Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

INTERVIEW/055: Lebensraum Boden - Mahnen, planen und erziehen, Prof. Felix Ekardt im Gespräch (SB)


Interview mit Prof. Felix Ekardt am 10. September 2013 an der Universität Rostock



Im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft vom 7. - 12. September 2013 hielt Professor Felix Ekardt von der Forschungsstelle für Nachhaltigkeit und Klimaschutz in Leipzig einen öffentlichen Vortrag zum Thema "Landnutzung, Bodenschutz, Klimakollaps - gesellschaftliche Probleme und Gerechtigkeitsfragen". Im Anschluss daran hatte der Schattenblick die Gelegenheit, dem Referenten Fragen zu gegenwärtigen Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatten sowie seinem Vortrag zu stellen, beispielsweise hinsichtlich des Vorschlags, in Kombination mit einer schrittweisen Verteuerung der fossilen Brennstoffe ein System von "border adjustments" für Im- und Exporte (Grenzausgleichsmaßnahmen), auch Ökozölle genannt, zu etablieren, damit der Wirtschaft, die den administrativen Restriktionen zum Zwecke der Verringerung des Ressourcenverbrauchs unterworfen ist, daraus auf dem Weltmarkt keine Konkurrenznachteile entstehen.

Sitzend, beim Interview - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Dr. Felix Ekardt
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Professor Ekardt, Sie schlugen in Ihrem Vortrag die Idee vor, Ökozölle zu erheben. Widerspricht das nicht dem gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Trend zur Aufhebung von Zöllen?

Prof. Felix Ekardt: Die reale Entwicklung hat ja keine normative Kraft. Das heißt ja nicht, dass die Entwicklung, so wie sie ist, zu begrüßen ist. Wenn man in begrenzten Räumen wie die Europäische Union eine Ressourcenpolitik betreibt, dann muss man Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass die Ressourcenverbräuche in andere Regionen verlagert werden. Wenn man zum Beispiel auf Ressourcen oder auf Treibhausgasemissionen Abgaben erhebt oder Zertifikatmärkte schafft, dann sind solche Ökozölle bei den Im- und Exporten ein Mittel, um Preisdifferenzen zwischen Staaten, die an einem solchen Ressourcen-Schutzsystem beteiligt sind, und Staaten, die nicht daran beteiligt sind, auszugleichen.

SB: Vor einigen Monaten veröffentlichte das Word Resources Institute in Washington eine Prognose, nach der im Jahr 2050 bei einer Weltbevölkerung von dann 9,3 Milliarden Menschen rund 900 Kalorien pro Kopf und Tag weniger zur Verfügung stehen als heute. Bodenverluste werden als einer der treibenden Faktoren für diese Entwicklung genannt. Wie schätzen Sie die Lage ein, läuft die Menschheit auf eine verschärfte Hungerkrise zu?

FE: Das kann auf jeden Fall so sein. Ob das eintritt, hängt auch davon ab, ob Verhaltensweisen wie beispielsweise hoher Konsum tierischer Produkte in westlichen Ländern sowie in den Oberschichten der Schwellenländer beibehalten werden und sich ggf. noch weiter ausbreiten.

SB: Sie schlagen als Maßnahme gegen den Klimawandel vor, die Preise für fossile Energien zu erhöhen. Wie kann so ein Einfluss, der sicherlich die gesamte gesellschaftliche Produktion betrifft, sozial abgefedert werden?

FE: Zunächst einmal ist es so, dass Ressourcenknappheiten - Sie sprachen es gerade an - auf Dauer selbst gravierende soziale Auswirkungen hätten, was es zu verhindern gilt. Um keine sozialen Härten des Übergangs zu einem dauerhaft sowohl ökologischeren als auch sozialeren Zustand zuzulassen, braucht man mehrere Hilfsmittel. Beispielsweise könnte man die Einnahmen aus einer höheren Bepreisung von Ressourcen für soziale Ausgleichsmaßnahmen verwenden. Man kann auch Menschen helfen, ihren Ressourcenverbrauch durch effizientere Technologien zu verringern, so dass sie dadurch von höheren Preisen weniger getroffen werden. Insofern ist die technische Maßnahme der Energie- und Ressourceneffizienz auch unter sozialen Gesichtspunkten wünschenswert.

Aber selbst die erneuerbaren Energien, die in Deutschland in Wahlkampfzeiten immer so kritisiert werden, stabilisieren schon für sich genommen auf Dauer die Energiepreise. Denn wenn wir nicht auf erneuerbare Energien setzen, laufen wir bei fossilen Brennstoffen absehbar in Preisspiralen hinein. Und die werden dann sozial wirklich gravierende Auswirkungen haben.

Ganz abgesehen von den von mir eingangs erwähnten schwerwiegenden sozialen Folgen beispielsweise langfristiger Ressourcenknappheit wegen des Klimawandels könnte es auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen über die schwindenden Ressourcen kommen. Davon wären die sozial Schwächeren erst recht betroffen.

Blick von einer Anhöhe auf belebtes Zeltlager in der Wüste - Foto: Mark Knobil, Pittsburgh, USA, freigegeben als CC BY-NC-ND 2.0 Unported via flickr

Flüchtlingslager in Tschad, 29. März 2005. Der Konflikt in der westsudanesischen Provinz Darfur gilt als Beispiel für einen Klimakrieg, da sich in dem umgekämpften Gebiet von Norden her die Wüste ausbreitet. Allerdings erscheint eine solche Deutung als recht simpel, da in den Konflikt unter anderem auch das Ressourceninteresse (Erdöl) und geostrategisches Vorteilsstreben externer Kräfte hineinspielen.
Foto: Mark Knobil, Pittsburgh, USA, freigegeben als CC BY-NC-ND 2.0 Unported via flickr

SB: Sie glauben nicht, dass sich bei einer Verteuerung der Ressourcen die Schere zwischen arm und reich weiter aufspannen wird?

FE: Meine Antwort ist die, die ich schon gegeben habe. Natürlich muss man die Einnahmen einer solchen gezielten Verteuerung möglichst wieder zu sozialen Zwecken einsetzen. Das sollte meines Erachtens aber primär im globalen Maßstab und weniger im nationalen Maßstab erfolgen.

Jenseits dessen würde ich ergänzend sagen, was ich schon erklärt habe: Wenn ich keine Maßnahmen gegen Ressourcenknappheit, Klimawandel und so weiter ergreife, hat das erst recht soziale Auswirkungen. Außerdem haben die reichen Leute typischerweise einen höheren Ressourcenverbrauch, sie zahlen also mehr im Rahmen solch einer gezielten Ressourcenverteuerung.

Wenn man fossile Brennstoffe verteuert, indem man ihre Nutzung mit einer Zertifikatpflicht belegt, dann müssten beispielsweise Primärenergieunternehmen für jede Tonne oder Einheit fossiler Brennstoffe, die sie auf den Markt bringen, ein Zertifikat erwerben. Die versteigerten Zertifikate werden jährlich verknappt, was bedeutet, dass sie in der Versteigerung jährlich teurer werden. Die Mehrausgaben werden dann von den fossilen Brennstoffunternehmen an andere Unternehmen und Endverbraucher weitergereicht. Wer viel fossilen Brennstoff verbraucht, ist davon stark betroffen, wer wenig verbraucht, den trifft das weniger. Dadurch entsteht ein Anreiz, fossile Brennstoffe entweder durch gesteigerte Effizienz weniger zu verbrauchen, oder sie überhaupt durch regenerative Ressourcen, also erneuerbare Energien zu ersetzen; oder auch, auf bestimmte Verhaltensweisen zu verzichten. Stichwort Suffizienz.

Grundsätzlich ist es genau das, was gewünscht ist: Es soll sich Verhalten ändern. Es gibt eben kein Grundrecht, jedes Jahr dreimal nach Mallorca zu fliegen; es gibt kein Grundrecht, sieben Tage die Woche ein großes Stück Fleisch zu essen. Wer so etwas behauptet, der verkennt, dass er zwar grundsätzlich im Rahmen seiner grundrechtlichen Freiheit all diese Dinge tun kann, dass es aber ebenso nötig ist, die Grundrechte auf die elementaren Freiheitsvoraussetzungen neben Gesundheit und Existenzminimum beispielsweise der Kinder und Enkelkinder zu berücksichtigen. Freiheit ist die Freiheit aller Beteiligten und bedarf der Abwägung untereinander.

Bestimmte gravierende, tödliche Schäden vom Klimawandel einfach zu akzeptieren im Hinblick darauf, dass wir heute niemandem etwas nehmen wollen, das wird nicht gehen. Natürlich wird das ganze bequemer, wenn wir viele Probleme beispielsweise im Bereich von Energie und Klima rein technisch lösen könnten. Wenn wir effizienter werden, dann entschärft dies soziale Konflikte. Das hatte ich gemeint, als ich in meinem Vortrag sagte, eine technische Option kann etwas sehr sozial Förderliches sein. Wenn erneuerbare Energien preisgünstig zur Verfügung stehen, wie das in Deutschland zunehmend der Fall ist, ist auch das ein Weg, die Konflikte zu entschärfen. Wenn ich auf regenerative Ressourcen umsteige, habe ich ja nicht die Preiserhöhung für fossile Brennstoffe.

Eine Option, die im Übrigen immer besteht und die auch immer gewünscht ist, ist eben die der Suffizienz, also des Verzichts. Das wird nicht jedem gefallen, ist aber sicherlich auch ein Schritt.

SB: Würden Sie sagen, dass es sich bei der Förderung der erneuerbaren Energien um eine Form der gesellschaftlichen Umverteilung handelt, da sich die Subventionierung auf viele Individuen verteilt, die davon profitieren, dass sie Windräder aufstellen oder Solarflächen aufs Dach schrauben, während auf der anderen Seite beispielsweise die Braunkohleverstromung oder Atomkraft zentralistisch sind und durch sie gesellschaftlicher Reichtum gebündelt oder vielleicht sogar aus dem Wirtschaftsraum herausgezogen wird?

FE: Eine stärkere regenerative Energiewirtschaft könnte insofern demokratischer sein, als dass sie nicht zwangsläufig auf Großkonzernen basieren muss. Bei einem Windrad kann letzten Endes ein normaler Bürger Eigentümer werden, bei einem Kohlekraftwerk wohl kaum. Demokratisch ist das ganze insofern relevant, als die Energiekonzerne bisher politisch sehr starke Player sind, was nicht immer zum Vorteil der Gesamtgesellschaft ist. Gleichzeitig muss man natürlich sagen, dass die Lage bei genauer Betrachtung differenzierter ist. Auch Pensionsfonds oder Kleinanleger halten Anteile an den Energiegroßkonzernen. Insofern kann es auch das Ersparte von Lieschen Müller sein, das als Aktie bei E.ON oder RWE liegt.

SB: Von vielen Klima- oder Umweltschützern, die häufig internationalen Nichtregierungsorganisationen angeschlossen sind, wird "Klimagerechtigkeit" gefordert. Wie bewerten Sie diesen Begriff?

FE: Gerechtigkeit ist im Bereich menschlicher Ziele, Werte, Normen und der Frage danach, wie Gesellschaft und menschliches Verhalten sein soll, der Grundbegriff, so wie im Bereich des Erkennens von Fakten die Wahrheit der Grundbegriff ist. Wenn ich danach frage, wie Politik sein soll, wie Gesellschaft und Menschen sich entwickeln sollen, rede ich automatisch von Gerechtigkeit. Das Stichwort Klimagerechtigkeit versucht darauf hinzuweisen, dass der Klimawandel beispielsweise komplexe Verteilungsfragen involviert, sowohl von der Wirkung des Klimawandels als auch von den Wirkungen der Klimapolitik her betrachtet, insbesondere unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern. Der Klimawandel ist bisher massiv von den Industriestaaten verursacht worden, wird aber möglicherweise vor allem die Entwicklungsländer treffen. Ferner verweist Klimagerechtigkeit darauf, dass es bereits eine normative Frage ist, wessen Freiheiten ich überhaupt schützen soll und welche Abwägungsregeln gelten, wenn etwa die Konsum- und Wirtschaftsfreiheit heutiger Kunden und Unternehmen mit den Freiheitsvoraussetzungen von Bangladeshis in 50 Jahren kollidiert, wie dies beim Klimawandel typischerweise der Fall ist. Klimagerechtigkeit als Stichwort bezeichnet nicht notwendigerweise ein ganz bestimmtes Gerechtigkeitskonzept, sondern ruft zunächst mal diese Fragen auf, und das ist sehr, sehr wichtig.

Blick von oben auf Slum, bis unmittelbar ans Wasser gebaut - Foto: Aditya Kabir, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 via Wikimedia Commons

Monsunregen und Meeresspiegelanstieg - Bewohner des Armenviertels Karail in Gulshan, Dhaka, sind als erste von Überschwemmung bedroht
Foto: Aditya Kabir, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 via Wikimedia Commons

SB: Sehen Sie hinsichtlich der Frage der Generationengerechtigkeit noch erheblichen Handlungsbedarf seitens der heutigen Politik oder gibt es Ihrer Meinung nach schon Ansätze, dass auf solche zeitübergreifenden Maßnahmen Wert gelegt wird?

FE: Nun, Menschen sind eher kurzzeitorientiert, egal ob Politiker oder Wähler. Man interessiert sich oft nur in begrenztem Ausmaß dafür, was beispielsweise der Klimawandel langfristig anrichtet. Man beschäftigt sich eher damit, ob Maßnahmen zur Vermeidung des Klimawandels wie die Förderung der erneuerbaren Energien heute vielleicht den Strompreis um ein paar Cent steigen lassen. Was an sich unverhältnismäßig ist, wenn man die langfristigen Klimawandelfolgen vergleicht mit dem vergleichsweise geringen Anstieg, den es heute bei den Energiepreisen gibt.

Generell läuft die Energiedebatte in Deutschland eher schief. Sie dreht sich fast immer nur um Strom. Damit wird ein Bereich, der als ein Drittel der gesamten Emissionen grob gesagt nur rund ein Drittel des fossilen Brennstoffeinsatzes ausmacht, komplett in den Vordergrund geschoben.

Wenn man sich aber um den Klimawandel kümmern will, muss man beim Strom etwas machen, bei der Wärme, beim Treibstoff ebenfalls und auch bei der stofflichen Nutzung der fossilen Brennstoffe, beispielsweise bei Kunstdünger und Kunststoff. Und man muss auch die Teile der Landnutzung jenseits zum Beispiel des Kunstdüngereinsatzes mit betrachten, die, selbst wenn wir kunstdüngerfreien Landbau hätten, also totalen Ökolandbau, noch Treibhausgase emittieren. In all diesen Bereichen muss man etwas unternehmen, wenn man die Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren will.

SB: Zurzeit finden Gespräche zwischen der Europäischen Union und den USA über ein Freihandelsabkommen statt. Umwelt- und Entwicklungsorganisationen befürchten, dass mit einem solchen Abkommen die europäischen Sozial- und Umweltstandards aufgeweicht werden können und hier US-amerikanisches Recht Einzug hält. Halten Sie diese Gefahr für realistisch? Kann das europäische Recht auf diese Weise sozusagen von quer ausgehebelt werden?

FE: Die Frage ist, was man mit realistisch meint. Erst mal wissen wir noch gar nicht, ob und in welchem Umfang ein solches Abkommen kommt. Wenn ein solches Abkommen kommt, stellt sich zum einen die Frage nach seinen Wirkungen. Eine Wirkung könnte in der Tat eine gewisse Nivellierung von Umweltstandards zwischen EU und USA sein, wobei man da selbstkritisch anmerken muss, dass die EU-Umweltstandards bei weitem nicht so streng sind, wie es die EU immer behauptet. Zwar produziert beispielsweise ein Bürger der Europäischen Union pro Kopf deutlich niedrigere Treibhausgas-Emissionen als der durchschnittliche US-Bürger, doch befinden sich diese noch immer um das ungefähr Fünffache über dem Niveau dessen, was dauerhaft und global verträglich wäre, wenn alle Menschen weltweit und auf Dauer so leben würden wie wir.

Die zweite Frage zu einem solchen Freihandelsabkommen lautet, ob es tatsächlich rechtskonform wäre. Und das ist die Frage danach, wie sich Welthandelsrecht und EU-Recht zueinander verhalten. Im Grundsatz, ohne dass ich jetzt hier in die Details gehe, sollte man davon ausgehen, dass die EU ein solches Abkommen wirksam schließen kann.

SB: Herr Professor Ekardt, vielen Dank für das Gespräch.

18. September 2013