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INTERVIEW/148: Kohlepatt Brandenburg - es könnte klappen ..., Christine Kühnel im Gespräch (SB)


Der Klimawandel betrifft einkommensarme Menschen besonders stark

Interview am 9. Juli 2014 in Berlin-Schöneberg



Dr. Christine Kühnel ist Sprecherin des BUND-Arbeitskreises Klima und Energie. Anläßlich einer Pressekonferenz des BUND-Berlin und des BürgerBegehrens Klimaschutz (BBK) am 9. Juli in der Landesgeschäftsstelle des BUND-Berlin zur Braunkohleplanung in der Region Berlin-Brandenburg beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zur Problematik der Kohle als Energieträger und zu den Aktionsformen des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Christine Kühnel
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Dr. Kühnel, Braunkohle gilt in der Bundesrepublik als eine kostengünstige Energieressource, die im Verhältnis zu anderen Primärenergien noch eine lange Perspektive der Nutzung haben soll. Halten Sie es in Anbetracht dieser politischen und wirtschaftlichen Argumente, die die Braunkohlebefürworter für sich in Anspruch nehmen, für realistisch, daß ein Ausstieg aus der Braunkohle allein aufgrund von Klimaschutzzielen möglich ist?

Dr. Christine Kühnel: Das hat natürlich mehrere Aspekte. Das Postulat, daß Braunkohle so kostengünstig ist, gilt nicht mehr, wenn wir auch die sogenannten externen Kosten mitberücksichtigen. Zum Beispiel der Einfluß auf die Wasserqualität, Feinstaubemissionen, Schwefeleintrag, da gibt es eine ganze Reihe von externen Kosten, die in den reinen Kosten zur Zeit nicht veranschlagt werden. Der andere Aspekt sind natürlich die Kosten, die durch den Klimawandel entstehen. In den USA gibt es jetzt vermehrt Stimmen aus der Wirtschaft, die besagen, daß diese Entwicklung für sie auch in absehbarer Zeit, also schon bis 2050, richtig teuer wird. Zwar wird mit dem europäischen Emissionshandel der Versuch gemacht, diese Kosten einzupreisen, aber de facto erfolgt dies noch nicht in dem Umfang, in dem es notwendig wäre. Das Postulat, die Braunkohle sei so günstig, stimmt also nur, wenn man einen sehr eingeschränkten Blick hat.

Bekommen wir den Braunkohleausstieg nur mit dem Verweis auf klimapolitische Ziele hin? Häufig muß man in der Politik mehrere Ziele berücksichtigen, weil es immer um einen Interessenausgleich geht. Ökonomen haben gerne ein konkretes Ziel und dann eine konkrete Maßnahme, die genau auf dieses Ziel hinwirkt, zum Beispiel Klimaschutz und europäischer Emissionshandel. Meiner Ansicht nach ist es in der Realpolitik nicht so einfach. Man braucht verschiedene Ziele, die dann wiederum verschiedene Interessengruppen unter sich vereinen. Beim Thema Braunkohle ist es klimapolitisch total eindeutig, im Prinzip müßte man heute aufhören, Braunkohle zu verbrennen, oder zumindest so bald wie möglich. Bei der Steinkohle haben wir es ja geschafft, mit durchaus großen Aufwendungen von jährlich gut einer Milliarde Euro, die in den sozialverträglichen Ausstieg aus der deutschen Steinkohleförderung fließen, den Ausstieg zu ermöglichen. So etwas müßte man für die Braunkohle sicherlich bedenken, wenn man einen sehr zeitnahen Ausstieg aus der Braunkohle anvisieren würde.

SB: Laut der Studie "Banking On Coal" handelt es sich bei Braunkohle um ein relativ sicheres Investitionsziel, das weltweit, etwa in China und Indien, stark in Anspruch genommen wird. Richten sich Ihre Argumente als Naturschutzorganisation auch gegen diese Art von kapitalistischer Verwertung, oder versuchen Sie vor allem, sich auf Naturschutzziele zu berufen?

CK: Natürlich ist es so, daß wir als Umwelt- und Naturschutzverband die negativen Folgen der Braunkohlegewinnung in den Vordergrund stellen. Will man aber zu einer Lösung kommen, die einen De-facto-Ausstieg mit sich bringt, muß man die anderen Facetten mitberücksichtigen. Wie gesagt, es gibt durchaus Ökonomen, und es werden immer mehr, die die externen Kosten miteinkalkulieren, weil es irgendwann keine externen Kosten mehr sind. Die sogenannte carbon bubble besagt, daß die bekannten Lagerstätten an fossilen Brennstoffen - also nicht nur die Braunkohle, auch die Steinkohle, auch das Erdöl, auch das Schiefergas - im Prinzip in den Börsenwerten der Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft mit eingepreist sind. Wenn deren Förderung nicht mehr subventioniert werden würde, dann müßten die Bilanzen dieser Unternehmen stark nach unten korrigiert werden.

Im Bereich des Fracking geschieht dies bereits teilweise. Das, was einmal mit den Mengen an Schiefergas, die zu gewinnen sind, veranschlagt wurde, mußte man in letzter Zeit zumindest in Sicht auf die Investitionen pro Einheit gewonnenen Frackinggases deutlich nach unten korrigieren. Man wird weltweit einen Weg finden müssen, den finanziellen Ausgleich zumindest zu diskutieren, um mit dieser carbon bubble umzugehen. Es gab ja den Versuch, in dem großen Nationalpark Yasuni in Ecuador, in dem Erdöl gefunden wurde, den Rohstoff in der Erde zu lassen und dafür finanzielle Kompensationen bereitzustellen. Das hat in dem Fall nicht funktioniert, weil die Weltgemeinschaft nicht bereit war, ausreichende Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Aber das führt genau in die richtige Richtung.

SB: Am 23. August findet eine grenzüberschreitende Menschenkette in der Lausitz und in Polen gegen die Braunkohleförderung und -verstromung statt. In Polen sind die Menschen generell ärmer, so daß der volkswirtschaftliche Druck, weiterhin Kohle zu nutzen, dementsprechend höher ist. Rechnen Sie dennoch mit der Beteiligung der polnischen Bevölkerung, auch wenn dafür in Kauf genommen werden müßte, daß das negative Folgen für das Wirtschaftswachstum hätte?

CK: Hier geht es um eine Frage der Generationengerechtigkeit. Tatsächlich ist die polnische Wirtschaft zur Zeit stark darauf ausgerichtet, Braun- und auch Steinkohle zu verstromen. Das wird sich aber schon auf die nächste oder übernächste Generation auswirken. Wenn die externen Kosten immer stärker zum Tragen kommen, wird es den Menschen in Polen wesentlich schlechter gehen als heute. Es ist aber sicherlich richtig, daß es in Polen noch keine so aktive Umweltbewegung gibt wie in Deutschland, und daß wir uns für ihren Aufbau stark engagieren müssen. Die Zustimmung in der polnischen Bevölkerung bewegt sich sicherlich in sehr niedrigen Bereichen. Das hat ganz viel mit konkreter Aufklärung zu tun, aber natürlich nicht mit Aufklärung in dem Sinne: Wenn ihr das macht, dann wird das alles furchtbar. Es geht darum, die Chancen aufzuzeigen, die darin liegen, wenn man in dem Bereich sukzessive zurückfährt und dafür in andere Bereichen stärker investiert, so daß immer weniger Umwelt- und Gesundheitskosten anfallen. Das ist die große Herausforderung.

SB: Sie sind als BUND hauptsächlich auf rechtlichem Gebiet tätig und versuchen, über politische und juristische Einflußnahme Naturschutz zu betreiben. Wie ist die Position Ihrer Organisation bezüglich Organisationsformen wie Blockaden, Besetzungen, Formen des zivilen Ungehorsams in der Verteidigung der Natur?

CK: Der BUND ist anders als Greenpeace keine Organisation, die solche Aktivitäten konkret organisieren wird, aber der BUND ist ein Mitgliederverband, das heißt, er lebt ganz stark von der ehrenamtlichen Arbeit. Ich bin selber ehrenamtlich für den BUND aktiv, und was die Mitglieder für sich entscheiden, ob sie etwa zivilen Ungehorsam üben, das liegt natürlich bei ihnen. Der BUND hat allerdings keinen Rechtshilfefonds, aus dem gegebenenfalls Anwaltskosten oder ähnliches bestritten werden könnten. Der BUND hat einen klaren Auftrag von seinen Mitgliedern und auch Spendern, und diese Gelder sind sehr zielgerichtet einzusetzen. Dazu gehören durchaus Verfahren wie zum Beispiel das Gutachten, über das wir heute sprechen, aber dazu gehört nicht die Übernahme von Anwaltskosten. Das heißt, wenn Mitglieder des BUND oder Personen aus dem Kreis des BUND im Bereich des zivilen Ungehorsams aktiv werden, dann ist das ihre eigene Entscheidung. Wir werden als Arbeitskreis Klima und Erneuerbare bei der Menschenkette in der Lausitz dabeisein, ganz klar. Das ist immer eine Arbeit zwischen politischer und auch rechtlicher Aktivität wie etwa der Beauftragung von Gutachten, aber auch auf der Straße.

SB: Die bundesdeutsche Energiepolitik hat sich durch die Krise um die Ukraine verändert. So wird die Forderung, die Abhängigkeit von Gasimporten aus Rußland zu reduzieren, zum Beispiel von den Befürwortern des Fracking in ihrem Sinne genutzt. Mischt sich der BUND auch in solche Debatten ein, wenn vitale Interessen des Naturschutzes durch politische Argumente, die eigentlich aus einer ganz anderen Ecke her kommen, berührt werden?

CK: Selbstverständlich, Fracking oder Schiefergasgewinnung hat sehr eindeutige Auswirkungen etwa auf die Trinkwasserqualität. Diese Debatte ist aber auch sehr gesteuert, denn es gibt genug Untersuchungen dazu, daß Deutschland, aber auch die EU, die Abhängigkeit vom Gas, insbesondere aber auch von anderen Importen fossiler Rohstoffe, deutlich verringern könnte, indem wir wesentlich mehr Energie einsparen. Die Aussage, wir müssen jetzt Fracking betreiben, um unsere Energieabhängigkeit zu reduzieren, führt am Ziel vorbei, denn der Weg, um unsere Abhängigkeit zu reduzieren, sind Energieeffizienzmaßnahmen. Damit macht man sich keine Freunde, aber ich sage es trotzdem: Das betrifft auch Maßnahmen, die den Bereich der Verhaltensänderung betreffen, Stichwort Suffizienz und Erneuerbare. Wir haben die Energie vor Ort, wir brauchen nicht in der Erde zu buddeln und uns Ewigkeitskosten zu bescheren. Das ist auch etwas, was in der Debatte völlig untergeht. Eine Milliarde Euro jedes Jahr nur für den Ausstieg aus der Steinkohle, das ist eine Summe, die wir als Bürger, die Volkswirtschaft, tragen.

Andere Ewigkeitskosten, die das beständige Auspumpen der Gruben und so weiter betreffen, kommen noch dazu. Ich will gar nicht sagen, daß wir als Teil der marktwirtschaftlich aufgestellten Weltwirtschaft immer alles hierbehalten müssen, aber es fließt auch viel Geld für Energieimporte ab. Es gibt genug Gründe zu sagen, daß Fracking nicht die Antwort ist, sondern Energieeffizienz und Erneuerbare. Es gibt meines Wissens auch Zahlen, die besagen, daß wir hier in Deutschland einen sehr geringen Anteil an überhaupt letztlich förderbarem Schiefergas haben. Es wird nur einen Bruchteil ausmachen von dem, was wir zur Zeit importieren. Tatsächlich können wir aber das Äquivalent dessen, was wir aus Rußland importieren, durch Effizienzmaßnahmen ausgleichen.

SB: Wird im BUND auch über die Frage der Green Economy debattiert, also den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen und deren Auswirkungen auf die Naturverhältnisse?

CK: Ich würde erst einmal sagen, der BUND ist so bunt wie seine Mitglieder, das heißt, es gibt verschiedene Gruppen oder Strömungen. Bei uns im Arbeitskreis diskutieren wir sehr intensiv Aspekte wie Konsum und Ernährung. Was hat unser Verhalten für Auswirkungen und wo kann man noch etwas über das reine Umschalten auf Erneuerbare und über den teuren energieeffizienten Kühlschrank hinaus machen? Der Aspekt Ökobilanz von Produkten fällt im Moment noch ein Stück weit unter den Tisch. Ich persönlich bin der Meinung, daß wir alle unser Verhalten sehr deutlich ändern müßten und daß das auch keine Einschränkung der Lebensqualität sein muß. Es geht darum, die Debatte um die Frage "Was bedeutet Lebensqualität?" zu führen. Ist es der neue Fernseher oder der Flug nach Mallorca oder etwas anderes?

SB: Wie sollen Menschen, die jetzt schon am Rande des Existenzminimums leben, ein gesundes Leben unter der Bedingung der Einpreisung von Klimaschäden in Lebensmittel oder ähnliches finanzieren?

CK: Das ist ein interessanter Punkt. Gerade die Ärmsten werden am stärksten unter dem Klimawandel leiden, weil er große Auswirkungen darauf hat, inwieweit wir die Weltbevölkerung überhaupt noch ernähren können. Es gibt genug Studien, die prognostizieren, daß wir schon in absehbarer Zeit starke Verluste im Ertrag der ganz wichtigen Food Crops wie Weizen, Mais, Reis erleben werden. Das werden wir hier in Deutschland nicht so schnell merken, doch es ist natürlich im Interesse gerade der Allerärmsten, den Klimawandel aufzuhalten.

Zudem ist Sozialpolitik keine Energiepolitik und umgekehrt. Die Probleme, daß beispielsweise Energie teurer wird und dadurch eine nicht unrelevante Gruppe in Deutschland nicht mehr in der Lage ist, sich mit ausreichend Energie zu versorgen, ist sicherlich ein Problem, aber es ist kein energiepolitisches Problem, es ist ein sozialpolitisches Problem. Und genau da muß es auch behandelt werden. Die Debatte um steigende Energiepreise dreht sich in Deutschland vor allen Dingen um Strompreise, tatsächlich ist es aber so, daß im Bereich der Wärme die Preissteigerung wesentlich größer war, da sich seit 2000 der Heizölpreis verdreifacht hat. Das macht einen wesentlich größeren Anteil an den Haushaltseinkommen besonders der ärmeren Bevölkerungsschichten aus.

SB: Frau Dr. Kühnel, vielen Dank für das Gespräch.

Ladenlokal im Parterre eines Altbaus - Foto: © 2014 by Schattenblick

Landesgeschäftsstelle des BUND-Berlin im Stadtteil Schöneberg
Foto: © 2014 by Schattenblick



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