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INTERVIEW/012: Ozeanversauerung - Eine neue Studie gräbt Klimaskeptikern das Wasser ab, Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Kießling (SB)


Über die Bedeutung der Zeit bei der Meeresversauerung
Eine neue Studie gräbt Klimaskeptikern das Wasser ab

Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Kießling, 06.03.2012

Zwei Dinosaurier-Skelette in der Dino-Halle des Museums - Foto: © 2012 by Schattenblick

Zwei Vertreter der Vergangenheit, die
auch nur indirekt Zeugnis ablegen können.
Das aus Tendaguru in Tansania stammende,
Skelett des Brachiosaurus brancai ist mit
13,27 Metern Länge das größte montierte
Dinosaurierskelett der Welt.
Foto: © 2012 by Schattenblick
Eine internationale Forschergruppe um Bärbel Hönisch von der amerikanischen Columbia-Universität hat unlängst eine Studie veröffentlicht, die sich laut einer Pressemitteilung des Berliner Museums für Naturkunde zur Aufgabe gemacht hatte, die geologische Vergangenheit nach Belegen für eine vergleichbare Klimaentwicklung abzuklopfen. Die Argumente der Klimawandel-Skeptiker konnten sie nicht bestätigen. Für den Eintrag des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2), der derzeit stattfindet, gibt es auch in der bis zu 300 Millionen Jahre zurückliegenden Erdvergangenheit höchst wahrscheinlich kein natürliches Beispiel mit entsprechenden Folgen.

Professor Dr. Wolfgang Kießling, Paläobiologe der Berliner Humboldt Universität und ein Mitautor der Science-Studie "The Geological Record of Ocean Acidification" [Das Geologische Archiv der Ozeanversauerung, Übersetz. SB-Red.] [1] war bereit, sich den zahlreichen Nachfragen des Schattenblick zu diesem brisanten Thema sowie den speziellen Hintergründen der Studie, ihren einzelnen Parametern und möglichen Folgen, die daraus Umwelt, Atmosphäre und Meeresbewohnern erwachsen, sowie gesellschaftlichen Implikationen geduldig zu stellen.


Schattenblick (SB): Herr Professor Kießling, unlängst machten verschiedene Pressemitteilungen und Meldungen in den Nachrichten auf eine neue, kürzlich in dem wissenschaftlichen Forschungsmagazin Science erschienene Studie [1] aufmerksam, an der Sie als Paläoökologe und Experte für evolutionäre Biodiversität maßgeblich beteiligt sind. Das Thema dieser Arbeit, Belege für die Ozeanversauerung in der geologischen Vergangenheit zu finden, um daraus vielleicht Hinweise für die Entwicklung unserer klimatische Zukunft zu ziehen, ist eigentlich schon Grund genug, noch einmal genauer nachzufragen, wie es zu dieser Studie kam und inwieweit sie unser Wissen über Erderwärmung und Meeresversauerung verändern könnte. Wie kam es zu diesem Thema?

Professor Wolfgang Kießling (WK): Um in "Science" veröffentlicht zu werden, muß man schon etwas Besonderes bieten. Nun ist es in letzter Zeit geradezu Mode geworden, das Problem der Ozeanversauerung auch in der erdgeschichtlichen Vergangenheit zu thematisieren. Zum einen, weil das gerade aktuell ist, und weil man eben schon in der Vergangenheit Zerstörungen an Korallenriffen feststellen kann, für die man Ozeanversauerung verantwortlich macht. Das war ein Anlaß, diese Evidenz mal im Einzelnen anzuschauen und zu fragen: Wo in der erdgeschichtlichen Vergangenheit, also bis zu 300 Millionen Jahre zurückgehend, läßt sich tatsächlich feststellen, daß klimatische Verhältnisse wie heute existiert haben, die man beispielsweise für das Aussterben vieler Arten verantwortlich machen kann oder für die Zerstörung von Riffen.

Dabei mußten wir dann feststellen, daß sich bei genauer und gründlicher Analyse im Prinzip nur sehr wenig Übereinstimmung ergibt. Genauer gesagt, und das ist auch der eigentliche Aufhänger unserer Arbeit: Im Laufe von 300 Millionen Jahren haben tatsächlich die Menschen heute den größten Einfluß auf die klimatische Entwicklung des Erdsystems genommen. Also die ganzen Naturereignisse, alle Vulkane, die damals ausgebrochen sind - und das waren ja gigantische Eruptionen, so etwas kennen wir heute gar nicht, all das lag noch eine Größenordnung unter dem, was wir heute an Klimagasen fabrizieren.

Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis, vor allem für jene Geologen, die gerade, wenn es um Klimawandel geht, häufig Argumente anführen, wie "Das ist alles halb so schlimm. Das hatten wir doch alles schon...". "Das sind natürliche Schwankungen". "Früher war die CO2-Konzentration viel, viel höher als heute in der Atmosphäre." Das stimmt zwar. Der CO2-Gehalt war damals teilweise viel höher als heute. Aber durch Modellierung haben wir nun herausgefunden, daß die Höhe des CO2-Gehalts gar nicht das Entscheidende ist, sondern wie schnell die CO2-Konzentration ansteigt, also die Rate der Änderung.

SB: Und die aktuelle Änderungsrate oder Steigungsrate ist erdgeschichtlich einzigartig?

WK: Ja.

SB: Und ausschließlich auf den anthropogenen Einfluß zurückzuführen?

WK: Genau.

Professor Wolfgang Kießling - Foto: © 2012 by Schattenblick

Professor Wolfgang Kießling: 'So funktioniert gute Wissenschaft eben,
daß man seine Meinung auch mal revidiert.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wie sieht das mit anderen Treibhausgasen aus? Sind da nicht noch andere Wege der Freisetzung denkbar, die nicht vom Menschen stammen, aber ebenfalls diesen schnellen Anstieg in der Klimaerwärmung fördern?

WK: Nun, neben CO2 spielt bekanntlich vor allem das Methan eine Rolle, aber das ist ja auch letztlich anthropogen, denn das wird im wesentlichen durch die Viehwirtschaft freigesetzt.

Natürlich ist die Menge an anthropogen erzeugtem CO2, also die besagten 33 Milliarden Tonnen, die jährlich von Menschen in die Atmosphäre gepumpt werden, tatsächlich nur ein geringer Anteil im Vergleich zu den geogenen, also insgesamt durch geologische Prozesse oder durch die gesamte Biosphäre produzierten Mengen an CO2. Aber diese natürlich produzierten Mengen werden im Stoffwechselkreislauf der Pflanzen auch wieder konsumiert. Die Photosynthese der Pflanzen wandelt das in Biomasse um. Es gibt diesen Kreislauf. Das, was letztlich alles durcheinander bringt, sind nur die 33 Milliarden Tonnen, welche die Menschheit dann noch zusätzlich in die Atmosphäre pumpt. Das ist das Entscheidende.

Das ist vielleicht schwer zu verstehen. Auch eine verhältnismäßig kleine Menge kann einen riesen Effekt haben, weil sie nicht von dem natürlichen Kreislauf aufgefangen werden kann.

SB: Das Forschungsvorhaben, wie es in Ihrer Pressemitteilung zusammengefaßt wurde, "Belege oder Evidenzen für die Meeresversauerung in der Vergangenheit aufzuspüren", hört sich eigentlich nicht kompliziert an. Aber so einfach ist der Blick in die Erdgeschichte ja nicht. Wie würden Sie das unseren Lesern mit einfachen Worten erklären, was es im Einzelnen bedeutet, "Spuren für die Versauerung in der Vergangenheit zu finden", was macht man da?

WK: Nun, wenn wir beispielsweise den CO2-Gehalt betrachten, gibt es etwas, das wir "isotopische Proxis" [2] nennen. Wir suchen also nach bestimmten stabilen Isotopen, die werden je nach dem vorherrschenden pH-Wert [3] verschieden in die Organismen eingebaut. Besonders empfindlich dafür ist beispielsweise Bor [ein chemisches Element (B); Anm. d. SB-Redaktion].

Das Verhältnis von leichten zu schweren Borisotopen, die u.a. in Kalkschalen von kalkbildenden Organismen eingebaut werden, variiert mit dem vorherrschenden pH-Wert. Bor ist in Kalk zwar nur in Spuren enthalten, aber es kommt darin vor und man hat heutzutage derart empfindliche Meßgeräte, daß man auch dieses Verhältnis der Borisotope zueinander in geringsten Spuren nachweisen und dann den dazugehörigen pH-Wert rekonstruieren kann. So kann man ziemlich genau feststellen, ob die Umgebung in dieser Zeit eher sauer oder eher basisch war.

Dazu möchte ich noch sagen: Wenn man von Ozeanversauerung spricht, bedeutet das nicht, daß das Meer wirklich sauer ist. Wir sprechen immer noch von einem pH-Wert über 7 und werden wohl in den nächsten 100.000 Jahren nicht unter 7 kommen. Aber eine Änderung dieses pH-Wertes in Richtung "sauer" ist feststellbar und das ist es, was damit ausgedrückt werden soll. Das wird häufig verwechselt, und dann denken die Leute, das Meer ist sauer und alles, was darin ist, löst sich auf wie Kalk in einer Sprudelflasche. Das ist natürlich nicht so.

Aber zurück zu Ihrer Frage. Also, da haben wir zum einen die Isotopen [2], aber dann haben wir natürlich auch die fossilen Kalkschalen selber. Und die sehen wir uns genau an, ob sich darauf irgendwelche Hinweise für die Versauerung zeigen, zum Beispiel daß sie dünner werden.

SB: Und diese beiden Analysemethoden, also die Isotopenverhältnisse des Bors und das Aussehen der Kalkschalen geben dann die wesentlichen Parameter, um die CO2-Konzentration und den pH-Wert des Ozeans in der Erdgeschichte zu bestimmen? Reicht das?

WK: Es gibt noch mehr Möglichkeiten. Man hat zum Beispiel noch eine sehr elegante Methode, den CO2-Gehalt der damaligen Atmosphäre zu rekonstruieren, indem man sich die Spaltöffnungen auf fossilen Blättern ansieht. Die sind teilweise sehr gut erhalten. Wir haben hier im Museum [4] eine Sammlung wunderbarer Exemplare, da kann man das sehr schön sehen.

SB: Bleiben denn diese Spaltöffnungen auch noch bei 300 Millionen Jahren alten Pflanzenversteinerungen erhalten?

Wolf: Ja tatsächlich. Ich hab das persönlich bisher nur an 50 Millionen Jahre alten Pflanzen gesehen - auf Eichenblättern. Es ist wunderbar, wie die gesamte Zellstruktur erhalten bleibt. Also so schlecht ist der Fossilbericht gar nicht. Es läßt sich darin eine relativ einfache Gesetzmäßigkeit erkennen und auswerten: Je dichter die Spaltöffnungen beieinander liegen, um so geringer ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre oder besser umgekehrt: Je höher der CO2-Gehalt, desto geringer ist die Dichte der Spaltöffnungen.

SB: Woher weiß man das?

WK: Das ergibt sich aus dem empirischer Zusammenhang. Spaltöffnungen werden ja von den Pflanzen zur Aufnahme von CO2 gebraucht. Und je weniger CO2 in der Atmosphäre ist, um so mehr Spaltöffnungen werden gebildet, um genug CO2 aufnehmen zu können.

SB: Eine verständliche Anpassungsleistung, um in CO2-armen Zeiten mehr aufnehmen zu können. Aber der umgekehrte Evolutionsprozeß will mir nicht einleuchten.

WK: Nein, es ist keine evolutionäre Anpassung, sondern eine sogenannte Modifikation. Die geht sehr schnell, innerhalb sehr kurzer Zeiträume. Sie können das bereits im Labor herbeiführen. Es ist eine rein ökologische Beziehung. Wenn viel CO2 vorhanden ist, kann sich die Pflanze praktisch den energetischen Aufwand sparen, Spaltöffnungen zu bauen. Diesen Zusammenhang kann man sehr deutlich auch an Proben aus der erdgeschichtlichen Vergangenheit erkennen. Natürlich gibt es dabei auch Probleme, weil die alten Pflanzen teilweise ausgestorben sind und nur indirekt kalibriert werden können. [5]

Was sich deshalb sehr gut eignet sind die Blätter des Ginko. Diese Baumart gibt es schon seit Urzeiten praktisch unverändert.

SB: Dient der Vergleich mit Laborversuchen außer zur Kalibrierung auch zur Validierung [5], also Sicherung der Proxydaten?

WK: Es ist in diesem Fall nicht so wichtig, absolute Zahlenwerte, also die genaue Konzentration an CO2 in dem fraglichen Zeitraum, zu ermitteln. Die Änderungsrate ist dabei entscheidend. Und wenn man nun die Pflanzen durch die Zeit miteinander vergleicht, und dabei beispielsweise eine doppelte Spaltöffnungsdichte feststellt, dann bedeutet das: die CO2 -Konzentration ist in diesem Zeitraum um ungefähr die Hälfte gesunken, oder auch anders herum.

Werkzeuge eines Paläontologen auf einer Probe der Erdgeschichte - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Die Daten werden äußerst mühsam zusammengebaut. Wir haben nur die
Geologie, also einen empirischen Befund oder Modellrechnungen.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Dann sind es nicht unbedingt Daten oder Werte aus dem urzeitlichen Meer, die in Ihre Studie eingegangen sind, sondern Sie ermitteln im wesentlichen indirekt auch aus Schichten mit Pflanzenablagerungen, die nicht unbedingt unter Wasser gewesen sein müssen?

WK: Die Konzentration von atmosphärischem CO2 - und das ist ja unser Problem heutzutage - beeinflußt den CO2-Gehalt im Meerwasser. Je mehr davon in der Atmosphäre vorkommt, desto mehr findet sich auch im Meer. Deswegen gibt es ja dieses Versauerungsproblem. Das ist ja nicht so, daß wir Menschen CO2 ins Meer pumpen, sondern wir geben es an die Atmosphäre ab und so kommt es dann in den Ozean.

SB: Nun, damit erübrigt sich eigentlich unsere Frage, wie man die Versauerung im Meer über derart lange Zeiträume mißt. Das scheint hiernach eine ungeheuere Puzzlearbeit aus unendlich vielen mit detektivischem Spürsinn mühsam ermittelten Anhaltspunkten zusammengetragen zu sein.

WK: Ja, das wird äußerst mühsam zusammengebaut und wenn Sie die Abbildung in der Studie betrachten, in der die auf diese Weise mit Hilfe der ganzen Proxydaten geschätzte CO2-Konzentration eingetragen ist, dann sehen Sie, daß es da natürlich riesige Variationen und Schwankungen gibt. Doch der erste Anhaltspunkt, wie sich der CO2-Gehalt auf ganz langen Zeitskalen verändert haben könnte, stammt nicht aus Meßwerten, sondern aus Modellierungen.

SB: Simulationen sind ja wohl auch die gängigste und mithin einzige Methode, um Aussagen über das Klima oder andere Entwicklungen zu treffen. Arbeiten Sie viel damit?

WK: Ja, man kann eigentlich nur modellieren. Sie haben eben nicht 10.000 Jahre Zeit, um ein Experiment durchzuführen. Sie haben nur die Geologie, also einen empirischen Befund oder Modellrechnungen. Zum Beispiel gibt es Modellierungen darüber, wie viel Kohle zu bestimmten Zeitpunkten in der Vergangenheit produziert wurde. Wurde viel Kohle produziert, müssen auch viele Pflanzen gelebt haben, und das bedeutet, es muß auch viel CO2 da gewesen sein.

Aber entscheidend ist hier, daß durch die Kohleproduktion dem Kreislauf fixierter Kohlenstoff entzogen und nicht mehr in oxidierter Form als CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, sondern als Kohlenstoff versenkt wird. Und diese Kohlenstoffsenke verfeuern wir als fossile Brennstoffe seit etwa 100 Jahren mit den entsprechenden Folgen der Klimaerwärmung.

Aber auch damals, in der sogenannten Karbonzeit oder Steinkohlezeit, hatte das Abscheiden von Kohlenstoff massive Folgen. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre ging drastisch zurück.

SB: Hat sich das, Ihrer Meinung nach, klimatisch ausgewirkt?

WK: Zunächst, vor etwa 300 Millionen Jahren im Oberkarbon, muß es sehr warm gewesen sein, als die Wälder das CO2 fixiert und diese Kohlesümpfe produziert haben. Die Sümpfe wurden eingedickt, das CO2 ging nicht mehr in den Kohlenstoff-Kreislauf zurück. Und was war die Folge? Es gab eine Eiszeit, die sogenannte Permokarbonvereisung. Das paßt eigentlich wunderbar zusammen.

Sie sehen, in der Interpretation solcher Datensammlungen über lange Zeiträume wird man immer sicherer. Schwierig ist es jetzt, in der Vergangenheit auffällige kurze Pulse in der Veränderung aufzuspüren, die sich übertragen lassen, um etwas an der Calciumcarbonat-Übersättigung zu verändern. Und da sind wir eigentlich immer noch dabei.

SB: Um das Gesamtbild aus der Vergangenheit zu vervollständigen oder um an der Entwicklung etwas zu verändern?

Professor Kießling mit einem Exponat seiner Sammlung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Der pH-Wert selber ist den Muscheln relativ schnuppe ...
Foto: © 2012 by Schattenblick
WK: Um die entscheidenden Änderungen auf kurzen Zeitskalen zu erkennen. Sehen Sie, der pH-Wert war meistens viel niedriger, also saurer als heute. Deswegen kann man immer sagen, "Ja, was wollt ihr denn, früher gab es doch auch Ozeanversauerung, das hat niemanden gestört". Und das stimmt sogar. Es gab dennoch tolle Korallenriffe und vieles mehr.

Aber noch einmal: Die Änderungsrate ist das Entscheidende, sowohl für die Sättigung an Calciumcarbonat als auch für das, was Muscheln, Schnecken und ähnliches wirklich anficht. Der pH-Wert selber ist den Muscheln relativ schnuppe, sie brauchen Carbonat, um möglichst dicke Schalen aus Kalk aufzubauen, als Schutz vor ihren Freßfeinden. Und das tun sie eben nur, wenn es ihnen leicht möglich, d.h. wenn das Meerwasser mit Calciumcarbonat übersättigt ist. Im umgekehrten Fall, d.h. wenig verfügbarem Carbonat, könnten sie das zwar auch, doch sie tun es nicht, weil der energetische Aufwand zu hoch wäre und das dann praktisch zu Lasten der Reproduktion ginge. Also auch hier eine Frage des energetischen Aufwands und darum geht es eigentlich immer: Tiere, wie wir ja auch, sind Kompromißmaschinen. Wenn wir in irgendetwas investieren, geht es auf Kosten von etwas anderem. Und das ist bei Tieren genauso. Deswegen reagieren sie auf manche Veränderungen auch so empfindlich.

SB.: Wenn ich das zusammenfassen darf: Die CO2-Konzentration kann also ihrer These nach ruhig immer größer werden. Wenn das langsam genug vonstatten geht, springt praktisch die Evolution, die Anpassung, an, und wenn sie nicht durch irgendetwas anderes gestorben sind, dann leben sie noch heute?

WK: Die natürliche CO2-Entwicklung, dieser langzeitliche CO2-Anstieg, stört keinen einzigen Organismus. Das sind eben diese kurzfristigen Konzentrationserhöhungen, und wenn wir hier jetzt beim aktuellen, anthropogenen (also vom Menschen durch Nutzung fossiler Brennstoffe verursachten) CO2-Anstieg von einem Zeitintervall von 100 Jahren sprechen, dann ist das für uns oder für das Erdsystem extrem kurzfristig.

Graphik: © 2012 by Hönisch, B., et al. - Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Wolfgang Kießling

Die Graphik zeigt die Verdopplung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, von vorindustriellen Konzentrationen etwa 280 µatm bis zur Verdopplung 560 µatm. Die unterschiedlichen Farben zeigen die Simulationskurven in Zeitrahmen auf der geologischen Zeitskala von wenigen Jahren (rot), von 10 Jahren (orange), 100 Jahren (gelb) bis über 10.000 Jahren (blau).
Bei den schnellen, roten Änderungen kommen kaum Stabilisierungseffekte zum Tragen. Bei den langsamen stellen sich die Gleichgewichte neu ein.
Graphik: © 2012 by Hönisch, B., et al. Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Wolfgang Kießling

SB: Nun berührt diese Studie, an der Sie beteiligt sind, durchaus auch gesellschaftlich relevante Bereiche. Wenn diese kalkbildenden Organismen, die man am unteren Ende der Nahrungskette ansiedeln kann, derart empfindlich auf die Meeresversauerung oder letztlich die steigende Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre reagieren, hat dies doch auch immense Auswirkungen auf alle anderen Meereslebewesen. Hätte das letztlich auch Auswirkungen auf die Nahrungsversorgung der Menschheit?

WK: Ja, aber da gibt es noch viel gewichtigere Probleme. Ehe sich die Versauerung in der Form, wie Sie es schildern, über die Nahrungskette auswirkt, sind die Meere schon längst leergefischt. Die Überfischung der Ozeane ist das eigentliche Problem zur Zeit. Das geht bereits so weit, daß wir wirklich jetzt schon bei einigen Tieren und Fischen evolutionäre Folgen sehen - aber damit schweifen wir vom Thema ab.

Doch es gibt ja nicht nur kalkiges Plankton in den Ozeanen, es gibt auch das Organische und die Kieselalgen. Letztere produzieren - wie der Name schon sagt - kein Skelett aus Kalk, sondern aus Kieselsäure, bzw. aus Siliciumdioxid (SiO2). Und die sind daher relativ unbeeinflußt von diesem Versauerungsproblem. Also in der von Plankton ausgehenden Ernährungsspirale spielen andere Faktoren eine Rolle.

Anders bei den Riffen. Die sind am meisten von der Versauerung betroffen und damit haben wir ein Riesenproblem, auch ein Ernährungsproblem, weil die Fische dieser Habitate [6] die Ernährungsgrundlage für die Bevölkerung tropischer Küstenregionen bilden. Also auf dem lokalen und regionalen Maßstab haben wir schon ein Ernährungsproblem mit der Versauerung. Aber nicht auf dieser globalen Ebene, die Sie ansprechen.

Wenn die Riffe verschwinden, haben wir natürlich auch ein Problem mit Küstenschutz. Viele Inseln sind bisher noch vor temporären Meeresspiegelanstiegen oder auch Tsunamis geschützt, weil sie prächtige Korallenriffe vor der Küste haben. Aber wenn dieser lebenswichtige Schutz wegfällt, werden wir öfter Meldungen von kleinen Tsunamis mit verheerenden Folgen haben.

SB: Um noch einen weiteren lebenswichtigen Bereich anzusprechen: Wenn man davon ausgeht, daß das Plankton für die Hälfte der Sauerstofffreisetzung der Atmosphäre zuständig ist, also eine noch wichtigere Sauerstoff-freisetzende Quelle als die tropischen Regenwälder darstellt, könnte eine Versauerung der Meere dann auch Auswirkungen auf die gesamte Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre haben?

WK: Also bis die Sauerstoffkonzentration beeinträchtigt wird, muß noch sehr viel passieren. Man vermutet, daß in der Zeit der bereits erwähnten Steinkohlewälder tatsächlich der Rückgang des Kohlendioxids mit einer Zunahme des Sauerstoffgehalts einherging. Deswegen wurden die Insekten ja in dieser Zeit so riesig. Daß sich diese Riesenlibellen, über die schon mal berichtet wurde, entwickeln konnten, hängt damit zusammen, daß das Sauerstoffangebot so hoch war.

Aber im heutigen Erdsystem läßt sich in absehbarer Zukunft keine entsprechende Beeinflussung des Sauerstoffgehalts erkennen. Da müßten wir schon noch viel, viel mehr verbrennen, also eigentlich im Prinzip alles, was zur Verfügung steht.

SB: Nun läßt sich aus erdgeschichtlichen Daten auch ableiten, daß die Sauerstoffkonzentration nie konstant gewesen ist, wie gemeinhin behauptet, sondern mal stärker und mal geringer war und zwischen 17 bis 23 Prozent geschwankt haben muß.

WK: Ja, aber das ist doch das Entscheidende, diese Änderungen halten sich in engen Grenzen. Die Sauerstoffkonzentration der Atmosphäre stieg in der Karbonzeit sogar bis 30 Prozent, aber nur unter diesen exzeptionellen Bedingungen, und das hat sich ja wieder eingependelt. Es gab im Prinzip überraschend wenig Schwankungen. Also bis wir dahin kommen, daß sich substantiell etwas verändert, vergehen noch ein paar Millionen Jahre.

SB: Was halten Sie von den neueren Funden ihres Forscherkollegen Ulf Riebesehl vom IFM-GEOMAR [7] in Norwegen, der vor wenigen Tagen im Deutschlandfunk mit den Worten zitiert wurde:

"Was wir jetzt in Bergen gesehen haben - und das war für uns völlig überraschend, kein Laborexperiment hat uns in irgendeiner Weise darauf vorbereitet - ist, daß sie [gemeint sind die Kalkalgen, Anm. d. SB-Redaktion] unter Hoch-CO2-Bedingungen praktisch gar nicht mehr vertreten waren. [...] Wenn sich dieses Signal, was wir da gesehen haben, übertragen läßt auf die Bereiche des Ozeans, wo die Kalkalgen vorkommen, dann hieße das, es geht uns Ballast verloren, der ganz wichtig ist, um den Tiefenexport von Kohlenstoff im Ozean zu gewährleisten. Wir würden also weniger Kohlenstoff im tiefen Ozean ablagern, das hieße als Rückwirkung aufs Klima, es bliebe mehr CO2 in der Atmosphäre."[7]

Bedeutet das, daß gewissermaßen ein Teil der aufgelösten Kalkalgen, also das CO2 aus den Skeletten, ebenfalls an die Atmosphäre abgegeben wird, also auf diese Weise eine weitere Quelle für das Treibhausgas entstanden ist?

Bildliche Darstellung der Wege des Kohlenstoffdioxids (CO2) in Meer und Atmosphäre - Graphik: © 2012 by Hönisch, B., et al. Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Wolfgang Kießling

Wege des Kohlenstoffdioxids (CO2) in Meer und Atmosphäre
Graphik: © 2012 by Hönisch, B., et al. Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Wolfgang Kießling

WK: Nein, das ist falsch verstanden. Das machen sich viele Leute natürlich nicht bewußt. Aber wenn man sich die Reaktionsgleichung für die Bildung von Kalk (Calciumcarbonat) anschaut, reagieren ein Calciumion (Ca2+) und zwei Hydrogencarbonationen (HCO3(2-)) zu Calciumcarbonat (CaCO3), Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O). D.h. also, bei Korallen beispielsweise wird während des Riffbildungsprozesses erstmal auf kurzen Zeitskalen betrachtet CO2 freigesetzt.

Auf langen Zeitskalen betrachtet, wird natürlich auch ein CO2 dem System entzogen. Deswegen sind diese Beziehungen so ungeheuer komplex und so schwer zu durchschauen. Eigentlich müssen sich die Experten immer wieder selbst mit Computermodellen helfen. Ja, da kann man nicht so intuitiv sagen, die Kalkalge macht dies und dann passiert das...

Ulf Riebesehl macht sehr gute Arbeit, aber es gibt auch andere Gruppen, die sich mit Kalkalgen beschäftigen. Die behaupten wiederum, daß beispielsweise die kleinen Coccolithen [sehr kleine Kalkalgen bzw. Kalkflagellaten, Anm. d. SB-Redaktion] unter höheren CO2-Konzentrationen der Umgebung wesentlich mehr Kalk ausscheiden. Also ein paar Kalkalgen-Arten machen das tatsächlich. Und da gibt es richtiggehend verfeindete wissenschaftliche Lager, die die eine oder andere These vertreten.

SB: Also sterben bestimmte Arten unter erhöhtem CO2-Angebot bzw. Ozeanversauerung gar nicht ab, sondern vermehren sich, aber - das scheint mir reichlich verwirrend - es gibt eine Grenze der Sättigung des Meerwassers mit CO2 bzw. HCO3, bei der die Algen dann doch absterben und ausfallen, so daß man ihre Skelette im Sediment findet?

WK.: Also nein, die findet man immer als Sediment. Das ist so ein häufiges Mißverständnis. Denn wenn Sie viele Fossilien im Sediment finden, ob das jetzt Mikrofossilien oder große sind, dann ist das ein Hinweis darauf, daß es dem Leben richtig gut ging. Man hat immer früher gedacht, und manche denken das immer noch, wenn man viele Fossilien findet, dann sind die alle gestorben, weil es eine Katastrophe gab, einen Meteoriteneinschlag oder so etwas ähnliches. Das ist aber nicht der Fall, sondern - es ist ja ein ständiges Leben und Sterben - und je mehr lebt, weil es dem Leben gut geht, desto mehr muß auch irgendwann sterben, ganz klar. Und das finden wir dann irgendwann als Fossil. Das, was zu einer bestimmten Zeit gelebt hat, ist ja so wenig, so verschwindend gering, gegenüber dem, was, wenn es die Chance hat, über Generationen hinweg lebt. Ja, und wenn es dem Leben richtig gut geht, dann find' ich eben viel. Das ist dann nicht auf einen Meteoriteneinschlag zurückzuführen...

SB: Nun hieß es in dem Zitat von Ulf Riebesehl, bei den aktuellen Messungen in Bergen (Norwegen) habe man unter Hoch-CO2 Bedingungen überhaupt keine Kalkalgen gefunden.

WK: Ja, das ist natürlich denkbar.

SB: Wäre das praktisch nach Ihren Ausführungen ein einschlägiger Beweis dafür, daß es den Kalkalgen unter den Bedingungen in der heutigen Zeit schlecht geht?

WK: Ja, denen geht es natürlich schlecht, das ist logisch. Auch wenn diese Kalkalgen nur einen kleinen, wenn auch sehr wichtigen Teil der ozeanischen Produktion ausmachen, ist das natürlich schlecht.

SB: Deckt sich diese aktuell, beobachtbare Entwicklung mit Ihren eigenen historischen Erkenntnissen über die Wirkung schneller Änderungsraten und ihre vehementen Auswirkungen für die Umwelt?

WK.: Ja, natürlich. Das, was heute im Meer passiert, haben wir nie zuvor gehabt. Ich hab ja gerade diesen Meteoriteneinschlag am Ende der Kreidezeit erwähnt. Das ist die Zeit, in der die Kalkalgen am meisten gelitten haben. Damals war, so vermuten wir zumindest, der Grund aber nicht die Ozeanversauerung, sondern eben dieser Einschlag, der zur Verdunklung der Erde, zur Einstellung der Photosynthese und was dazugehört, geführt hat. Was wir heute haben, ist exzeptionell. Diese Raten der Veränderung gab es noch nie zuvor. Das unterstützt unsere Ergebnisse voll und ganz.

Schwierige Fragen werden mit dem Original belegt. - Foto: © 2012 by Schattenblick

Schwierige Fragen werden mit dem Original belegt.
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: In Ihrer Pressemitteilung wenden Sie sich explizit gegen die Klimaskeptiker, die behaupten, es wäre alles halb so schlimm und früher auch schon da gewesen. Haben Sie und Ihre Kollegen die Studie möglicherweise schon mit Blick auf diese Argumente konzipiert, um Gegenbeweise in der Vergangenheit zu sammeln?

WK: Nein. Das heißt, man hat sie natürlich im Blick. Die Argumente lassen sich nicht ignorieren. Man wird immer wieder damit konfrontiert. Doch was mich persönlich betrifft, hatte ich vorher eine Studie gemacht, um zu beurteilen, ob die Riffkrisen der Vergangenheit, also der Untergang von Korallenriffen, schon auf Ozeanversauerung zurückzuführen sind. Ich war mir relativ sicher, daß es ein paar Ereignisse geben, in denen dies der Fall ist.

Aus diesem Grund bin ich in diese Studie aufgenommen worden und meine Intention war eigentlich zu zeigen, daß es entsprechende Entwicklungen bereits unter nicht-anthropogenen Bedingungen gegeben hat. Das hätte die Argumente der Gegenseite gestützt. Ehe ich in diese Studien-Gruppe kam, habe ich auch nur schön meine Steinchen studiert und war der Ansicht: 'Was wollt ihr denn? Früher war es doch noch sehr viel wärmer, und der CO2-Gehalt war ebenfalls viel höher als heute. Es gab Bodenorganismen, die sogar unter dem fünffachem CO2-Gehalt gelebt haben, den wir heute messen können. Das hat die überhaupt nicht gestört. Aber dann wurde ich eines Besseren belehrt, daß man dies nicht mit heute vergleichen kann.

Und so funktioniert gute Wissenschaft eben, daß man in solchen Fällen seine persönliche Meinung auch mal revidiert.

SB: Um noch einmal auf die Klimaskeptiker zurückzukommen. Das ist zwar ein einleuchtender Begriff, nur fragt man sich angesichts der Behauptungen, die von dieser Seite geäußert werden, doch, ob nicht hinter dieser Gruppierung möglicherweise eher Interessen stehen, die teilweise von der Erdölindustrie und anderen Industriezweigen finanziert werden.

WK: Nun dieser Standpunkt ist auch sehr bequem. Sie argumentieren mit diesen hohen CO2-Werten aus früheren Zeiten. Ein weiteres ihrer Argumente ist, daß die CO2-Entwicklung nicht durch den Menschen verursacht wurde und es gibt noch dieses und jenes mehr... . Aber, mein Gott, wir haben doch eindeutige Zahlen.

SB: Wie aus Ihrer Pressemitteilung hervorging, halten Sie es immer noch für möglich, in der Vergangenheit einige mit den heutigen Verhältnissen vergleichbare Ereignisse zu finden?

WK: Also ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, welches Ereignis am ehesten mit den Verhältnissen heute vergleichbar ist. Und man muß auch zugeben, je weiter man zurückgeht in der Vergangenheit, desto unsicherer werden die Schätzungen. Wir haben dann manchmal wirklich Probleme mit diesen Proxydaten [2], so funktionieren die Borisotope, die ich bereits erwähnt habe, manchmal nicht mehr so richtig.

Für mich ist die Zeit der Massenaussterben an der Trias/Jura-Grenze bisher am ehesten damit vergleichbar. Das paßt alles gut zusammen. Es gibt jedoch noch große Unsicherheiten darüber, wie schnell das passiert ist.

So ist es eben immer - schritt die Entwicklung langsamer voran als 100.000 Jahre, passierte so gut wie nichts. Da hätte massenhaft CO2 reingepumpt werden können. Aber sobald das Zeitintervall kürzer als 20.000 Jahre ist, wird es interessant. Dann haben wir ein entsprechendes Problem. Aber, und das sagen wir am Schluß der Studie auch, man muß natürlich bei den weit zurückliegenden Zeiten ein bißchen vorsichtig sein.

SB: Geht man eigentlich immer davon aus, daß der Anstieg der CO2-Konzentration im Wasser, also die Versauerung des Meeres, von der Atmosphäre ausgeht? Also daß das Meerwasser CO2 aus der Luft aufnimmt und nur dadurch saurer wird?

WK: Nein. Sie wissen ja, es gibt auch die sogenannten Methan-Clathrate, also Methanhydrat-Eis, das an den Schelfrändern bunkert. Laut einer weiteren Hyphothese für das PETM [Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum, Anm. d. SB-Redaktion] ist das Methan in die Atmosphäre ausgetreten. Methan ist schon selbst ein Treibhausgas, wird dann aber noch weiter zu CO2 oxidiert, zu einem weiteren Treibhausgas. Dieser Eintrag kam eigentlich aus dem Meer. Es sind also nicht nur Vulkanaktivitäten, die für das PETM verantwortlich gemacht werden.

SB: Noch eine etwas randläufige Frage: Was halten Sie eigentlich von der Eisendüngung als einem möglichen Geo-Engineering-Projekt, der Meeresversauerung zu begegnen?

WK: Nun zunächst einmal funktioniert es eben nicht. Ich halte es im Prinzip für eine gute, wenn auch eine sehr gefährliche Idee, wie so oft, wenn der Mensch versucht, einen riesigen Eingriff in die Umwelt vorzunehmen. Aber bisher sind ja alle Experimente grandios gescheitert. Daß man prinzipiell solche Experimente durchführt, halte ich allerdings für richtig. Man sollte immer für einen Plan B offen bleiben, wenn alles schiefgeht.

Eisendüngung wäre meiner Meinung nach eine elegantere Methode, das CO2 loszuwerden, als diese ebenfalls derzeit häufig diskutierte Kohlendioxid-Verpressung für die ja schon Experimente laufen. Was die betrifft, sitzen wir praktisch auf einem Pulverfaß. Mit der Eisendüngung werden hingegen nur natürliche Prozesse angeregt, die sowieso stattfinden und damit ein bißchen beschleunigt werden sollen. Aber natürlich muß man diese Experimente erstmal so durchführen, daß sie überhaupt funktionieren. Bisher profitiert nur das Phytoplankton davon, das sich vermehrt und dann gleich als Nahrung für andere Organismen dient und so wieder zu CO2 aufoxidiert wird. Auf diese Weise wird dem Kreislauf kein CO2 entzogen, sondern weiteres freigesetzt.

SB.: Wenn man sich die Studie Ihrer Forschungsgruppe ansieht und wie sie diese bisher erläutert haben, müssen mit unendlicher Mühe, ungeheuer viele kleine Details zusammengetragen und unterschiedlichste Faktoren beachtet und berücksichtigt werden, um zu Ergebnissen zu kommen. Können Sie sich vorstellen, daß es noch weitere, bisher nicht berücksichtigte Faktoren gibt, die dieses Bild erneut revidieren könnten?

WK: Ja, natürlich, das wäre ja sonst traurig. Das Ende der Wissenschaft ist noch nicht in Sicht. Wir werden ganz sicher noch neue Proxydaten finden, mit denen wir die erdgeschichtliche Vergangenheit noch genauer eingrenzen können, und wir werden auch die Mechanismen besser verstehen lernen, wie die Versauerung im einzelnen auf die Organismen wirkt. Bisher haben wir explizit Kalkschalen-Bildner betrachtet und mit den anderen verglichen. Aber unter der Ozeanversauerung leiden auch Organismen, die kaum Kalk ausscheiden. Bis jetzt hat man noch nicht geschafft, generelle Regeln zu finden. Anders gesagt, man hat schon einige Regeln gefunden, aber noch mit zu vielen Ausnahmen. Da wird sicher noch einiges kommen.

SB.: Wird sich das Ausmaß der Ozeanversauerung in der Folge von seiner Wirkung auf den einzelnen Organismus, über die Nahrungskette bis zu Wirkungen, die man noch nicht voraussehen kann, praktisch erst mit dem Status quo in der Zukunft erweisen?

WK: Ja und da wird noch sehr viel Forschung reingesteckt werden müssen.

SB: Haben Sie den Eindruck, daß die Ergebnisse Ihrer Studie auch von der Politik zur Kenntnis genommen werden?

WK: Also wir hatten bereits vor ein paar Monaten eine andere Studie in Science, die hat schon Eindruck gemacht. Darin geht es um die Geschwindigkeit der Klimaveränderung in den Ozeanen und wohin die Organismen vor dem Klima weichen. Diese Studie ist innerhalb einer Forschungsgruppe in Amerika entstanden, die sich regelmäßig in Santa Barbara trifft. Und zu einem dieser Treffen kam ein Mitglied des IPCC, des "Intergovernmental Panel of Climate Change" und schlug uns vor, etwas zu machen. Und die IPCC hat ja direkten politischen Einfluß. Ja doch, wir werden schon gehört. Nur was die Konsequenzen daraus angeht: es kostet halt alles Geld!

SB: Und dann bleibt noch die Frage, wie diese Maßnahmen aussehen, die immer auch Konsequenzen auf die menschliche Gesellschaft haben werden. Herr Professor Kießling, wir bedanken uns für dieses Gespräch.


Anmerkungen:

[1] Originalveröffentlichung: Hönisch, B., Ridgwell, A., Schmidt, D. N., Thomas, E., Gibbs, S. J., Sluijs, A., Zeebe, R., Kump, L., Martindale, R. C., Greene, S. E., Kiessling, W., Ries, J., Zachos, J. C., Royer, D. L., Barker, S., Jr., T. M. M., Moyer, R., Pelejero, C., Ziveri, P., Foster, G. L. & Williams, B. 2012. The Geological Record of Ocean Acidification. - Science 335: 1058-1063, doi 10.1126/science.1208277

[2] Isotopische Proxis oder isotopische Proxydaten: Mit Proxydaten werden gemeinhin indirekte Anzeiger für Klimadaten oder sogenannte Klimazeugen bezeichnet. Hier handelt es vor alle um Isotope. Von jedem chemischen Element kommen in der Natur immer weitere vom Atomgewicht schwerere, häufig radioaktive Isotope vor, die sich mit modernen Analysemethoden qualitativ unterscheiden und quantitativ erfassen lassen.

[3] Der pH-Wert ist ein mathematischer Begriff (der negativ dekadische Logarithmus) für die Wasserstoffionenkonzentration (H+) bzw. für den Basen- oder Säuregrad einer zumeist wässrigen Lösung, der einer Skala von 1 bis 14 zugeordnet wird. Die Ziffer "1" steht für starke Säuren wie Schwefelsäure, 14 für starke Basen. "Neutrales" Wasser sollte streng genommen immer den pH-Wert von 7 einnehmen.

[4] Museum für Naturkunde, Humboldt Universität, Berlin

[5] Durch die "Kalibrierung" wird ein Meßsystem erst geschaffen: Hier steht die Dichte der Spaltöffnungen einer bestimmten Blattsorte für eine annähernd genau bestimmbare CO2-Konzentration der Umgebung. Bei ausgestorbenen Arten kann man dies nur indirekt durch Vergleiche von Exponaten aus jüngerer Zeit tun.

Mit "Validierung" wird der Wert (lat. valere = wert sein) einer Aussage oder eines Ergebnisses noch einmal durch weitere Untersuchungen bestätigt.

[6] Habitat (lat. es wohnt) steht für die charakteristische Lebensstätte einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart und wird heutzutage gleichbedeutend mit Biotop verwendet.

[7] Ulf Riebesehl, IFM Geomar, in der Sendung Wissenschaft und Technik, 4. März 2012, 11:05 Uhr, Deutschlandradio

Das Berliner Museum für Naturkunde - Foto: © 2012 by Schattenblick

Das Berliner Museum für Naturkunde beherbergt auch einen winzigen Teil des erdgeschichtlichen Archivs.
Foto: © 2012 by Schattenblick

14. März 2012