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INTERVIEW/158: Klimarunde, Fragestunde - Zeit für neue Kalküle ...    Dr. Rachel Smolker im Gespräch (SB)


Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions

Scandic Hotel, Berlin, 18. - 21. August 2014

Dr. Rachel Smolker von der Organisation Biofuelwatch über Scheinlösungen für das Klimawandelproblem, das Geschäft mit Biosprit und die Enge einer reduktionistischen technologisch-orientierten Denkweise



Nachdem der Mensch das globale Klima in den letzten beiden Jahrhunderten unwissentlich verändert hat, wird nun intensiv überlegt, wie ein Kurswechsel von dem eingeschlagenen Weg vollzogen werden kann. Längst hat das Problem jeden Menschen in Deutschland und den meisten anderen Ländern der Welt in Form administrativer Vorgaben erreicht. So greift die Europäische Union unter anderem im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie seit einigen Jahren tief in die Lebensverhältnisse der EU-Bürger ein, damit das Ziel einer Reduktion der Kohlendioxidemissionen um 80 bis 95 Prozent bis zum Jahre 2050 erreicht werden kann. Das Verschwinden der Glühlampe ist hierfür ein unübersehbares Beispiel.

Allein Treibhausgasemissionen einzusparen genügt womöglich nicht. Wenn das vereinbarte sogenannte 2-Grad-Ziel, bei dem die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad über das vorindustrielle Niveau steigt, eingehalten werden soll, darf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht mehr als 450 ppm (parts per million) betragen. Gegenwärtig sind wir bei etwa 396 ppm. In vielen Klimamodellen, denen zufolge dieses Ziel durch CDR-Maßnahmen (CDR steht für Carbon Dioxid Removal, z. dt.: Kohlendioxid-Entfernung) nicht erreicht wird, müßte der Atmosphäre auch Kohlendioxid entzogen werden, deutet die Arbeitsgruppe 3 des Weltklimarats in ihrem Teilbericht "Zusammenfassung für Entscheidungsträger", der im April dieses Jahres veröffentlicht wurde, an. [1] Zwar heißt es darin, daß es nur "begrenzte Hinweise" auf das Potential für "den großmaßstäblichen Einsatz von BECCS, eine umfassende Aufforstung und andere CDR-Technologien und Methoden" gibt, aber zugleich wird BECCS als eine der "Schlüsseltechnologien" des Klimaschutzes bezeichnet.

BECCS ist die Abkürzung für "Bio-energy with carbon capture and storage" (Bioenergie in Verbindung mit Kohlenstoffabscheidung und Lagerung). BECCS gilt bereits als Wunderwaffe des Klimaschutzes, weil damit nicht nur Treibhausgasemissionen eingespart, sondern auch aktiv CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden soll. Ein mögliches Verfahren sähe so aus, daß im ersten Schritt durch die Produktion von Biomasse (hauptsächlich aus Bäumen) der Atmosphäre CO2 entzogen wird. Diese Biomasse dient dann der Industrie als Energieträger, wobei das bei der Verbrennung erzeugte CO2 abgefangen, verflüssigt und unterirdisch gelagert wird.

Auf der "Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions", die das in Potsdam ansässige Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) vom 18. bis 21. August 2014 in Berlin veranstaltet hat, waren auch zivilgesellschaftliche Institutionen zugelassen. Und wenn sie sich nicht ausreichend repräsentiert sahen, erhielten sie die Möglichkeit, kurzfristig eigene Sessions auszurichten. Zu den Organisationen, die bereits einen festen Platz im Zeitplan besaßen, gehörte Biofuelwatch aus den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich. Die Organisation macht regelmäßig auf die negativen Folgen industriell hergestellter Biotreibstoffe für die Artenvielfalt, Menschenrechte, Ernährungssouveränität und den Klimawandel aufmerksam.

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Ich bin der Ansicht, daß jeder von uns im Alltag auf Dinge stößt, die nicht nachhaltig sind und auf unterschiedliche Weise zum Klimawandel beitragen."
(Dr. Rachel Smolker, 20. August 2014, Berlin)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Als Vertreterin von Biofuelwatch war Dr. Rachel Smolker nach Berlin gereist. Sie hat 1992 ihren Doktor in Biologie an der University of Michigan erhalten und arbeitet als Kodirektorin von Biofuelwatch und Mitglied des Energy Justice Network eng mit nationalen und internationalen Partnerorganisationen zusammen. Sie hat fünfzehn Jahre lang in Shark Bay an der nordaustralischen Küste Delphine studiert und das Buch "To Touch A Wild Dolphin" (2001) geschrieben. Zahlreiche Artikel zu den negativen Umweltauswirkungen von Bioenergie stammen aus ihrer Feder. Am Rande der Geoengineering-Konferenz sprach der Schattenblick mit der Dr. Rachel Smolker.

Schattenblick (SB): Sie sind Kodirektorin der Organisation Biofuelwatch. Warum interessieren Sie sich für Geoengineering?

Rachel Smolker (RS): Ich interessiere mich für Geoengineering, weil ich ein Mensch bin, der auf diesem Planeten lebt ... (lacht) Das spezielle Interesse von Biofuelwatch hat mit den vorgeschlagenen Technologien zum Carbon Dioxid Removal zu tun. Wir arbeiten schon sehr lange zu Forschungen über die Auswirkungen der großmaßstäblichen Produktion von Bioenergie auf Landnutzung, Menschenrechte und Klima, machen dazu unsere eigene Informationsarbeit und organisieren Veranstaltungen. Viele der CDR-Technologien wie BECCS und Biochar [2] fallen unter diese Kategorie.

SB: Wie beurteilen Sie das CDR-Konzept, Biochar herzustellen, die dann gelagert wird, beispielsweise in alten Bergwerksstollen?

RS: Bei Biochar handelt es sich im wesentlichen um Holzkohle. Die wird natürlich größtenteils aus Bäumen hergestellt. Wir sind ja schon mit einer allgemeinen Entwaldung und Landdegradation konfrontiert, und um irgend etwas Entscheidendes für die Erdatmosphäre zu erreichen, wären gewaltige Mengen an Holz oder anderer Biomasse erforderlich. Da stellt sich natürlich die entscheidende Frage, woher die Bäume stammen, welche Auswirkungen ihre Produktion auf Land, Wasser, Boden, Nährstoffe und auch die Menschenrechte hat.

SB: Haben Sie eine Vorstellung dazu, wie die globale Erwärmung aufgehalten werden könnte?

RS: Auf das Problem gibt es natürlich zig Antworten, nicht nur eine einzige. Ich bin der Ansicht, daß jeder von uns im Alltag auf Dinge stößt, die nicht nachhaltig sind und auf unterschiedliche Weise zum Klimawandel beitragen. Wissen Sie, was mich an dem Treffen hier stört, ist die Fokussierung auf technische Lösungen. Ich komme gerade aus einer Session, die mit der Erläuterung über die vielen Wege begann, auf denen die natürliche Evolution der Erde und die biologischen Systeme Kohlenstoff gelagert haben. Und dann ging das Gespräch nahtlos zu der Frage technischer Vorhaben über, wie man beispielsweise mit Hilfe von Cyanobakterien die Funktion der Erde verstärken könne, damit der Atmosphäre mehr Kohlenstoff dauerhaft entzogen wird.

Zur gleichen Zeit wird aber nicht darüber gesprochen - und das gilt für die Konferenz insgesamt, soweit ich das beurteilen kann - und ernsthaft überlegt, wie man die voranschreitenden Waldrodungen stoppen kann. Es wird also auf technologische Lösungen gesetzt, anstatt auf die offensichtlichen Zerstörungen zu schauen, die bereits stattfinden und gegen die man etwas unternehmen könnte.

SB: Gibt es eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Anbau von Mais für die Herstellung von Biosprit und Geoengineering?

RS: Ja, sicherlich, wir von Biofuelwatch kritisieren zum Beispiel die Verbindung aus Bioenergy und Carbon Capture and Sequestration, die BECCS genannt wird. BECCS wird im jüngsten IPCC-Bericht positiv bewertet. Es wird behauptet, daß wir Methoden brauchen, nach denen der Atmosphäre Kohlendioxid entzogen werden kann, damit wir das Ziel einer Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre von 450 oder 550 ppm nicht überschreiten. Und die vorgeschlagene Technologie, auf die in der Regel Bezug genommen wird, weil sie angeblich am ehesten zu verwirklichen ist, lautet BECCS.

Aber wenn Sie sich anschauen, welche Pläne unter diesem Titel auf dem Tisch liegen, werden Sie feststellen, daß sie im wesentlichen auf Fabriken zur Herstellung von Ethanol aus Mais zurückgehen. In denen kann das CO2, das beim Fermentierungsvorgang in relativ reiner Form entsteht, einfach und preiswert abgeschieden werden - nebenbei gesagt, verfeuern diese Ethanolfabriken ausgerechnet Kohle, um ihren Energiebedarf zu decken. Nachdem nun das CO2 aus dem Fermentierungsprozeß eingefangen und verdichtet wurde, wird es häufig in erschöpfte Bohrlöcher gepumpt, um die weitere Erdölförderung zu unterstützen. Schätzungen zufolge könnten 60 Milliarden Barrel Erdöl zugänglich gemacht werden, wenn nur Zugang zu genügend billigem, verdichteten Kohlendioxid besteht. Da ist eine von mehreren direkten Verbindungen zwischen Maisethanol und Geoengineering.

SB: Sie haben sich bei verschiedenen Sessions zu Wort gemeldet. Sehen Sie den Standpunkt von Nichtregierungsorganisationen auf der Konferenz genügend vertreten?

RS: Nein, es gäbe noch viele, viele Stimmen, die ich gern gehört hätte, beispielsweise von Landwirten, indigenen Gemeinschaften, und, und, und. Aber lassen Sie es mich umgekehrt sagen: Ich hätte gerne weniger von reduktionistischen, technologisch-orientierten Denkweisen gehört. Die haben doch ziemlich die Diskussionen bestimmt. Nehmen Sie die Session vorhin. Da wurde gefragt, wenn wir eine preiswerte Methode zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre hätten, ob es ethisch vertretbar wäre, sie einzusetzen, trotz eines fortgesetzten Einsatzes von Kohle. Die eindeutige Antwort auf der Session lautete, daß wir sie selbstverständlich einsetzen würden. Aber die tiefergehende Frage lautet doch: Wofür wird die Energie gebraucht? Und wer verbraucht die Energie? All die Dinge, die hergestellt, konsumiert und überhaupt erst ermöglicht werden durch Bioenergie, hätten ebenfalls Folgen unter anderem für das Klima.

SB: In der Klimaforschung und auch hier auf dem Kongreß ist häufiger zu hören, bei Geoengineering handele es sich um Plan B, der dann hervorgeholt wird, wenn andere Klimaschutzvorhaben, beispielsweise aus dem UN-Verhandlungsprozeß, nicht wirksam sind. Was halten Sie von der Idee, statt Geoengineering die Abkehr vom Wachstum, also "degrowth", als Plan B zu bezeichnen?

RS: Ja, das wird von der Climate Justice Movement und vielen anderen sozialen Bewegungen auf der ganzen Welt, die sich gegen Kapitalismus und Wachstum wenden, zurecht gefordert.

SB: Ist das auch eine Richtung, für die Biofuelwatch steht?

RS: Ja, klar. Wir müssen über Degrowth und die Reduzierung des übermäßigen Konsums von einem Teil der Gesellschaft und die Stärkung der Rechte eines anderen Teils sprechen, damit letzterem zumindest das ermöglicht wird, was "buen vivir" genannt wird, also das Stillen grundlegender Bedürfnisse. Das ist ein notwendiger Bestandteil der Debatte.

SB: Wie schätzen Sie das ein, wird eines Tages die fossile Energiewirtschaft Geoengineering-Konzepte aufgreifen, um Geld damit zu verdienen?

RS: Es ist nicht so sehr die Frage, ob man ihnen gestattet, Geld zu verdienen, sondern ob man ihnen gestattet, ihr bisheriges Geschäftsmodell weiter zu verfolgen. Das hängt für mich sehr eng zusammen. Ich habe in meinem Vortrag [3] dargestellt, daß bereits die Diskussion darüber, ob man in der Lage ist, Kohlenstoff aus dem Energiesystem zu entfernen, dazu geführt hat, daß kommerzielle Unternehmen Werbeanzeigen schalten, denen zufolge man um so mehr zur Lösung des Klimawandelproblems beiträgt, je mehr man von ihrem Sprit tankt. Nach dem Motto: "Konsumiere mehr, dann löst du das Problem, weil unser Treibstoff kohlenstoff-negativ ist."

Das Verfahren beruht beispielsweise auf der Herstellung von Biokohle, wobei es eine wissenschaftlich vollkommen unbewiesene Methode der Kohlenstofflagerung ist - sofern man dies überhaupt als solche bezeichnen kann. Und ganz sicher ist es jedenfalls keine langfristige Methode. Es handelt sich also um eine fundamental falsche Aussage, was diese Unternehmen uns zu verkaufen versuchen, wenn sie behaupten, es handele sich um eine kohlenstoffnegative Technologie, das ganze sei als Kohlenstoffsenke anzusehen. Doch sie gehen damit bereits auf den Markt, und die Welt trägt solche Vorstellungen weiter, wie wir das auch hier auf dieser Konferenz in den recht engen reduktionistischen Diskussionen erlebt haben.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.de-ipcc.de/_media/ipcc_wg3_ar5_summary-for-policymakers_approved_final.pdf

[2] Biochar - Biokohle. Sie wird durch pyrolytische Verkohlung aus pflanzlichen Ausgangsstoffen hergestellt.

[3] Rachel Smolker war in der Session "CIVIL SOCIETY AND GEOENGINEERING: WHO'S ENGAGING WHOM?" (Zivilgesellschaft und Geoengineering: Wer verpflichtet wen?) am Mittwoch, den 20. August 2014, als Convener und Referentin aufgeführt.


Zur "Climate Engineering Conference 2014" sind bisher in den Pools
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und
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unter dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" erschienen:

BERICHT/088: Klimarunde, Fragestunde - für und wider und voran ... (SB)
Ein Einführungsbericht

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15. September 2014