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INTERVIEW/195: Am Beispiel Indien - Subversive Klarheit ...    Praved Krishnapilla im Gespräch (SB)


Cineastischer Basisaktivismus - Atomwiderstand mit Bild und Ton

Interview mit dem Regisseur des Dokumentarfilms "Nuclear Lies"


Vom 15. bis zum 24. September befand sich der indische Regisseur Praved Krishnapilla auf Rundreise durch die Bundesrepublik, um seinen Dokumentarfilm "Nuclear Lies - Atomlügen" vorzustellen. 72 Minuten lang hatte das Publikum Gelegenheit, die hierzulande weitgehend unbekannte Geschichte der indischen Atomindustrie vor allem aus Sicht der davon betroffenen Menschen kennenzulernen. Die damit einhergehenden Widersprüche zwischen politischer Partizipation und machtpolitischer Realität zeigen ein anderes Bild des Lebens auf dem indischen Subkontinent, als die von der Regierung gerne verbreitete Sprachregelung von der "größten Demokratie der Welt" vermuten lassen könnte. Massive Einwirkungen durch radioaktive Strahlung und andere Folgen atomtechnischer Megaprojekte auf die menschliche Gesundheit und den Bestand der Natur werden gegen den Willen der Betroffenen durchgesetzt, weil es die Staatsräson dieses zudem nuklear hochgerüsteten Landes will.

Der 1975 im südindischen Bundesstaat Kerala geborene Krishnapilla lebt seit 1999 in Wien und lehrt dort an der Universität für angewandte Kunst Filmgestaltung und Filmemachen. Die Produktion des 72minütigen Dokumentarfilms nahm insgesamt zwei Jahre in Anspruch und erfolgte unter aus politischen Gründen erschwerten Bedingungen. So mußten die 2014 von einem fünfköpfigen Team in Indien bewerkstelligten Dreharbeiten zum Teil so durchgeführt werden, daß sie den Eindruck von Touristen erweckten, um keine Schwierigkeiten mit den Behörden zu bekommen.

Als ein per Crowdfunding und großzügiger Unterstützung österreichischer Anti-Akw-Gruppen wie Einzelpersonen finanziertes Filmprojekt, das mit Gesamtkosten von rund 26.000 Euro verwirklicht wurde, beweist "Nuclear Lies", wie gut politische Streitbarkeit einem Dokumentarfilm bekommen kann, der den herrschenden Gewaltverhältnissen auf den Leib rückt. Wo ungleich kostenaufwendigere Produktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks den strukturellen Zwängen zielgruppenorientierter Verwertbarkeit und den politisch-ideologischen Beschränkungen der Auftraggeber unterliegen, läßt sich mit einem schmalen Budget einiges in Bewegung setzen, gerade weil nicht nur das Schicksal der Betroffenen, sondern die Zukunft aller Lebewesen auf dem Spiel steht.

Im Anschluß an die Präsentation des Filmes "Nuclear Lies" im Hamburger Centro Sociale, die wie stets durch eine Diskussions- und Fragerunde ergänzt wurde, konnte der Schattenblick dem Regisseur einige Fragen zu seinem Film stellen.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Praved Krishnapilla
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Praved, wie lange beschäftigst du dich schon mit der indischen Atomindustrie und woher kommt dein spezielles Interesse an dieser Technologie?

Praved Krishnapilla (PK): Mit der Atomindustrie in Indien beschäftige ich mich seit 20 Jahren. Von der Zeit meiner Einschulung bis zu meinem 16. Lebensjahr war ich immer pro-nuklear eingestellt. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn in der Schule lernt man, daß die Atomkraft als zukunftsorientierte Technologie für Indien unerläßlich sei. Im Unterricht habe ich nie etwas über Unfälle in Atomkraftwerken gehört. Erst später habe ich in einem Wissenschaftsjournal vom Zwischenfall in Tschernobyl erfahren und damit begonnen, meine Einstellung zu hinterfragen. Darüber änderte sich meine Haltung zur Atomkraft radikal vom Positiven zum Negativen.

Nach meinem Studium habe ich als Reporter beim indischen Staatsfernsehen Doordarshan/Network TV gearbeitet. Mein Schwerpunkt waren Umwelt- und ökologische Themen. Regelmäßig habe ich über die Kernenergieindustrie berichtet und dabei Gelegenheit gehabt, auch Experten Fragen zu den Risiken zu stellen. Wirkliche Antworten habe ich nie erhalten, vielleicht waren es einfach auch nur Lügen.

1999 bin ich nach Österreich ausgewandert, wo es ein starkes Anti-Atomgesetz gibt. In der Folge habe ich viel über die Anti-Atombewegungen in Europa und inbesondere in Deutschland erfahren und mir gedacht, ich muß diesen Film jetzt machen, weil für die Atomwirtschaft in Indien eine goldene Zeit anbricht. In Jaitapur im indischen Bundesstaat Maharashtra soll das größte Kernkraftwerk der Welt gebaut werden. Allerdings habe ich ein Problem damit gehabt, daß es in Österreich einerseits seit 2014 fast nur noch atomfreien Strom gibt, das Land andererseits jedoch Mitglied bei Euratom ist. Und Euratom ist an der Finanzierung von Atomexporten beteiligt. So erhält der französische Staatskonzern Areva von der Europäischen Union Subventionen in Millionenhöhe. Das sind Steuergelder von europäischen Bürgern. Deswegen war ich motiviert, hier einen Film zu drehen, um eine Diskussion über diese Zusammenhänge lebendig zu halten.

SB: Im Vortrag hast du erzählt, daß der Film mit Crowdfunding finanziert wurde und daß sich verschiedene österreichische Anti-Atom-Organisationen daran beteiligt haben. Wie kam es zu dieser Kooperation?

PK: Das war reiner Zufall. Angie Rattay ist eine bekannte grüne Aktivistin in Österreich, die ein großes Event in Wien unter dem Titel ERDgespräche organisiert. Bestandteil des Treffens ist auch die Vorstellung kleinerer Projekte. Sie lädt jedes Jahr anerkannte Experten ein. Alles in allem kommen etwa 700 Leute zu der Veranstaltung. Jedenfalls hat sie mir eines Tages vorgeschlagen, mein Projekt dort ebenfalls zu präsentieren. Zuvor war ich 2013 in Südindien gewesen und habe im Dorf Idinthakarai den Protest gegen den Bau eines geplanten Atomkraftwerks mit eigenen Augen beobachten können. Es glich einem Kriegsszenario. Von den Demonstrationen habe ich Bilder gemacht und sie in meinem Freundeskreis hier gezeigt. Sie ermutigten mich, mein Filmprojekt während der Veranstaltung vorzustellen, weil sich möglicherweise jemand finden würde, der bereit wäre, einen Film zu finanzieren.

SB: Sind es die gleichen Bilder, die heute im Centro Sociale ausgestellt sind?

PK: Nein, diese stammen von Amirtharaj Stephen, einem professionellen Fotografen, der unabhängig arbeitet und aus diesem Ort in Südindien kommt. Ich habe seine Bilder für meinen Film genommen.

SB: Indien hat massive soziale Probleme. Ein Großteil der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Welchen Rang haben ökologische Themen überhaupt in Indien oder anders gefragt: Gibt es seitens der Regierung ein Interesse an Umwelt- und ökologischen Fragen?

PK: Wenn man die Ökologie auf eine Prioritätenliste setzen würde, fände man sie ganz unten. Die Regierung hat zwar entsprechende Gesetze erlassen, und es gibt auch Regelungen für ökologisch sensible Gebiete, aber sie spielen in der indischen Politik eher eine marginale Rolle. Ein konkretes Beispiel dazu: Das Pannenkraftwerk Kudankulam im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu steht etwa 30 Kilometer von einem Naturschutzgebiet entfernt, das einen Hotspot an Biodiversität darstellt. Das zeigt, welche niedrige Priorität ökologische Zusammenhänge für die Regierung haben.

SB: In deinem Vortrag erwähntest du, daß die Dreharbeiten äußerst schwierig waren, weil keine offizielle Genehmigung vorlag. Könntest du einmal schildern, wie ihr die Aufnahmen überhaupt hinbekommen habt?

PK: Für mich war klar, daß es nicht funktionieren würde, mit einem großen Kamerateam durch die Gegend zu ziehen. Ein großes Kamerastativ wäre sofort aufgefallen. Wir haben daher kleine Spiegelreflexkameras mit Videofunktion mitgenommen. Mit dem fünfköpfigen Team haben wir uns zudem wie Touristen benommen. Die Uranmine und die Wiederaufbereitungsanlage werden streng bewacht. Überall stehen Kameras und Verbotsschilder. Daher mußten wir unsere Kameras beim Filmen unter Büschen versteckthalten.

In Indien einen Atommeiler zu filmen ist ansonsten unmöglich. Einmal hat das ZDF versucht, mit einer Drohne Filmaufnahmen zu machen. Der Journalist wurde verhaftet, wenngleich bald darauf wieder freigelassen. Hier in Deutschland wird es geduldet, wenn man einen Reaktor filmt, in Indien nicht. Ich war heute früh in Gorleben und bin um das geplante atomare Endlager herumgefahren. Es gibt dort keine Wachen, nur Stacheldraht und hohe Mauern, aber die Wiederaufbereitungsanlage in Indien gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Alle zehn Meter stehen mit Maschinenpistolen bewaffnete Kommandos. Das ganze Gebiet ist in höchstem Maße verseucht, und das unweit einer Millionenstadt. Ich kann es bezeugen, weil ich mit einem Geigerzähler unterwegs war. Wir haben das einer lokalen Zeitung gemeldet, die sofort einen kleinen Bericht darüber geschrieben hat. Am nächsten Tag erklärte die Atombehörde in einer Gegendarstellung, bei eigenen Messungen nichts gefunden zu haben. Wenn Kernphysiker von Grenzwerten reden, ist das in meinen Augen einfach nur dumm, denn bei einer Verstrahlung kann es keine Grenzwerte geben. Jede Strahlung ist für lebende Wesen - Menschen, Tiere, Pflanzen - gefährlich. Daher war es für mich in diesem Film wichtig, die menschliche Seite und Betroffenheit aufzuzeigen.

SB: Gibt es seitens öffentlich-rechtlicher Medien in Österreich oder der Bundesrepublik Interesse an der Ausstrahlung des Films?

PK: In Österreich haben wir den Film zwar auch in Kinos gezeigt, aber beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen noch keinen Versuch unternommen. Dort herrschen allerdings hohe Qualitätsanforderungen wie zum Beispiel bei den Kriterien der Objektivität, die der Film in diesem Sinne nicht erfüllt, weil ich nur eine Seite der Kernindustrie gezeigt habe. Gegen eine Ausstrahlung in Österreich und Deutschland hätte ich persönlich nichts einzuwenden.

SB: Willst du mit dem Film noch auf internationale Filmfestivals gehen?

PK: Ich war in Kanada auf dem International Uranium Festival und werde ihn übermorgen auf dem Berliner Teil dieses Festivals zeigen. Ferner habe ich Anfragen aus Japan und Schweden. Im Augenblick arbeite ich an einer englischen Version, um auf internationale Festivals zu gehen.

SB: Praved, vielen Dank für das Gespräch.


Offizielles Filmplakat mit Veranstaltungsankündigung - Grafik: © 2015 by nuclearlies.net

Grafik: © 2015 by nuclearlies.net


Zur Vorführung des Films "Nuclear Lies" am 23. September 2015 im Hamburger Centro Sociale sind bisher im Pool UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/105: Am Beispiel Indien - Vorwand Strom ... (SB)
Teil 1: "Kollateralschäden" der Atomenergieproduktion im Kontext der Herrschaftssicherung

BERICHT/106: Am Beispiel Indien - weltweites Bündnis gegen Kernkraftlogistik ... (SB)
Teil 2: Der Hamburger Hafen - Drehscheibe für Nukleartransporte auch nach Indien

BERICHT/107: Am Beispiel Indien - tradierte Vergeblichkeit ... (SB)
Teil 3: Widerstand gegen das Atomkraftwerk Kudankulam im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu

BERICHT/108: Am Beispiel Indien - Kernkraft beugt Recht und Demokratie ... (SB)
Teil 4: Indien will am Nuklearstandort Jaitapur das größte Atomkraftwerk der Welt bauen

16. Oktober 2015


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