindruck, daß da auch noch ein bißchen DDR-Mentalität im Dorf steckt. Die Menschen wurden so viele Jahrzehnte damit belastet, und das wird jetzt ganz schamlos ausgenutzt.

SB: Von wem?

PR: Unter anderem von der Landesplanung. Ich bin mit den Verantwortlichen immer mächtig aneinandergeraten. Beispielsweise am 8. Juni in der Stadtverordnetenversammlung von Welzow. Da wurde der Eindruck erweckt, als ob die Entscheidung für den Tagebau bereits gefallen sei.

SB: Aber wurden nicht schon in den neunziger Jahren die Pläne für das Teilfeld I mit der Option auf Teilfeld II gefaßt?

PR: Es gäbe jetzt kein Planverfahren, wenn der Plan schon entschieden wäre! Der muß erst noch gemacht werden, und diesmal nach europäischem Recht mit einem Umweltbericht nach Brüssel. Aber wenn nicht noch ein großes Wunder passiert, wird sich meiner Einschätzung nach die Landesplanung nach der Abwägungsphase für Vattenfall entscheiden.

SB: Argumentiert nicht Vattenfall damit, daß durch den Tagebau Arbeitsplätze geschaffen werden?

HR: Eigentlich müßte man fragen, wieviele Personen darin noch beschäftigt werden. Zu DDR-Zeiten hatte der Energiesektor 80.000 Mitarbeiter, wofür ganze Stadtteile gebaut wurden. Jetzt sind es noch 7.000, Tendenz von Jahr zu Jahr fallend. Tuomo Hattaka, Vorstandschef von Vattenfall, hat angekündigt, daß gegen Ende des Jahres weitere Stellen abgebaut werden. Das Arbeitsplatz-Argument wird von Vattenfall natürlich sehr oft gebracht, aber wir stellen die Frage andersrum: Was an Industrie und industrieller Ansiedlung hat der Bergbau verhindert? Denn wer siedelt sich in einer Gegend an, wo eine Ortschaft nach der anderen fällt?

PR: Wer nimmt das persönliche Risiko auf sich und steckt seine Wirtschaftskraft in eine Gegend, in der er nicht sicher ist?

HM: Wer siedelt sich auf einer Kippenfläche an mit dem Risiko, daß ihm jederzeit der eigene Betrieb auf unabsehbare Zeit gesperrt wird, weil der Boden nachgibt?

SB: Werden in solchen Fällen keine Schadenersatzzahlungen geleistet?

HM: Doch, die gibt es, aber nicht automatisch. Darüber muß unter Umständen lange gestritten werden. Erst vor kurzem ist ein Campingplatz in der Nähe von Lübbenau gesperrt worden. Zunächst mal bis April nächsten Jahres.

SB: Mußte der Campingplatz wegen Rutschungen des Erdreichs gesperrt werden?

HR: Erstmal nur wegen Verdacht auf Rutschung. Letztes Jahr hat die LMBV [Anm. d. SB-Red.: Lausitzer- und Mitteldeutscher Bergbau-Verwaltungs mbH] nach Rutschungen hier in der Gegend vorsorglich 35.000 Hektar Kippe gesperrt. Mittlerweile sind es immer noch knapp 20.000 Hektar, die "mittelfristig" gesperrt bleiben sollen.

HM: Mittelfristig heißt, für fünf bis zwölf Jahre.

SB: Wird eine so große Fläche einfach so aus der Nutzung herausgenommen?

HR: Ja. Dafür gibt es weitere Beispiele. So muß jetzt ein kleiner Landwirtschaftsbetrieb umsiedeln. Die Leute dürften ihr Grundstück eigentlich gar nicht mehr betreten. Auch die Feuerwehr-Löschmannschaften dürften dort nicht mehr hin. Wenn es dort brennt, dann brennt es ab. Die Folgerisiken des Tagebaus sind unvorstellbar.

Schild: 'Betriebsgelände Vattenfall Europa - Lebensgefahr!' - Foto: © 2011 by Schattenblick

Lebensgefahr durch die Betriebsamkeit
Vattenfalls - wie treffend!
Foto: © 2011 by Schattenblick
Günter Jurischka: An der B 97 von Spreetal nach Hoyerswerda steht ein großes Schild: Höchstgeschwindigkeit 50 Stundenkilometer. Etwas weiter wird die Geschwindigkeit auf 30 heruntergesetzt. Und schließlich: Befahren auf eigene Gefahr! Dabei war die Straße erst vor drei Jahren als Bundesstraße mit vielen Millionen Euro aufgebaut worden.

HR: Außerdem fragen wir uns, wie es sein kann, daß Vattenfall nach altem Recht - sprich: DDR-Recht - ein Abbaurecht hat, obwohl das Unternehmen erst 2003 in der Lausitz aktiv geworden ist, gleichzeitig aber davon befreit wurde, die Altlasten aus dem Altbergbau zu übernehmen. Die trägt nämlich der Steuerzahler seit 1990.

HM: Das Abbaurecht zu 0,0 Euro. Das ist der wichtige Punkt daran.

SB: Vattenfall muß nichts für die Braunkohle bezahlen?

HR: Nein, das Abbaurecht für Null Prozent Förderzins.

PR: Das Unternehmen fördert ohne Förderzins frisch und fröhlich alles raus, und was hier in der Folge passiert, dafür muß es nur sieben Jahre Rekultivierung tragen. In dem Zeitraum ist aber noch nichts Entscheidendes passiert. Dann sagt das Oberbergamt: "Jawohl, die Flächen gehen aus der Bergaufsicht raus, sie können wieder an andere Nutzer vergeben werden."

GJ: Vattenfall zahlt nicht nur keinen Zins für das Heben von Kohle, sondern auch nicht für Wasser, Kiese und Erden. Laut Einigungsvertrag sollte nur Ostdeutschland mit der hier produzierten Energie versorgt werden. Doch was passiert? Dreiviertel der Braunkohleverstromung gehen in den Export. Dafür verbrennen wir unsere Dörfer!

SB: Ich habe gelesen, Sie kritisieren, daß die Braunkohle gar nicht gebraucht wird. Warum nicht?

PR: Wenn man das Teilfeld I für den ursprünglichen, im Braunkohlenplan festgelegten Zweck nutzen und damit nur das Kraftwerk Schwarze Pumpe beliefern würde, dann würde das noch über 30 Jahre reichen. Aber die Braunkohle aus Welzow wandert in das alte, marode Kraftwerk Jänschwalde. Im vergangenen Jahr wurden aus dem Teilfeld I 22 Mio. Tonnen Braunkohle gefördert. Das Kraftwerk Schwarze Pumpe kann maximal elf bis zwölf Millionen Tonnen im Jahr verstromen, alles andere ist woanders hingegangen. Auch wenn es uns als Landwirte wehtut, da wir weitere 500 Hektar verlieren werden, schlagen wir vor, Schwarze Pumpe noch 30 Jahre aus Teilfeld I zu beliefern, danach ist das Kohlekraftwerk Geschichte. In der Zwischenzeit lassen sich Alternativen aufbauen.

SB: Sollte das Teilfeld II aufgeschlossen werden, rückt der Tagebau dicht an einige Ortschaften und Stadtteile heran. Ist für diese Randbetroffenheit eine Entschädigung vorgesehen?

PR: Bis jetzt noch nicht.

HM: Alle, die wohnen bleiben dürfen, haben Glück, sie sind "nur" randbetroffen. Aber denen steht grundsätzlich keine Entschädigung zu, die Landesplanung will das nicht regeln. Das hängt allein vom guten Wille des Bergbautreibenden ab.

Kraftwerk Schwarze Pumpe - Foto: © 2011 by Schattenblick

Weißer Dampf aus schwarzem Brand
Foto: © 2011 by Schattenblick
SB: Ist im Braunkohlenplan nicht die Rede davon, daß Randbetroffenheit berücksichtigt werden müßte?

PR: Ja, "müßte". Die Welzower, die jetzt hierbleiben, müssen darum kämpfen. Auch die Petershainer. Die kämpfen jetzt wie die Löwen. Sie haben die ganze Zeit die Belastung ringsum und keine Randbetroffenheit geregelt. Vattenfall sagt dazu: "Das Welzower Stadtparlament entscheidet über Proschim, wir haben nur eine beratende Stimme. Stimmt der Abbaggerung von Teilfeld II zu, dann kriegt Welzow Randbetroffenheit."

SB: Das Stadtparlament hat doch vor kurzem 9,1 Mio. Euro von Vattenfall abgenickt.

PR: Das ist der Welzow-Vertrag, der von Vattenfall schon im Jahr 2007 über 27 Mio. Euro für die Kommune abgeschlossen wurde. Aus dieser Summe werden jetzt immer wieder Gelder in neue Beschlüsse gefaßt, und in jedem Beschluß ist eine Schweinerei mit untergebracht.

SB: Ja, das ist uns auch aufgefallen. Wir hatten den Eindruck, daß dieser jüngste Vertrag, das sogenannte Akzeptanzpaket, in irgendeiner Form eine Vermischung mit sich bringt, die auch schon Teilfeld II betrifft. Es schien uns nicht ganz klar formuliert, was das genau bedeutet.

PR: Im Akzeptanzpaket wird ein Vorgriff auf den Umsiedlungsvertrag gemacht. Wir haben uns auch gefragt, wie da so etwas reinkommen kann. Der 2007 beschlossene Welzow-Vertrag über diese große Summe steht für sich und sollte keine Anrechnung auf irgendwas anderes sein.

GJ: Proschim wurde nach Welzow zwangseingemeindet, um das Dorf stimmrechtlich niederzuhalten mit der Mehrheit der Parlamentarier in Welzow. Die sind auch nur zusammengekarrt und zusammenfinanziert worden, um den Tagebau durchzusetzen. Anders kann ich es nicht sagen. Und ein "Akzeptanzpaket", da schlägt man doch die Hände über den Kopf zusammen! Um das gleich weiterzuführen, dieses SAP - soziales Anforderungsprofil -, das ist ein dickes Buch, das wurde niemals in irgendwelchen Ausschüssen besprochen. Es hat darüber keine Diskussion gegeben. Es wurde von der Bürgermeisterin, dem Stadtverordnetenvorsteher und zwei Leuten von Vattenfall unterzeichnet, fertig.

SB: Welche Funktion hat dieses SAP?

GJ: Ein soziales Anforderungsprofil für die mögliche Umsiedlung. In diesem Fall nur für den Welzower Wohnbezirk V.

PR: Im Stadtparlament wurde durchgesetzt, daß mit dem Wohnbezirk V vorgezogene Verhandlungen geführt werden, bevor überhaupt eine Entscheidung gefallen ist! Wie gesagt, wir sind ja noch am allerersten Punkt, der Auslegung. Aber wir haben ein großes Problem als Unternehmen, da wir in Teilfeld I jeden Tag mit Vattenfall zu tun haben. Das sind Flächen, die wir noch mindestens bis zum Jahr 2020 bewirtschaften. Da muß immer jemand mit denen "arbeiten". Ich sage Ihnen, das ist ein Spagat, wie er schlimmer nicht sein kann. Und die nutzen das schamlos aus. So schrieb jemand in der "Lausitzer Rundschau", ich würde schon mit Vattenfall über die Umsiedlung für den Firmenverbund verhandeln. Da sagen doch die Leute: "Guck mal, die Rösch verhandelt doch schon mit denen." Eigentlich wollten wir eine Gegendarstellung haben, aber da kommt man ja bei der Zeitung nicht weit.

GJ: Und die große Entschädigung, wie manche meinen, die gibt es auch nicht. Laut SAP bekommt jeder Bürger aus dem Wohnbezirk V in Welzow 1119 Euro pro Quadratmeter. Will man sich aber ein neues Haus aufbauen, braucht man 2000 Euro pro Quadratmeter, sonst wird es ein Hühnerstall.

HR: Zudem muß man ständig Druck machen, sonst erhält man nichts. Dafür kann ich Ihnen zwei Beispiele nennen. Das eine betrifft den Vertrag für das Feuerwehrmuseum aus Alt-Heidemühl, das abgerissen und umgesiedelt, also neu gebaut werden sollte. Jetzt stehen die Feuerwehrautos in einer alten, rostigen Halle in Welzow, dicht an dicht, nicht mehr wie im Museum, und in die Halle regnet es rein. Zweites Beispiel: Umsiedlung der Soldatengräber. Im Zweiten Weltkrieg kam es hier zur Schlacht um Kausche, eine schwere Kesselschlacht, bei der sehr viele Soldaten gefallen sind. Dort liegen noch immer Hunderte von Toten. Der Volksbund hat damals noch mit der Laubag [Anm. d. SB-Red.: Lausitzer Braunkohle AG], heute Vattenfall, ausgehandelt, daß kein Soldat zurückgelassen wird. Es wurden auch einige hundert Soldaten umgebettet. Der Bagger gräbt sich jetzt mitten durch dieses Gebiet, aber seit zwei Jahren finden die keine einzige Leiche mehr. Warum nicht? Weil keiner mehr sucht. Weil Vattenfall sagt, wir haben dafür genug Geld ausgegeben.

SB: Die Bürger müssen also in solchen Dingen immer von sich aus auf Vattenfall zugehen?

HR: Ja, und selbst das geschriebene Wort zählt nicht, wenn nicht einer dahintersteht, der genug Druckmittel hat, das einzufordern.

Hagen Rösch beim Tischgespräch - Foto: © 2011 by Schattenblick

Hagen Rösch
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Wieviele Einwohner Proschims beteiligen sich an den Protesten?

HR: Das ist sehr schwierig zu sagen. Ein Großteil ist unentschlossen. Zudem gibt es viele ältere Menschen, die jahrzehntelang in einem System gelebt haben, in dem jeder, der sich gegen den Bergbau gezeigt hat, abgeholt und verhört wurde. Das sitzt bei ganz vielen Menschen tief und wird meines Erachtens von Vattenfall subtil ausgenutzt. In Bayern würde das vermutlich ganz anders laufen, ich halte die "Streitkultur" dort für ausgeprägter. Außerdem ist von hier ein Großteil der Jugend, die ohnehin meist rebellischer ist, abgewandert. Ein weiterer Teil der Jugend ist bei Vattenfall eingestellt worden.

GJ: Leider gibt es auch in Proschim Leute, die sich nicht entscheiden können. Hier leben urstämmige Bauern als Viertelhüfner, die wollen unbedingt hierbleiben, aber wehren sich nicht aufgrund des erheblichen Druck, der auf sie ausgeübt wird.

SB: Besteht eigentlich ein gemeinsames Interesse zwischen den Alteingesessenen und den Neuzugezogenen? Oder kann man sagen, daß die Neuzugezogenen eher geneigt sind, wieder wegzugehen?

PR: Die Neigung besteht, das sage ich ganz ehrlich, aber es wollen nicht alle von ihnen wieder weg. Zwischen denen, die sich über die Jahre hier angesiedelt haben, und den Alt-Proschimern haben sich auch Freundschaften gebildet. Ich war jemand, der die Neuzugezogenen mit ehrlichem Herzen aufgenommen hat, das ist nun mal meine Art. Ich habe versucht, Kontakt und Freundschaft zu schließen, und wurde teilweise sehr enttäuscht. Man hat uns da Maulwürfe reingesetzt und Leute hierhergebracht, die stellenweise mein persönliches Vertrauen und meine Freundschaft mißbraucht haben. Das ging nicht nur mir so. Die hatten wirklich den Auftrag rauszufinden, wie tickt der, wie tickt der, wo können wir ansetzen bei den Alt-Proschimern, und so weiter.

Vor einigen Jahren wurde ein Verein gegründet, der nennt sich Zukunft Proschim Welzow, in dem sind auch sehr viele Alt-Proschimer Mitglied. Bei der Vereinsgründung hieß es, wir wollen eine Zukunft haben, Proschim soll bleiben. Deshalb war ich auch für den Verein. Vor kurzem hat er jedoch eine Stellungnahme abgegeben, daß man lieber heute als morgen weggehen wolle!

HR: Man muß sich einmal vorstellen, mit welcher Akribie ein Konzern wie Vattenfall vorgeht. Viele Jahre, bevor überhaupt das Teilfeld II Proschim beantragt wird, werden bewußt Bergbauangestellte, bergbaunahe oder bergbautreue Leute in die Häuser, die schon ihnen gehören, reingesiedelt, und in dem Moment, wo der Antrag gestellt wird, Proschim abzufördern, gründen diese Leute, die hier auch wohnen, einen Verein, der dafür sorgt, daß eine Stimmung von unten entsteht wie: Ja, es wäre doch das beste und vernünftigste, wenn wir alle wegziehen. Wenn man sich einmal überlegt, wieviele Jahre vorher das geplant wird! Der Begriff Schläfer ist ja schon anderweitig näher besetzt, aber so kommt es einem vor. Diese Leute werden aktiviert, gründen einen Verein und machen Stimmung.

SB: Haben Sie denn mit den Leuten darüber gesprochen?

PR: In dem Verein sind einige Proschimer, mit denen ich sehr gut auskomme und gut verkehre. Die wollen ein bißchen Normalität und wissen, was läuft. Die entscheidende Dinge werden sowieso nicht im Verein geplant, sondern irgendwo anders. Ein weiteres Problem: Viele sagen, daß sie hierbleiben wollen, aber verweisen auf ihre Enkel. Wissen Sie, auf einmal sind alle Proschimer Jugendlichen mit Lehrstellen bei Vattenfall untergekommen. Da wurde nicht mehr auf das Zeugnis geguckt, alle wurden eingestellt.

HR: Dann sagen die Eltern: "Wir können doch jetzt keine Briefe mit Einwendungen mehr schreiben."

PR: Selbst die Chefsekretärin vom Vattenfall-Vorstandsvorsitzenden müßte einen Brief schreiben dürfen. Aber die alten Leutchen hier, die Eltern und Großeltern, haben alle Angst, daß sie damit ihren Kindern bzw. Enkeln Probleme bereiten. Andererseits wurde mir als Ortsvorsteherin schon häufiger gesagt, wir sollten unseren Widerstand deutlicher machen und mehr Flagge zeigen. Bei Versammlungen haben wir die Transparente auch dabei, aber ich bin der Meinung, wir sollten den Ort nicht mit Baggerschaufeln und großen Plakaten zuhängen. Das macht die Leute nur noch verrückter. Ich kenne viele Proschimer und weiß, die leiden unter der drohenden Umsiedlung wie ein Hund, und wenn die das dann auch noch optisch jeden Tag sehen, wenn sie aus ihrer Tür gehen und "Nieder mit Vattenfall" oder ähnliches sehen, - ich sage Ihnen, die Lebensqualität ist schon eingeschränkt genug. Jeder hat nur ein Leben - was haben die Menschen hier verbrochen, so viel Zeit ihres Lebens einfach dafür opfern zu müssen?

SB: Wo sehen Sie den Unterschied zwischen dem, wie in der DDR die Dörfer devastiert wurden, und dem, was heute in der BRD passiert?

GJ: Der Druck ist größer, die Belastung stärker geworden. Vor der Wende gab es ja Internierungslisten - ich war an dritter Stelle, das hat mir ein Stasimann gezeigt, weil er glaubte, er könne sich an mich ranschleichen. Damals hätten sie uns interniert, hätten wir die Schnauze aufgemacht, heute weiß man nicht so genau, was werden wird. Es hat sich absolut nichts geändert, es ist noch viel, viel schlimmer geworden - aber hinterrücks.

HR: Früher gab es negativen Druck. Es gab die Stasi, es gab die Partei, die Leute wurden abgeholt. Druck erzeugt jedoch Gegendruck, das hat die friedliche Revolution von 1989 ja gezeigt. In einem absoluten System rebellieren die Menschen irgendwann auf. Heute ist der Druck anderer Natur, er ist viel positiver, indem mit harter Währung gezahlt wird. Diese Möglichkeit besaß die DDR nicht. Das beste Beispiel dafür ist für mich das Oberlausitzer Braunkohlerevier, wo die sorbische Minderheit beheimatet ist. Dort baggert Vattenfall bereits ab. Selbst die DDR hat sich nicht an diese Erzhochburg der sorbischen Minderheit, an das slawische Brudervolk, rangetraut. Minderheitenschutz war ganz wichtig in der DDR. Und käuflich waren die zu DDR-Zeiten auch nicht. Alu-Chips - DDR-Mark - waren ja nicht sonderlich attraktiv für die Leute. Heute ist das was ganz anderes. Jetzt wird dort über Akzeptanzpakete viel Geld reingepumpt. Dadurch wird der Widerstand weggekauft, und es werden Abhängigkeiten geschaffen. Das hat sich zu unserem Nachteil gegenüber der DDR-Zeit geändert.

Zweisprachiges Ortsschild Proschim - Foto: © 2011 by Schattenblick

Schutz sorbischer Kultur ...
solange sie nicht im Weg steht Foto: © 2011 by Schattenblick
PR: Damals war ja bei uns in der Schwesternstation von Proschim die Staatssicherheit stationiert. Da ist heute der BUND [Anm. d. SB-Red.: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland] drin. Die Menschen waren ängstlich, und es standen genügend auf der Abschußliste, und es gab trotzdem Widerstand gegen den Bergbau. Das wirkt natürlich nach. Vor allem den älteren Menschen steckt das noch in den Gliedern.

SB: Der BUND hat doch einen Vorschlag gemacht, eine sogenannte Dichtwand, mit der ein Tagebau vor dem Eindringen von Wasser bewahrt werden soll, eng am Teilfeld I entlangzuführen, und Klage gegen die jetzige Streckenführung eingereicht. Was wird an ihr bemängelt?

GJ: Ja, die Dichtwand ist auch so ein Problem, das wir mit der Abteilung GL 6 bei der Gemeinsamen Landesplanung schon oft erörtert haben, aber man will davon nichts hören. Wir sind hier im Elbe-Urstromtal. Das besteht aus Kiesen aus der Gletscherzeit, und natürlich liegen dort unten riesengroße Felsbrocken. Das Landesbergamt fordert, daß die Dichtwand in einer ganz bestimmten Zeit einen bestimmten Baufortschritt machen muß. Man macht Zeitdruck. Unserer Einschätzung nach wird die Eindichtung nicht 110 Meter tief gebaut. Wir haben im Wald gelegen und das überprüft und sind auf 75 Meter gekommen. Da unten liegen Felsbrocken, da kommen die gar nicht durch, dann ist Schluß.

In Lieske stehen die Häuser auf der einen Seite nur 80 Meter vom Alttagebausee entfernt. Auf der anderen Seite des Dorfs kommt dann diese Dichtwand. Das wird nicht lange halten, wenn auf beiden Seiten ein See entsteht! Wer so etwas plant, den sollte man hinter Gitter bringen. Für die rund 200 Leute in Lieske können wir irgendwann nur noch einen Gedächtnisgottesdienst feiern, die saufen ab wie die Ratten, wenn das Wasser da hindurchschießt.

GJ: Auch das Bergamt hat eingesehen, daß die Streckenführung der Dichtwand, wie sie Vattenfall festgelegt hat, falsch ist. Aber das Gerichtsverfahren wird verschleppt, vielleicht, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Im übrigen soll die Dichtwand 500 Millionen Euro kosten! Wie soll sich das dann zu der Inanspruchnahme des Rausschmisses von Proschim und all dem anderen rechnen? Das rechnet sich doch an keiner Stelle mehr! Darüber hinaus hat die Braunkohleschicht hinter Proschim nur noch eine Mächtigkeit von zwei Metern. Sie wollen lediglich aus ökonomischen Gründen ihre vorhandene Technologie aus Teilfeld I rübernehmen für Teilfeld II und damit, so weit es geht, hier reinfahren. Nur deswegen soll Proschim fallen. Hinter Proschim müßte Vattenfall sowieso eine andere Technologie einsetzen, beispielsweise Radlader oder Bandbetrieb, da wird die Fläche zu eng für die große Maschine.

HM: Eine generell andere Technologie ist laut unabhängigem Gutachter der Bergakademie Freiberg dem Konzern nicht zuzumuten, weil es dann eventuell nicht mehr wirtschaftlich wäre.

PR: Wenn sie hier nicht mit den abgeschriebenen Anlagen weiterarbeiten können, brächte es Vattenfall nicht genug Profit.

Blick auf Tagebau Welzow-Süd I - Foto: © 2011 by Schattenblick

Geraubte Landschaft - riesige Gewinne nur auf der Basis noch größerer Verluste
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Wenn das für Vattenfall nicht wirtschaftlich wäre, eine neue Technologie einzusetzen, was ist dann mit den Bewohnern von Proschim, wenn sie umgesiedelt werden und, wie Sie ja befürchten, Ihre Firmen wirtschaftlichen Schaden erleiden oder pleite gehen? Da steht also Wirtschaftlichkeit gegen Wirtschaftlichkeit. Worin der Unterschied liegt, scheint nicht klar zu sein. Wie werden denn Ihre Interessen im Braunkohlenausschuß, der ja verschiedene gesellschaftliche Kräfte repräsentieren soll, vertreten?

GJ: Der Braunkohlenausschuß ist einfach nur ein zusammengewürfeltes Kaffeekränzchen. Da sind Leute drin, die eigentlich mit dem Standort Proschim nichts zu tun haben. Nur die Umweltgruppen wie der BUND und die Grüne Liga haben noch die Möglichkeit, irgendwas gegen den Tagebau zu sagen.

PR: Im Braunkohlenausschuß sitzen Vertreter von dem Oberbergamt, der Gewerkschaft Bergbau, der LMBV, dem Bauernverband. Aber nur wenige wie die Vertreter aus der Kirche und den Umweltverbänden sind gegen den Tagebau. Die Betroffenen selber haben kein Stimmrecht. Die Bürgermeisterin von Welzow hat uns zu vertreten, und ich habe ausnahmsweise Rederecht, weil ich die Ortsvorsteherin eines betroffenen Ortes bin.

SB: Müßte der Bauernverband nicht gegen den Tagebau sein?

PR: Der Vertreter vom Bauernverband war der Ansicht, daß einem Landwirt nichts Besseres passieren kann, als abgekauft zu werden. Als ich das hörte, dachte ich, ich falle unter den Tisch.

HM: Außerdem sagte er: "Man kann doch auch mit der Hälfte wirtschaften."

PR: Auf meine Bitte hin wurde daraufhin eine außerordentliche Vorstandssitzung beim Bauernverband anberaumt. Bei dem Treffen habe ich mit Schrecken festgestellt, wieviele Leute für den Tagebau sind. Ich hatte dann gebeten, daß sich die Mitglieder des Bauernverbands wenigstens neutral verhalten, wenn sie schon nicht für uns kämpfen können. Doch beim nächsten Braunkohlenausschuß ist derselbe Vertreter vom Bauernverband wieder vorgerannt und hat erklärt, seine Stimme habe die Sache.

HR: Man muß sich das mal vorstellen: Unser Interessenvertreter, unser Lobbyistenverband, stimmt gegen uns. Das ist unverzeihlich!

SB: Haben Sie schon mal versucht, Ihr Anliegen auf der nächsthöheren Ebene der Administration, also oberhalb des Braunkohlenausschusses, vorzutragen?

GJ: Ja, versucht haben wir es. Ich habe mich an das brandenburgische Infrastrukturministerium gewandt und sogar beim Landeserntefest in Dissen direkt mit Minister Jörg Vogelsänger gesprochen. Der hat zugesagt, er werde hierherkommen, hat das aber abgesagt. Ich war wohl auch etwas zu laut geworden, aber man muß sich ja darüber aufregen.

PR: Am 27. September war Ministerpräsident Platzeck zu einem Arbeitsbesuch in Welzow. Da ging es um die Braunkohle. Wir als Firmenverbund Proschim hatten ihn schriftlich eingeladen, diesen Tag zu nutzen, sich die Zeit zu nehmen und sich das ganze vor Ort anzusehen. Nach zweimaliger Nachfrage wurde uns mitgeteilt, daß das zeitlich nicht möglich sei. So ähnlich lief es bei Vogelsänger. Der hat sich mit der Welzower Bürgermeisterin getroffen. Hinterher habe ich sie gefragt, wieso ich als Ortsvorsteherin von Proschim nicht eingeladen worden sei. Es war ein Arbeitsbesuch, hat sie mir geantwortet. An dem Treffen hatten der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, der Hauptamtsleiter und Vertreter von Vattenfall teilgenommen. Nur die Ortsvorsteherin von einem der betroffenen Orte nicht!

HR: Ich möchte noch einmal auf die überregionale Politik zu sprechen kommen. Die Großwetterlage spricht ja für uns. Die Energiewende ist beschlossen. Hier auf kommunaler Ebene gibt es nur zu viele Leute, die noch nicht in der Realität angekommen sind. Das gilt im übrigen auch für die Vattenfall-Vertretung in Cottbus. Vattenfall Schweden hingegen plant schon lange den Ausstieg aus der Braunkohle. Die wollen neue Kraftwerke nur mit CCS [Anm. d. SB-Red.: Carbon Capture and Storage -Kohlenstoffverflüssigung und Lagerung] bauen. Das paßt Vattenfall Cottbus natürlich nicht.

SB: Besteht zwischen den verschiedenen Dörfern, die zwangsumgesiedelt werden sollen, Solidarität?

GJ: Wir sind natürlich in der Bürgerinitiative Klinger Runde. Da finden ständig Gespräche über den Tagebau statt. Ansonsten läßt sich ganz allgemein sagen, daß es auch Konkurrenzdenken gibt. Da wird abgewogen: Nehmen sie Proschim, bleibt Schenkendöbern verschont, und so weiter.

Günter Jurischka beim Tischgespräch - Foto: © 2011 by Schattenblick

Günter Jurischka
Foto: © 2011 by Schattenblick
SB: Wie war das denn für Sie, Proschim hat ja irgendwann auch mit zugucken müssen und dürfen gleichzeitig, wie es andere Dörfer erwischt hat. Gab es denn da gerade auch zu DDR-Zeiten, wo es möglicherweise noch viel drängender war, irgendwie Halt zu finden, eine Solidarität Ihrerseits mit anderen Gemeinden?

GJ: Darf ich das mal aus meiner Sicht erörtern. Ich war technischer Leiter in der LPG und bin dann immer nach Buckow gefahren. Da waren meine Onkels, die haben bitterlichst geweint wegen der Abbaggerung, und ich habe mir das eine Stunde mit angehört. Die Bitterlichkeit ging natürlich dann in den Nerv. Durch andere Aufgaben hatte man das innerhalb von kurzer Zeit vergessen. Dann habe ich aber die fürchterliche Inanspruchnahme gesehen, wie das schöne Bauernhaus wegkam. Wir hatten zwar die Stunde mitgeheult und geweint, aber anschießend war es dann nicht mehr so doll. Wir konnten auch nichts anderes machen, wir sind ja ideologisch ganz anders eingeprügelt worden.

SB: Und wundert es Sie unter diesem Gesichtspunkt, daß die Leute heute nicht mit Ihnen weinen?

GJ: Doch, das tun sie. Doch das tun sie.

PR: Nicht alle.

GJ: Nicht alle. Aber die Schrecklichkeit, die haben sie immer noch in den Knochen. Die sind ja völlig verwurzelt. Ich habe Leute in Roitz gekannt, die sind nach Spremberg in einen dieser Fünf- oder Sechsgeschosser gezogen: Die alten Frauen sind mit ihrem Stock noch ein halbes Jahr übern Steg geklappert, und dann waren sie weg. Das ist ja das Problem. Das ist ja nicht nur die soziale Beeinträchtigung, sondern auch die psychische. Die halten das nicht aus, die hatten ihr Leben lang auf einem Bauernhof gelebt. Dann ging es zu Ende.

HR: Die Familie eines Schulfreunds von mir kam auch aus Groß Buckow. Die hatten dort ein Bauernhaus mit Gehöft und haben eine Entschädigung von 1.500 DDR-Mark für alles bekommen. Die haben sich dann in Spremberg im Zehngeschosser zu fünft in einer Dreizimmerwohnung wiedergefunden. Der Einschnitt habe für immer sein ganzes Leben verändert, sagte er mir. Diese Vertreibungsorgien haben vor allem nach 1950 ganz stark zugenommen, das hat die Menschen natürlich auch geprägt.

SB: Es gibt ja auch viele Dinge, die man, wenn es überhaupt Entschädigung gäbe, nicht mit Geld bezahlen kann, oder nicht?

HR: Richtig.

PR: Viele sagen, sie hätte es damals unter ganz schlimmen Bedingungen getroffen, heute würden die Leute wenigstens gut entschädigt. Aber wenn man dann ins Gespräch kommt, dann sagen sie: Heimat kann man nicht bezahlen. Wir als Unternehmen aus der Tier- und Pflanzenproduktion laden seit 1992 unsere ehemaligen Rentner ein. Da kommen Leute, die sind 90 Jahre alt. Zu Anfang waren es über 300, dann 180, 160 und jetzt ist es immer eine konstante Zahl um die 100. Es kommen nicht mehr so viele dazu, und die anderen sterben weg. Aber viele kommen mit Rollstuhl oder ähnlichem und sagen: "Wissen Sie, Frau Rösch, das ist so schön, daß ihr das jetzt so viele Jahre macht. Das ist der einzige Ort, wo wir Alten, die irgendwo auf den Dörfern gelebt haben, uns mal wiedersehen." Die Menschen lechzen richtig danach, irgendwo nochmal diesen und jenen zu treffen, mit dem sie im Nachbarort tanzen waren oder mit dem sie großgeworden sind.

Mir hat mal jemand gesagt, der zweimal umgesiedelt wurde, einmal von Groß Buckow nach Klein Buckow und dann nach Spremberg, seine Eltern seien dort nie angekommen. Sie haben dort alles schön gemacht, ein schönes Haus und so, doch der Vater ist inzwischen tot, und die Mutter ist nie angekommen. Sie wird in diesem Leben auch nicht mehr ankommen.

Es gibt Leute hier, beispielsweise aus dem devastierten Partwitz, die sagen: "Und wer hat uns damals geholfen?" Das war ganz schwierig damals, da hat jeder ziemlich alleine gestanden mit der Devastierung. Dennoch, wir haben auch versucht, ein bißchen zu helfen. Ich weiß noch von einem Treffen, da hatte die Kreisleitung alle eingeladen, und da haben wir Kleinen uns getraut, was Kritisches zu sagen - recht versteckt. Da hat der ganze Saal gegrölt. Da wußten die Leute, die damals devastiert wurden, daß wir ein Stückchen an sie denken und sich wenigstens etwas trauen. Weit haben wir uns nicht vorgetraut.

Plakat mit Fotos von früheren Feierlichkeiten - Foto: © 2011 by Schattenblick

Es gibt Verluste, die man nicht entschädigen kann
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Gibt es hier in Brandenburg eine Partei, von der Sie sich noch am ehesten vertreten fühlen mit Ihren Interessen?

GJ: Die Grünen, aber die haben die Macht nicht.

SB: Und wie ist das mit der Linkspartei? Die ist doch auf Bundesebene gegen die Braunkohleförderung, und auf kommunaler Ebene ist der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic ebenfalls dagegen.

GJ: Neskovic war auch ein paarmal hier bei uns ...

HR: ... ein sehr guter Mann.

GJ: Wir haben beste Verbindungen zu dem Mann. Auch zu dem René Schuster von der Grünen Liga. Aber nicht zur Landesregierung. Da hat uns doch ein Abteilungsleiter einmal erklärt, wir mögen doch eine Austauschfläche am Rand des Tagesbaus in Anspruch nehmen. Eine Ödfläche! Also, deswegen spreche ich immer von der Skrupellosigkeit der Landesregierung. Das ist seit 20 Jahren nicht anders als vor 40 Jahren. Wissen Sie, die gesamte Fläche Proschims wird mit ungefähr 100 Hektar angegeben. Weitere 900 Hektar werden nicht erwähnt, von weiteren 450 Hektar, die sie 2004 uns gemaust und Heidemühl [Anm. d. SB-Red.: das dann devastiert wurde] zugewiesen haben, gar nicht erst zu reden. Jetzt will man uns mit dem Argument, das wir ja zum sorbisch-wendischen Siedlungsgebiet gehören, ausgerechnet auf 10 Hektar zwischen Neupetershain und Welzow internieren.

HR: Übrigens wird die FUGRO Consult Gmbh aus Berlin, die so etwas wie der Haus- und Hofgutachter bei Vattenfall ist, die Beseitigung der Lacomaer Teiche vorgenommen hat und regelmäßig vor Gericht die Interessen Vattenfalls vertritt, von der Landesplanung als Gutachter eingesetzt. Und das vermeintlich unabhängige Gutachten zur Unvermeidbarkeit der Umsiedlung stammt von einem Professor an der Freiberger Universität, wo Vattenfall ein häufiger und sehr gern gesehener Gast ist. Dieser Professor war bis 1999 Angestellter der Laubag, heute Vattenfall. Er hat also eigentlich nur von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen nach Freiberg gewechselt und ist jetzt ihr Mann der Wissenschaft und Gutachter.

PR: Sein Gutachten hat in meinen Augen einen großen Fehler. Das ist nach dem Ampelprinzip aufgebaut, rot, gelb, grün. Rot bedeutet Alarm, grün notwendig. Was da geschrieben stand, war zunächst noch glaubwürdig, doch dann hat der Gutachter auf einmal Faktoren eingeführt, bei der Umwelt oder Mensch mit 1,0, die Braunkohle aber mit 2,0 multipliziert wurde und dadurch einen höheren Stellenwert erlangte.

SB: Wie wurde das begründet?

PR: Weil an der Kohleförderung auch Menschen dranhängen, also Arbeitsplätze, und bei der Umsiedlung seien es eben nur Menschen.

SB: Ist das nicht wieder die Frage mit der Wirtschaftlichkeit? Werden da nicht die wirtschaftlichen Interessen des Konzerns höher bewertet als die wirtschaftlichen Interessen der kleineren Firmen?

PR: Ja, David gegen Goliath, Wirtschaftlichkeit gegen
Wirtschaftlichkeit, Arbeitsplätze gegen Arbeitsplätze.

HM: Das ist auch gar nicht die Kernfrage, die sich die Landesplanung stellt. Das Ziel dieses gesamten Plans ist die Energiesicherheit und die Versorgung des Energiestandorts Schwarze Pumpe. Um dieses Ziel zu erreichen wird geprüft, ob dazu diese Kohle nötig ist. Das ist vorrangig. Alles andere sind Dinge, die das ganze zwar beeinflussen, aber den Tagebau nicht grundsätzlich in Frage stellen. Bloß weil hier auch Wirtschaft ist, bloß weil hier auch Menschen sind und Natur, das ist alles nicht so wichtig.

Henry Mattick beim Tischgespräch - Foto: © 2011 by Schattenblick

Henry Mattick
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Gibt es überhaupt Einflußmöglichkeiten demokratischer Art zu sagen, diesen Gutachter wollen wir nicht haben?

HM: Theoretisch ja.

HR: Wir haben es zumindest hier in unserer Stellungnahme geschrieben: Es bestehen Zweifel an der Unabhängigkeit der mit der Umweltprüfung beauftragten Gutachterfirma FUGRO Consult. Sie ist regelmäßig für den Kohlekonzern Vattenfall tätig und offenbar auch personell mit ihm verflochten.

SB: Sie haben eine Solarfirma aufgebaut. Versuchen Sie mit der Installierung von Solaranlagen einen politischen Gegenentwurf zur Braunkohle zu verbreiten?

HR: Ja, Solaranlagen haben für mich eine der besten und effizientesten Formen der Stromerzeugung. Auf Dachflächen installiert stehen sie in keinerlei Konkurrenz zur Fläche, sie machen keinen Lärm, sie machen keinen Dreck, für sie muß niemand vertrieben werden, sie produzieren kein CO2, sie sind absolut umweltschonend, sie sind sehr sehr effizient. Aber natürlich sinken mit jeder Solaranlage, die ans Netz geht, die Marktanteile der Stromkonzerne, und mit jeder Solaranlage, die ans Netz geht, wird Braunkohle ein bißchen weniger notwendig. Und die 20 Prozent Marktanteil, die die Erneuerbaren mittlerweile haben, haben die großen Konzerne komplett verloren. Die versuchen auf subtilem Weg natürlich alles, um die Erneuerbaren auszubremsen oder am besten zu stoppen.

In bin fest von der Solarenergie überzeugt. Wir wollen auch und gerade hier zeigen, daß Strom auch anders erzeugt werden kann. Wir haben vor zwei Jahren ein Projekt begonnen, den Solarpark Hochkippe Heidemühl. Der soll auf den Kippen gebaut werden, wo der Bagger schon durch ist. Dort sollen die landwirtschaftlich sehr minderwertigen Böden für Solarenergie genutzt werden. Vattenfall läßt nichts unversucht, mit einem beispiellosen Stellvertreterkrieg, in dem alle möglichen Behörden, Ämter und Kommunen vorgeschickt werden, um dieses Projekt zu torpedieren. Weil sie sagen, in unserem Herzen, mitten auf der Kippe, wo wir Kohlen produzieren, kann nicht noch ein anderer Strom mit Sonne machen. Das geht ja gar nicht. Wir hingegen lassen uns das nicht gefallen. Das Projekt Solarpark ist etwas für die Zukunft.

Für mich bedeutet das, daß es sich bei dem, was auf der Homepage von Vattenfall über erneuerbare Energien steht - "making electricity clean" -, nur um ein Lippenbekenntnis handelt. Wenn Vattenfall es ehrlich meinen würde mit "Partner in der Lausitz" würde er nicht alles versuchen, um dieses Projekt zu torpedieren. Das ganze Unternehmenskonzept ist überhaupt nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt, auf gleichrangige Partnerschaft schon gar nicht. Das läßt sich sehr sehr schön an der Stadt Welzow ablesen. Dort werden jetzt eine ganze Menge Bauruinen renoviert. Flächen, die schon zu DDR-Zeiten geschlossen waren, Kneipen und ähnliches, und dann kommt da ein Museum nach dem anderen rein und irgendwelche archäologischen Tempel, die kein Mensch braucht. Das wird alles gebaut, aber das alles ist etwas, was ihnen nicht wehtut, was keine wirtschaftliche Konkurrenz ist, was keine Arbeitsplätze abwerben könnte, was ihnen nicht wirtschaftlich in die Quere kommt. Nur immer irgendetwas, wo ein paar Senioren Ausflug hinmachen oder eine Wandergruppe irgendwelche Baumstämme schnitzt.

SB: Verkauft Vattenfall Ökostrom in dieser Region?

HR: Ja, sie machen in Deutschland ungefähr zwölf Prozent aus Erneuerbaren. Das ist aber fast alles Wasserkraft, weil sie die Kraftwerke an der Saale-Kaskade bekommen mit einem Einigungsvertrag.

SB: Haben Sie nicht auf dem Gebiet des sogenannten Energiewalds mit Vattenfall zusammengearbeitet?

PR: Ja, Vattenfall und die BTU Cottbus [Brandenburgische Technische Universität] haben sich das mit dem Energiewald strikt in den Kopf gesetzt. Nun sind wir Landwirte aber immer auf bestimmte Flächengrößen angewiesen, deshalb haben wir da mitgemacht und gefordert, daß das unsere Bewirtschaftungsfläche bleiben soll, trotz des Energiewalds. Das war der Grund, warum wir zusammengekommen sind. Ich muß sagen, ich halte überhaupt nichts davon. Der Energiewald ist total defizitär, eine reine Versuchsgeschichte. In den ersten Jahren können sie das ganze noch ernten. Es gibt aber keine vernünftige Erntetechnologie. Beispielsweise wenn Sie da einen Hänger für die Hackschnitzel hinterherziehen, oder Traktoren mit Reifen, die einige Jahren über Akazienstümpfe holpern, ist der Verschleiß enorm. Das ist nicht rentabel.

SB: Ist das spezifisch für diese Region? Sind nicht Holzhackschnitzel der große Renner momentan?

PR: Ja, aber aus gestandenen Wäldern, die man durchforstet und dann zum Beispiel Schadholz rausnimmt. Was zu nichts anderem zu verwerten ist, macht man dann eben zu Hackschnitzeln. Aber hier muß es ja nachwachsen und regelmäßig geerntet werden. Darüber bestehen sehr unterschiedliche Meinungen, ich bin kein Freund davon. Aber wie gesagt, wir wollten eigentlich die Sache in der Fläche retten. Es war ein Versuch, und wir haben schon viele Dinge versucht. Solange ich denken kann, wirtschaften wir auf Kippenflächen. Selbst auf Altkippen, die vierzig Jahre bewirtschaftet wurden, haben wir nie eine vernünftige Fruchtziehung machen können. Der Boden ist heterogen durcheinander geschüttet.

SB: Auch nach 40 Jahren hat sich noch keine Bodenstruktur entwickelt?

PR: Nein, selbst nach 40 Jahren nicht. Es gibt Jahre, wo es so trocken ist, so daß wir im ersten Schnitt nicht ein Gramm geerntet haben. Auf den Flächen machen wir nur ganz extensiv Weidewirtschaft. Sie können da 30, 35 Jahre lang auch keine Kuh raufstellen, die wird nicht tragen. Weil dafür einfach der Mineralhaushalt nicht gegeben ist. Es gibt natürlich nasse Zeiten, da wächst da was. Aber sie müssen unheimlich viel Mineralien zubringen. Im Hydro-Topf wächst auch was ...

Es gibt da eine Kippe, da haben wir jahrelang Dung drauf getan, weil wir wirklich wissen wollten, ob man auf einer Kippe was Marktfruchtfähiges, das dann irgendwann ertragssicher ist, anbauen kann. Dieses Jahr ist eigentlich ein Maisjahr, das Wasser hat in diesem Jahr für den Mais gestimmt. Trotzdem haben wir auf dieser Kippenfläche nur 50 Prozent von dem geerntet, was auf gewachsenen Böden mit halbem Aufwand an Mais erzeugt wird.

Plakat 'Wir sind die Lausitz!' - Foto: © 2011 by Schattenblick

Firmenverbund Proschim - regionale Wirtschaft darf Global Player nicht weichen
Foto: © 2011 by Schattenblick

GJ: In der Forstbetriebsgemeinschaft haben wir kürzlich eine Besprechung gehabt. Man hat angeblich schon vor 80 Jahren Waldbau versucht. Aber es ist kein Waldbau irgendwo vorzuzeigen, der gelungen ist. Auf unseren Kippen stehen 40 Jahre alte Bäume, die sind vielleicht vier Meter hoch. Die sind nur Schrott. Da kann man niemals ein Nutzholz daraus machen.

Das Kraftwerk Schwarze Pumpe wurde 1996 errichtet mit einem Wirkungsgrad von 38 Prozent. Nun gehen 50 Prozent des Braunkohlestromes aber wieder raus für Bagger, Bandanlagen, Verpressungen, eben alles, was dazugehört. Wer dagegen heute zu Hause einen Heizkessel aufbaut und der Schornsteinfeger mißt einen Wirkungsgrad von unter 90 Prozent, wird er Sie anzeigen und einen neuen Kessel verlangen. Und die fahren mit so einer miesen Effizienz! Und das im 21. Jahrhundert. Einen solchen Vorschlag zu machen, hier noch Dörfer wegzunehmen, nur um Export zu treiben, mit einem derartigen Wirkungsgrad, das ist unter Gürtellinie, das kann nicht wahr sein, das ist einfach ein Verbrechen.

SB: Sie haben uns jetzt sehr vieles erzählt, das auf eine große Vergeblichkeit hindeutet, weil Sie immer wieder an Grenzen stoßen, weil der Gegner relativ massiv ist. Empfinden Sie das so?

HR: Wir sehen natürlich, wie die Realitäten hier in der Lausitz sind. Wenn man weiter rausgeht, sieht das schon ganz anders aus, da sieht man, wie die Zeichen der Zeit wirklich sind. Es gibt eine repräsentative Umfrage vom RBB [Anm. d. SB-Red.: Radio Berlin Brandenburg] innerhalb von Brandenburg zur Zukunft der Braunkohle: 82 Prozent der Brandenburger haben sich gegen die langfristige Zukunft der Braunkohle ausgesprochen, nur 18 Prozent dafür. Gott sei Dank gibt es in Deutschland eine Gewaltenteilung. Die Judikative ist unabhängig von der Legislative und Exekutive. Wir glauben, daß die Gerichte die Dinge sehr in unserem Sinne entscheiden würden. Ich will damit sagen, die Vergeblichkeit sehen wir so nicht.

SB: Wurde schon mal ein Urteil gefällt, wo jemand erfolgreich gegen den Braunkohletagebau geklagt hat?

HR: Der Ort Kieritzsch in Sachsen, Braunkohletagebau Vereinigtes Schleenhain. Da wurde ebenfalls eine Erweiterung beantragt. Das sächsische Innenministerium hat zugestimmt. Das sächsische Bergamt in Freiberg nicht mehr. Der Ort wäre gar nicht mal abgebaggert worden, sondern der wäre nur wie Welzow von drei Seiten vom Tagebau eingezingelt worden. Dort wurde das Abbaurecht verwehrt, das war am 11. Juli dieses Jahres. Aber auf der anderen Seite muß man sagen, daß über den Klageweg noch nie erfolgreich ein Tagebergbau verhindert worden ist. Allerdings ist noch nie im Vorfeld wie jetzt beim Vereinigtes Schleenhain gestoppt worden. Und es hat noch nie einen Präzedenzfall wie Proschim gegeben: Ein abgesiedelter Ort, wieder neu angesiedelt, und doch soll er weg. Es gab noch nie einen Präzedenzfall mit so großer Landwirtschaft, mit so vielen Ökostromanlagen.

PR: Aber wissen Sie, ich persönlich, ich rede nur für mich, ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ich nicht alles versucht hätte. Und ich möchte, daß es gelingt.

SB: Was sagen die Menschen, die umgesiedelt wurden. Vermissen sie ihre Heimat, gefällt es ihnen am neuen Wohnort?

HR: Die älteren Menschen aus Neu-Heidemühl sind zwei Jahre nach der Umsiedlung befragt worden, wie es ihnen gefällt. Da haben die älteren gesagt, für uns ist das jetzt hier wie in einer spanischen Feriensiedlung: Wir sitzen hier so die ganze Zeit, packen die Koffer nicht richtig aus und wollen eigentlich bald wieder nach Hause, in die richtige Heimat.

PR: Eins steht fest, und das hat sich bei vielen Devastierungen und Umsiedlungen gezeigt, daß es ein ganz anderes Klima des Miteinanders gibt. Es gibt dieses Dorf und dieses dörfliche Miteinander nicht mehr. Außerdem kann das noch so toll umgesiedelt worden sein, da entstehen Neiddiskussionen: Wie ist denn der entschädigt worden, der hat ja kaum sein Haus geputzt gehabt, da hat er für seinen Putz vielleicht mehr gekriegt als ich jetzt, und so weiter. Diese Neiddiskussion ist eine ganz schlimme Sache. Letztlich wird alles zerrissen, und selbst die, die zusammen umsiedeln, kriegen das nicht mehr hin. Das ist einfach nicht mehr so wie früher. Das wird vielleicht eine oder zwei Generationen später wieder anders sein, aber wir reden ja jetzt über die Leute, die es betrifft.

SB: Haben Sie das Gefühl, daß Sie, die da sehr viel engagierter im Widerstand gegen die Devastierung sind als andere, auch beobachtet werden, wie sich die Schlacht entscheidet?

HR: Ja. Das Gefühl haben wir schon.

GJ: Man kriegt natürlich auch nachgesagt, daß man bekloppt ist, daß man nicht alle Latten am Zaun hat. Oder, weil viele im alten Denken verhaftet sind, daß es doch schon immer so war mit der Umsiedlung und nie anders sein wird.

PR: Aber im Ort gehören auch die für mich dazu, mit denen ich eigentlich nie so große Freundschaften geschlossen habe, und ich sage: Guck mal, der Stinkstiefel in meinen Augen, der wird mich vielleicht aus seiner Sicht genauso sehen: Na, die olle Ziege. Aber die gehören einfach dazu. Es gehören nicht nur Freunde und Menschen, die mir so unheimlich angenehm sind, es gehören auch die anderen dazu. Ich kann mir nicht vorstellen, wenn es den anderen Part nicht gäbe. Das wäre eigentlich schade, man muß ja nicht immer auf einer Wellenlänge sein, aber in so einem kleinen Dorf gehören die einfach alle dazu.

Fotowand mit Kinderbildern - Foto: © 2011 by Schattenblick

... von Devastierung bedroht
Foto: © 2011 by Schattenblick

12. November 2011