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INTERVIEW/262: Botanik 2017 - Finanzbedarf und Wissensmängel ...     Prof. Dr. Andreas Weber im Gespräch (SB)


Es ist schwer vorherzusagen, welche Arten von Nutzpflanzen Mitte des Jahrhunderts gebraucht werden, wenn der CO2-Gehalt in der Atmosphäre viel höher liegt als heute. Die Zunahme des Treibhausgases CO2 bringt nicht den Zuwachs an Ernteerträgen, die man erwartet. Da besteht große Unsicherheit, die ein pessimistischeres Bild ergeben könnte, als es im Vortrag geboten wurde, sagte Prof. Dr. Andreas Weber vom Institut für Biochemie der Pflanzen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bei einer Podiumsdiskussion, die am 18. September auf der Botanikertagung 2017 an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel stattfand. Der Diskussion vorausgegangen war ein Vortrag von Prof. Dr. Andreas Graner (IPK Gatersleben) zu der Frage: "Können wir mit unseren Nutzpflanzen in 20 Jahren noch die Welt ernähren?"


Bei seinem Wortbeitrag in der Podiumsrunde - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Wir müssen einen ähnlichen Aufwand betreiben, wie ihn auch die Physiker betreiben, um grundlegende Fragestellungen zu lösen. Und dann, ausgehend vom mechanistischen Verständnis, neue Wege finden, wie wir nicht nur die Ernährung, sondern das Fortbestehen der Menschheit auf dem Planeten sichern können."
(Prof. Dr. Andreas Weber, 18. September 2017, Kiel)
Foto: © 2017 by Schattenblick

Die Züchtung einer vermarktungsfähigen Pflanze dauert mindestens zehn Jahre. Erst nach dieser Zeit wird sich herausstellen, ob die im Labor und Freilandversuch auf ihre Tauglichkeit hin überprüfte Pflanze tatsächlich die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt oder nicht. Die ungebrochen hohen Emissionen des Treibhausgases CO2 in Folge der Verbrennung fossiler Energieträger (Erdöl, Erdgas, Braun- und Steinkohle) sorgen global für einen beschleunigten Anstieg des atmosphärischen CO2-Gehalts, der gegenwärtig bei rund 405 ppm (part per million, z. Dt.: Teile pro Million) liegt. Die internationale Staatengemeinschaft hat beschlossen, die globale Durchschnittstemperatur deutlich unter zwei Grad, möglichst nur 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau (280 ppm CO2) steigen zu lassen. Jenes sogenannte Zwei-Grad-Ziel wird mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit dann durchbrochen, wenn der CO2-Gehalt bei 450 ppm liegt.

Auf diesen Kontext machte Weber bei der Podiumsdiskussion aufmerksam, an der neben ihm und Graner noch Prof. Dr. Karl-Josef Dietz (Präsident der Deutschen Botanischen Gesellschaft) als Moderator sowie Prof. Dr. Friedhelm Taube (Institut für Pflanzenbau & Pflanzenzüchtung der CAU), Dr. Frank Wolter (Norddeutsche Pflanzenzucht, NPZ Innovation GmbH, Hohenlieth, Holtsee) und Stig Tanzmann (Referent für Landwirtschaft der Organisation Brot für die Welt) teilnahmen. In Anbetracht solcher und weiterer Probleme bei der Steigerung der Ernteerträge mahnte Weber die stärkere Förderung von Innovationen für die Pflanzenzüchtung an.

Am Tag darauf führte Prof. Weber seine Vorstellungen im folgenden Interview mit dem Schattenblick näher aus.

Schattenblick (SB): Sie sprachen bei der gestrigen Podiumsdiskussion davon, daß es Forschern der Universität von Illinois gelungen sei, die Photosyntheseleistung von Pflanzen um 15 Prozent zu steigern. Könnten Sie beschreiben, was da gemacht wurde?

Prof. Dr. Andreas Weber (AW): Das Verfahren beruht darauf, daß sich die Lichtintensität im Verlaufe eines Tages oberhalb einer Pflanzenpopulation, der Canopy [Anm. d. SB-Red.: Blätterdach], ändert. Wenn zum Beispiel die Sonne scheint und es schiebt sich eine Wolke davor oder wenn aufgrund von Windbewegungen weiter unten liegende Blätter beschattet oder umgekehrt dem vollen Sonnenlicht ausgesetzt werden, führt das dazu, daß die Blätter im Verlauf des Tages an manchen Zeitpunkten viel zu viel Licht bekommen - also mehr Licht, als sie benutzen können, um tatsächlich Photosynthese zu betreiben - und zu anderen Zeitpunkten zu wenig Licht.

Zu wenig Licht ist nicht notwendigerweise ein Problem, aber zuviel Licht schon. Das kennen Sie, wenn Sie sich aufgrund von zuviel Licht einen Sonnenbrand zuziehen. Und so, wie Sie braun werden, wenn Sie öfters in die Sonne gehen, haben auch Pflanzen einen Schutzmechanismus, der sich einschaltet, wenn mehr Licht da ist, als die Pflanze in dem Moment verwenden kann. Es dauert einen Moment, bis der Mechanismus wirkt, und den wieder abzuschalten dauert ebenfalls. Dieser Schutzmechanismus wildtypischer Pflanzen folgt also nicht exakt den Lichtverhältnissen, sondern tritt verzögert ein; das gleiche gilt für das Abschalten.

Stephen Long und seine Kollegen in Illinois haben es geschafft, die Kinetik des An- und Abschaltens des Schutzmechanismus deutlich zu beschleunigen, so daß dieser der Lichtintensität nahezu direkt folgen kann. Dadurch wird im Verlauf des Tages weniger Licht verschwendet. So kann über eine Wachstumsperiode von April bis September jeden Tag ein bißchen mehr Sonnenlicht genutzt werden, als es sonst üblich ist, und das macht dann in der Summe 15 bis 20 Prozent aus.

Ein ganz wichtiger Punkt dabei war auch: Es gibt ganz viele Berichte in der Fachliteratur, in denen auf eine Ertragsteigerung hingewiesen wird. Das fand in der Regel im Versuchslabor oder Gewächshaus statt. Die Forscher in Illinois haben das jedoch auf dem Feld geschafft.

SB: Wird die Eigenschaft an die nächste Generation weitergegeben oder ist man mit der Forschung noch nicht so weit?

AW: Ursprünglich waren für die Versuche zwei Wachstumsperioden geplant, aber 2015 hat es in Illinois sehr viel geregnet und das ganze Feld war überschwemmt. Deshalb waren die Daten nicht zu gebrauchen. Das darauffolgende Jahr liefert im Prinzip den einzigen Datensatz, den es im Moment gibt. Aber er ist hochrepliziert [Anm. d. SB-Red.: häufig vervielfältigt] und nach dem "random plot design" angelegt. Das heißt, man hat nicht einfach nur mal drei Pflanzen hier und da hochgezogen, sondern viele Flächen angelegt, die zufällig über den Acker verteilt waren und auch geschlossene Canopies besaßen. Als Versuchsobjekt diente ihnen die Tabakpflanze, die schnell wächst, sehr hoch wird und den gesamten Boden abdeckt. Der Feldversuch ist schon solide gemacht.


Eine ca. 50 cm hohe Tabakpflanze, deren breite Blätter Licht und Schatten ausgesetzt sind - Foto: Hendrik128, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Eine Tabakpflanze der Sorte Virginia Golta. Wird sie in Zukunft unter vermehrten Streß geraten, wenn die Trägheit des natürlichen Schutzmechanismus ausgeschaltet ist und sie auf jede Lichtveränderung zeitgleich reagieren muß?
Foto: Hendrik128, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

SB: Mit welcher Methode haben die Forscher gearbeitet? Kam dabei schon die sogenannte Genschere zum Einsatz?

AW: Nein, in dem Fall ist das die alte Methode der Gentechnik, indem man einfach drei Gene, die es im Tabak schon gibt, stärker expremiert [Anm. d. SB-Red.: ausprägt] als in der wildtypischen Pflanze. Verändert wurden der Sensor, der dafür sorgt, daß der Lichtschutzmechanismus angeschaltet wird, und zwei Enzyme, die den Schutzmechanismus sozusagen biochemisch bedienen.

SB: Sehen Sie es als berechtigte Erwartung an, daß man die eingezüchtete Eigenschaft der Tabakpflanze später einmal auf Nahrungspflanzen übertragen kann?

AW: Ich denke, das ist übertragbar. Die Forscher haben absichtlich nicht Arabidopsis [Anm. d. SB-Red.: Arabidopsis thaliana - Ackerschmalwand - ist die allgemein am häufigsten verwendete Versuchspflanze] genommen, die ja eine kleine Schattenpflanze ist und mehr oder weniger nur eine Rosette hat, sondern Tabak, denn das ist eine Nutzpflanze, die viel Biomasse erzeugt. Tabak wird ja auch hier in Deutschland, in Baden, und auch auf dem Balkan viel angebaut. Das ist schon eine richtige Nutzpflanze, die ähnliche Eigenschaften aufweist wie andere Nutzpflanzen. Insofern dürfte das schon übertragbar sein.

Diese Art von Forschung könnten wir in Deutschland nicht machen, aber in den USA läßt sich das natürlich durchführen.

SB: Weil das Gentechnik ist?

AW: Die Gentechnik selber ist nicht notwendigerweise das Problem. Die könnten wir in Deutschland schon benutzen. Für die Forschung im Rahmen der verfassungsrechtlich gesicherten Forschungsfreiheit könnten wir solche Arbeiten machen. Sie sind aber nicht durchführbar, weil wir in Deutschland keine protected sites [Anm. d. SB-Red.: geschützte Flächen] haben. In den USA braucht man die gar nicht, aber bei uns werden solche Versuche immer sofort zerstört. Und dann kann man letztlich nicht die Verantwortung übernehmen, die Doktorandin oder den Doktoranden darauf anzusetzen, deren Arbeit dann komplett zerstört wird.

SB: Mit dem Begriff der Gentechnik wird der Eindruck erzeugt, ein gezielter Eingriff in die Kernsubstanz der Zellen sei möglich. Dabei eingesetzte Methoden wie das Schrotschußverfahren erinnern eher an ein Zufallsprinzip. Sie sprachen gestern im Vortrag sinngemäß davon, daß es künftig um die Vorhersage in der Pflanzenzüchtung gehen sollte und nicht mehr um Empirie; darin läge die Innovation. Was haben Sie damit gemeint?

AW: In der heutigen Pflanzenzüchtung steckt sehr viel Erfahrung von Züchtern, die Pflanzen auf dem Feld bonitieren [Anm. d. SB-Red.: auf ihre Eignungsfähigkeit hin begutachten] und dann versuchen, die besten Kreuzungspartner zu finden. Das wird aber immer nur ein sehr kleiner Anteil der möglichen genetischen Variation sein, die wir dabei abgreifen können. Im Zuchtgarten gehen die Forscher vielleicht mit 50.000 oder 100.000 Nachkommen einer solchen Kreuzung rein, und es gibt bei den Zellen mehrere Milliarden Arten verschiedener Nachkommen, die man eigentlich untersuchen müßte. Das heißt, es wird immer nur ein klitzekleiner Anteil dessen erfaßt, was zu untersuchen möglich wäre. Wenn man jetzt vorhersagen könnte, welche Eltern man miteinander kreuzen muß, um bestimmte Nachkommen zu erhalten, und wenn man unter diesen Nachkommen dann die bestmöglichen mit besseren Methoden aussuchen könnte, dann wäre das vorhersagend - basierend auf der Genomsequenz [Anm. d. SB-Red.: Das nach der Abfolge bestimmter Basenpaare beschriebene Erbgut].

Man würde dann alle Nachkommen sequenzieren [Anm. d. SB-Red.: nach Basenpaaren ermitteln] und sagen: "Okay, ich nehme jetzt die hier und die hier, kreuz' die nochmal und geh' damit rein." Das können wir momentan nicht wissensbasiert machen, sondern das sind reine Erfahrungswerte. Die können zutreffen, müssen es aber nicht. Und man schließt damit einen ganz, ganz großen Teil der Möglichkeiten, die man theoretisch hätte, einfach aus.


Zwei Schraubenschlüssel mit der Prägung 'CRISPR' setzen an der genetischen Doppelhelix an und schrauben davon ein Stück heraus - Grafik: Ernesto del Aguila III, NHGRI

Crispr/Cas9, der neue Schraubenschlüssel der Genomforschung, kommt ohne Assoziationsstudien im Vorwege nicht aus.
Grafik: Ernesto del Aguila III, NHGRI

SB: Die bereits erwähnte Genschere Crispr/Cas9 erfährt ja nicht nur hier auf der Botanikertagung, sondern auch in anderen Forschungsbereichen wie der Medizin seit einigen Jahren einen Hype. Woher weiß man bei einer Pflanze, wo man die Genschere ansetzen muß, wo also genau die Stelle ist, die beispielsweise für das Dickenwachstum der Getreidekörner zuständig sein soll?

AW: Das sind in erster Linie Assoziationsstudien. Man schaut sich eine genetisch diverse Population an, phänotypisiert sie, das heißt, man mißt die ganzen Ertragsparameter und so weiter und so fort, man bestimmt die Genome und versucht dann, Korrelationen herzustellen zwischen dem Auftreten bestimmter Genvarianten und der Eigenschaft. Wenn man da genügend Replikate hat und das statistisch absichern kann, kann man solche Assoziationen bilden.

SB: Gibt es dazu schon konkretere Ergebnisse?

AW: Heute morgen wurde ein Vortrag über die Mehltauresistenz in Getreiden gehalten. Bei der Mehltauresistenz ist es so, daß ein Teil der Resistenz darauf zurückgeht, daß die Zellen im Weizen an ihrer Oberfläche Rezeptoren haben, mit denen Sie das Pathogen [Anm. d. SB-Red.: den Krankheitserreger] erkennen. Wenn so ein Pathogen erkannt wird, löst das eine Reaktion innerhalb der Zelle aus, die die Resistenz bewirkt und verhindert, daß die Pflanze vom Mehltau infiziert wird.

"Resistenz" ist natürlich immer Teil eines "arms race", also eines Wettrennens zwischen dem Pathogen und der Nutzpflanze. Irgendwann kommt das Pathogen darauf, wie es dem Rezeptor ausweichen kann und nicht mehr erkannt wird. Daraufhin befällt es die Pflanze.

Wenn man jetzt weiß, daß es eine Vorläuferpflanze beispielsweie von Kulturweizen gibt, die immer noch resistent gegen diesen Mehltaupilz ist und etwas andere Rezeptoren als die Kulturpflanze hat, dann kann man tatsächlich diese Eigenschaften auf der Ebene von Basenpaaren definieren. In dem Fall machen wir keine Assoziation, sondern es ist wirklich mechanistisch verstanden, wie die Pflanze das Pathogen erkennt, welche Teile des Rezeptors dafür verantwortlich sind, welche Veränderungen im Verlauf der Domestizierung stattgefunden haben und wie das Pathogen das überwunden hat.

Jetzt können wir nachschauen, was in der Vorläuferpflanze oder beispielsweise auch im Roggen resistent ist, und können versuchen, diese Eigenschaften des Roggens in den Weizen reinzubringen und dann für eine bestimmte Zeit wieder eine Resistenz zu erzeugen. Wobei wir davon ausgehen müssen, daß diese nach drei, fünf, zehn Jahren wieder überwunden ist und wir uns ein neues Resistenzallel [Anm. d. SB-Red.: Ausprägungsform eines Gens, das die Resistenz bewirkt] suchen müssen. Aber das ist etwas Natürliches, das ist einfach Biologie. Wenn ich ein Pathogen habe und einen Wirt, so werden diese immer darum kämpfen, wer der Stärkere ist. Das ist ein kontinuierliches Rennen, das wird niemals zu Ende sein.

SB: Für einen Biochemiker ist die Analyse, also das Zerteilen von Substanzen, sicherlich das Mittel der Wahl. Ist die Forschung schon mal an Grenzen gestoßen, an der sie feststellen mußte, man hat etwas bis ins Kleinste zerlegt, müßte es eigentlich auch verstehen, aber tut es dennoch nicht?

AW: (lacht) Das ist tatsächlich so. Wobei die Biochemie allein nicht die Wahl der Dinge ist. Als Biochemiker versuchen wir, wie Sie eben sagten, etwas soweit zu zerlegen, bis wir eine einzelne, saubere Substanz haben, um dieser dann eine Eigenschaft zuzuweisen. Wir machen aber parallel auch Genetik, wobei wir genau den anderen Weg gehen. Da versuchen wir, vom Phänotyp [Anm. d. SB-Red.: Erscheinungsbild] her zu kommen, um zu verstehen, welche Gene dadurch beeinflußt werden. Die Biochemie allein wird nicht alle Probleme lösen, die Genetik allein wird nicht alle Probleme lösen, aber wir arbeiten ja interdisziplinär. Gut, beides sind Disziplinen der Biologie, aber innerhalb der Biologie arbeiten wir mit verschiedenen Herangehensweisen, um die Mechanismen besser zu verstehen. In der Lehre sprechen wir auch von biochemischer Genetik. Darin bringt man Biochemie und Genetik zusammen, um die verschiedenen Denkschulen zu nutzen und ein besseres Verständnis zu generieren.


Doppelhelix mit den Buchstaben AGCT, die verschiedene Basen repräsentieren. Im Hintergrund Zahlreihen mit 0 und 1 - Schaubild: Jonathan Bailey, NHGRI CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Buchstabensalat ...
"Wir können eine Gensequenz aufschreiben wie die Buchstaben in einem Heft. Aber wir sind nicht in der Lage, aus diesen Buchstaben abzulesen, was daraus entstehen kann."
(Prof. Andreas Weber, 19. September 2017, Kiel)
Schaubild: Jonathan Bailey, NHGRI CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

SB: Neulich wurde uns bei einem Besuch des Europäischen Röntgenlasers XFEL [tinyurl.com/ybdqkle6] gesagt, daß die Photosynthese noch nicht vollständig verstanden sei.

AW: Den Prozeß als solches verstehen wir grundlegend. Es gibt aber noch eine ganze Reihe Detailwissen, das wir gerne hätten. Wie zum Beispiel ganz genau das Wassermolekül in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten wird, also was mit den Protonen und Elektronen am wasserspaltenden Komplex exakt passiert. Wir wissen, daß dafür Mangan und Calcium gebraucht werden, aber wir wissen noch nicht so viel, daß wir das im Labor exakt nachbauen könnten. Das gilt auch für viele andere Prozesse. Das ist die Natur der Wissenschaft. Es stellt sich die Frage, wie genau man einen Prozeß verstanden haben muß, um daran Änderungen durchführen zu können. Da gibt es meines Erachtens verschiedene Ebenen der Erkenntnis.

SB: Abgesehen davon, daß bei der Photosynthese Mangan eine Rolle spielt, wird auch an der Pflanzenstruktur, genauer gesagt, an der Zellstruktur, ihrem inneren Aufbau und der "Architektur", geforscht?

AW: Die Pflanzenzellbiologen machen genau das. Sie versuchen zu verstehen, wie zum Beispiel mechanische Reize dazu führen, daß eine Zelle eine bestimmte Form einnimmt. Daß externe Faktoren wie Temperatur, Wasser und sonstige Reize dazu führen, daß die Zellwand dicker oder dünner wird. Das wird alles wissenschaftlich bearbeitet.

SB: Hat man die Photosynthese mit der Aufspaltung von Wasser schon mal technisch nachstellen können?

AW: Das ist nicht mein Fachgebiet, aber es gibt auf jeden Fall Pigmente, die lichtbetrieben Wasserspaltung durchführen können. Das sind zum Teil ebenfalls Mangankomplexe. Es gibt tatsächlich schon so etwas wie künstliche Photosynthese, bei der man den Wasserspaltungsprozeß in einem blattähnlichen Gebilde rein chemisch nachgebaut hat. Das finde ich extrem spannend, um zum Beispiel auch Hypothesen zu überprüfen. Das schöne an Pflanzen ist aber, daß sie selbstreplizierende Systeme sind. Mit ein paar Mineralien, CO2 aus der Luft und ein bißchen Wasser bauen sie ein photosynthetisches System aus nahezu Nichts. Wenn ich dagegen eine künstliche Photosynthese aufbauen möchte, bräuchte ich dazu Siliziumchips, Kabel und vieles mehr. Doch sind wir noch weit davon entfernt, daß sich so ein System selbst replizieren würde. Ich finde es trotzdem extrem wichtig, auch im Bereich künstlicher Photosynthese Forschungen zu betreiben, weil es uns hilft, bestimmte Prozesse in der Biologie zu verstehen, wenn wir sie ingenieurmäßig nachzubauen versuchen. Und was man bauen kann, hat man vielleicht auch verstanden. So etwas ähnliches hat Richard Feynman einmal gesagt [Anm. d. SB-Red.: Amerikanischer Physiker und Mathematiker; geb. 1918, gest. 1988].

SB: Zum Abschluß der gestrigen Podiumsdiskussion plädierten Sie dafür, daß hinsichtlich der Ernährung der Menschen Großprojekte angestoßen werden sollten, vergleichbar mit der Physik, die beispielsweise viel Geld erhalten hat, um das Higgs-Boson zu entdecken. Haben Sie konkretere Vorstellung, wie so etwas bei der Botanik aussehen könnte?

AW: Letztendlich geht das weit über die Botanik hinaus. Es gibt eine Reihe von grundlegenden Fragestellungen in der Biologie, die ähnliche Dimensionen haben wie zum Beispiel Schwerkraft, Dunkle Materie und ähnliche Dinge für die Physik. Für uns als Biologen ist die Entstehung des Lebens die erste aller Fragen. Wie wird aus einem Sammelsurium von Chemikalien unter bestimmten Bedingungen eine Zelle, die sich selbst replizieren kann?

Eine weitere wichtige Fragestellung ist die Genotyp-Phänotyp-Assoziation. Wie bestimmen Gene das Aussehen eines Organismus und seine Eigenschaften? Wir können eine Gensequenz aufschreiben wie die Buchstaben in einem Heft. Aber wir sind nicht in der Lage, aus diesen Buchstaben abzulesen, was daraus entstehen kann. Das ist eine der größten Fragestellungen in der Biologie. Diesen Code müssen wir knacken, wenn wir wirklich vorhersagend werden wollen. So daß wir sagen können, jenes Pflanzengenom hat jene Sequenz, dann wird der Ertrag unter bestimmten Umweltbedingungen so und so sein. Sollte das Klima zwei Grad wärmer werden, müssen wir genau an diesen Stellschrauben drehen, diese Basenpaare ändern, damit das dann immer noch funktioniert.

Das ist eine der ganz großen Fragestellungen, die auch über die Pflanzenbiologie hinausgeht und sich auf Bakterien, Tiere oder was auch immer anwenden läßt. Da muß man dann bestimmte ethische Grenzen ziehen, was man mit einem solchen Wissen anfangen kann. Wobei das eine Fragestellung ist, die man separat betrachten muß. Aber das sind Fragestellungen von einer Dimension, die meiner Meinung nach durchaus ebenbürtig ist mit den großen Fragen in der Physik und der Chemie.

SB: Warum wurde das bisher nicht gemacht? Das Nahrungsproblem ist ein menschheitsgeschichtlich uraltes Problem. Wäre es nicht zunächst naheliegender, das in Angriff zu nehmen, als beispielsweise zu wissen, daß es Gravitationswellen gibt oder ähnliches?

AW: Das ist für mich persönlich ein Problem, daß ich noch nicht genau verstanden habe, wie die Physiker es hinbekommen haben, da eine Community zu schaffen, die international daran arbeitet. Um das mal etwas anders zu formulieren: Der Vorteil bei den Physikern besteht darin, daß man viele ihrer Fragestellungen mit ganz großen Apparaten lösen kann, die teuer sind, aber an denen dann viele gemeinsame Experimente machen können. In der Biologie hingegen ist es sehr schwierig, die Forschungen auf eine gemeinsame Infrastruktureinrichtung zu fokussieren. Da gibt es statt dessen viele dezentrale Einrichtungen. Das läßt sich einfach schlechter vermitteln, als einen großen Beschleuniger zu bauen, der zwar viel Geld kostet, aber dafür auch ein Gerät ist, an dem viele Leute arbeiten, Daten erheben und daraus etwas machen. Wenn nun die Politik oder wenn Philanthropen etwas fördern, dann wollen die gerne auch was sehen: Ein Gebäude oder eine riesige Maschine und nicht eine ganze Reihe von Laboren, die überall verteilt sind und in denen gemeinsam an einem Projekt gearbeitet wird, bei dem am Ende ein Dokument rauskommt und nicht so ein großer Teilchenbeschleuniger.

SB: Herzlichen Dank, Herr Weber, für das Gespräch.


Beim Interview - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Für uns als Biologen ist die Entstehung des Lebens die erste aller Fragen. Wie wird aus einem Sammelsurium von Chemikalien unter bestimmten Bedingungen eine Zelle, die sich selbst replizieren kann?"
(Prof. Andreas Weber, 19. September 2017, Kiel)
Foto: © 2017 by Schattenblick

Bisher zur öffentlichen Abendveranstaltung der Botanikertagung 2017 in Kiel im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/127: Botanik 2017 - Agrarpfründe, Agrarsünde ... (SB)
BERICHT/128: Botanik 2017 - mundgerechtes Zählen ... (SB)

INTERVIEW/261: Botanik 2017 - Nahrungsquellen nicht grenzenlos ...     Prof. Dr. Andreas Graner im Gespräch (SB)


29. September 2017


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