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INTERVIEW/156: Klimarunde, Fragestunde - Die guten ins Töpfchen ...    Prof. Steve Rayner im Gespräch (SB)


Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions

Scandic Hotel, Berlin, 18. - 21. August 2014

Prof. Steve Rayner über das Projekt SPICE, das sich keineswegs in Luft aufgelöst hat, seine "Berlin Deklaration", der die Luft ausging, und eine internationale Klimaschutzpolitik, durch die die Zunahme an heißer Luft nicht unterbunden wurde (vielleicht weil sie selber nichts anderes als eben diese produziert hat)



Als Prof. Steve Rayner am Eröffnungstag der Climate Engineering Conference 2014 gegen Ende des ersten Programmpunkts ankündigte, es seien Kopien eines Entwurfs für eine Deklaration zur Regulierung von Geoengineering ausgelegt worden, ahnten wohl die wenigsten, welche Diskussionen er und seine Kollegen damit auslösen sollten. Das Papier wurde von nicht wenigen Teilnehmenden der Konferenz als Überrumpelungs- und Vereinnahmungsversuch aufgefaßt, zumal es die Überschrift "Draft - Proposed Berlin Declaration" (Entwurf - Vorgeschlagene Berlin Deklaration) trug und damit nahelegte, daß es sich um eine von der gesamten Berliner Konferenz getragene Erklärung handele. Auch die Formulierung, daß man für "suggested amendments" Kontakt mit Steve Rayners Kollegen aufnehmen könne, erregte Unmut, konnte man dies doch wohlwollend als "Änderungsvorschläge" oder, weniger wohlwollend, als "Ergänzungsvorschläge" auffassen. Letzteres hätte unterstellt, daß die Autoren annehmen, der Text hätte nur noch einiger Ergänzungen bedurft.

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Prof. Steve Rayner
Foto: © 2014 by Schattenblick

Am dritten Tag der Konferenz wurde außerplanmäßig ein einstündiges Town Hall Meeting [1] einberufen, bei dem die Kritiker ihre und Rayner seine Position deutlich machen konnten: Er habe zur Diskussion anregen wollen und nach einem Kompromiß zwischen denen, die keinerlei Einschränkung der Forschung, und denen, die keinerlei Forschung zum Geoengineering machen wollen, gesucht. Mit dieser Erklärung vermochte Rayner die Gemüter nicht zu besänftigen. Auf demselben Treffen erklärte der australische Professor für Ethik Clive Hamilton [2], warum er als eine Art Gegengewicht zur "Berlin Deklaration" ein eigenes Positionspapier zu den Prinzipien des Geoengineerings geschrieben und ebenfalls in Umlauf gebracht habe.

Warum könnte diese Diskussion über den Kreis der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinaus wichtig sein? Weil es sich um die weltweit bislang größte Konferenz zum Geoengineering gehandelt hat und weil auf ihr eine enorme Bandbreite an gesellschaftlichen Gruppen vertreten war. Indem die Konferenzorganisatoren genau nicht den Schritt von der Diskussion zum Ergebnis, wie es beispielsweise das Abfassen einer gemeinsamen Deklaration gewesen wäre, angestrebt hatten, haben sie die Option, eine breite gesellschaftliche Debatte zu eröffnen, überhaupt erst geschaffen.

Die Gespräche zu dem wissenschaftlich völlig unausgeloteten, politisch höchst brisanten und menschheitsgeschichtlich bedeutenden Thema Geoengineering haben sicherlich gerade erst angefangen. Sie sollten nicht durch eine Deklaration, so gut gemeint sie auch gewesen sein mag, die aber zunächst hinter verschlossenen Türen erstellt wurde und anschließend voraussichtlich von einem elitären Kreis vermeintlicher Experten der Öffentlichkeit mitgeteilt worden wäre, abgewürgt werden.

Abgesehen von den inhaltlichen Aussagen, die zu hinterfragen ein eigenes Thema ist, war die Form, in der jene "Berlin Deklaration" gleich zu Beginn der Konferenz eingebracht wurde, mindestens als "unglücklich" zu bezeichnen. Es ist ja nicht so, daß die Autoren des Papiers nicht schon viele Jahre lang mit Geoengineering befaßt und sich nicht der Sensibilität ihrer Forschung bewußt gewesen wären.

Vielleicht haben sie wenig Wert auf den zweiten Teil des Konferenztitels, "Critical Global Discussions", gelegt. Frühere Geoengineering-Treffen fanden häufig hinter verschlossenen Türen statt, was dazu beigetragen haben dürfte, in der Öffentlichkeit Mißtrauen hinsichtlich der Motive und Absichten der beteiligten Akteure zu säen. Bei der von der IASS (Institute for Advanced Sustainability Studies) organisierten Konferenz gab es jedoch nur eine einzige Einschränkung, nämlich die, daß alle Programmpunkte öffentlich sein sollten. Geschlossene Türen waren gewissermaßen untersagt.

Die überraschende Präsentation einer "Berlin Deklaration" zu Beginn der Konferenz trug, so gesehen, den Charakter einer in einem anderen wissenschaftlichen Denken verhafteten Einstellung. Es hat den Anschein, als wäre hier ausgerechnet durch das eigene Handeln ein zentrales Anliegen des Papiers - völlige Transparenz und enge Beteiligung der Öffentlichkeit an der Geoengineering-Forschung - konterkariert worden. Zumindest wurde es von einigen Konferenzteilnehmern so aufgefaßt.

Im folgenden Interview erläutert Prof. Rayner, was ihn bewogen hat, die "Berlin Deklaration" zu verfassen. Der Anthropologe ist James Martin School Professor of Science and Civilization der University of Oxford, Kodirektor des "Programme on the Future of Cities" sowie Kodirektor des "Oxford Geoengineering Programme" und war einer der Leitautoren in den Berichten III und IV des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). [3] Prof. Rayner ist folglich mit beiden Beinen seit langem fest im Geoengineering-Diskurs verankert.

Das Luftschiff schwebt in 1 km Höhe an einer langen Leine - Schaubild: © 2013 Stilgoe et al., freigegeben als CC BY 2.5 generisch [http://creativecommons.org/licenses/by/2.5/] via PLoS Biology

Experimentvorschlag, wie mittels eines Luftschiffs über einen Schlauch Wasser in Form feiner Tröpfchen in der Atmosphäre versprüht werden kann, so daß sich Wolken bilden, die das Sonnenlicht reflektieren.
Schaubild: © 2013 Stilgoe et al., freigegeben als CC BY 2.5 generisch [http://creativecommons.org/licenses/by/2.5/] via PLoS Biology

Schattenblick (SB): In manchen Medien wurde behauptet, daß das Projekt SPICE [4] vor gut zwei Jahren wegen der öffentlichen Proteste fehlgeschlagen ist. Hier auf der Konferenz CEC'14 wurde ein anderer Eindruck erweckt. Was sagen Sie dazu?

Steve Rayner (StR): Zunächst einmal will ich klarstellen, wenn wir über SPICE und "Fehlschlag" sprechen, dann sprechen wir nicht über das gesamte Projekt. SPICE war einer der Arbeitsbereiche innerhalb des Projekts, nämlich das Engineering-Experiment mit einem Ballon. Und das wurde eingestellt. Einige Leute hatten das als Fehlschlag interpretiert, weil der Plan nicht ausgeführt wurde. Aus meiner Sicht als Sozialwissenschaftler, der ein Modell zur Regulierung von Geoengineering zu erarbeiten hat, wozu auch die Vorstellung gehört, was in Großbritannien "Stage Gate" [5] genannt wird, war das keineswegs ein Fehlschlag.

Das Ganze hatte im wesentlichen damit zu tun, daß die Forschungseinrichtung, die das Projekt gefördert hat, sich darüber sorgte, daß das Projekt auch tatsächlich so durchgeführt wird, daß es ausreichend Zustimmung seitens der Bevölkerung im Umfeld des Projekts erfährt. Deshalb forderte man eine Überprüfung, bevor die Forschungsarbeit fortgesetzt und mit dem Experiment begonnen werden sollte. Dabei wurde jedoch festgestellt, daß das öffentliche Engagement nicht ausreichte. Also wurden die Forscher gebeten, das zu ändern, was sie auch taten. Währenddessen stellte sich heraus, daß zwei Mitglieder des Forschungsteams bereits Patente zu bestimmten Aspekten des Projekts besaßen.

Das Problem bestand aber gar nicht einmal darin, daß sie das geistige Eigentum besaßen. Lassen Sie es mich so erklären: Ich gehe davon aus, daß all diese Technologien erforscht und entwickelt werden. Wir wissen, daß in der Luftfahrtindustrie notwendigerweise eine Expertise vorhanden ist, und wir wissen ebenfalls, daß die Industrie geistige Eigentumsrechte besitzt. In den "Oxford-Prinzipien" [6] haben meine Kollegen und ich dafür plädiert, daß man Climate Engineering als ein öffentliches Gut betrachtet. Und das klassische Beispiel für öffentliches Gut ist tatsächlich die Verteidigung. Es ist uns klar, daß die Regierung durch die Beschaffung von Verteidigungstechnologien Privatunternehmen ermöglicht, geistiges Eigentum zu erwerben. Aber sie können das nicht uneingeschränkt so verwenden, wie sie wollen. Im Interesse der Öffentlichkeit unterliegt es der Kontrolle seitens der Regierung.

So wurde empfunden, daß, weil die Mitglieder des Teams das bereits existierende geistige Eigentum nicht bekanntgemacht hatten, dies als ein Interessenkonflikt angesehen werden könnte. Kurzum, sie haben Forschungsgelder von der Regierung erhalten, um etwas weiterzuentwickeln, für das sie bereits die Patente besitzen. Unter diesen Umständen war der Vorsitzende der Aufsichtskommission des Projekts, Matt Watson [7], zu dem Schluß gelangt, es sei klüger, diesen Teilbereich des Projekts zu streichen. Was dann auch getan wurde. Anlaß waren also nicht die öffentlichen Proteste, sondern wirklich ethische Bedenken wegen eines möglichen Interessenkonflikts.

SB: Sie haben am ersten Tag der Konferenz die sogenannte Berlin Deklaration verbreitet. Welche Erwartungen hatten Sie daran geknüpft?

StR: Nun, die Autoren der Oxford-Prinzipien waren dabei, einen offenen Brief an Forschungsgeldgeber und Wissenschaftsorganisationen in der ganzen Welt zu schreiben, in dem empfohlen wird, daß sie darauf achten, keine Schwefel-Aerosol-Injektionsforschung [8] zu finanzieren und zu legitimieren, bevor sie nicht auch angemessene Sicherheitsmaßnahmen nach der Art, wie sie in den Oxford Prinzipien formuliert wurden, vorgeschrieben haben. Das sind Prinzipien, denen zufolge die Geoengineering-Forschung im öffentlichen Interesse sein muß, die Öffentlichkeit beteiligt werden muß, sie in einer uneingeschränkten Transparenz durchgeführt werden muß - also mit Vorveröffentlichung der Forschungsvorhaben und vollständiger Veröffentlichung der Ergebnisse -, eine unabhängige Prüfung der Ergebnisse stattfindet und ähnliches.

Wir hatten den Eindruck, daß die Konferenz eine gute Gelegenheit ist, uns mit Kollegen über die Formulierung eines solchen Briefes zu beraten. Deshalb brachten wir hier den Vorschlag ein. Die Idee dazu war uns erst sehr spät gekommen, weshalb wir mit unserem Anliegen nicht früher an die Organisatoren herangetreten waren, so daß sie den Vorschlag auf die Agenda hätten setzen können. Sie waren uns freundlicherweise sehr entgegengekommen und haben uns die Gelegenheit eingeräumt, den Vorschlag anzukündigen. So haben wir einen Entwurf verbreitet und alle eingeladen, darüber zu diskutieren.

Eine bedeutende Zahl der Konferenzteilnehmer war damit aus unterschiedlichen Gründen nicht einverstanden. Ich denke, manchmal aus nachvollziehbaren Gründen, denn hier sind Leute, die offen dafür plädieren, jede Forschung zum Geoengineering zu verbieten - andere vertreten die Meinung, man sollte der Freiheit der Forschung keinerlei Zügel anlegen -, und wir haben versucht, einen pragmatischen Weg zwischen diesen beiden Extremen einzuschlagen. Offensichtlich haben wir damit keine der beiden Seiten zufriedengestellt.

Dann gab es noch eine weitere Gruppierung, die der Ansicht war, daß jede Form von Stellungnahme, die mit der Konferenz identifiziert werden könnte, von Beginn an hätte entwickelt werden müssen. Doch das war natürlich nicht der Zweck der Konferenz. Und obwohl wir sehr deutlich gemacht haben, daß wir das Papier als einen offenen Brief, der unterzeichnet werden konnte, und nicht als offizielle Stellungnahme der Konferenz verstanden, die von jedem vermeintlich unterstützt wird, waren einige der Meinung, daß bereits der Titel "Berlin Deklaration" den Eindruck hervorrufen würde, daß selbst diejenigen, die das Papier nicht unterzeichnen, es in irgendeiner Weise gutheißen.

Aus diesem Grund haben wir den Vorschlag letztendlich zurückgezogen, und wir werden nun überlegen, wie wir am besten weiter vorgehen und ob wir zum jetzigen Zeitpunkt einen offenen Brief verbreiten oder nicht.

Schwarzweißaufnahme eines großen Platzes, auf dem Menschentrauben um etwa zehn aufgerichtete Hagelkanonen stehen. Diese sehen aus wie überdimensionale Schultüten, die auf Lafetten montiert sind - Foto: Plumandon - History repeated : Forgotten hail cannons of Europe, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Kein Geoengineering, sondern Wetterbeeinflussung: Internationaler Kongreß zum Hagelschießen, 1901. Zur damaligen Zeit wurden insbesondere von Wein- und Obstbauern Rußpartikel in die Wolken geschossen, um die Hagelbildung zu verhindern.
Foto: Plumandon - History repeated : Forgotten hail cannons of Europe, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: In manchen Sessions konnte man den Eindruck gewinnen, als würden die Begriffe "Wetterkontrolle" und "Klimakontrolle" vermischt. Ist nicht der Eindruck, daß eine Gemeinsamkeit zwischen den dabei jeweils eingesetzten Methoden besteht, ziemlich irreführend?

StR: Das würde ich so nicht sagen. Zu meiner Studienzeit wurde noch ganz klar zwischen Wetter und Klima unterschieden. Wetter ist das, was da draußen gerade passiert, und Klima ein historisches Muster. Doch mit dem vermehrten Aufkommen von Klimamodellierungen und ähnlichem ist Klima nicht mehr allein ein historisches Muster davon, was sich in der Vergangenheit ereignet hat, sondern es ist auch eine computergenerierte Projektion in die Zukunft. Außerdem haben wir inzwischen die Fähigkeit, kurzfristige Klimavorhersagen zu erstellen, die drei-, sechs- oder neunmonatige, saisonale Ausblicke liefern. Und auf der Seite der Wettervorhersagen haben wir sehr gute Prognosen von bis zu sieben Tagen; wir können selbst zehn oder mehr Tage vorhersagen. In gewisser Weise überrascht die Vermischung also kaum. Ist eine kurzfristige Klimavorhersage das gleiche wie eine langfristige Wettervorhersage? In den Köpfen der Wissenschaftler ist die Unterscheidung nicht mehr so eindeutig, wie sie früher einmal war.

Die Frage nach der Wetterbeeinflussung dreht sich im wesentlichen entweder darum, Regen zu erzeugen oder die Entstehung von Hagel zu verhindern. Das wird seit einiger Zeit sehr viel in China, aber auch Texas, Argentinien und einigen anderen Ländern praktiziert. Zumindest von den wissenschaftlichen Publikationen des Westens her kann man nicht sicher sagen, ob das funktioniert oder nicht. Das ist im Zusammenhang mit Climate Engineering interessant, weil wir das bis jetzt noch nicht einmal versucht haben. Ob eine Wetterbeeinflussung funktioniert oder nicht - die Chinesen sind jedenfalls davon überzeugt und haben schon Tausende von Raketen gestartet und Kanonen abgefeuert, um Silberjodid in die Wolken zu schießen und Niederschläge auszulösen.

In einigen Sessions wurde vom regionalen anstelle des globalen Climate Engineering gesprochen. Dabei sollen Techniken wie Cloud Whitening zum Einsatz kommen. Die Erzeugung von hellen Wolken hätte im Unterschied zu Schwefelaerosol-Injektionen keine globalen, sondern regionale Folgen. Denn Wolken kühlen da ab, wo sie sich befinden.

Alles in allem spricht somit einiges dafür zu sagen, daß die Grenzen zwischen Wetter- und Klimabeeinflussung durchlässiger sind, als sie es früher einmal waren. Und die Art der Techniken, mit denen die Methoden modelliert werden, überlappen sich ebenfalls.

SB: In der Podiumsdiskussion am Montag [9] sprachen Sie von der Fähigkeit der Menschheit, sich an den Klimawandel anzupassen ...

StR: Richtig, der Mensch als Spezies.

SB: Das ist genau meine Frage: Gehören nicht auch die rund acht Millionen Menschen, die jedes Jahr verhungern und die häufig auch in klimatisch unvorteilhaften Regionen leben, zur Menschheit?

StR: Ich meine das genaue Gegenteil dessen, was Sie mit Ihrer Frage andeuten. Ich kann zwar jetzt nicht sagen, ob die Zahl acht Millionen zutrifft, aber ich habe nun seit mehr als zwei Jahrzehnten meine Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, was der Klimawandel im Kern bedeutet, nämlich daß wir zulassen, daß noch mehr Menschen als heute in den Entwicklungsländern an Hunger und Krankheiten leiden und vorzeitig sterben. Ich bin regelrecht entsetzt über die Zahl an Menschen, die wir bereit sind, diesem Schicksal auszusetzen.

In den Menschen als Spezies habe ich hingegen Vertrauen. Als Anthropologe weiß ich um die Fähigkeit beispielsweise der Inuit, mit sehr einfachen Mitteln sogar in den Polarregionen zurechtzukommen, und auf der anderen Seite die Buschleute in der Kalahari, die in einem ganz anderen klimatischen Extrem fast ohne Technologie überleben - ich denke, als Spezies können wir uns an eine große Spannbreite klimatologischer Variationen anpassen. Das Problem besteht in dem Übergang von einem Zustand zum nächsten. Ich bin mir darüber bewußt, daß ein Übergang von den heutigen Klimaverhältnissen in ein extrem heißes Klimaregime nur unter sehr hohen Kosten möglich ist und es mit Sicherheit den ärmeren Menschen, die sich in einer ohnehin verletzlichen Lage in den Entwicklungsländern befinden, auf die Füße fallen wird. Davon betroffen werden auch die Tier- und Pflanzenarten sein, die in marginalen Ökosystemen leben.

SB: Einigen Klimaprojektionen zufolge könnte sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um durchschnittlich vier Grad Celsius erwärmen. Hat es in der Menschheitsgeschichte jemals eine Phase gegeben, in der ähnliche Bedingungen vorherrschten?

StR: Vergessen Sie nicht, daß mit "vier Grad" eine globale Durchschnittstemperatur bezeichnet wird, was in gewisser Weise nur eine Zahl ist. Bestimmte Regionen der Welt werden sehr unwirtlich für Menschen werden. Wir werden sicherlich anfangen zu erleben, wie sich signifikante Veränderungen auf den geographischen Karten einstellen, ganz sicher werden Küsten und Flüsse einen anderen Verlauf nehmen und Seen ihre Form verändern. Auch die Siedlungsformen der Menschen werden anfangen, sich zu wandeln - sofern die besagte Erderwärmung der Weg ist, den wir einschlagen.

Wie ich schon sagte, in die menschliche Spezies setze ich Vertrauen. Ich stelle allerdings den Glauben einiger Leute in Frage, die behaupten, der Klimawandel sei eine existentielle Frage für die gesamte Menschheit. Dieser Ansicht bin ich nicht. Aber natürlich glaube ich, daß es eine echte Gefahr insbesondere für die ärmeren Menschen in der Welt ist, die ganz allgemein zumindest zur Zeit den geringsten Anteil an der Klimaentwicklung haben.

Das wirft Fragen auf wie jene, was wir mit den 1,6 Milliarden Menschen in der Welt machen, die keinen Zugang zu sicherer und verläßlicher Energie haben, ihn aber haben sollten. Da liegt meines Erachtens die entscheidende Frage. Tatsächlich braucht die Welt mehr Energie, nicht weniger. Wie aber können wir mehr Energie bereitstellen, ohne die zerstörerischen Auswirkungen, die gegenwärtig von den Technologien mit fossilen Energieträgen erzeugt werden?

SB: Im April dieses Jahres sagte Prof. Ottmar Edenhofer, Kovorsitzender der Arbeitsgruppe III des IPCC, bei der Vorstellung des Teilberichts III in Berlin [10], daß die Erderwärmung noch gestoppt werden kann, nur müsse sofort gehandelt werden. Er sprach damit natürlich in erster Linie die Politiker an. Wie schätzen Sie das ein - sind die Gesellschaften in der Lage, die globale Erwärmung aufzuhalten?

StR: Ich erlebe das schon seit fast zwanzig Jahren, daß Leute sagen, wir müssen sofort handeln. Ich bin mir nicht sicher, ob Ermahnungen, wir müßten sofort handeln, zwingend oder überzeugend sind. Ich habe ein Buch herausgegeben, das heute oder morgen im Vereinigten Königreich erscheint und den Titel trägt: "The Hartwell Approach to Climate Policy". Das Buch geht auf das sogenannte Hartwell Paper [11] zurück, das im Jahr 2010 herausgegeben wurde, sowie auf verschiedene Artikel wie zum Beispiel "Time to ditch Kyoto", den ich gemeinsam mit Gwyn Prins 2007 für "Nature" geschrieben habe [12].

Darin haben wir erläutert, daß es ein Fehler ist, den Klimawandel als Umweltproblem aufzufassen. Zumindest gilt das für den Aspekt der Mitigation, der Klimaschutzmaßnahmen. Die werden besser zu handhaben sein, wenn man anfängt, den Klimawandel als ein Problem technologischer Innovationen anzusehen. Uns wird häufiger gesagt: "Wir haben doch die notwendigen Technologien, die wir brauchen." Das haben wir nicht.

Wir verfügen nur über einige Technologien, die wir brauchen, haben aber beispielsweise keine Technologie, um große Mengen an elektrischem Strom im Netz zu speichern. Und es ist Wunschdenken anzunehmen, daß wir das Netz nicht mehr benötigen, weil mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in den Städten lebt. Wir können uns nicht alle ein Windrad aufs Dach stellen und Solarzellen installieren, um die ganze Energie zu produzieren, die wir benötigen. Wir brauchen also ein Netz und einen Weg, wie Elektrizität von intermittierenden Quellen wie Sonne und Wind gehandhabt werden kann, damit wir unsere Abhängigkeit von schwindenden Energieträgern wie Kohle und Atom überwinden.

Wäre ich in einer Position, von der aus ich die ökonomischen Ressourcen zuteilen könnte, läge meine Priorität auf Forschung, Entwicklung und Demonstration, um erstens die Kosten für Solar- und Windtechnologien zu senken, damit sie tatsächlich endlich konkurrenzfähig zu fossilen Energieträgern werden, und um zweitens das Problem der begrenzten Energiemenge, die das Netz aufnehmen kann, zu beheben.

Amory Lovins [12] würde Ihnen erzählen, wir könnten den Strom verteilt auf die Elektroautos speichern. Aber ehrlich gesagt halte ich das für kein schlüssiges Konzept. Ich vermute, die Leute wären ziemlich erbost, wenn sie morgens zur Arbeit fahren wollen und feststellen, daß ihre Batterien leer sind, weil das Stromunternehmen über Nacht die Energie benötigt hat.

Wenn uns wirklich daran gelegen ist, in den nächsten Jahrzehnten Leben und Eigentum mit Hilfe der bestehenden Technologien zu schützen, dann sprechen wir über Anpassung. Weil das, was wir bei Mitigation machen, jahrzehntelang keine Wirkung auf das Klima haben wird. Selbst wenn wir heute aufhören würden, Treibhausgase zu produzieren, vergingen mehrere Dekaden, bis das einen Effekt hätte.

Meine Kollegen und ich sagen schon seit langem, daß die Priorität auf Anpassung liegen sollte, sind aber oft auf taube Ohren gestoßen. Es wird eine "moral hazard" befürchtet, daß also der Klimaschutz vernachlässigt wird, wenn Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden. Dieser Einwand der "moralischen Gefahr" war hier auf der Konferenz die ganz Woche über immer wieder in Hinblick auf Geoengineering zu vernehmen. Inzwischen ist es weithin anerkannt, daß Anpassung unvermeidlich ist. Aber wir haben eine Menge Zeit verloren und Leute in noch verletzlicheren Lebenslagen zurückgelassen, als sie es ansonsten gewesen wären. Man könnte natürlich mutmaßen, daß, von heute an gerechnet, in zwanzig Jahren jemand mit Blick auf Geoengineering das gleiche über die Jetztzeit sagt. Ich weiß es nicht, vielleicht werden sie es so sehen, aber für mich sind das die Prioritäten.

SB: Herr Rayner, herzlichen Dank für das Gespräch.

Prof. Rayner beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Neue Technologien haben das Potential, der Gesellschaft einen bedeutenden Nutzen zu bieten, aber sie können auch kontrovers sein. Tatsächlich haben die Auseinandersetzungen um neue Technologien oftmals zu einem Rückschlag gegen ihre Entwicklung geführt, beispielsweise auf dem Gebiet der gentechnisch veränderten Organismen und der Kernenergie. Es ist daher wichtig, daß die Erforschung solcher Technologien eine soziale Lizenz erhält ..."
(Aus dem zurückgezogenen Entwurf der "Berlin Declaration")
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://www.youtube.com/watch?v=Wv5CMuYu9jw&list=UU1meUqqRtzA0IyB5Tn3wh1g

[2] Prof. Hamilton erläuterte seinen Standpunkt im Schattenblick-Interview:
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0153.html

[3] http://www.insis.ox.ac.uk/fileadmin/InSIS/SR_vitae-March_2014.pdf

[4] http://www2.eng.cam.ac.uk/~hemh/SPICE/SPICE.htm

[5] Das Stage-Gate-Modell ist ein von Robert G. Cooper entwickeltes Prozeßmodell für die Innovations- und Produktentwicklung. Das Modell dient der Qualitätssteigerung auf jeder Stufe, um die ein Projekt vorangebracht wird. In Rayners Verständnis ist die Einstellung eines Teilbereichs eines Projekts ein positives Ergebnis, weil es wichtige Erkenntnisse gebracht hat.

[6] http://www.geoengineering.ox.ac.uk/oxford-principles/principles/

[7] Dr. Matt Watson von der University of Bristol äußert sich in einem Video auf der CEC'14-Website ebenfalls zum SPICE-Projekt:
http://www.ce-conference.org/media/175

[8] In einem der umstritteneren Geoengineering-Konzepte ist vorgesehen, Schwefelpartikel in der oberen Atmosphäre zu verteilen, damit diese das Sonnenlicht reflektieren, noch bevor es die Erde aufwärmt.

[9] "From Fringe to Fashion? Looking Back at the Past Decade of Climate Engineering Research" (Vom Rand zur Mode? Rückblick auf das vergangene Jahrzehnt der Climate Engineering Forschung)

[10] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0071.html

[11] http://eprints.lse.ac.uk/27939/2/HartwellPaper_German_translation.pdf

[12] http://www.nature.com/nature/journal/v449/n7165/full/449973a.html

[13] Amory Lovins - US-amerikanischer Physiker und Umweltaktivist. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, unter anderem "Faktor vier" (1995), das er gemeinsam mit seiner damaligen Frau Hunter sowie Ernst Ulrich von Weizsäcker geschrieben hat.


Zur "Climate Engineering Conference 2014" sind bisher in den Pools
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
unter dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" erschienen:

BERICHT/088: Klimarunde, Fragestunde - für und wider und voran ... (SB)
Ein Einführungsbericht

INTERVIEW/149: Klimarunde, Fragestunde - Hört den Wind ...    Pene Lefale im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimarunde, Fragestunde - defensiv zur Sicherheit ...    Prof. Jürgen Scheffran im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimarunde, Fragestunde - Folgen kaum absehbar ...    Prof. Mark Lawrence im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimarunde, Fragestunde - geteilte Not, dieselbe Not ...    Dr. Thomas Bruhn im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimarunde, Fragestunde - Fortschritt in falscher Hand ...    Prof. Clive Hamilton im Gespräch (SB)
INTERVIEW/154: Klimarunde, Fragestunde - Erstickt nicht den Atem der Natur ...    Viliamu Iese im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimarunde, Fragestunde - schlußendlich nach der Decke strecken ...    im Gespräch mit fünf Klimawandelexperten, -besorgten und -betroffenen der CEC'14 Tagung (SB)

12. September 2014