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INTERVIEW/085: Atommüll ohne Ende - verdrängt, verschoben, aufgetürmt, Martin Donat im Gespräch (SB)


Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang

Eine Tagung von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen unter der Federführung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) am 28./29. März 2014 in Berlin

Interview mit Martin Donat von der BI Lüchow-Dannenberg



Auch wenn ihnen die Bundesregierung vor kurzem mit dem Rückzug einer Klage gegen Niedersachsen wegen Aufhebung des Rahmenbetriebsplans für die Erkundung des Salzstockes Gorleben einen Knochen hingeworfen hat, gibt es für die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, die seit 1977 den Widerstand im Wendland gegen Atomenergie organisiert, viele Gründe zu befürchten, daß Gorleben als Endlager nicht vom Tisch ist: Das neue Standortauswahlgesetz bietet dafür zahlreiche Lücken, gewichtige Fragestellungen werden darin ausgeblendet und auch sonst wurden bereits zu viele logistische, infrastrukturelle Vorkehrungen getroffen, die darauf abzielen. Die Bürgerinitiative ist nicht bereit, Kompromisse einzugehen oder in einer Kommission unter dem Motto "Wer, wenn nicht wir" über den eigenen Standort zu befinden. Auch die Verschiebung des Problems ins Ausland, die billigste und möglicherweise konsensfähigste Lösung für die Entscheidungsfinder, wird letztlich die gesamte Menschheit betreffen. Ohne substantiellen Einbezug der Zivilgesellschaft werde es keinen gesellschaftlichen Konsens bei der Suche nach einem Umgang mit dem Atommüll geben, prophezeit die Bürgerinitiative. Eines ihrer prominentesten Gesichter, Martin Donat, ein erklärter Bürger der "Republik Freies Wendland", kämpft nach wie vor dafür, daß zunächst mit der Produktion des Mülls Schluß gemacht wird. Auf dem bundesweiten Treffen von Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen vom 28./29. März 2014 in Berlin ergab sich im Anschluß an die Podiumsdiskussion, auf der Martin Donat die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg vertrat, für den Schattenblick die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch.

Foto: © 2014 by Schattenblick

'Die Zeit läuft, um die Atomindustrie in Haftung zu nehmen, solange es sie noch gibt.'
Martin Donat auf der Tagung der Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen in Berlin.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben gerade in der Podiumsdiskussion erwähnt, ein Bürger der "Republik Freies Wendland" zu sein. Was bedeutet das für Sie?

Martin Donat (MD): Das bedeutet, daß wir schon gleich zu Beginn erkannt haben, daß uns diese Atomtechnologie keinen Segen bringen wird und daß man zu genau diesem Zeitpunkt hätte zu erneuerbaren Energien, zu Wind, Sonne und Biomasse, wechseln müssen. Es ist die Freie Republik Wendland vor über 30 Jahren, also bald 40 Jahren, gewesen, wo sich Windräder drehten und Duschwasser mit Sonne beheizt wurde. Das heißt, daß wir alle Probleme, die wir jetzt geschaffen haben, von Anfang an niemals hätten schaffen müssen.

SB: Der Bund hat die Klage gegen Niedersachsen, den Rahmenbetriebsplan betreffend, zurückgezogen. Kann sich die Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg beruhigt zurücklehnen und sagen, es ist damit alles geklärt?

MD: Das wäre schön. Es war abzusehen, daß der Bund die Klage würde zurückziehen müssen, denn ich bin davon überzeugt, daß er vor Gericht auch unterlegen wäre. Tatsächlich ist der alte Rahmenbetriebsplan mit dem Gesetz obsolet geworden. Niedersachsen hat da also ganz richtig entschieden. Es war bloß eine Geste, die zeigt: Macht man überhaupt den Weg frei oder nicht? Ich wiederhole es nochmal, es war ein Schritt in die richtige Richtung, aber es ist ein Ausdruck der Politik, der immer bedeutet, das Substanzielle ist noch gar nicht gefolgt. Wir wissen sehr wohl, daß mit dem Standortauswahlgesetz Veränderungssperren erlassen werden, natürlich auch am Standort Gorleben. Und man wäre seitens des Bundesumweltministeriums diesen Schritt mit dem Rahmenbetriebsplan nicht gegangen, wenn man nicht um das Netz und den doppelten Boden wüßte. Selbstverständlich gibt es noch weitaus mehr Punkte, die den Standort Gorleben zu einem bevorzugten machen. Dazu gehört vor allem, daß die gesamte Infrastruktur bereits für 1,9 Milliarden Euro ausgebaut wurde und daß 35 Jahre lang sämtliche Endlagerforschung nur hier betrieben worden ist, also sind alle Kriterien auf diesen Standort zugeschnitten.

SB: Seitens der Europäischen Union gab es früher mal eine Zeitlang Bestrebungen, ein zentrales Endlager zu schaffen. Da wurde auch Gorleben ins Auge gefaßt. Gibt es solche Überlegungen immer noch?

MD: Ich glaube, es gibt immer alle möglichen Bestrebungen, auch verschiedene Kräfte in Deutschland und in der Europäischen Union. Es gibt zum Beispiel Ideen und Bestrebungen, nicht ein europäisches Endlager zu schaffen, sondern mehrere Konzentrierungen vorzunehmen. Ob Gorleben, beziehungsweise ein zukünftiges deutsches Endlager, auch anderen Müll aufnehmen soll, ist, glaube ich, noch nicht ganz ausgegoren. Aber diese Konzepte sind bruchstückhaft, fragmentiert. Wir kennen nur ein Verfahren, was sich am AkEnd orientiert hat, das ist in der Schweiz. Und auch dieses Verfahren droht gerade zu scheitern, weil man dort fundamentale Dinge nicht beachtet hat. Von allen anderen weiß man inzwischen, daß sie katastrophal sind.

Wir hatten gerade eine lange Debattenphase, nach der man sich gesellschaftlich darauf einigen könnte, wie so ein Verfahren überhaupt aussehen soll. Zweitens muß man sich über die Konzepte unterhalten und als letztes über die Kriterien.

SB: In der Podiumsdiskussion wurde kritisiert, daß man das Pferd vom Schwanz aufgezäumt, also erst ein Gesetz gemacht hat, das aber noch evaluiert werden muß. Warum hat die Bundesregierung das nicht anders herum gemacht? Sie sollte doch um die Konsequenzen ihrer Vorgehensweise wissen.

MD: Es ist ja nicht allein die Bundesregierung, es ist der deutsche Bundestag gewesen, der mit der großen Mehrheit von vier Parteien seinerzeit - eine von den damals beschließenden ist gar nicht mehr dabei - dieses Gesetz verabschiedet hat. Und sie haben uns eine Einigkeit, einen Konsens vorgegaukelt. Diesen Konsens gibt es nicht wirklich, weil die eine Seite mit diesem Gesetz und mit diesem Verfahren versucht den Standort Gorleben gerichtsfest zu machen und nachträglich zu legitimieren, also eine Pseudoauswahl zu verschaffen. Und die andere Hälfte meint es vielleicht wirklich ehrlich. Aber, weil sich die Politik gar nicht darauf geeinigt hat, was eigentlich mit diesem Gesetz verfolgt wird, schleppt sich der Fehler weiter fort. Das ist meine Analyse. Solange sie sich im Abschlußbericht des parlamentarischen Untersuchungsauschusses gar nicht einig sind, daß Gorleben ein Irrweg ist, kann man auch keinen neuen Weg beschreiten. Man hätte erst den Standort Gorleben beendigen und begraben müssen. Und dann hätte man einen neuen Weg beginnen können, dem wir übrigens gerne beratend zur Seite gestanden hätten, denn wir können aus fast 40 Jahren Erfahrung ganz genau sagen, wie es auf jeden Fall nicht funktioniert.

SB: Sie sagten in der Diskussion, daß man mit diesem neuen Standortauswahlgesetz sowohl davon ausgehen kann, daß Gorleben aus dem Plan raus ist, als auch vielleicht wieder als Standort im Gespräch ist. Welche Schlupflöcher oder Möglichkeiten bietet dieses Gesetz dafür?

MD: Gorleben ist ja der einzige in diesem Gesetz überhaupt genannte Standort. Das heißt, in jedem Fall wird es in einen Vergleich einfließen. Das Gesetz geht nicht von einer weißen Landkarte aus, sondern faktisch, jedenfalls für Juristen ist es so, wird der Standort Gorleben mit anderen Standorten verglichen. Auch da hat man es versäumt, eine Mindestanzahl festzulegen. Letztendlich kann Gorleben nach diesem Gesetz auch nur mit einem anderen Standort verglichen werden. Das ist eine Präjudizierung von Gorleben. Wir wissen, schon nach den damaligen Kriterien von 1977 und davor wäre Gorleben überhaupt nicht in ein Verfahren hineingekommen.

Dann gibt es ganz kleine Details, aus denen deutlich wird, daß schon investiertes Geld und schon bestehende Infrastruktur letztlich doch in die Waagschale fallen, ob ein Standort in die Auswahl kommt oder nicht. In Gorleben ist im Grunde schon das Endlager fertig gebaut. Das wird ganz schwerwiegend in diese Waagschale fallen. Es gibt einen weiteren Punkt: Endlagerforschung hat immer nur in Salz stattgefunden. Daß also Gorleben als Salzstandort schon mal gesetzt ist und die Kritierien für einen Salzstandort den in Gorleben vorgefundenen Ergebnissen angepaßt worden sind. Dazu zählt, daß man zum Beispiel gesagt hat, ein Deckgebirge braucht es über einem Salzstock gar nicht. Das ist ein weiterer Präjudiz für den Standort Gorleben. Und zu guter Letzt hat man sich zum Beispiel auf einen sogenannten einflußwirksamen Gebirgsbereich beschränkt, so daß man sich die Ausbreitung radioaktiven Materials gar nicht mehr außerhalb eines bestimmten eng umgrenzten Bereiches anguckt. Auch das hat man an den Standort Gorleben angepaßt. Das heißt, man diskutiert nicht die gesamten Konzepte, nicht das gesamte Verfahren, sondern trifft im Vorfeld schon eine Einengung, wo Gorleben am Ende wieder gesetzt ist. Ich könnte noch mehr aufzählen, aber das sind eigentlich die wesentlichen Punkte. Noch einer ist auch zum Beispiel die Nähe zu einem bestehenden Zwischenlager. Indem man in Gorleben ein Zwischenlager geschaffen hat, weist plötzlich der Ort Rottleben, an dem das gebaut ist, eine Nähe zu einem Zwischenlager auf. Aber es ist doch willkürlich so herbeigeführt worden. Das kann doch kein Kriterium für einen sicheren Standort sein.

SB: Sie lehnen eine Beteiligung am gegenwärtigen Konzept der Endlagersuchkommission ab. Wenn es aber andere Umweltorganisationen gibt, die das machen wollen, wo würden Sie dann die Linie der Kooperationsbereitschaft ziehen?

MD: Wir finden, daß die Vorschläge, die von einigen Organisationen gemacht wurden - es sollte ein stufenweises Vorgehen geben, in dem erstmal die Politik beweisen muß, daß sie überhaupt vertrauenswürdig ist und eine Bereitschaft hat, das Gesetz anzupassen -, ein kluges und womöglich auch richtiges Vorgehen wiedergeben. Wir würden in keinem Fall hineingehen. Das wäre ja auch ein Unsinn, wenn ein Standort in dieser Kommission wäre. Wir haben von Anfang an gesagt, daß das Blödsinn wäre. Wir hätten beratend tätig werden können, wenn man Gorleben von vornherein ausgeschlossen hätte. Aber wir werden uns trotzdem an der Debatte beteiligen und sie von außen befeuern. Und wir haben schon Kontakt mit möglichen Standorten. Es gibt gar keine weiße Landkarte, es gibt eine Menge Standorte. Jeder Geologe, der sich ein bißchen damit befaßt hat, weiß, wo diese liegen. Manche werden auch nicht weit weg von uns sein. Natürlich werden wir da so etwas wie Patenschaften übernehmen. Unser Interesse ist, daß der Müll nicht nach Gorleben kommt und darüber hinaus, daß die Produktion dieses Mülls unverzüglich beendet wird. Und unser Interesse ist, daß mit dem Müll verantwortlich umgegangen wird und daß er nach menschenmöglichem, besten Ermessen von der Biosphäre und von unseren Enkeln und Urenkeln ferngehalten wird. Und nur wenn wir Vertrauen darin haben, daß das auch wirklich das Ziel ist, dann können wir uns beteiligen, sonst müssen wir das von außen befeuern.

SB: Wird in der Umweltbewegung denn noch darüber diskutiert, den Müll ins Ausland zu bringen oder ist diese Option auch aus moralischen Gründen vom Tisch?

MD: Genau zu dieser Frage äußern sie sich nicht offen. Daß wir die sogenannte nationale Entsorgungspflicht haben, wird sozusagen stillschweigend vorausgesetzt, weil sie die Grundlage ist. Da gibt es eine Menge Politiker, ich habe mit vielen gesprochen, die hinter vorgehaltener Hand munkeln: "Na ja, am Ende kommt der Müll doch nach Majak/Rußland." Und genau das wollen wir natürlich nicht.

SB: Weil das die Atomenergie legitimieren würde?

MD: Weil das vor allen Dingen auch keine Garantie dafür ist, daß die sicherste Lösung angestrebt wird, sondern dafür, daß die billigste angestrebt wird. Und man holt die Entsorgungspflicht sozusagen aus dem Einfluß demokratischer Gremien heraus, auf die man womöglich Einfluß hat und denen man vielleicht auch noch Vertrauen schenkt. Es gibt einen einzigen Fall, ein Land, für das ich empfohlen habe, das Problem nicht national zu lösen, das ist Japan. Eigentlich hätte Japan, weil es ein Erdbebenland ist und ein Ausschlußkriterium hat, niemals mit der Atomenergie beginnen dürfen - wie wir alle natürlich niemals damit hätten beginnen dürfen. Aber das ist der einzige Ausnahmefall, wo ich einsehe, daß man den Müll vielleicht außerhalb der Nation lagern muß. Und da natürlich unter allerhöchsten Anforderungen. Die Verantwortung, die tragen wir und nicht irgendwer anderes. Und eine Frage muß ich dann doch als Gegenfrage stellen: Was heißt denn 'national' in einer Millionen Jahren?

SB: Gute Frage! - Es ist immer davon die Rede, daß die Zeit ausläuft. Ich habe mich dabei gefragt, was angesichts von einer Million Jahre, in denen dieser Abfall strahlt - wobei man nicht einmal über die Nebeneffekte der Lagerung in 1000 Jahren eine Aussage treffen kann, was nur ein Promille der Zeit ausmacht, mit der man rechnen muß -, nicht vielleicht die vorgehaltene auslaufende Zeit genau das Gegenteil befördert und durch schnelle Lösungen den Prozessen radioaktiver Verseuchung Vorschub geleistet wird. Wieso drängt man so auf Beschleunigung?

MD: Also das sagt die Politik ja auch: Uns rennt die Zeit davon. Sie meinen aber nicht wirklich, daß die Zeiten von Zwischenlagergenehmigungen ablaufen, sondern daß die Industrie sich zurückzieht. Sie haben es versäumt, einen öffentlich-rechtlichen Fond einzurichten und diese Industrie wirklich in die Haftung zu nehmen. In in dem Prozeß der Schweiz ist deutlich geworden, daß die Summen, über die da diskutiert wird, überhaupt nicht ausreichen. Wir müssen über ein Dutzendfaches, über ein womöglich Hundertfaches dieser Summen reden, wir reden über gigantische Summen, die erforderlich sein werden, wenn man eine verantwortliche Lagerung übernimmt. Das Gegenteil haben wir in Ländern wie Rußland, wo einfach nur hingekippt wird. Das kennzeichnet ein Stück weit die nukleare Kette, die mit einem Uranabbau anfängt, der nach europäischen Bedingungen unverantwortlich ist und Unmengen von Menschen vergiftet und dann eigentlich unmöglich mit dem Hinkippen von Atommüll enden kann. Ich glaube jedoch, es gibt sehr wohl einige, die darauf spekulieren. Aber das ist eine andere Art von Eile. Das ist keine Eile, die wir jetzt haben in Form von Monaten oder womöglich von Wochen, sondern es ist eine Eile, diese Industrie in die Haftung zu nehmen, solange es sie noch gibt und ihre Rücklagen noch nicht aufgezehrt oder in den Aktienmärkten verschwunden sind.

SB: Das ist ein gutes Schlußwort. Herzlichen Dank, Martin Donat.

Schild mit Logo des DNR vor der Auferstehungskirche mit der Aufschrift, 'Herzlich Willkommen zur Fachtagung. Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Für Martin Donat ist der bessere Umgang mit Atommüll keine Frage ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

Grünes Wappenschild mit stilisierter, orangefarbener Sonne und dem Schriftzug 'Republik Freies Wendland' - Foto: 2010 by karlklaus freigegeben als public domain

... sondern seine Antwort ist ein besserer Umgang mit Energie. Die Republik Freies Wendland steht dafür.
Foto: 2010 by karlklaus freigegeben als public domain


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4. April 2014