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INTERVIEW/105: Wohnstube Meer - Pflege, Sorge, Schutz und Leben ... Thilo Maack im Gespräch (SB)


"Ein anderes Meer ist möglich!"

Zur Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Thilo Maack, Greenpeace-Kampaigner Meere und Biodiversität, über den desolaten Zustand der Meere, nachhaltige Fischerei und seine Motivation, sich für den Meeresschutz einzusetzen



Die Umweltorganisation Greenpeace hat sich einem breiten Bündnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen [1] angeschlossen, das Kritik an der offiziellen Meerespolitik übt und Vorschläge zur Verbesserung unter anderem des Meeresschutzes unterbreitet hat. Am ersten Abend einer dreitägigen Konferenz, die das Bündnis bewußt kurz vor dem Europäischen Tag des Meeres 2014 in Bremen veranstaltet hat, damit in den Medien auch kritischere Stimmen zu diesem Thema Gehör finden, wurde eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Die Grenzen des Blauen Wachstums" durchgeführt, an der auch der Greenpeace-Kampaigner Thilo Maack teilnahm.

Der 1968 in Emden geborene diplomierte Meeresbiologe betreibt für Greenpeace die fischerei- und walschutzrelevanten Kampagnen und hat die Organisation schon mehrfach als Leiter einer Delegation bei den Treffen der Internationalen Walfangkommission vertreten. Als Experte für Fragen zur Reform der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik (GFP) [2] betrachtet er die unter dem Titel "Blaues Wachstum" von der Europäischen Union ausgerufene Initiative zum Ausbau der wirtschaftlichen Nutzung der Meere mit Skepsis, sieht aber inzwischen durchaus Chancen dafür, daß die EU ihre Zusagen aus der GFP einhalten wird. Vor der Podiumsdiskussion stellte sich Thilo Maack dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

In einer Sitzrunde auf der Bühne - Foto: © 2014 by Schattenblick

Podiumsdiskussion mit (von links nach rechts): Francisco Mari (Brot für die Welt), Cornelia Wilß (Moderatorin), Thilo Maack (Greenpeace), Antje Boetius (AWI - Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung) und Nicole Franz (FAO - Food and Agriculture Organization)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): "Ein anderes Meer ist möglich!" lautet der Titel der heutigen Konferenz. Wenn Sie das mit Ihren eigenen Vorstellungen verbinden, was fällt Ihnen dazu ein?

Thilo Maack (TM): Es ist unstrittig, daß sich die Meere in einer historischen Krise befinden. Zu den sicherlich negativsten Aspekten gehört, daß die Meere Opfer des Klimawandels sind. Die Stichworte hierzu lauten Erwärmung, Meeresspiegelanstieg, Versauerung der Meere, Änderung des Strömungsregimes. Hinzu kommen Aspekte wie zum Beispiel die Fischerei. Schon der Weltnachhaltigkeitsgipfel hat in seiner Abschlußerklärung neben den Folgen des Klimawandels die Fischerei als Hauptgrund für den massiven Rückgang der Artenvielfalt in den Meeren genannt. Wir haben eine unkontrollierte Ausbeutung der Meeresbodenschätze, zum Beispiel der fossilen Energieträger, jetzt soll auch noch Tiefseebergbau betrieben werden. Ein weiterer Aspekt, der zur Zeit immer offensichtlicher wird, ist die Plastikmüllbelastung. Jeden Tag werden erschreckendere Nachrichten gemeldet, wonach Plastikmüll an die untersten Glieder des Nahrungsnetzes gerät und die Organismen an seinem Ende, unter anderem wir Menschen, am meisten darunter leiden. Wir bekommen im Grunde genommen das zurück, was wir dem Meer angetan haben.

Wir brauchen kein ökonomisches Wachstum durch die Nutzung des Meeres, kein Wachstum der Ausbeutung. Statt dessen brauchen wir ein Schutzregime der Meere, einschließlich Gebieten, in denen keinerlei menschliche Nutzung stattfinden darf.

Unter Schutz stehen die Meere bislang zu etwas mehr als sieben Prozent in der Zwölf-Seemeilenzone, etwas mehr als drei Prozent in der 200-Seemeilenzone und weniger als ein Prozent in den Bereichen der Hohen See, also außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit. Letzteres ist der Tatsache geschuldet, daß wir nach wie vor mit einer Idee im Kopf herumlaufen, die Hugo Grotius [3] um 1600 herum formuliert hat: die Freiheit der See. Damals waren die technologischen Möglichkeiten zur Ausbeutung der Meere so limitiert, daß man eigentlich gar nicht über die Zwölf- beziehungsweise 200-Seemeilenzone hinausgekommen war und es somit faktisch unglaublich viele Schutzgebiete gab. Das ist heute nicht mehr der Fall. Heute können die Meere überall, auf jedem Quadratzentimeter, ausgebeutet werden, und das passiert auch.

Deswegen läuft unsere Vision von einem anderen Meer eigentlich auf ein Schutzregime hinaus, das auf der Ebene der Vereinten Nationen angesiedelt sein sollte. Namhafte Meeresbiologen teilen unsere Ansicht, daß eigentlich 40 Prozent der Meeresökosysteme unter allerstrengsten Schutz gestellt und von der menschlichen Nutzung herausgenommen werden müßten. Für die Nutzung der Meeresgebiete außerhalb dieser Gebiete sollten Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgeschrieben sein. Das schließt die Überprüfung kumulativer Effekte der Meeresnutzung ein, und es wäre dann der Nachweis zu erbringen, daß das Vorhaben keine negativen Konsequenzen für die Meeresökosysteme hat. Diese Vision wird glücklicherweise auch vom Wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltfragen der Bundesregierung und dem Töpfer-Institut in Potsdam [4] geteilt. Wir fordern, daß Deutschland die Initiative übernimmt, damit innerhalb der nächsten Jahre ein "implementing agreement", eine Art Seerechtsübereinkommen beschlossen und eine Kontrollinstanz gegen die Übernutzung der Meere geschaffen wird.

SB: Was wäre der erste Schritt in diese Richtung?

TM: Die Europäische Union müßte dringend dafür sorgen, daß die Schutzgebiete, die ohnehin schon eine Gesetzesgrundlage haben, auch tatsächlich eingerichtet und die Bestimmungen umgesetzt werden. Wenn das nicht passiert, kann die EU nicht Vorreiter sein. Das will sie ja immer für alle möglichen Umweltfragen sein, kriegt es aber irgendwie nie hin.

Dann müssen wir von der industriellen Fischerei wegkommen. Weltweit haben wir vier Millionen Fischereifahrzeuge. 160.000 davon fangen genausoviel Fisch wie die restlichen 3,84 Millionen. Wenn nun die EU-Kommission sagt, daß die weltweite Fangflotte um das Doppelte zu groß ist, dann sind die Supertrawler und die große industrielle Fischerei sicherlich die ersten, die verschwinden müßten.

SB: Sehen Sie die geringsten Chancen dafür, daß gegenüber Spanien, Frankreich und anderen EU-Mitgliedsländern, die starke Fischfangflotten unterhalten, ein Rückbau der Fischerei-Industrie durchgesetzt werden kann?

TM: Vor vier Jahren hätte ich auf jeden Fall gesagt: "Nein, da gibt es überhaupt keine Hoffnung." Jetzt aber haben wir Maria Damanaki, die EU-Kommissarin für Fischerei, die die GFP-Reform, die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik, zum Abschluß gebracht hat. Also, das Glas ist durchaus halbvoll. Es gibt in der Grundverordnung der Gemeinsamen Fischereipolitik verschiedene Artikel, durch die, wenn sie entsprechend in nationales Recht umgesetzt werden, eine Gesundschrumpfung der europäischen Flotte in Gang gesetzt würde. Das hätte Auswirkungen auf die Fischbestände, die Ökosysteme und die Fischerei selbst und sicherlich etwas ganz, ganz Positives.

Thilo Maack beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Fisch muß viel mehr als Delikatesse betrachtet werden, und Delikatessen sind nur dann welche, wenn man sie nicht jeden Tag zu sich nimmt." (Thilo Maack, 15. Mai 2014, Bremen)
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Was wäre für Sie nachhaltiger Fischfang? Gibt es den überhaupt?

TM: Nachhaltigen Fischfang hat es über Jahrtausende gegeben. Jahrtausende sind Menschen mit Angel und Rute und kleinen Netzen rausgegangen und haben Fisch gefangen. Sie haben ihn mit ihren Händen aus dem Netz rausgeholt und lokal vermarktet. Die Fischerei bekam erst dann ein Ungleichgewicht, als wir anfingen, Netze hinter unseren Booten herzuziehen. Man muß ganz klar zwischen aktiver und passiver Fischerei trennen. Die passive Fischerei ist das Auslegen eines Köders oder eines Netzes: Die Netze verbleiben in der Wassersäule, werden nach einer gewissen Zeit eingeholt, und was der Fischer dann im Netz hat, ist sein Fang. Die Methode ist hoch selektiv; Fische, die zu klein sind, schwimmen durch die Netze hindurch.

Das Gegenteil davon ist die aktive Fischerei: Ein Netz, das über den Meeresgrund gezogen wird, verursacht dort zum Teil verheerende Folgen. Bei einem einzigen Trawl-Vorgang in der Tiefsee können ganze Ökosysteme und Korallenriffe ausradiert werden. Das ist vollkommen unselektiv, ohne Rücksicht darauf, was da gefangen wird. Beispielsweise werden bei der Seezungenfischerei pro Kilogramm Seezunge vierzehn Kilogramm andere Meeresorganismen mitgefangen, an Deck aussortiert und tot oder sterbend über Bord gekippt. Von dieser Fischerei, die nicht nachhaltig ist, müssen wir dringend weg.

Würde man dagegen den nachhaltigen Praktiken noch großflächige Schutzgebiete zur Seite stellen, wäre das sicherlich ein sehr guter Weg. Das würde allerdings dazu führen, daß Fisch teurer wird und wir letztendlich weniger Fisch essen. Fisch muß viel mehr als Delikatesse betrachtet werden, und Delikatessen sind nur dann welche, wenn man sie nicht jeden Tag zu sich nimmt.

SB: Das gilt für die hiesigen Breiten und Eßgewohnheiten. Was ist mit den Küstenbewohnern beispielsweise Asiens oder Afrikas, für die Fisch eines der Hauptnahrungsmittel ist?

TM: Wir haben 1,5 Milliarden Menschen, die auf Fisch als erste Eiweißquelle angewiesen sind. Und von diesen wissen sehr viele heute nicht, was sie morgen essen sollen. Ich glaube, wir sind weit, weit davon entfernt, dieses Problem gelöst zu haben. Dennoch weisen die Ergebnisse der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik in die richtige Richtung.

SB: Wären Aquakulturen ein geeignetes Mittel, um den Fischfang zu entlasten und darüber den Proteinbedarf der Menschen zu decken?

TM: Ich würde die Aquakulturen und ihre Möglichkeiten jetzt nicht verteufeln wollen, aber es ist leider Gottes zur Zeit noch so, daß die Aquakulturen in der Hauptsache nicht die Lösung, sondern ein Grund für die Überfischung sind. Denn nach wie vor werden dabei in erster Linie fleischfressende Arten gezüchtet, und die sind vielfach auf den Einsatz von Fischmehl angewiesen. Das heißt, es gibt eine Flotte, die rausfährt, um Sardinen zu fangen, aus denen Fischmehl gemacht wird, und aus diesem Fischmehl wird Lachs produziert. Und da ist die Futter-Konversionsrate - sie beschreibt das Verhältnis zwischen dem, was man an Protein reinsteckt und was man wieder herausholt - nach wie vor schlecht. Man muß mehr Eiweiß reinstecken, als man nachher letztendlich herausholt.

SB: Gibt es Konzepte, hierfür den sogenannten Beifang zu nutzen?

TM: Das geht demnächst los, wenn es zur nationalen Umsetzung der Grundverordnung der Gemeinsamen Fischereipolitik kommt. Dann wird aus den Beifängen tatsächlich Fischmehl gemacht, was ich allerdings für eine fatale Entwicklung halte. Denn die ursprüngliche Grundidee lautete, daß alles angelandet werden muß, was man fängt. Auf diese Art und Weise sollte positiver Druck auf die Fischer ausgeübt werden, damit sie als Alternative selektive Fanggeräte entwickeln, durch deren Verwendung die Bestände geschont werden. Jetzt werden dagegen Fragen aufgeworfen wie: "Kriegen wir noch Extraquoten für das Anlanden von Beifängen? Wie können wir die vermarkten? Sollen logistische Wege entwickelt werden, damit man den Beifang besser auf den Markt bringen kann?" Und so weiter.

SB: Läuft das darauf hinaus, daß die Maschenbreite der Netze gar nicht geändert wird?

TM: Im Gegenteil, es wird jetzt diskutiert, ob man die Mindestanlandegrößen zum Beispiel für den Ostseedorsch senken soll, damit man weniger Beifänge und dafür mehr Filets erhält. Das ist absolut fatal.

SB: Was halten Sie von der Behauptung der Fischindustrie, daß ein nachhaltiger Tiefseefischfang möglich ist?

TM: Ich halte die Tiefseefischerei für falsch, Tiefseefischerei ist in den vergangen Jahrhunderten nie notwendig gewesen und ist im Grunde genommen nur ein Zeichen, daß wir nicht in der Lage sind, die küstennahen Fischbestände zu bewirtschaften. [5]

Wir müssen erst einmal die Hausaufgaben zu Hause machen, bevor wir das Problem immer weiter verlagern. Die Reaktion der Fischindustrie auf die zurückgehende Ressource bestand ja im Einsatz immer größerer Netze, immer stärkerer Motorenleistung, immer effizienterer Ortungstechnik. So etwas kann bei der Ausbeutung einer natürlich begrenzten Ressource nicht auf ewig gutgehen. Das ist ein Grundfehler des kapitalistischen Wertes, daß man denkt, alles muß ewigem Wachstum unterliegen. Da bin ich ... Antikapitalist. (lacht)

Zwei Aufnahmen vom Meeresboden - Foto: Mit freundlicher Genehmigung von CSIRO Marine Research (doi:10.1371/journal.pbio.0020113.g003)

Die Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei.
Bild A: Korallen-Gemeinschaften am Meeresboden eines Seerückens in 1000 bis 2000 Meter Meerestiefe.
Bild B: Von einem Grundschleppnetz kahl geschabter Seerücken in 1000 bis 2000 Meter Meerestiefe.
Foto: Mit freundlicher Genehmigung von CSIRO Marine Research (doi:10.1371/journal.pbio.0020113.g003)

SB: Gibt es Erfahrungen, daß es nach der Einrichtung eines Meeresschutzgebietes zu Verdrängungseffekten kommt und die Nutzung nicht reduziert wird, sondern sich nur in andere Bereiche verlagert, wo dann die Zerstörungen sogar zunehmen?

TM: Es gibt viele Beispiele dafür, daß entlang der Ränder von Schutzgebieten wesentlich größere Fische gefangen werden und die Artenvielfalt deutlich zunimmt. Denn wenn in den Schutzgebieten irgendwann für die Fische, die sich dort ungestört vermehren können, kein Platz mehr ist und sie rausgedrängt werden, besteht der Effekt zunächst einmal darin, daß sich die Fischerei außerhalb dieser Schutzgebiete verdichtet. "Fishing on the edge" nennt das Prof. Callum. [siehe Fußnote 5] Am Ende regelt aber die Konkurrenz das Geschäft, und das ist ja eigentlich nur gut. So wie wir zur Zeit wirtschaften, geht es nicht mehr weiter. Schutzgebiete, konsequent eingerichtet und kontrolliert, und vor allen Dingen die Verhängung von Sanktionen im Falle von Verstößen sind die kurzfristig wirksamsten Maßnahmen gegen Überfischung.

SB: Soll man nicht eigentlich ganz aufhören, Fisch zu essen?

TM: Die Entscheidung, Fisch oder Fleisch zu essen, können wir nicht für die Leute treffen. Wir können da nur eine Empfehlung abgeben. Ich selber bezeichne mich als Flexitarier, ich ernähre mich fast nur vegetarisch, aber esse zum Beispiel auch gerne Fisch. Und versuche mich an den Einkaufsratgeber von Greenpeace zu halten - den gibt es übrigens unter www.greenpeace.de zum Runterladen. Wenn man den befolgt, kann man eigentlich guten Gewissens Fisch essen. Ich hatte ja vorhin schon gesagt: eigentlich müssen wir Fisch viel mehr als Delikatesse betrachten. Wir sollten weniger Fisch essen, das ist vielleicht erst einmal ein wichtiger Schritt.

SB: Sie waren im Jahr 2006 mit dem Greenpeace-Schiff Esperanza drei Wochen lang an einigen Brennpunkten der Meeresverschmutzung und haben unglaubliche Mengen an Plastik in Fischeiern, Muschellarven und Plankton entdeckt. Plastikmüll ist noch nicht mal das einzige Problem, das den Meeresbewohnern zu schaffen macht: Die Versauerung der Ozeane, große Sauerstofflöcher und ähnliches setzen ihnen ebenfalls zu. Können sich die Meeresbewohner überhaupt auf die vielfältigen Umweltveränderungen, die der Mensch verursacht, einstellen?

TM: Ich befürchte, nein. Ich glaube, eine der größten Gefahren der Effekte des Klimawandels ist, daß sie in einer Geschwindigkeit passieren, die es den Meeresarten nicht erlaubt, sich daran anzupassen. Die Gegner der Erkenntnis, daß es den Klimawandel gibt, argumentieren, Eiszeiten und Warmzeiten habe es schon immer gegeben. Da mag was Wahres dran sein, aber in der Vergangenheit waren diese warmen und kalten Perioden in ganz anderen Zeiträumen meßbar! Jetzt verzeichnen wir einen rasanten Anstieg zum Beispiel der CO2-Konzentration im Meer. Die Versauerung der Meere läßt sich nicht wegdiskutieren. Alle kalkbildenden Meeresorganismen wie Schnecken, Foraminiferen, Korallen, etc. bekommen innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte ein massives Problem. Die Arten kommen nicht mit der Geschwindigkeit, mit der wir immer größere Katastrophen in den Meeren anrichten, zurecht.

SB: Sie sprachen vorhin den Kapitalismus an und haben Kritik an der Wachstumsidee geäußert. Greenpeace lehnt das Wachstumsmodell ab, ist aber nicht antikapitalistisch. Würden Sie sich eher dem linken Rand bei Greenpeace zuordnen?

TM: Ich würde mich schon als Antikapitalisten bezeichnen, und ja, ich bin eher dem linken Spektrum zuzuordnen.

SB: Müßte man nicht für ganz andere Produktionsbedingungen an Land sorgen, wenn man die Umweltverschmutzungen im Meer verhindern will, und vielleicht auch eine ganz andere Gesellschaft schaffen?

TM: Ja, die andere Gesellschaft ist letztendlich das, wofür wir mal angetreten sind, und das originäre Ziel von Greenpeace ist ja, irgendwann einmal sich selbst überlebt zu haben, nicht mehr notwendig zu sein, weil sich das Bewußtsein der Menschen so geändert hat, wie wir glauben, daß es erstrebenswert ist, und wofür wir kämpfen. Wir sehen zum Beispiel das Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA, das TTIP, sehr, sehr kritisch an, und diese Kritik ist kein Rumdoktern an der Symptomatik, sondern setzt direkt an den Wurzeln eines ganz großen Problems an. Denn wenn das Abkommen beschlossen wird, haben wir genetisch manipulierte Fische auf dem deutschen Markt und erneut viele weitere Probleme, die wir eigentlich schon längst beseitigt haben.

SB: Die Verhandlungen zum TTIP finden im wesentlichen hinter verschlossenen Türen statt. Es gibt viele sicherlich berechtigte Befürchtungen, was auf die EU zukommt, aber gibt es auch schon konkrete Hinweise darauf, daß beispielsweise gentechnisch veränderter Lachs aus Nordamerika in der EU eingeführt wird?

TM: Das ist zumindest die Idee, die hinter dem Freihandel steht. Und wenn ich mir anschaue, was unsere politischen Führungen dazu sagen - Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich jetzt nochmals vehement dafür ausgesprochen -, dann ist das ein Zug, der auf uns zurollt.

SB: Er sagte sinngemäß zu den Gegnern des Freihandels, ihr wißt ja gar nicht, wogegen ihr protestiert, und hat sich ein bißchen lustig über sie gemacht. [6]

TM: Ja, das ist typisch für ihn. Das ist nicht besonders wertschätzend, das fällt ihm letztlich selber auf die Füße.

SB: Kommen wir zu einem anderen Thema: Seit Dezember letzten Jahres fördert das russische Unternehmen Gazprom in der Arktis mittels Offshore-Anlagen Erdöl. Greenpeace schreibt, daß damit die arktische Region einer potentiellen Umweltkatastrophe ausgesetzt wird, weil es keine Möglichkeit gibt, auslaufendes Öl in vereisten Gewässern zu bergen. Was sind da die besonderen Probleme?

TM: Zunächst mal ist es so, daß es im Falle einer Havarie einer solchen Ölplattform bis zu fünf Tage dauern würde, daß Hilfe eintrifft. Zudem ist die Bakterienaktivität in diesen Breiten wesentlich geringer, der natürliche Abbau von Erdöl erfolgt unter diesen Bedingungen wesentlich langsamer.

SB: Hat man irgendwelche Szenarien entworfen, was bei einem Unglücksfall speziell mit den arktischen Meeresbewohnern passieren könnte?

TM: Da gibt es verschiedene Szenarien, aber bevor man tatsächlich hingeht und sagt, was passieren wird, finde ich die Forderung vollkommen legitim zu sagen, wir schaffen für die Arktis ein vergleichbares Schutzregime wie für die Antarktis. Beides muß das Erbe der Menschheit sein. Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Es gibt so viele Beispiele dafür, daß wir Technologien einsetzen, die wir selber nicht kontrollieren können, und unter Rahmenbedingungen, wie sie zum Beispiel in der Arktis vorkommen, die wir ebenfalls nicht kontrollieren können. Ich halte es für die bessere Idee, die Finger davon zu lassen und auf alternative Energieerzeugung zu setzen.

SB: Die erste Öllieferung aus dem arktischen Ozean hat der französische Ölkonzern Total erworben. [7] Das Unternehmen hat sich aber bereits seit September 2012 offiziell aus der eigenen Förderung zurückgezogen. Als Grund nannte die Konzernleitung die unkalkulierbaren Risiken beim Bohren und Fördern von Öl im arktischen Eismeer. Will sich Total aus der Verantwortung stehlen, aber die Schmutzarbeit Gazprom machen lassen und dann davon profitieren?

TM: Das sieht so aus. Sie sind sich nicht zu schade dazu, das gleiche zu machen, was sie vorher gemacht haben, also sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen und damit zu werben. Aber letztendlich hat sich in den Köpfen gar nichts geändert.

Zwei tote, ölverschmierte Vögel liegen nebeneinander auf Holzunterlage - Foto: Exxon Valdez Oil Spill Trustee Council, freigegeben via Wikimedia Commons

Ölverschmierte Vögel nach der Havarie des Öltankers Exxon Valdez am 24. März 1989 im Prince William Sound, Alaska
Foto: Exxon Valdez Oil Spill Trustee Council, freigegeben via Wikimedia Commons

SB: Was hat Sie persönlich motiviert, sich Greenpeace anzuschließen und Meeresschutz zu betreiben?

TM: Seit ich zehn bin, haben mich die Meere fasziniert. Ich wollte immer mit dem Meer zu tun haben, habe Biologie studiert und bin Meeresbiologe von Beruf. Für kurze Zeit habe ich als Unterwasserkameramann gearbeitet und im Januar 1999 angefangen, für Greenpeace tätig zu sein.

SB: Machen Sie auch bei so spektakulären Aktionen mit wie die Leute von der Organisation Sea Sheperd [8], die sich schon mal in antarktischen Gewässern mit einem Surfbrett an Deck eines japanischen Walfangschiffes katapultiert haben?

TM: Wer bin ich, daß ich Sea Sheperd beurteilen dürfte? Wir haben eine Organisationsentscheidung gefällt, nicht mit Sea Sheperd zusammenzuarbeiten, und daran halten wir uns. Die machen ihr Ding und wir unseres. Leider war ich noch nie in der Antarktis, da wollte ich schon immer mal hin. Die Entscheidung, Wale zu fangen, ist in Japan gefällt worden. Deswegen kann man sagen, daß die Entscheidung, damit aufzuhören, auch in Japan fallen muß, und daß man irgendwann mal neben den harten Aktionen, die man in der Antarktis macht, sich auch überlegt, was für eine Strategie man in Japan verfolgt. Unser Ansatz besteht darin, daß wir zur Zeit eher versuchen, auf die Vernunft der Leute zu setzen und den Wahnsinn deutlich zu machen, daß da mit ihren Steuergeldern eine Flotte ausgerüstet wird, die 6000 Seemeilen weiter südlich im Walschutzgebiet Walfleisch produziert, was keiner essen will. Das ist unsere Herangehensweise.

SB: Sie waren aber für Greenpeace an einigen Aktionen auf See beteiligt oder nicht?

TM: Ja, im englischen Kanal gibt es eine Wolfsbarschfischerei, bei der regelmäßig Delphine gefangen werden, die dann in den Netzen elendig ersaufen. Wir sind dort mit Schlauchbooten hingefahren und haben uns vor die Trawler geschmissen, um die von ihrem Kurs abzubringen. Das hat auch gut funktioniert. Ich kann mich noch an eine Szene erinnern, da hatte man mir eine Helmkamera auf den Kopf gesetzt und man hört dann meine Atemgeräusche. Je näher wir an das andere Schiff heranrückten, desto schneller ging mein Atem.

SB: Sind die Fischer, die ja manchmal nicht zimperlich sind, sauer geworden?

TM: Na klar werden die Fischer sauer. Aber ich muß ja für meine Überzeugung einstehen können, das tun die Fischer letztlich auch. Ich habe noch keine politischen Gegner erlebt, die uns nicht zumindest Respekt entgegengebracht haben.

SB: Herr Maack, vielen Dank für das Gespräch.

Einige Boote sowie zahlreiche Sedimentfahnen, die sich in unterschiedlichen Stadien der Auflösung befinden - Foto: PD US Government

"Die Fischerei bekam erst dann ein Ungleichgewicht, als wir anfingen, Netze hinter unseren Booten herzuziehen." (Thilo Maack, 15. Mai 2014, Bremen)
Landsat-Satellitenaufnahmen der Schleppnetzfischerei vor der Küste des US-Bundesstaats Louisiana. Unverkennbar die Sedimentfahnen, die dabei entstehen und sich lange Zeit im Meer halten.
Foto: PD US Government


Fußnoten:

[1] Zu dem Bündnis gehören: bbu - Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, BeN - Bremer entwicklungspolitisches Netzwerk, Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst, BUND - Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Deepwave, Deutsche Seemannsmission e.V., Fair Oceans (dem Arbeitsschwerpunkt des Vereins für Internationalismus und Kommunikation e.V.), Forum Umwelt und Entwicklung, Greenpeace, itf - International Transport Workers' Federation, medico international, NABU - Naturschutzbund Deutschland, Robin Wood, Shipbreaking Platform, Slow Food Deutschland e.V., ver.di, Wasserforum Bremen, die Zeitschrift "Waterkant", WDC - Whale and Dolphin Conservation, WWF - World Wide Fund For Nature

[2] http://ec.europa.eu/fisheries/cfp/index_de.htm

[3] Hugo Grotius (1583-1645) - Der niederländische Rechtsgelehrte und Philosoph veröffentlichte 1609 die Schrift "De Mare Librum", in der er gegenüber anderen europäischen Kolonialmächten den Anspruch der Niederlande auf einen freien Handel zur See begründete.

[4] Klaus Töpfer, ehemaliger deutscher Umweltminister und Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, wurde im Jahr 2009 Direktor des neu gegründeten Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam.

[5] Greenpeace hat eine zehn Punkte umfassende Gegendarstellung zu der Behauptung der Fischerei-Industrie, daß eine nachhaltige Tiefseefischerei möglich ist, veröffentlicht. Verfaßt wurde sie von Professor Les Watling (Department of Biology, University of Hawaii), Professor Callum Roberts (Environment Department, University of York) und Professor J. Murray Roberts (Direktor des Centre for Marine Biodiversity & Biotechnology, School of Life Sciences, Heriot-Watt University, Edinburgh).
https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/scientific_rebuttal_of_inconvenient_truth_document.pdf

[6] Anfang Mai hatte Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) zu einer Informationsveranstaltung in sein Ministerium eingeladen. Dort sagte er laut der Zeitung "Die Welt" gegenüber der Campact-Aktivistin und TTIP-Kritikerin Maritta Strasser, sie sammle Unterschriften gegen etwas, was sie noch gar nicht kennen würde. Gabriel wird mit den Worten zitiert: "Sie kämpfen gegen einen Vertrag, den es noch gar nicht gibt. Wir sollten nicht gegen Mythen kämpfen, sondern gegen schlechte Verträge."
http://www.welt.de/politik/deutschland/article127658471/Wie-Sigmar-Gabriel-den-Freihandel-retten-will.html
Dazu nur zwei kurze Bemerkungen:
1.) Daß die Verträge nicht bekannt sind, liegt nicht an irgendeinem Versäumnis seitens der Protestierenden, sondern an der Geheimniskrämerei von Verhandlungsführern, die es offenbar nötig haben, die Türen hinter sich ab- und die Öffentlichkeit von den Gesprächen auszuschließen.
2.) Gabriels Argument ist geradezu fahrlässig. Man bedient beim Autofahren ja auch vorsorglich die Bremse, auch wenn man noch keine absolute Sicherheit darüber hat, daß es zum Crash kommt. Anders gesagt: Man weiß mehr als genug über das TTIP, um es ebenso entschieden zurückzuweisen wie Mitte der 1990er Jahre das MAI (Multilaterale Investitionsschutzabkommen), mit dem damals schon Handelshemmnisse abgebaut und Sozial- und Umweltstandards geschliffen werden sollten.
Inzwischen hat Gabriel einen Beirat zum TTIP einberufen, um unter anderem "den Dialog mit den beteiligten Akteuren zur geplanten Handels- und Investitionspartnerschaft weiter zu intensivieren".
http://www.spd.de/aktuelles/120548/20140522_gabriel_ttip_beirat.html
Also noch mehr Pseudodialoge, um die "lästige" Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen?

[7] http://www.n-tv.de/politik/Erster-Tanker-mit-Arktis-Oel-unterwegs-article12726041.html

[8] Die Organisation Sea Sheperd wurde 1977 von dem früheren Greenpeace-Mitglied Paul Watson gegründet und ist für ihre mitunter ruppigen Maßnahmen gegen Robbenschlachter, Walfänger, etc. bekannt. Nach eigenen Angaben hat die Organisation seit 1979 zehn Walfangschiffe versenkt.



Zu der Konferenz ist bisher unter UMWELT → REPORT →
BERICHT und UMWELT → REPORT → INTERVIEW erschienen:

BERICHT/073: Wohnstube Meer - verletzt man nicht ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0073.html

INTERVIEW/104: Wohnstube Meer - Messies, Müll und Therapien ... Kai Kaschinski im Gespräch (SB)
Kai Kaschinski über den Zusammenschluß von NGOs, die sich mit Meerespolitik befassen, um die drohenden Folgen des von der Europäischen Union ausgerufenen "Blauen Wachstums" abzuwenden
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0104.html

INTERVIEW/106 : Wohnstube Meer - erst sterben die Fische ... David Pfender (WDC) im Gespräch (SB)
Walhelfer David Pfender über die fahrlässige Verletzung der Würde von Meeresbewohnern
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0104.html

26. Mai 2014