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INTERVIEW/177: Die Uhr tickt - das Glas halbvoll ...    Prof. em. Dr. Peter Hennicke im Gespräch (SB)


"Klima - Wandel im Gipfeljahr 2015"

Internationales Symposium zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Hartmut Graßl am 18. März 2015 an der Universität Hamburg

Prof. em. Dr. Peter Hennicke über die Last des Burden Sharing, Chinas Marsch in eine grüne Zukunft und warum Klimaschutz mehr sein sollte als ein bloßer Wechsel der Energiesysteme


Die international mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Energiewende der Bundesrepublik Deutschland ist mit einer Reihe von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft verbunden. Zu ihnen gehört der 1943 geborene Ökonom Professor Dr. Peter Hennicke. Sein beruflicher Werdegang führte ihn unter anderem an die Universität Osnabrück, die Fachhochschule Darmstadt und die Bergische Universität Wuppertal, von der er 2008 emeritiert wurde. Er war Mitglied mehrerer Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestags, wurde 1992 zum Direktor der Abteilung Energie am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie ernannt und übernahm im Jahr 2000 die Führung dieser Forschungseinrichtung, zunächst als amtierender, von 2003 bis Anfang 2008 als gewählter Präsident. 2014 erhielt Prof. Hennicke gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Gunther Krieg den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Energie- und Rohstoffeffizienz sind sein "Markenzeichen".

Auf dem internationalen Symposium "Klima - Wandel im Gipfeljahr 2015", das am 18. März 2015 aus Anlaß des 75. Geburtstags des Meteorologen Prof. Dr. Hartmut Graßl an der Universität Hamburg veranstaltet wurde, hielt Prof. Hennicke den Vortrag "Wider die Idee des Burden Sharing: Klimaschutzpolitik als Gewinn für Friedenssicherung und nachhaltiges Wirtschaften". Im Vorfeld seiner Präsentation beantwortete Prof. Hennicke dem Schattenblick einige Fragen.


Porträt - Foto: © 2015 by Schattenblick

Prof. em. Dr. Peter Hennicke
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie werden heute den Vortrag "Wider die Idee des Burden Sharing: Klimaschutzpolitik als Gewinn für Friedenssicherung und nachhaltiges Wirtschaften" halten. Die Idee der Lastenteilung beim Klimaschutz klingt doch zunächst einmal ganz gut - könnten Sie unseren Leserinnen und Lesern erläutern, was Sie daran kritisieren?

Prof. Peter Hennicke (PH): Dazu muß ich kurz ausholen. Anfang der neunziger Jahre hat US-Präsident Bush die Devise "wait and see" ausgegeben, nach dem Motto: Wir, die Industrieländer, sollten uns Zeit lassen mit dem Klimaschutz, weil dadurch angeblich auch die amerikanische Lebensart zerstört würde. Hinzu kam eine Reihe von Top-Ökonomen, wie etwa Bill Nordhaus [1], die damals die der Regierung angenehme Position vertreten haben, daß es in ökonomischer Hinsicht billiger sei, sich an den Klimawandel anzupassen, als ihn zu vermeiden.

Zum einen wird dabei angenommen, daß die zukünftigen globalen Schäden, die die Industrieländer als Hauptverursacher des Klimawandels heute anrichten, sozusagen per hoher Diskontrate auf Null reduziert werden können. Das heißt aber im Klartext, daß wir unsere Verantwortung für zukünftige Generationen und für die stark durch den Klimawandel verwundbaren Entwicklungsländer nicht wahrnehmen. Zum zweiten wird damit unterstellt, daß das, was wir heute zum Klimaschutz tun könnten, immer mehr Kosten verursacht, als es ökonomischen Nutzen bringt. Diese zweifelhaften globalen Kosten-/Nutzen-Rechnungen zum Klimawandel haben mich schon damals als Ökonom provoziert. Deshalb habe ich mir gemeinsam mit einem Doktoranden und Mathematiker, Ralf Becker, das von Nordhaus verwendete DICE-Modell angeschaut und es an wenigen Annahmen und Stellschrauben verändert. Daraufhin hat es das genaue Gegenteil von dem errechnet, was Nordhaus ermittelt hatte: Klimawandel vermeiden ist "billiger" als abwarten. [2]

Das hat mich gegenüber einer ökonomischen Modellierung, die globales Burden Sharing als scheinbar unanfechtbare wissenschaftliche Botschaft nicht nur an die Politik, sondern an die Zivilgesellschaft vermittelt und deren Vorstellungen geprägt hat, sehr, sehr skeptisch gemacht. Ich habe dann, wie einige meiner Kollegen auch, genauer untersucht, was Klimaschutz im Sinne der Vermeidung fossiler Brennstoffe eigentlich in der Essenz bedeutet. Dazu müssen wir die Zukunft nicht nur unter technischem Blickwinkel anschauen, sondern auch die gesellschaftspolitischen Implikationen risikovermeidender Energiesysteme präziser diskutieren. Dann kommt man bei fossilen Energieträgern zu der einfachen Botschaft: Wir sollten ohnehin - auch aus Gründen des Ressourcenschutzes und vorsorgender Friedenspolitik - auf maximale Energieeffizienz plus forcierte Markteinführung der Erneuerbaren setzen, selbst wenn es den Klimawandel nicht gäbe.

Allerdings bleibt noch die Frage zu beantworten, wie man nationale Politik und Wirtschaftsinteressen dadurch verändern kann, daß auf globaler Ebene nachgewiesen wird, daß aktiver weltweiter Klimaschutz im Grunde quasi aus der globalen Portokasse zu finanzieren wäre: Die globalen Wachstumsverluste sind nämlich minimal - das hat die Arbeitsgruppe III des IPCC unter Ottmar Edenhofer vom PIK inzwischen mit einer aufwendigen Modellierung berechnet. [3]

Wenn man jetzt noch die Vermeidung der zukünftigen (monetarisierten) Schäden berücksichtigen würde, die etwa beim Dreifachen dessen liegen, was wir für Klimaschutz an Kosten aufbringen müßten, dann ist aus globaler Perspektive bewiesen: Klimaschutz ist für die Menschheit und alle nachfolgenden Generationen ein exorbitanter "Benefit", also das Gegenteil von einer "Burden". Jetzt müssen wir diese globale Botschaft, die leider national orientierte Politiker, Industrien und Zivilgesellschaften wenig interessiert, runterbuchstabieren auf die nationale Handlungsebene, auf die der Unternehmen und Regionen, auf die dezentraler Akteure und der Zivilgesellschaft. Daran arbeite ich und viele andere und das will ich heute an Beispielen vortragen.

SB: China ist die Werkbank der Welt, was seine Bilanz an Treibhausgasemissionen verschlechtert. Wäre es nicht ungerecht, würde man das bei der Festlegung nationaler Emissionsbudgets nicht berücksichtigen?

PH: Das sollte man zumindest analytisch tun, für die Praxis der globalen Klimaschutzpolitik wirft es aber viele ungelöste Fragen auf. Ich bin Co-Chair einer Task Force für den China Council [4], die das Thema der Governance einer "Green Transformation" in China untersucht. Ziel meiner Arbeit und der meiner internationalen Kollegen in der Task Force wird sein, den neuen, ressourcenschonenderen Entwicklungsweg, den China ja mit beachtlichem Tempo bereits angeht, mit all dem Wissen aus anderen Ländern zu unterstützen. Es gibt kein Land der Welt, das wie China so ambitioniert erneuerbare Energien aufbaut und sich so bewußt darüber ist, daß es so schnell wie wirtschaftlich und sozial möglich aus der extremen Abhängigkeit von fossilen Energien aussteigen muß. Vor kurzem wurde auf dem chinesischen Youtube-Kanal eine Dokumentation gezeigt, die sich 150 Millionen Menschen in China angeschaut haben und die davon handelte, welche katastrophalen Schäden die Luftverschmutzung durch fossile Energieträger in China anrichtete. [5]

China sucht eine "grüne Transformation" zwar auch um seinen wachsenden Beitrag am globalen Klimawandel zu reduzieren, aber ein noch wichtigerer Treiber sind die Immissions- und Emissionsbelastungen in China selbst, durch die mit der Nutzung fossiler Energieträger verbundenen Schadstoffe. Wir brauchen den Chinesen nicht zu predigen, daß sie diesen kohlebasierten Entwicklungsweg so schnell wie möglich verlassen müssen, weil das Thema zum höchsten Politikum geworden ist. Leider wurde die Dokumentation nach kurzer Zeit wieder aus dem Kanal genommen.

Meine Aufgabe sehe ich darin und das tun viele, die in China beratend tätig sind - unabhängig von der Beurteilung der Regierungsform und der Rolle der Kommunistischen Partei - China als das derzeit bevölkerungsreichste Land der Welt und als zentraler Akteur im Klimaschutz dabei zu unterstützen, Effizienz und Erneuerbare in rasch wachsendem Umfang und beispielhaft für andere Länder umzusetzen. Ich vermute, daß wir in absehbarer Zukunft eine wechselseitige Politikberatung erleben werden: So ist denkbar, daß in der EU chinesische Experten dabei mitdiskutieren werden, wie wir diesen komplizierten Vielvölkerstaat Europa auf einen harmonisierten Nachhaltigkeitskurs bringen können, so wie es die Zentralregierung in China gegenüber seinen selbstbewußten Provinzen ebenso versucht.

SB: Trifft es zu, daß die globale Produktionsteilung bisher noch kein Thema bei den UN-Klimaschutzverhandlungen war? Werden noch immer nur nationale Budgets berechnet, aber nicht, daß diese in der heutigen globalisierten Welt den Konsum anderer Länder widerspiegeln?

PH: Es ist ungeheuer schwierig, das Ausmaß der Externalisierung von Lasten zu quantifizieren und die Verantwortlichkeit und das nationale politische Handeln so klar zu bestimmen, daß wir daraus ein Klimaschutzabkommen machen können. Innerhalb der Wissenschaft ist klar, daß wir die CO2-Emissionen, die etwa über die Werkbank China für unseren Konsum emittiert werden, berücksichtigen müssen. Das heißt, die Debatte über globales, nachhaltiges Konsumieren und Produzieren sowie über Qualitätsstandards für Nachhaltigkeit nimmt an Fahrt auf - übrigens auch in China. Gerade erst im letzten Jahr hat sich eine internationale Task Force für den China Council sehr intensiv mit nachhaltigem Konsum befaßt. Die internationale Arbeitsteilung spielt also in den wissenschaftlichen Debatten eine durchaus wachsende Rolle.

Aber ich glaube, daß die Ideologie des Burden Sharing auch bei der Zielsetzung für internationale Kooperation immer noch viel Schaden anrichtet. Sie ist einer der Gründe, warum wir immer noch hauptsächlich über die Reduktion von Schadstoffen wie CO2 diskutieren und nicht über die Frage, wie man bi- und multilateral grüne Märkte kreieren kann, indem wir uns auf quantifizierte Ziele zur Steigerung der Energieeffizienz und für erneuerbare Energien verständigen - zum Beispiel zwischen Deutschland und China oder Deutschland und Japan. Diese Länder könnten eine gemeinsame Kooperation zur Energiewende organisieren, um durch kooperatives "Knowledge Management", den Wissens- und Technologietransfer, zu beschleunigen.

Insgesamt bin ich immer noch besorgter Optimist. Dennoch müssen wir weg von der Idee, durch den Klima- und Ressourcenschutz Opfer zu teilen. Notwendig sind gemeinsame positive Visionen über innovative Muster nachhaltigen Produzierens und Konsumierens, die attraktiv sind, um die entsprechenden politischen Mehrheiten in den jeweiligen Ländern zu schaffen.

SB: Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, daß vergleichbar mit der Förderung von Biosprit, die anfangs sogar von Umweltbewegungen unterstützt wurde, ähnliche Probleme bei anderen erneuerbaren Energien - beispielsweise mit Silizium bei Solarzellen oder seltenen Erden für Windradgeneratoren - entstehen? Daß es also auch da zu Effekten kommt, die man vorher gar nicht bedacht hat?

PH: Das ist ein Grund, warum wir von "Green Transformation" sprechen und nicht einfach nur von Klimaschutz. Ich bin der Meinung, daß wir durch eine integrierte Strategie des Klima- und Ressourcenschutzes unerwünschte Nebeneffekte viel intensiver im Blick behalten müssen als bisher. Eine Minimalforderung ist z.B. das Recycling voranzutreiben, also eine Kreislaufwirtschaft auch für die Rohstoffnutzung durch erneuerbare Energien vorauszudenken und uns beispielsweise zu fragen, was wir mit den alten Solarzellen machen, wenn die nächste Generation aufs Dach kommt. Wir müssen generell vorsorgend untersuchen, welche Entwicklungsdynamiken in unterschiedlichen Branchen wie IKT, Energie, etc. zum Beispiel durch eine Verknappung kritischer Metalle verursachen können, damit keine unerwünschten Nebeneffekte einer globalen Energiewende entstehen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass im IKT-Bereich immer mehr kritische Metalle mit einer starken Dissipation, also Feinverteilung, in technische Geräte wie Computer, Handys etc. gelangen, die genauso auch für erneuerbare Energien, teilweise auch für Energieeffizienztechniken benötigt werden. Nach Angaben des UN-Umweltprogramms UNEP werden 99% der wichtigen Hightech-Metalle nach deren Nutzung weggeworfen, anstatt sie zu recyceln. Nur bei 18 Metallen liegen die Recyclingquoten über 50%. [6]

Auch für die Energiewende gilt daher: Ressourceneffizienz- mit Energieeffizienzpolitiken zu koppeln ist ein absoluter Imperativ. Wir müssen in Deutschland mit unserem starken Fokus auf die Energiewende - für die ich natürlich ein uneingeschränkter Befürworter bin - auch jetzt schon darauf achten, daß keine unerwünschten Nebeneffekte erzeugt werden, je mehr Erneuerbare ins Netz kommen und je weiter die Effizienztechniken entwickelt werden.

SB: Werden begleitende Forschungen darüber durchgeführt, wieviel CO2 bei der grünen Transformation emittiert wird?

PH: Ich glaube, der Begriff "grüne Transformation" ist noch präzisierungsbedürftig, weil er meistens mit (quantifizierten) Zielvorstellungen allein aus dem Energiebereich arbeitet. So ist zum Beispiel bei der "Roadmap to a Resource Efficient Europe" [7] klar, dass auf jeden Fall EU-weit bis 2050 80 Prozent CO2-Reduktion im Rahmen einer ressourceneffizienten, grünen Transformation erreicht werden soll. Es ist jedoch nur eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für eine "grüne Transformation", daß CO2 drastisch gemindert wird.

Auch Atomenergie, CCS, Shale Gas oder Geoengineering könnten CO2 mindern, allerdings mit fatalen Nebeneffekten! Nicht allein wegen der Risiken der Atomenergie, sondern generell wegen der Vermeidung unnötigen Naturverbrauchs oder der Verlagerung von Risiken müssen wir den Blickwinkel erweitern.

Es reicht nicht aus, nur aufs Klima zu schauen, wenn wir uns nicht gleichzeitig des Problems bewußt sind, daß wir in den Industrieländern eine absolute Entkoppelung zwischen mehr und gerechter verteilter Lebensqualität und weniger Naturverbrauch erreichen müssen. Hier ist die Schweiz mit dem Leitbild der 2000 Watt/Kopf-Gesellschaft beispielgebend, weil dort Strategien der Effizienz- und Suffizienzpolitik mit Erneuerbaren Energien integriert und dezentral (z.B. in 350 Städten und Gemeinden) umgesetzt werden.

SB: "Klimaschutzpolitik als Gewinn für Friedenssicherung" heißt es in der Ankündigung zu Ihrem Vortrag. Besteht da nicht die Gefahr, eine sowieso von vielen verschiedenen Interessen beeinflußte Klimaschutzpolitik mit weiteren Erwartungen zu überfrachten?

PH: Nein, ganz im Gegenteil. Die Berücksichtigung von erwünschten "Co-Benefits" kann den Klimaschutz beflügeln. Es gibt zur Zeit eine lebhafte Debatte über die "non-climate factors", die von der IEA [8] mit angestoßen wurde. Sie will damit sagen, daß wir, selbst wenn es keinen Klimawandel gäbe, wegen dieser Co-Benefits (z. B. mehr Versorgungssicherheit, reduzierte Importkostenabhängigkeit, Verzicht auf Subventionierung fossiler Energien, neue Geschäftsfelder) so bald wie möglich aus den fossilen Energieträgern aussteigen sollten. Was in den heutigen internationalen Konfliktlagen und erst Recht bei zunehmendem Klimawandel eine strategisch immer bedeutsamere Rolle spielen wird, ist die Frage: Wie schaffen wir durch gezielte Klimaaußenpolitik gleichzeitig eine vorbeugende Konfliktlösungspolitik? Das betrifft Fragen der Vermeidung und der Anpassung an den Klimawandel sowie der Eindämmung von Ressourcenkonflikten.

Hier ein Beispiel: Einer meiner Doktoranden, Nikolaus Supersberger, hat eine Arbeit über den Iran geschrieben und seine Untersuchungsfrage war: Braucht der Iran die zivile Nutzung der Atomenergie für seine wirtschaftliche Entwicklung? [9] Die Debatte dreht sich ja immer nur um die Frage, ob die scheinbar unvermeidlich notwendige zivile Atomenergie mißbraucht werden kann. Die Arbeit zeigt schlüssig, daß die Kombination aus Energieeffizienz und erneuerbaren Energien - im Iran sind das vor allem solarthermische Strom- und Wärmeerzeugung, geothermische Stromerzeugung und Photovoltaik, für die riesige Potentiale bestehen - völlig ausreicht, die zivile Nutzung der Atomenergie nicht nur unnötig, sondern auch wirtschaftlich weniger attraktiv ist. Damit können erstens die iranischen Ölquellen zeitlich gestreckt werden, was enorm wichtig ist zur Finanzierung des iranischen Haushaltsbudgets, und zweitens kann die Möglichkeit geschaffen werden, durch eine partnerschaftliche Energiestrategie die Fixierung auf beiden Seiten auf die Atomfrage aus der Außenpolitik rauszunehmen. Was das für den Iran im Verhältnis zu Israel und den USA bedeuten würde, liegt auf der Hand.

Ich würde mir wünschen, daß die EU an den Iran ein starkes Angebot macht über einen forcierten Technologie- und Knowhow-Transfer zur Förderung von Energieeffizienz, von Erneuerbaren - im wohlverstandenen eigenen Interesse der Iraner, aber auch der europäischen Industrie. Damit wäre den Hardlinern auf allen Seiten den Wind aus den Segeln genommen. Insofern wäre die Unterstützung einer iranischen Energiewende durch die EU eine sehr konkrete Friedenspolitik.

Ägypten ist ein anderes Beispiel. Das Land hat die größten Windkraftpotentiale im Mittelmeerraum und liebäugelt dennoch auf Anraten der Atomkonzerne mit der - gegenüber Wind- und Solarstrom nicht mehr wettbewerbsfähigen - Atomkraft. Wenn auch in Ägypten die Potentiale von Wind und Sonne genutzt würden, wäre die Debatte über Klima-und Ressourcenschutz durch Atomenergie im gesamten Mittelmeerraum (einschließlich der Türkei) endgültig beendet. Von daher ist Klimaschutzpolitik basierend auf einer integrierten Energieeffizienz- und erneuerbaren Energiepolitik immer auch vorsorgende Friedenspolitik.

SB: Gibt es in der Wissenschaft Bemühungen, so etwas wie Friedenssicherung mit einem ökonomischen Wert zu versehen?

PH: Ehrlich gesagt, das fände ich gruselig! Es ist schon fragwürdig genug, wenn wir die Personenschäden, die der Klimawandel verursacht, monetarisieren und dabei zum Beispiel den Wert eines Menschen in einem Entwicklungsland geringer bewerten als den eines Menschen bei uns. Da sträuben sich bei mir auch als Ökonom alle Nackenhaare. Und wenn man das jetzt noch mit den vermiedenen Opfern und Sachschäden von Kriegen versuchen würde, würde es obszön.

Auf einem anderen Blatt steht, wenn nachträglich die Kriegskosten abgeschätzt werden, die z. B. die USA - sicherlich auch motiviert durch ihre Ölinteressen - im Irakkrieg aufgebracht haben. Die hatten eine Dimension, daß damit schon ein beträchtlicher Teil der globalen Energiewende hätte finanziert werden können. Aber generell die ausufernde Ökonomisierung der Welt und des Denkens auch noch auf die Friedenspolitik zu übertragen, davon würde ich dringend abraten.

SB: Eine klare Stellungnahme - haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.


Prof. Hennicke beim Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Ich glaube, wenn wir die Energiewende (...) erfolgreich umsetzen, dann haben wir einen 'Tipping Point' in der weltweiten Klimapolitik erreicht. Also, es gibt noch viel zu tun, und wir sollten alles daran setzen, diesen Prozeß zu beschleunigen."
(Prof. Peter Hennicke, 18. März 2015, Hamburg)
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] William "Bill" Nordhaus (geboren 1941) ist Sterling Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Yale University. Sterling Professor ist der höchste akademische Grad dieser Universität.

[2] Peter Hennicke, Ralf Becker: "Is Adaptation Cheaper than Prevention? The Applicability of Cost-Benefit Analysis to Global Warming", in: ZEW Economic Studies Volume 1, 1999, Seite 126-164.
http://link.springer.com/chapter/10.1007%2F978-3-642-47035-6_7#

[3] Bericht und Interview zur Vorstellung des Teilberichts der Arbeitsgruppe 3 des IPCC am 14. April 2014 an der Technischen Universität Berlin im Schattenblick unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
BERICHT/071: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen - abgrenzen, ausgrenzen, eingrenzen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0071.html
und
INTERVIEW/096: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen - Der Beitrag Politik ... Prof. Ottmar Edenhofer im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0096.html

[4] Anfang vergangenen Jahres wurde Prof. Dr. Peter Hennicke zum Co-Chair der Task Force "National Governance Capacity for Green Transformation" des China Council for International Cooperation on Environment and Development (CCICED), kurz China Council, ernannt.
http://wupperinst.org/info/details/wi/a/s/ad/2872/

[5] Der Film heißt "Under the Dome" und wurde von der früheren chinesischen Fernsehjournalistin Chai Jing erstellt.

[6] UNEP (2011): Decoupling natural resource use and enviromental impacts from economic growth. International Resource Panel, Kenya.
http://www.unep.org/resourcepanel/Portals/24102/PDFs/DecouplingENGSummary.pdf

[7] "The Roadmap to a Resource Efficient Europe" ist eine Initiative der Europäischen Kommission, die darauf abzielt, die europäische Wirtschaft bis 2050 nachhaltiger zu gestalten. Allgemein geht es dabei darum, die Ressourcenproduktivität zu stärken und das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch und damit von schädlichen Umweltauswirkungen zu entkoppeln.
http://ec.europa.eu/environment/resource_efficiency/about/roadmap/index_en.htm

[8] IEA - International Energy Agency. Die in Paris ansässige Organisation hat im vergangenen Jahr zu den "non-climate factors" das Buch "Capturing the Multiple Benefits of Energy Efficiency" herausgegeben.
http://www.iea.org/bookshop/475-Capturing_the_Multiple_Benefits_of_Energy_Efficiency

[9] Nikolaus Supersberger: "Der unnötige Atomkonflikt in Iran".
http://wupperinst.org/publikationen/details/wi/a/s/ad/681/

Unter dem kategorischen Titel "Die Uhr tickt" sind zum Symposium am 18. März 2015 an der Universität Hamburg bisher unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
bereits folgende Schattenblick-Beiträge erschienen:

BERICHT/098: Die Uhr tickt - mit und ohne Instanzen ... (SB)
Die globale Weltbürgergesellschaft macht sich auf den Weg
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0098.html

BERICHT/099: Die Uhr tickt - klimatisch begrenzen Profitpräferenzen ... (SB)
Der Schweizer Ökonom Dr. habil. Ulrich Hoffmann über die noch immer unterschätzte Bedeutung der Landwirtschaft für den Klimawandel
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0099.html

INTERVIEW/174: Die Uhr tickt - Solidarintervention Klimarettung ... Prof. Dirk Messner im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0174.html

INTERVIEW/175: Die Uhr tickt - auf niemand kann verzichtet werden ... Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hartmut Graßl im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0175.html

16. April 2015


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