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INTERVIEW/029: Down to Earth - ein Treffen mit Prof. Dr. Ronald Abler (SB)


IGC 2012 - Weltkongreß der Geografie vom 26. bis 30. August an der Universität Köln

Interview mit Prof. Dr. Ronald Abler

Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Dr. Ronald Abler
"We aim to embrace the world - at least the world geographers."
Foto: © 2012 by Schattenblick

Professor Ronald Abler ist der amtierende Präsident der International Geographical Union, kurz IGU, auf deren Initiative alle vier Jahre ein neuer "Weltkongreß der Geografie" in einem anderen Teil der Welt organisiert und veranstaltet wird. Seit über 100 Jahren fand der jüngste International Geographical Congress (IGC) 2012 erstmals in Köln, Deutschland, statt. Diese Kongresse gemeinsam mit den Gastgebern zu gestalten und alle Geografen weltweit einzubinden, gehört zu den Zielen, die Abler der IGU ganz oben auf ihre Agenda geschrieben hat. Auf eine Frage der Pressereferentin Katja Spross während des Pressefrühstücks am 27. August 2012 am zweiten Tag des IGC erklärte er, daß Kongresse für die Forschung gewissermaßen die Butter auf dem Brot seien. Es habe schon Kongresse von größter Relevanz für die Geografie gegeben, als noch niemand an eine internationale geografische Vereinigung gedacht habe. Deshalb liegt es ihm ganz besonders am Herzen, daß auch wirklich alle Geografen auf der Welt die Möglichkeit bekämen, hieran aktiv teilzuhaben. Aber auch sein hier mehrfach betontes Motto "we aim to embrace the world - at least the world geographers", das in seiner im angelsächsisch doppelsinnigen Deutung als eine weltumspannende Umarmung aller Geografen verstanden werden kann, blieb nicht nur bei Worten. Der Schattenblick nutzte im Rahmen des Pressefrühstücks die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem IGU-Präsidenten.

Schattenblick (SB): Professor Abler, was kann eine Wissenschaft wie die Geografie dazu beitragen, daß die Weltgemeinschaft globalen Bedrohungen wie dem bereits stattfindenden Klimawandel mit seinen Folgen für Natur und Umwelt, den zunehmenden Verlusten an Biodiversität, Bodenerosionen beziehungsweise Degradation, der Wasserknappheit oder überhaupt den schwindenden Ressourcen etwas entgegenzusetzen hat?

Ronald Abler (RA): Der wohl wichtigste Beitrag, den wir als Geografen leisten können, besteht darin, angefangen bei den ganz jungen Menschen, aber auch bei den Studenten und der gesamten Öffentlichkeit ein Bewußtsein für die existierenden Umweltprobleme zu schaffen und sie gleichzeitig mit potentiellen Lösungsansätzen vertraut zu machen. Das wären Erziehungs- oder Lehrprogramme, in die wir unsere Forschungsanstrengungen über mögliche Problemlösungen mit einfließen lassen. Aber gerade auch das Informieren über bereits bestehende Lösungsmöglichkeiten ist von immenser Bedeutung. Darüber hinaus müssen sämtliche Lösungsansätze sehr gründlich überdacht werden. Auch dazu kann die Geografie beitragen. Die bereits existierenden Umweltschäden sind zwar nicht gewollt, doch unsere Rettungsprogramme könnten ebenfalls ungewollte Nebenwirkungen oder Folgen zeigen, an die wir derzeit noch gar nicht denken. Deshalb müssen wir sehr sorgfältig nachdenken, bevor wir handeln.

SB: Sollte die Geografie im Sinne einer fachlichen Beratung oder auch allgemein mehr in politische Prozesse eingreifen?

RA: Das hängt davon ab, was Sie unter "eingreifen" verstehen. Meiner Ansicht nach sollten wir keine Anstrengung scheuen, unser Fachwissen und unseren Einfluß zu nutzen, um unsere Politiker im bereits erwähnten Sinn "zu erziehen", das heißt sie zu informieren und aufzuklären.

Es wäre allerdings ein wenig heikel, wenn eine Organisation wie die IGU oder auch eine andere nationale Organisation mit dem Gedanken spielen würde, sich in freie Wahlen einzumischen, also die Wahl von einigen zu fördern und von anderen zu verhindern, weil sie vielleicht nicht die richtige bzw. von uns geteilte Einstellung zur Umwelt mitbringen. Das ginge dann doch in einen recht fragwürdigen Bereich der Einflußnahme.

SB: 2009 gründete die Regierung der Vereinigten Staaten das United States Cyber Command kurz: US CYBERCOM. Hierzulande gibt es eine ähnliche Einrichtung der deutschen Bundeswehr, das Kommando Strategische Aufklärung. Seit Ende letzten Jahres weiß man, daß die Bundeswehr inzwischen selbst in der Lage ist, kriegerische Auseinandersetzungen im virtuellen Raum zu führen, d.h. sowohl Cyber-Angriffe als auch Cyber-Abwehr. Zeigt das nicht, daß die Einrichtungen moderner Gesellschaften wie ihre Infrastrukturen bereits sehr viel angreifbarer und auch verwundbarer geworden sind?

RA: Unsere heutige Gesellschaft basiert gewissermaßen auf dem ungehinderten Fluß an Informationen, Materialien, Menschen und Rohstoffen. Die dafür nötigen Verkehrsnetze (Straßen, Schienen- und Wasserwege), Ver- und Entsorgungseinrichtungen (Energie, Wasser, Kommunikationsnetze) wie auch die wirtschaftsnahe Infrastruktur unserer angreifbaren Gesellschaft sind immer enger miteinander verflochten. Und je komplexer etwas ineinandergreift bzw. zusammenhängt, um so anfälliger wird es auch für Störungen. Das kann ein Cyber-Angriff im Internet sein oder auch schon - was hier während des Pressefrühstücks bereits angesprochen wurde - "schwere Regenfälle". Und etwas kann man auch schon sicher sagen: Wenn wir bzw. die Wissenschaften wirklich einmal das Wettermachen beherrschen sollten und auch noch gut darin sind, dann wird dies mit Sicherheit auch zu einer neuen Waffe ausgebaut. Anders gesagt nehmen das Zusammenwirken und die gegenseitige Unterstützung der Systeme weiter zu, aber auch ihre Störanfälligkeit oder leichte Zerstörbarkeit.

SB: Nun baut das Department of Homeland Security (DHS) der Vereinigten Staaten einen Hightech-Grenzzaun in Arizona, um die Grenze nach Mexiko abzusichern, das Territorium der Europäischen Union ist bereits nach Osten durch eine ähnliche Hightech-Grenzbefestigung gesichert, ähnliche Abgrenzungen finden sich in China gegen Nord Korea, in Indien gegen Bangladesh oder in Botswana gegen Simbabwe. Könnte man sagen, daß hier ein Krieg der reicheren Länder gegen die armen vorbereitet wird oder schon im Gange ist?

RA: Ich würde das keinen Krieg nennen. Aber es ist ein Versuch, Emigranten an der Einwanderung zu hindern. So häßlich solche Barrieren auch sind, sie können durchaus einen gewissen Effekt haben, im Falle der Vereinigten Staaten nützen diese Grenzen nach Zentral- und Südamerika jedoch wenig. Das einzige, was diesen wechselweisen Zustrom von Menschen stoppen könnte, wäre eine entsprechende wirtschaftliche Entwicklung in Südamerika und Zentralamerika. Solange es aber auf der einen Seite eine starke Nachfrage für billige Arbeitskräfte gibt und auf der anderen Seite Menschen hoffnungslos arm sind, werden sie einen Weg durch die Grenze finden, ganz gleich, wie viele Zäune man baut. In menschlichen Begriffen handelt es sich hier um das gleiche Problem wie bei dem sogenannten Drogenkrieg. Darin vertreten die Vereinigten Staaten die meiner Ansicht nach irrige Vorstellung, man müsse einfach nur den Nachschub abschneiden. Nein, um den Drogenhandel mit all seinen sozialen Implikationen zu beenden, muß man herausfinden, was eigentlich diese Nachfrage auslöst und dagegen etwas tun.

Ronald Abler im Gespräch mit SB-Redakteur - Foto: © 2012 by Schattenblick

"Beim Eingriff in die Natur muß man das ungeschriebene Gesetz der ungewollten Folgen und Nebenwirkungen bedenken."
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Im vergangenen Jahr hatten wir die Gelegenheit, mit Professor Alan Robock von der Universität Rutgers in New Jersey und Professor Owen Brian Toon von der Universtität von Colorado in Boulder [2] persönlich zu sprechen, die an der Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events" am 11. und 12. August 2011 in Hamburg teilnahmen, auf der über den Einfluß von vulkanischen Aerosolen auf den Klimawandel diskutiert wurde, sowie auch über die Möglichkeiten von Geoengineering Projekten, also beispielsweise durch künstliche Impfung der Atmosphäre mit Aerosolbildnern eine Abkühlung des Klimas zu erreichen. Beide warnten davor, daß schon ein relativ kleiner Einsatz von nuklearen Waffen oder genauer gesagt ein regionaler Nuklearkrieg zwischen Indien und Pakistan einen nuklearen Winter auslösen könnte, nicht zuletzt weil neben der Abkühlung durch die Aerosole auch noch die Ozonschicht massiv gestört würde. Teilen Sie diese Ansicht? Und was halten Sie persönlich von den derzeit viel diskutierten Möglichkeiten, über künstliche Maßnahmen, sogenanntes Climate engineering, Einfluß auf das Klimageschehen zu nehmen, also beispielsweise die Atmosphäre mit Schwefeldioxid zu impfen, um Sonnenstrahlen zu reflektieren und die Durchschnittstemperatur zu senken?

RA: Oh, darüber bin ich allerdings sehr besorgt, allein wegen des ungeschriebenen Gesetzes der ungewollten Folgen und Nebenwirkungen. Wir kennen das doch schon aus der Landwirtschaft. Da wird beispielsweise ein bestimmter Keim oder Mikroorganismus eingesetzt, von dem man sich einen irgendwie gearteten Vorteil verspricht, und am Ende verursacht dieser menschliche Eingriff mehr Kosten als Nutzen. Denn wenn man in logischer Konsequenz das Problem loszuwerden glaubt, indem man einen weiteren Parasiten in das System oder das Spiel einbringt, der wiederum den ersten ausmerzen soll, dann ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dieser Parasit das nächste Problem. Meines Erachtens verstehen wir die natürlichen Systeme einfach noch viel zu wenig, um uns erlauben zu können, immer weiter darin herumzupfuschen. Statt dessen sollte man versuchen, in den Zustand oder in Lebensbereiche zurückzukehren, in denen es weniger menschliche Einflußnahme auf die Natur gab. Ob allerdings ein atomarer Konflikt ausreicht, um einen nuklearen Winter auszulösen, dazu kann ich eigentlich nichts sagen, das ist nicht mein Fachgebiet.

SB: Noch eine letzte Frage zum IGC 2012: Gab es einen bestimmten Grund, warum der 32. internationale Geografen Kongreß dieses Jahr in Köln stattgefunden hat?

RA: Genau genommen gab es zwei wesentliche Gründe. Zum einen, weil der Kongreß, der alle vier Jahre in einem anderen Erdteil tagt, seit mehr als einem Jahrhundert nicht mehr in Deutschland abgehalten wurde. Deutschland hat und hatte immer schon eine starke und engagierte geografische Gesellschaft. Der Plan, hier den Kongreß abzuhalten, existiert somit schon sehr lange. Der zweite Grund ist einfach, daß Professor Frauke Kraas und Professor Dietrich Soyez zusammen ein wirklich unschlagbar gutes Konzept auf die Beine gestellt haben, für das es einfach keine Konkurrenz gab. Selbst der chinesische Vorschlag mit Peking als Standort konnte da nicht mithalten.

SB: Also wird erst der 33. Internationale Geografen Kongreß in vier Jahren in China stattfinden?

RA: Ja 2016 in Peking sehen wir uns wieder.

SB: Professor Abler, vielen Dank für das Gespräch.



Anmerkungen:

[1] Das United States Cyber Command oder auch US CYBERCOM ist eine US-amerikanische, militärische Behörde, die sich mit den Möglichkeiten der elektronischen Kriegsführung, des Cyberwars und der Internet-Sicherheit auseinandersetzt. Die Behörde wurde im Mai 2010 als Funktionalkommando des United States Strategic Command (STRATCOM) aktiviert und nahm im Oktober 2010 ihren Dienst vollständig auf. Sie wird etatmäßig vom Direktor der National Security Agency, d.h. derzeit von Keith B. Alexander, geführt. Unter dem neudeutschen Begriff "Cyberwar" = Cyberkrieg versteht man eine kriegerische Auseinandersetzung im virtuellen Raum, den "Cyberspace" mit Mitteln aus dem Bereich der Informationstechnik. Darüber hinaus werden mit diesen Begriffen auch die hochtechnisierten Formen des Krieges im Informationszeitalter verstanden, die auf einer weitgehenden computergestützten, elektronischen oder vernetzten Arbeitsweise fast aller militärischer Bereiche und Belange basieren.

[2] siehe auch
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0003.html
und
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0005.html

11. September 2012