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INTERVIEW/113: Kohle, Gifte, Emissionen - Zerstörte Erde, zerstörte Würde, Heike Remberg im Gespräch (SB)


Surrogat einer verlorengegangenen Lebenswirklichkeit

Interview in Immerath (neu) am 25. Mai 2014



Zum Abschluß ihrer Ortsbegehung im Braunkohleabbaugebiet Garzweiler am 25. Mai 2014, die sie mit der Zerstörung menschlicher Siedlungen und Kulturlandschaften durch den Tagebau konfrontiert hatte, machten die beiden Schattenblick-Redakteure Station im neuen Immerath. In diesem befremdlichen Surrogat einer verlorengegangenen Lebenswirklichkeit, das den Eindruck einer noch immer rudimentären Baustelle machte, sprachen sie mit Menschen, die rundum zufrieden mit ihren modernen Wohnhäusern waren. Heike Remberg, die sich zu einem Gespräch bereiterklärte, sieht die Dinge allerdings mit anderen Augen.

Auf ihrer Veranda - Foto: © 2014 by Schattenblick

Heike Remberg
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Schon auf den ersten Blick fällt auf, daß Alt-Immerath wesentlich größer ist als dieser Ort. Alle Bewohner können unmöglich hierher umgesiedelt worden sein.

Heike Remberg: Nein, viele sind auch zu anderen umliegenden Ortschaften gezogen, und von den Alten sind einige aus Gram verstorben. Das ging dann erschreckend schnell.

SB: Wie lange wohnen Sie schon hier?

HR: Wir waren mit die ersten, die hierher gezogen sind. Das war 2008.

SB: War es jetzt, im Rückblick betrachtet, eine gute Entscheidung oder bereuen Sie es, weil Sie dieses und jenes gerne anders gehabt hätten?

HR: Uns blieb ja keine Wahl. Wo hätten wir sonst hin sollen? Die Mieten hier wurden denen in Alt-Immerath angeglichen. Von daher war es natürlich ein positiver Aspekt, aber alles andere, nein, schön ist es hier nicht.

SB: Haben Sie mehr an Lebensgefühl verloren, als Sie in Alt-Immerath hatten?

HR: Auf jeden Fall.

SB: Als wir in diese Neusiedlung hineinfuhren, hatten wir die Vorstellung, gleich den Ortskern mit Kirche und Grünanlagen zu erreichen, wo man sich treffen und miteinander reden kann. Wir sind einmal im Kreis gefahren, haben aber nur eine freistehende Fläche gefunden, die als Marktplatz ausgewiesen ist.

HR: Die Kirche wird gerade gebaut. Sie wird sehr viel kleiner sein als die St. Lambertus-Kirche, die wir in Alt-Immerath hatten. Viele sagen, daß sie sich hier wohlfühlen, weil sie prachtvolle Häuser bekommen haben. Ich weiß nicht, vielleicht sind sie emotional anders eingestellt als ich. Ich war vor kurzem mit den Kindern noch einmal in Alt-Immerath gewesen.

SB: Was war das für ein Gefühl für Sie?

HR: Es war ganz schrecklich. Jetzt stehen ja noch Häuser dort, aber ich glaube nicht, daß ich noch einmal dorthin könnte, wenn wirklich alles abgerissen ist.

SB: Wir waren vorhin selbst in Alt-Immerath, und obwohl uns keine persönliche Lebensgeschichte mit dem Ort verbindet, haben wir die verlassenen Straßen und Häuser als sehr bedrückend empfunden.

HR: Es ist einfach ein trauriger Anblick, weil dort überhaupt kein Leben mehr ist. Ich bin dort geboren worden.

SB: Wie lange haben Sie in Alt-Immerath gelebt?

HR: Nach meiner Heirat habe ich zwischenzeitlich in Erkelenz gewohnt, aber sonst von Kind auf an.

SB: Dann ist Alt-Immerath für Sie die eigentliche Heimat.

HR: Ja, dort habe ich meine Wurzeln und bin in Alt-Immerath auch zur Schule gegangen.

SB: Wie hoch die Entschädigung auch ausfällt, man kann eine Lebensgeschichte nicht in Geld umrechnen.

HR: Nein, das kann man nicht, und deswegen verstehe ich manche Leute auch nicht, die hier alles schön und gut finden.

SB: Wir haben vorhin Leute auf der Straße nach ihren Erfahrungen mit der Umsiedlung gefragt, aber sie haben gleich abgewinkt und gesagt, daß sie nicht aus Alt-Immerath stammen. Uns war nicht klar, daß hier sehr viele Leute hingezogen sind, die gar nicht im alten Ort gewohnt haben.

HR: Viele aus Alt-Immerath wollten sich das nicht antun.

SB: Werden hier in Neu-Immerath ähnliche nachbarschaftliche Kontakte gepflegt wie früher im alten Ort?

HR: Jene, die hier mit allem zufrieden sind, behaupten, daß sie jetzt sogar mehr Kontakte hätten als vorher. Aber ich selbst empfinde das nicht so, und ich bin nicht die einzige. Ich habe ein paar Leute getroffen, die wie ich darüber denken. Die anderen sind jetzt natürlich etwas Besseres. Mit 60 Jahren haben sie jetzt Häuser mit über 200 Quadratmetern Wohnfläche und fühlen sich natürlich wie ein König. Wir wohnen ja nur zur Miete. Ich habe damit kein Problem, aber finde es traurig, wenn Leute, die man früher jahrelang gegrüßt hat, auf einmal wortlos an einem vorbeilaufen.

SB: Verhalten sich viele Leute, die Sie von früher kennen, Ihnen gegenüber reserviert?

HR: Nicht alle, aber viele heben wirklich ein bißchen ab.

SB: Gibt es Zusammentreffen von ehemaligen Bewohnern aus Alt-Immerath?

HR: Schützenfeste werden veranstaltet, aber wenn man nicht im Verein ist, wird es schwierig. Allerdings habe ich solche Sachen schon in Alt-Immerath nicht gemocht.

SB: Gibt es denn keine Begegnungen im Alltag?

HR: Hier ist ja nichts. Es gibt weder einen kleinen Einkaufsladen noch einen Bäcker, wo man sich treffen könnte. Gleich nebenan im angrenzenden Ort Kückhoven kann man bei Aldi einkaufen. Das ist natürlich sehr praktisch, aber hier im Ort existiert nichts.

SB: Wissen Sie, wo ihre Nachbarn aus Alt-Immerath geblieben sind?

HR: Nein, die direkten Nachbarn waren keine gebürtigen Alt-Immerather, sondern Zugezogene, so daß wir zu ihnen keinen echten Kontakt hatten.

SB: Und wissen Sie, wo jene jetzt wohnen, die Sie schon länger kannten?

HR: Den Nachbarn hier gleich nebenan kenne ich von früher. Er hatte schon ewig in Alt-Immerath gewohnt.

SB: Die freien Flächen werden weiter bebaut. Wissen Sie, wie lange das noch andauern wird?

HR: Ich habe keine Ahnung. Teilweise sind die Grundstücke ruckzuck verkauft und neu bebaut. Oft denke ich, da stand doch neulich noch kein Haus, aber ansonsten passiert hier nichts.

SB: Auch in der Lausitz mußten viele Ortschaften dem Braunkohletagebau weichen. In den neuen Siedlungen dort stehen die Häuser, nach Schema-F gebaut, eintönig in einer Reihe, daß man glaubt, im Legoland zu sein. Doch hier in Neu-Immerath sind die Häuser sehr verschieden und wirken protzig wie eine Villa.

HR: Fühlten Sie sich, als Sie in den Ort kamen, wohl?

SB: Nein, überhaupt nicht. Es wirkt wie eine Baustelle, die nicht fertig werden will.

HR: Das merke ich jeden Tag, wenn meine Fenster wieder schmutzig sind.

SB: Natürlich haben wir bei der Ankunft mit einem Neubaugebiet gerechnet, und als wir im Hintergrund den Turm einer Kirche gesehen haben, sind wir gleich hingefahren und waren plötzlich im Nachbarort. Es ist schon befremdlich, wenn ein Ort, der seit 2006 bebaut und besiedelt wird, noch keine fertige Kirche und funktionierende Infrastruktur besitzt.

HR: Ja, dieser Ort hat keinen Charakter.

SB: Aber es gibt hier einen neuen Friedhof mit sehr vielen Grabsteinen. Sind die Gräber aus Alt-Immerath hierher verlegt worden?

HR: Ja, die sind im letzten Jahr umgebettet worden.

SB: Die Menschen in Alt-Immerath haben spätestens 2006 gewußt, daß ihr Dorf abgerissen und von der Bildfläche verschwinden wird. Wie ist man mit der Situation umgegangen? Hat es Zusammenkünfte gegeben, um die Pläne für die Umsiedlung zu besprechen?

HR: Ja, es gab mehrere Treffen. Aber die Entscheidung stand ja schon fest. Daher fand ich die Sache eigentlich überflüssig. Wenn ein Riesenkonzern von oben herab irgend etwas entscheidet, können sich die Menschen mit Händen und Füßen wehren, aber es nützt nichts, wie man sehen kann.

SB: Trotzdem muß sich der Bürgermeister doch darum gekümmert haben, daß die Leute woanders unterkommen.

HR: Ja, das ist auch passiert, mit Entschädigungen und so weiter. Allerdings darf in Neu-Immerath keine Landwirtschaft betrieben werden. Die Bauern sind von vornherein vom Umsiedlungsplan ausgenommen worden. Das ist etwas, was mir wirklich fehlt. Meine Kinder können nicht in einer Scheune spielen gehen oder auf Strohballen hüpfen, wie wir es früher getan haben.

SB: Bei den Landwirten war das Problem, daß man ihnen Ersatzflächen angeboten hat, deren Qualität deutlich schlechter war, oder sie erhielten für ihre Höfe Entschädigungssummen offeriert, die nur die Hälfte vom tatsächlichen Wert ausmachten.

HR: Ein Bauer wohnt noch in Alt-Immerath und versucht, mit RWE zu verhandeln.

SB: Ist man auf Sie persönlich zugegangen und hat Ihnen in Neu-Immerath eine Wohnung in Aussicht gestellt?

HR: Ja, unser Vermieter hat uns ein Angebot gemacht. Nach langem Hin und Her haben wir zugestimmt. Letztendlich hat die Miete den Ausschlag gegeben, denn in der Stadt hätten wir uns angesichts des hohen Mietpreisspiegels keine Wohnung leisten können. Aber in die Stadt wollte ich ohnehin nicht ziehen. Also haben wir ja gesagt.

SB: Ist Ihnen gewährleistet worden, daß die Miete in Neu-Immerath nicht erhöht wird?

HR: Ja, aber nur für eine gewisse Zeit.

SB: Befürchten Sie eine Mietsteigerung?

HR: Ja, im Augenblick ist das alles hier noch eine Neubausiedlung, aber wenn die Infrastruktur in den nächsten Jahren ausgebaut wird, werden wohl auch die Mieten ansteigen.

SB: Hat Ihr Vermieter Gelder von RWE bekommen, um diesen Mietblock errichten zu können?

HR: Er ist Bauunternehmer und hatte schon vorher keine Sorgen. Aber natürlich wird er von RWE eine ordentliche Entschädigung bekommen haben.

SB: Ist das hier ein Ort, wo Sie für den Rest ihres Lebens wohnen möchten?

HR: Nein, dann müßte sich schon vieles verändern. Für die Kinder ist es von der Lage her in Ordnung. Mit dem Bus sind sie in zehn Minuten in der Schule.

SB: Man hat uns erzählt, daß nach Neu-Immerath ungefähr 300 Leute aus dem alten Ort hingezogen sind.

HR: 300 ist eine hohe Zahl, wahrscheinlich sind es eher weniger.

SB: Es ist schön, auch eine Stimme zu hören, die Neu-Immerath nicht wie die Eigenheimbesitzer oder Auswärtigen in den höchsten Tönen lobt, und man so einen anderen Blick auf die Umsiedlung erhält.

HR: Natürlich, die kommen aus der Stadt, teilweise aus Düsseldorf, und sind froh, hier auf dem Land zu bauen, wo die Preise für die Grundstücke deutlich geringer sind. Klar sind sie glücklich, sie haben auch nichts verloren.

SB: Eine letzte Frage noch: Was vermissen Sie hier am meisten?

HR: Den Zusammenhalt der Leute, der war in Alt-Immerath anders, und natürlich die alten Gassen, die Kirche und den Bäcker. In Alt-Immerath kannte jeder jeden. Es ging dort herzlicher zu.

SB: Vielen Dank für das Interview, Frau Remberg.


Aktuelle Beiträge zu den Tagebauen im Rheinischen Braunkohlerevier und dem dagegen gerichteten Widerstand im Schattenblick unter
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BERICHT/075: Kohle, Gifte, Emissionen - Kontroversen, Bündnisse, Teil 1 (SB)
BERICHT/076: Kohle, Gifte, Emissionen - Kontroversen, Bündnisse, Teil 2 (SB)
BERICHT/077: Kohle, Gifte, Emissionen - Industrie vor Menschenrecht, Teil 1 (SB)
BERICHT/078: Kohle, Gifte, Emissionen - Industrie vor Menschenrecht, Teil 2 (SB)
BERICHT/079: Kohle, Gifte, Emissionen - Industrie vor Menschenrecht, Teil 3 (SB)

10. Juni 2014