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INTERVIEW/121: Kohle, Gifte, Emissionen - dagegen leben ..., Aktivist Tim im Gespräch, Teil 2 (SB)


Baummord

Interview im Hambacher Forst am 25. Mai 2014



Tim ist Aktivist des Braunkohlewiderstands, der den Rest des Hambacher Forstes gegen die Erweiterung des Tagebaus Hambach durch den Energiekonzern RWE Power verteidigt. Bei einem Gang durch diesen urtümlichen, vor allem aus hohen Buchen und Eichen bestehenden Wald beantwortete Tim dem Schattenblick einige Fragen zu seiner persönlichen Geschichte und den Gründen, die ihn zu seinem außergewöhnlichen Engagement für die Verteidigung der Natur veranlassen. Dabei bot sich auch die Gelegenheit, aus erster Hand etwas über die Waldbesetzung wie die dagegen gerichteten Maßnahmen des Staates zu erfahren.

Im zweiten Teil des Gespräches schildert Tim die Umstände der jüngsten Räumung, der auch der Baum zum Opfer fiel, der ihn ein halbes Jahr lang beherbergt hatte.

Banner im Baum 'Wald statt Kohle' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Tim, bei welcher Räumung wurdest du aus dem Baum geschnitten?

Tim: Das jetzt ist die vierte Waldbesetzung. Bei der dritten hat man mich, exakt am 27. März, herausgeschnitten und den Baum gefällt. Dieser Baumstumpf hier war einst der Baum T'estimo, in dem ich ein halbes Jahr, von Oktober letzten Jahres bis zur Räumung, gelebt habe. Das Wort stammt aus dem Katalanischen. In den ersten Tagen haben sich auch Leute aus Spanien an der Besetzung beteiligt. Wir hatten eine Diskussion über den Begriff Liebe, das Festketten und die Natur geführt. Dabei erwähnte ich, daß ich mich in Wietze schon einmal festgekettet hatte und es wieder machen würde, weil ich keinen anderen Weg sehe, wie ich mich dem Abholzen des Waldes sonst entgegenstellen könnte. Daraufhin haben die spanischen Aktivisten gesagt, das sei Timo, was auf Deutsch Liebe bedeutet, und schrieben den Ausspruch "Liebe für Mutter Erde" auf katalanisch auf das Metallrohr, an dem ich mich festgekettet hatte, damit ich an sie denke. Den Baum selbst habe ich T'estimo - in Liebe - genannt.

SB: Stand der Baum im Umfeld der Besetzung?

Tim: Wir sind jetzt ungefähr 200, maximal 300 Meter vom Kern der eigentlichen Besetzung entfernt. Der Zirkel um die Besetzung wurde nach vier Wochen immer größer, und eines Tages ist T'estimo dann vor mir aufgetaucht und wurde am 27. März ermordet.

Baumstumpf und -krone - Fotos: © 2014 by Schattenblick Baumstumpf und -krone - Fotos: © 2014 by Schattenblick Baumstumpf und -krone - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Mit Stumpf und Stiel vernichtet ... T'estimos Überreste
Fotos: © 2014 by Schattenblick

SB: Könntest du erzählen, wie die Räumung abgelaufen ist?

Tim: Die Polizei ist morgens aufgetaucht. Ich habe aus dem Fenster geschaut und sofort gesehen, wie Polizisten den Bereich um den Baum großflächig mit Flatterband absperren. Daraufhin habe ich Kontakt mit den Aktivisten auf den anderen Bäumen aufgenommen, die das gleiche berichteten. Knapp einen Monat davor war die Polizei in den Wald gekommen und hatte die Barrikaden geräumt. Ein paar Tage darauf durchsuchten sie die Wiese und kappten im Wald die Kletterseile. Wieder eine Woche später wurde die Projektwerkstatt in Saasen unter dem Vorwand, Straftaten im Zusammenhang mit dem Klimacamp zu ermitteln, durchsucht. Den Tag darauf hatten sie uns hier im Wald geräumt. Das war eine lang geplante und konzertierte Aktion gewesen. In der Presse hieß es später, daß die Aktionen nicht aufeinander abgestimmt gewesen seien, was aber nicht stimmen kann, denn die vorangegangenen Operationen waren von der Staatsanwaltschaft in Aachen und Köln ausgegangen. Im Anschluß darauf hatte man sich dann um die Hauptbesetzung gekümmert und alle Bäume ringsherum gefällt.

SB: Noch vor der Räumung der besetzten Bäume?

Tim: Ja, sie hatten erst die Bäume gefällt, die ringsherum standen, und waren dann mit einem Kettenpanzer herangerückt, an dem vorne eine Fräse befestigt war, mit der die Wege aufgeschüttet und planiert wurden. Nachdem sie die Seile zwischen den Bäumen gekappt hatten, stürmten sie mit der Hebebühne die einzelnen Baumhäuser. Im vorderen Bereich der Waldbesetzung hatten sie eine Person, festgekettet im Betonblock, und eine zweite Person, die sich oben in der Baumkrone auf knapp 20 Meter mit beiden Händen festgekettet hatte, entdeckt. Die beiden wurden als erstes rausgeholt. Das war so um 15.00 Uhr gewesen. Daraufhin bewegten sie sich in meine Richtung.

Etwa 200 Meter von hier entfernt befand sich eine Plattform in einem Baum, der allerdings nicht besetzt war. Dieser Baum wurde gefällt, ehe sie um meinen Baum herum alles freimachten und zu mir hochkamen. Sie gingen zuerst ins Baumhaus, aber da saß ich schon mit einer weiteren Person zusammen oben in der Krone und war mit beiden Armen am Baum festgekettet. Die Konstruktion dazu war um und in die Krone gelegt, damit sie die Krone nicht einfach heraussägen konnten. Sie mußten mich zunächst einmal umsichern, sonst hätten sie mir beide Arme gebrochen. Bevor sie sich um mich kümmerten, rissen sie jedoch das Baumhaus ein. Damit hielten sie sich so lange auf, daß es langsam dunkel wurde. Ich hing schon seit mehreren Stunden festgekettet am Baum. Es war schon ziemlich dunkel, als sie zu mir hochkamen und sagten, sie hätten nur einen Tag für das Räumen bekommen und müßten jetzt abfahren, und ob ich nicht nach dem Schlüssel rufen und mich freischließen lassen wollte.

Nein, sagte ich, ich hätte keinen Schlüssel. Ihr könnt hier nicht auftauchen und meine Wohnung kaputtmachen, den Baum verstümmeln und mich dann an einem Ast hängenlassen. Daraufhin hatten sie die Person, die hinter mir saß und mich mit Wasser versorgt hatte, herausgezogen. Als sie damit fertig waren, war es schon Nacht. Zwei Hebebühnen kamen zum Einsatz. Auf einer stand ein Lichtpilz, um mich zu beleuchten, während auf der anderen die technische Klettereinheit aus Bayern nach oben befördert wurde. Als erstes wurde die Krone über mir bis an meinen Kopf heran mit einer Kettensäge herausgeschnitten. Nach über einer Stunde hatten sie mich schließlich aus dem Baum herausgehoben und auf die Hebebühne gelegt. Nach all den Stunden war ich vollkommen fertig. Am Boden wurde noch das Rohr entfernt und ich ins Krankenhaus gefahren.

Weil ich dort meinen Namen nicht angeben wollte, wurde mir die ärztliche Versorgung vorenthalten. Wenn man in Deutschland bei Bewußtsein ist, aber seinen Namen nicht preisgibt, wird man nicht behandelt. Das Krankenhaus will erst eine Rechnungsadresse haben. Das ist so üblich. Aber ich wollte mit den Ärzten nicht kooperieren. Die Polizisten saßen neben mir. Auch ihnen hatte ich meinen Namen nicht angegeben. Sie wußten nur meinen Spitz- bzw. Kommunikationsnamen Tim. Nach einer Stunde verließen die Polizisten mit mir das Krankenhaus - es war etwa 10 Uhr nachts - und brachten mich nach Hürth bei Köln auf die Wache, wo sie mir Fingerabdrücke abnahmen. Die Maschine hat meinen Namen schnell herausgespuckt. Danach drückten sie mir meinen Gurt und Schlafsack in die Hand und setzten mich vor die Tür. Ich war noch in der Nacht auf die Wiese zurückgekehrt, aber da waren alle Bäume schon gefällt.

Tim auf dem Stamm des Baumes - Foto: © 2014 by Schattenblick

T'estimos Stamm ... zur Verwertung an den Rand des Waldes geschleppt
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Hat eine Spezialstaffel der Polizei die Bäume abgesägt?

Tim: Nein, sondern Leute von der Forstbehörde. Der gesamte Einsatz war von der Forstbehörde NRW unterstützt worden, weil es auch um Wirtschaftsinteressen ging. Der Wald ist für sie ein Nutzobjekt. Naturschutzbehörden sind nicht dafür da, den Wald zu schützen, sondern Flächen parat zu halten. Wir befinden uns hier auf einem ausgewiesenen Naturschutzgebiet, aber das einzige, was sie interessiert, ist die Nutzbarkeit. Dieser Wald hier ist Eigentum von RWE. Alles, was hier gefällt und durch den Holzverkauf erwirtschaftet wird, geht in die Kassen des Energiekonzerns und finanziert so den Braunkohleabbau mit. Die Leute, die hier im Forst arbeiten, sind Angestellte des Konzerns. Auch die Maschinen werden von RWE gestellt, weil die Polizei keine Einsatzmittel hat, um außerhalb des städtischen Gebiets in einen nicht-urbanen Raumeinsatz zu fahren. Deswegen mußten die Wege zuvor auch planiert werden.

SB: Bestand die Klettereinheit, die das Abräumen der Baumhäuser und das Entketten der Aktivisten besorgt hat, aus Spezialisten der Polizeibehörde?

Tim: Ja, es gibt in Deutschland vier Klettereinheiten aus Köln, Bayern, Hessen und Niedersachsen. Das sind technische Einheiten der Polizei, die schon vor vielen Jahren eingerichtet wurden. Wasserwerfer und Räumpanzer bilden eine Abteilung der technischen Einheit, die andere ist Hilfsmittel, Beleuchtungsanlagen, Generatoren, Werkzeug. Das sind Allrounder für die Polizei, die dafür bekannt sind, zum Beispiel Betonblöcke im Boden zu knacken.

SB: Konnten die Polizisten gut klettern oder war es für sie ein eher schwieriges Manöver?

Tim: Sie haben halt einen anderen Sicherheitsstandard, als wenn ich klettere. Dennoch hatte ich den Eindruck, daß sie das Equipment nicht beherrschten und schlecht ausgebildet waren. Ein paar von ihnen waren, weil sie offenbar auch in ihrer Freizeit klettern, echt taff, aber den Rest konnte man vergessen. Ich würde sagen, sie nutzen solche Einsätze, um überhaupt zu trainieren. Sie schießen ihre Seile in den Baum hinein und klettern dann mit Spikes an den Schuhen und einer Schlinge um den Baum hoch. Sie können auch mit Hebebühnen umgehen, aber was die Sicherheitstechnik angeht, würde ich mich ihnen nicht freiwillig anvertrauen.

Die Person, die sie vor mir heruntergeholt haben, wurde schon durch den Aufstieg im Baum gefährdet, weil der Ast, an der sie festgekettet war, zu dünn war für eine Belastung durch mehrere Menschen. Deshalb mußten die Polizisten die Person zusätzlich absichern. Als ich an die Reihe kam, hatte ich schon das Gefühl, daß sie darin geübt waren. Das konnte ich an den Vorräumungen erkennen. Aber mehr als Klettern konnten sie nicht. Das Knacken des Rohres erledigte dagegen die technische Einheit, die aber nicht klettern konnte. Das Rohr bestand aus Metall in einer V-Form. In der Mitte hatte ich beide Hände festgekettet und das Rohr um den Baum gelegt. Es war ein langer Einsatz, aber auf jeden Fall lernen sie mit jedem Mal dazu.

Tim auf den Resten von Bäumen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Zeugnis eines an Bäumen statuierten Exempels staatlicher Gewalt
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Wenn du mit deinem Körper eine Blockade bildest, hast du nicht unbedingt vor zu sterben und setzt in einem gewissen Maße auch darauf, daß die Polizisten dich beim Entketten nicht ernsthaft verletzen oder gar umbringen. Wie weit geht dein Vertrauen, daß sie sich an die formalen Regeln halten?

Tim: Natürlich weiß ich, daß die Aktionsform, sich festzuketten, in anderen Erdteilen nicht möglich wäre, weil dort vom Staat eine ganz andere Gewalt ausgeht und die Aktivisten mit ganz anderen Mitteln Widerstand leisten müssen. Natürlich könnte die Polizei den Baum, in dem ich bin, auch einfach fällen. Damit muß ich rechnen. Wenn ich von der Presse gefragt werde, ob die Räumung friedlich verlaufen war, kann ich nur den Kopf schütteln. Die Polizisten kommen und räumen mich. Was soll daran friedlich sein? Wenn 220 Polizisten anrücken mit dem festen Ziel, fünf Umweltschützer aus den Bäumen zu holen, und dafür zwölf Stunden benötigen, gefährden sie permanent ihr eigenes und das Leben der Aktivisten. Die Flex braucht sich nur einmal zu verkanten, und schon ist dein Arm ab.

Natürlich hoffe ich, daß so etwas nicht passieren wird, aber wenn ich fest entschlossen in den Protest gehe und nicht bereit zu weichen bin, ist die körperliche Unversehrtheit völlig nebensächlich. Das ist meine Entscheidung. Ich will die Umweltzerstörung nicht einfach hinnehmen, weiß aber nicht, wie ich mich ihr sonst entgegensetzen soll. Gegen meinen Elan und Enthusiasmus können sie nichts ausrichten. Sie können mich räumen oder den Baum fällen, in dem ich gelebt habe und der mich beherbergt hat, aber sie können meinen Willen, der mich dazu treibt, es immer wieder zu machen, nicht brechen. Sie warten in ihren Kasernen auf den Einsatz, für den sie bezahlt werden, aber sie wissen nicht, wo ich auftauche. Das macht es für mich so interessant. Ich bestimme den Ort, nicht sie. Es kann überall sein. Großkonzerne sind leicht angreifbar. Ich kann in den Schienen drinhängen, in der Erde betoniert sein oder in den Bäumen sitzen. Ich kann Texte schreiben oder den direkten Kampf mit den Securities oder der Polizei suchen. Wir müssen uns mit unseren unterschiedlichen Widerstandsformen auf einer Horizontalen bewegen, ohne die eine über die andere zu stellen.

Derzeit gilt mein Kampf dem Abholzen der Bäume. Ich weiß nicht, ob ich im nächsten Baum sitzen werde, wenn die Polizei kommt. Es kann auch sein, daß ich wieder an einem Radlader hänge. Die Gegenseite muß auf jeden Fall jedes Mal, wenn sie in den Wald kommt, damit rechnen, daß etwas passiert, das sie nicht vorhersehen können. Und deshalb sind sie immer unvorbereitet. Wenn die Polizei herkommt und sagt, für die Räumung sei nur ein Tag angesetzt, klingt das in meinen Ohren wie Kasino. Geht die Polizei denn davon aus, daß wir unsere Statuten befolgen und immer unten einen Betonblock und oben im Baum zwanzig Leute haben? Sie bestimmt die Zeit und wir den Preis.

SB: Wie wurde eigentlich die Räumung der Waldbesetzung begründet?

Tim: Die Begründung für die letzte Räumung war, daß die Baumhäuser durch ihre Substanz und Bauart gefährlich seien für uns als Nutzer, aber auch für Spaziergänger, weil von oben Sachen herunterfallen könnten, und weil wir Betonblöcke unten an den Bäumen errichtet hatten. Daraufhin hat die Stadt Kerpen RWE beauftragt - denn RWE braucht immer eine Beauftragung, um die Polizei zu rufen -, die Baumhäuser abzubauen. Abbauen heißt nicht Fällen. Daraufhin haben wir gesagt, wenn es ein solches Gesetz gibt, dann sperren wir den Bereich, in dem unsere Baumhäuser stehen, das nächste Mal komplett ab und hängen Schilder auf mit der Warnung: Achtung! Kletteraktivitäten in den Bäumen! Gekennzeichneten Bereich nur mit Schutzhelm betreten und Ankunft durch lautes Rufen ankündigen!

Baumhaus mit Transparenten - Foto: © 2014 by Schattenblick

Solides Fundament für luftige Wohnstatt
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Auf welcher Höhe baut ihr die Baumhäuser?

Tim: Wir stehen jetzt an dem Baum, in dem ich derzeit lebe. Er hat ungefähr den gleichen Durchmesser wie T'estimo. Man braucht zweieinhalb Personen, um ihn zu umfassen. Die Plattform befindet sich auf einer Höhe von neunzehneinhalb Metern. Wir haben das mit einem Laser-Entfernungsmesser ermittelt. Wir benutzen solche Geräte auch, um die Abstände zwischen den besetzten Bäumen zu bestimmen. Die Plattform hier liegt auf jeden Fall höher als beim alten Baum. Es geht jetzt immer höher hinauf. Vielleicht reichen die Hebebühnen irgendwann nicht mehr so hoch. Bei der Deutschen Bahn sind es 18 Meter. Das hier ist eine Stieleiche mit einer sehr interessanten Kronenform.

Vom Baumhaus aus - derzeit ist es noch eine Plattform mit Zelt, Toilette und Küche - kann ich einen Blick in den Tagebau werfen. Seit einem Jahr sehe ich die Sophienhöhe und den Bagger, wie er jeden Tag immer näher an die Abraumkante herankommt. Ich kann auch sehen, wenn sie Bäume fällen. Es gibt eine Rodungssaison vom 1. Oktober bis zum 1. März, wo sie offiziell fällen dürfen. Aber sie halten sich nicht daran und überschreiten trotz der Vogelschutz- und Brutperiode den letzten erlaubten Termin. Dagegen wurde geklagt, aber RWE fand eine Ausweichmöglichkeit. Erst vor zwei Wochen haben sie aufgehört zu fräsen, weil sie es im letzten Winter nicht geschafft hatten.

Die Begründung für die Durchsuchung der Wiesenbesetzung lautete, man wollte die Campbewohner vor Straftaten bewahren. Inzwischen geht man so herum vor, nachdem ein Harvester im Tagebauvorfeld abgefackelt, eine Maschine in den Graben gesetzt und mehrere Radlader zerstört worden waren. RWE hatte dadurch einen Sachschaden von ein paar Millionen Euro erlitten. Bei einem Minus von 230 Millionen Euro im letzten Jahr ist das nicht so viel. Zudem haben die meisten Konzerne Versicherungen für derartige Fälle. Jetzt haben sie eine Besetzung geräumt und drei neue sind entstanden, zudem auf zwei Kreise verteilt. Wir befinden uns hier im Kreis Kerpen.

SB: Und welcher Kreis ist für die Wiesenbesetzung zuständig?

Tim: Die Wiese und Oaktown liegen im Kreis Düren, während für die jetzige und alte Waldbesetzung der Kreis Kerpen zuständig ist. Nach der ersten Räumung haben viele Aktivisten Unterlassungsklagen bekommen, so daß sie den Wald nicht mehr betreten dürfen. Die meisten Prozesse wurden von der Staatsanwaltschaft im Juni 2013 eingestellt. Auch wegen des Klimacamps und den Hausbesetzungen in Manheim wurden Verfahren eingeleitet.

Stamm von T'estimo an Barrikade - Foto: © 2014 by Schattenblick

Wer würde hören, wenn Bäume sprechen?
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Wie bewertest du den Widerstand hier vor Ort gegen RWE?

Tim: Bis vor kurzem waren einige Leute für und einige gegen Kohle. Jetzt ist die Stimmung gekippt und alle sind gegen Kohle, streiten sich aber darüber, wann der Ausstieg erfolgen soll. Aber es gibt auch eine kontroverse Diskussion in bezug auf den gewaltfreien bzw. militanten Widerstand. Meiner Meinung nach gibt es jedoch keinen gewaltfreien Widerstand, da jeder von uns Gewalt ausübt bzw. der Gewalt permanent ausgesetzt ist. Ich befürchte, daß sich die Kontroverse in eine Richtung entwickeln wird, wie wir sie in Gorleben miterleben konnten, wo es zwischen K-Gruppen, Autonomen, Besetzern, Anwohnern, Bügerinitiativen und großen NGOs zu zermürbenden Grabenkämpfen und Spaltungen kam.

SB: NGOs, die sich dem Naturschutz verschrieben haben, weisen oftmals professionalisierte Strukturen auf. Findest du, daß ihr Engagement der Sache zuträglich ist, oder siehst du darin eher eine Form der Vereinnahmung der Proteste?

Tim: NGOs wie Greenpeace haben richtig viel Geld und können sich bezahlte Stellen für ihre Führungsetagen leisten. Aufgrund dieser Professionalität ist ihr Aktionsradius sehr eingeschränkt. Wir haben mit NGOs zu tun gehabt und dabei die Erfahrung gemacht, daß von ihnen wegen ihrer hierarchischen Struktur keine revolutionäre Kraft ausgeht. Sie streben keine gesellschaftliche Veränderung an. Ihr Ziel liegt bestenfalls darin, die bestehende Gesellschaft grüner zu gestalten.

Die Anti-Atombewegung war radikal, als es hieß: gegen den Atomstaat Deutschland. Als Greenpeace sich eingemischt hat, hieß es nur noch: Gegen Atomstrom in Deutschland. Das hat den ganzen Protest entzweigerissen. Während die gesellschaftliche Kritik am Atomstaat die herrschenden Verhältnisse, die es möglich machten, lebensfeindliche Technologien zu entwickeln, aufs Korn genommen hatte, sehen NGOs im Atomstrom eher das kleinere Übel. NGOs sind Geldschleudern. Als Greenpeace hier einen Bagger blockierte und besetzte, hat RWE geklagt. Greenpeace ist so reich, daß RWE Schadensersatz für den Ausfall der Maschine in Millionenhöhe hätte fordern können. Aber soweit kam es nicht, weil sich Greenpeace auf einen Deal mit RWE verständigte. Greenpeace willigte ein, keine Aktionen mehr gegen RWE zu unternehmen und nur noch Informationspolitik zu betreiben. Aus diesem Grund hat sich Greenpeace auch so auf die Lausitz versteift.

Ich sehe das kritisch, denn Greenpeace hat sich auf diese Weise berechenbar gemacht. In den öffentlichen Bekanntmachungen ihrer Pressesprecher klingt alles nach Einklang. Das ist keine Proteststimme mehr. Widerstand muß jedoch vielfältig, kreativ und unkontrollierbar sein. Nur dadurch wird er unangreifbar. Selbst wenn einmal eine Zelle zerschlagen wird, geht der Widerstand insgesamt weiter. Wenn man einer Schlange den Kopf abschlägst, müssen hundert weitere daraus hervorwachsen. Bei einer Großorganisation ist das schwierig, nicht nur, weil sie Reformisten sind und als Teil der Gesellschaft Lobbyarbeit leisten. Vor allem jedoch brauchen sie Geld, um die Repression gegen sich bezahlen zu können. Für mich ist das kein emanzipatorischer Kampf und auch keine radikale Politik. Aber gesellschaftlich gesehen muß, wenn sich irgend etwas bewegen soll, radikal gehandelt werden, egal, auf welchem Feld. Ein paar neue Gesetze einzuführen packt das Problem nicht an der Wurzel. Die Gesellschaft, ob nun als Konsument oder Produzent, ist Teil dieser Maschinerie und hat damit die Macht, etwas verändern zu können. Jeder Mensch kann etwas machen. Wir sind alle kleine Nadeln. Eine einzelne Nadel tut nicht sonderlich weh, aber ein volles Nadelkissen macht sich bemerkbar. Daher müssen wir uns als einen Widerstand verstehen, unabhängig davon, wo wir gerade kämpfen und was wir gerade tun. Das geht aber nur mit freien Vereinbarungen, mit einer Mitgliedskarte ist es nicht möglich.

SB: Wie würdest du deinen Kampf in ein paar Sätzen zusammenfassen?

Tim: Mich interessieren die Belange der Natur und die anderer Menschen. Ich will etwas verändern. Normalerweise hätte ich keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich nehme mir aber die Zeit. Den meisten Menschen mag es merkwürdig erscheinen, Wälder zu retten oder ein Verhältnis zu einem Baum zu entwickeln, weil sie nicht verstehen, daß der Hambacher Forst oder der Baum, in dem ich gelebt habe, ein Synonym für etwas sind. Wenn man aus seinem Haus geräumt wird, geht es einem nicht gut, weil es unter Zwang passiert. Genau dieser Punkt bestärkt mich weiterzumachen, auch weil ich es irgendwie hinbekomme, daß RWE keinen Meter an Wald im Hambacher Forst abroden kann, ohne für Schlagzeilen zu sorgen. Denn RWE muß im wahrsten Sinne des Wortes erst an mir vorbei.

SB: Tim, vielen Dank für diesen Einblick in den Widerstand gegen die Rodung des Waldes und das lange Gespräch.

Mit Ästen markierter Waldweg - Foto: © 2014 by Schattenblick

Ein Weg, der weiterführt
Foto: © 2014 by Schattenblick


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1. Juli 2014