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INTERVIEW/266: Botanik 2017 - mit allen Mitteln der Wissenschaft ...     Prof. Dr. Karin Krupinska im Gespräch (SB)




Kümmerwuchs bei Getreide durch Trockenstreß im Frühjahr kam in den letzten Jahren häufiger vor - 2011 by Alupus als CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Notreife und Ernteeinbußen, eine zunehmende Begleiterscheinung des Klimawandels.
Foto: 2011 by Alupus als CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Der Nahrungsbedarf der Menschheit wird zum allergrößten Teil aus Pflanzen (Gemüse wie auch Getreide) gedeckt. Sie sind mit wenigen Ausnahmen die einzige Lebensform, die in der Lage ist, aus anorganischen Stoffen, Wasser und Sonnenlicht mit Hilfe von sensiblen Zellorganellen organische Stoffe herzustellen, die nicht nur für sie selbst, sondern für alle Konsumenten im Verlauf der Nahrungskette existentiell notwendig sind und schlußendlich selbst jenen Bakterien und Pilzen als Lebensgrundlage dienen, die am Ende dieser Kette die noch unverzehrten Reste wieder in seine anorganischen Bausteine zerlegen. Schätzungen zufolge werden durch die Photosynthesearbeit von Pflanzen weltweit über 150.000.000.000 Tonnen energiereiche Kohlenhydrate (primär als Glucose bzw. Traubenzucker gerechnet) erzeugt. Als "Abfallprodukt" entsteht dabei im nebenherein eine ebenso gigantische Menge Sauerstoff (O2), ein weiterer existentieller Lebensgrundstoff auf diesem Planeten. Hauptprofiteur dieser enormen pflanzlichen Produktivität ist der Mensch, dessen Kalorienbedarf beispielsweise zu 75 Prozent allein aus vier Kulturpflanzen Weizen, Mais, Soja und Reis abgedeckt werden soll. Um die wachsende Weltbevölkerung in 40 Jahren noch ausreichend zu versorgen, müßte die globale Nahrungsproduktion allerdings um 70 bis 100 Prozent ansteigen, obwohl die agrarwirtschaftlich nutzbare Fläche nicht im gleichen Maße anwachsen kann. Mit einem entsprechend strategischen Einsatz von Düngemitteln und Wasser lassen sich die Pflanzenerträge ebenfalls nicht unendlich steigern, ohne daß dies untragbar negative Einflüsse auf die Landwirtschaft und Umwelt nach sich zieht. Auch die potentielle Produktionssteigerung von weltweit zwischen 45 bis 70 Prozent, die eine Gruppe von Agrarwissenschaftlern noch 2012 in dem Fachjournal Nature unter optimalen landwirtschaftlichen Bedingungen in Aussicht stellte, wird inzwischen durch die rasant fortschreitende globale Erwärmung und damit einhergehend extremen Streßsituationen für Pflanzen wieder in Frage gestellt.

Während Pflanzenzüchter und Agrarwisssenschaftler weiterhin leistungsfähige Sorten und äußere Gegebenheiten erforschen, richten Zellbiologen und Zellbiologinnen wie Frau Prof. Karin Krupinska, die Leiterin der diesjährigen Botanikertagung vom 17. bis 21. September 2017 in Kiel, den Blick ins Innere der Pflanzenzelle auf die Leistungen, Funktionen und Vorgänge der fragilen Zellorganellen, Membranen und anderen Funktionsträger sowie den dazugehörigen Markergenen. In den Chloroplasten und Mitochondrien der Pflanzenzelle beginnt und endet das Pflanzenwachstum und damit auch die Produktion von Eiweißen, Fetten und Kohlenhydraten. Die nur teilweise verstandenen biochemischen und mechanischen Vorgänge der Photosynthese und andere komplexe Transportmechanismen und Zellvorgänge vollständig zu verstehen, mit denen Pflanzen ihre Biomasseproduktion, Wachstumsprozesse und Fruchtreifung steuern sowie Nährstoffe und Mineralien zurückgewinnen und speichern können, davon erhoffen sich Forscher letztlich einen präziseren Zugriff auf biologische Schaltfunktionen, um Nutzpflanzen noch besser auszubeuten.

Prof. Krupinska und ihre Gruppe befassen sich seit 1990, damals noch unterstützt vom Bundesministerium für Forschung und Technologie, mit den vorzeitigen oder verfrühten Alterungsprozessen der Pflanzenzelle als Streßerscheinung und wie man sie verhindern kann, ein Thema, das im Zuge des Klimawandels neue Aktualität gewonnen hat. Im Rahmen der Tagung sprach sie mit dem Schattenblick über ihre Sicht auf den Stand und die Bedeutung ihrer Forschung.


Foto: © 2017 by Schattenblick

"Können wir mit unseren Nutzpflanzen in zwanzig Jahren noch die Welt ernähren?" ist ein kompliziertes Thema, das wir unseren Referenten aufgegeben haben.
Frau Prof. Dr. Karin Krupinska führt ein in den öffentlichen Vortrag der Botanikertagung 2017.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wie ist Ihr Eindruck als Präsidentin und Gastgeberin der diesjährigen Tagung, die unter das Motto "Pflanzenforschung in einer sich ändernden Welt" gestellt wurde: Haben sich die Themen und Schwerpunkte, die die Forscher beschäftigen, in den letzten Jahren spürbar verändert?

Prof. Karin Krupinska (KK): Es ist Tradition, die Botanikertagungen unter ein Motto zu setzen, doch daß derart viele Vorträge, die dann eingereicht wurden, tatsächlich so genau darauf zugeschnitten waren wie der von Julia Bailey-Serres über die Strategien bestimmter Pflanzen, mit Überschwemmungen klar zu kommen, hat uns selbst überrascht. Viele andere Beiträge befassen sich mit dem Klimawandel und zwar nicht nur im Zusammenhang mit der Photosynthese, was naheliegend wäre, sondern auch unter Gesichtspunkten, die man nicht sofort im Blick hat, etwa das Ausbilden von neuen Arten, eine Studie, für die Severin Irl einen unserer diesjährigen Preise verliehen bekommen hat. [1]


Im Rahmen der Veranstaltung fand die Ausstellung 'Botanische Schätze - Pflanzen aus aller Welt' im Kieler Universitätsherbarium statt. Plakat der Veranstaltung und eine Seite des Herbariums 'Flora rossica' von Karl Friedrich von Ledebour, der 1841-53 die russische Pflanzenwelt erforschte - Foto: © 2017 by Schattenblick Foto: © 2017 by Schattenblick

Die Bedeutung der Botanik wird ganz falsch eingeschätzt.
Manche denken vielleicht, Botanik hat vor allem irgendetwas mit Blümchen sammeln und Herbarien anlegen zu tun ...
Fotos: © 2017 by Schattenblick


SB: Bei Fragen nach der Ernährung der Weltbevölkerung und der Bekämpfung von Pflanzenschädlingen oder des Artenschwunds steht die Gesellschaft durch selbstverschuldete Veränderungen wie den Klimawandel inzwischen vor sehr massiven Problemen. Sind Ihnen bereits Ansätze aus der Pflanzenforschung bekannt, wo Sie sagen würden, hier ist man schon weitergekommen?

KK: Es ließe sich bereits viel für die Resistenz gegen Krankheiten oder auch zur Verbesserung der Streßtoleranz tun. Darüber wissen wir schon einiges. Es ist leider noch lange nicht genug. So kennen wir beispielsweise einige entscheidende Gene, aber diese Erkenntnisse auch umzusetzen, würde in den meisten Fällen gentechnische Ansätze erfordern. Der Test dieser Pflanzen unter Freilandbedingungen wäre zur Zeit vollkommen unmöglich. Wir können die Zusammenhänge zwischen Genen und Streßtoleranz nur im Modell zeigen.

SB: Ihr Fachgebiet sind die Alterungsprozesse der Pflanzen. Was interessiert Sie daran besonders?

KK: Das Phänomen der Seneszenz ist deshalb so wichtig für die heutige Pflanzenforschung, weil sämtliches Getreide ursprünglich aus Kleinasien oder genauer aus Mesopotamien stammt. Aus dieser von den beiden großen Flußsystemen Euphrat und Tigris geprägten Kulturlandschaft sind eigentlich sämtliche der hier bekannten Getreidearten eingeführt worden in eine vollkommen andere klimatische Situation als diejenige, an die sie mit einigen strategischen Kniffen geradezu extrem gut angepaßt waren. Einer davon ist die Seneszenz, die sie in ihrem genetischen Gedächtnis irgendwie festgehalten haben. Wenn es aber wie den letzten Jahren vielleicht auch hierzulande mal trocken wird, bereits ausgebildete Blätter da sind und die Ährenbildung beginnt, dann reagieren die Pflanzen mit Notreife. Sie könnten theoretisch auch noch ein paar Tage warten, denn in Norddeutschland kann es bereits in der nächsten Woche wieder Regen geben, dann könnten sie zeitversetzt mit der Photosynthese weiter machen und Biomasse aufbauen. Doch eben das machen sie nicht, weil ihr mesopotamisches Gengedächtnis sagt, wenn es erst mal anfängt, trocken zu werden, dann bleibt das so. Und wir lesen dann in der Zeitung: "Wir haben Notreife, es gibt Probleme mit dem Ertrag." Notreife heißt, die Pflanze schiebt ihre ganzen Ressourcen aus den Blättern in nur wenige Körner, um auf diese Weise zumindest den eigenen Fortbestand zu sichern. Aus Sicht der Pflanze spielt der Ertrag keine große Rolle. Sie will sich vermehren. Also setzt sie diese verfrühte Alterung ein, um sämtliche Reserven aus den Blättern zu mobilisieren und damit wenige dicke Körner zu machen. Fazit für den Landwirt: ein schlechter Ertrag.

Stickstoff und Phosphor sind bekanntlich essentielle Mangelelemente, die man der Pflanze durch Düngung zuführen muß, damit sie Proteine und Nukleinsäuren aufbauen kann. Und die Pflanze verschenkt diese wertvollen Stoffe nicht. Sie remobilisiert also praktisch den ganzen Photosyntheseapparat, indem sie zunächst die Chloroplasten abbaut, in denen sehr viel Stickstoff enthalten ist und später auch die DNA, um den Phosphor zu mobilisieren. Wenn das alles ordnungsgemäß und effizient abläuft, werden diese Stoffe in die Ähren der Getreidepflanze verlagert oder auch von einem alten in ein neu entstehendes, jüngeres Blatt.

Da wir davon ausgehen, daß die Seneszenz ein stark regulierter Prozeß ist, der intakt sein muß, damit er der Pflanze nützt, haben wir nach Genen gesucht, die während der Seneszenz eingeschaltet werden, um möglicherweise Schalter zu finden, mit denen man einen Zugriff auf die Pflanze bekommen könnte. So würde man gerne Pflanzen züchten, die dadurch am Seneszieren gehindert werden können, wenn es hier trocken wird. Das ist nicht einfach. Interessanterweise sind wir dabei auf zahlreiche Gene gestoßen, die gleichzeitig auch eine Rolle bei der Abwehr von Pathogenen spielen. Streß, Pathogene, alles was die normalen Wachstums- und Remobilisierungsprozesse stört, führt letztlich ebenfalls zu Einbußen in der Ertragsleistung.

SB: Läßt sich unter den veränderten Umweltbedingungen bereits ein zunehmender Streß für Pflanzen feststellen?


Lehrmodell eines Chloroplasten - Foto: © 2017 by Schattenblick

Mikroskopisch Kleines ganz groß:
Unter Streß verzichtet die Pflanze auf ihre Energiefabriken, um den eigenen Fortbestand zu sichern.
Foto: © 2017 by Schattenblick

KK: Ja klar, Hitzestreß ist ein ganz großes Problem, auch bei Getreide. Selbst in Sommern, die uns noch nicht einmal so warm vorkommen, gibt es doch immer einige Tage, in denen das Thermometer über 30 Grad steigt. Diese bedenklichen Klimafluktuationen machen sich bereits negativ bemerkbar. Abgesehen davon ist es gerade in diesem Jahr unglaublich feucht gewesen, was sich ebenfalls stark nachteilig ausgewirkt hat.

SB: Was genau passiert bei Streß mit der Pflanze?

KK: Streß hat immer negative Folgen für die Energiegewinnung, also die Photosyntheseprozesse, mit denen die Pflanze notwendiges ATP, also chemisch gebundene Energie, für ihre Stoffwechselfunktionen produziert. Unter optimalen Wohlfühlbedingungen, kann die Pflanze diese dann in Wachstum investieren, Substanzen aufbauen und einfach an Biomasse zunehmen. Oft untersuchen wir die Pflanzen unter solchen optimalen Bedingungen im Labor und dann läuft alles ganz wunderbar. Aber wenn sie im freien Feld in eine Streßsituation geraten, brauchen sie einen Teil dieser Energie, um sich gegen den Streß zu verteidigen und das drückt sich sofort in deutlich weniger Wachstum aus.

SB: Es wird heutzutage viel von oxidativem Streß gesprochen. Da werden in der Ernährung beispielsweise Pflanzen empfohlen, die besonders reichhaltig an Antioxidantien sind. Ist der Reichtum an diesen Stoffen bereits auf solche aktivierten Abwehrmechanismen zurückzuführen?

KK: Genau, und das kostet Energie. Die ganzen Biosynthesewege, um Vitamin-E und auch andere sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe aufzubauen, die dann in den Zellen eingelagert werden, damit die gegen biotischen Streß, aber auch gegen Lichtstreß besser geschützt sind, verlangen eine Menge Energie.

SB: Sie sprachen von Hitze und Feuchtigkeit als Streßfaktoren. Wäre eine veränderte Luftzusammensetzung, meinetwegen mehr Stickoxide, Kohlendioxid oder auch Ozon in der Luft, ebenfalls ein relevanter, streßerzeugender Einfluß?

KK: Ozon ist eindeutig oxidativer Streß. Es kann über die Stomata und schließlich die Zellmembranen in die Zellen eindringen, wo es weiter in Superoxid oder Wasserstoffperoxid umgewandelt wird, die dann zu den bekannten oxidativen Schädigungen führen. Das heißt, Proteinstrukturen können geschädigt, aber ebenso Lipide oxidiert werden, so daß Membranen nicht mehr richtig funktionieren und ihre Transport- oder Barrierefunktion nicht mehr aufrechterhalten werden. Darüber hinaus kann es auch zu Schäden an der DNA kommen.

SB: Und man könnte nur etwas dagegen tun, wenn man entweder die streßerzeugenden Faktoren entfernt oder die Pflanze genetisch verändert?

KK: Ja, man könnte ihr antioxidatives Potential erhöhen, so daß sie praktisch in der Lage wäre, mehr Antioxidantien zu synthetisieren.


Postersession mit einer Arbeit zu einer speziellen Auswirkung von Hitzestreß in der Ackerschmalwand von Heike Wolff et al., Universität Köln. - Foto: © 2017 by Schattenblick

Hitzestreß - ein großes Problem, mit dem sich zahlreiche Forschergruppen befassen.
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Um noch mal auf die Pflanzenzucht zurückzukommen. Einer der Kritikpunkte an gentechnisch verändertem Saatgut ist, daß von den Saatgutkonzernen Terminatorsaat oder auch steriles Saatgut vertrieben wird, was die Bauern nicht mehr - wie sie es zuvor seit Jahrtausenden gemacht haben - selbst weiterzüchten und vermehren können. Ist das bei konventioneller Züchtung eigentlich anders?

KK: Es wird - auch bei konventioneller Züchtung - oft das sogenannte Hybridsaatgut verkauft. Damit läßt sich ein wesentlich größerer Ertrag erreichen. Aber man muß dieses Saatgut immer wieder durch entsprechende Kreuzungen neu herstellen. Das kann der Bauer nicht selber machen. Das heißt, mit dem selbstvermehrten Saatgut käme er wieder auf den ganz normalen Ertrag. Dieser Heterosiseffekt, den man durch diese Hybridisierung erzielt, der wirkt sich immer nur auf eine Generation aus und ist dann wieder weg. Der Bauer muß also jedes Mal neues Saatgut bei den Saatgutherstellern einkaufen, wenn er entsprechend gute Erträge erzielen will.

SB: Den Unternehmen wird oft unterstellt, sie wollten mit dem sterilen Saatgut nur ihr Geschäftsmodell durchsetzen, um sich damit jedes Jahr einen garantierten Absatz zu sichern. Doch Sie würden sagen, allein das Hybridsaatgut läßt bereits einen höheren Ertrag erwarten?

KK: Ja, Hybridsaat bringt natürlich auch höhere Erträge. Auch wenn man den Effekt bis heute noch nicht verstanden hat. Man hat ihn genetisch nicht im Griff. Es gibt dadurch größere Blätter, größere Früchte. Das ist sehr interessant, aber man versteht die genaueren Zusammenhänge nicht. Da ist noch eine Menge an Forschung nötig, obwohl sich bereits sehr viele Projekte mit diesem Thema befaßt haben. Schon vor 30 Jahren gab es die ersten Studien dazu, ohne daß es bis heute eine klare Antwort gibt. Man weiß eigentlich nur, daß der Effekt existiert.

SB: Es gibt sicher viele Fragen hinsichtlich grüner Gentechnik, die auf einer Botanikertagung zur Sprache kommen. In den 1990er Jahren wurde beispielsweise ein Maiglöckchengen in Kartoffelpflanzen eingebaut, um sie vor Schadinsekten zu schützen, ein Wissenschaftler fand dann bei Ratten, die davon gefressen hatten, verändertes Gewebe im Verdauungstrakt. [2] Gattungsübergreifend haben Forscher sogar versuchshalber Fischgene in Tomaten eingebracht, damit diese bei geringeren Temperaturen angebaut werden können. [3] Das sind natürlich Veränderungen an Lebensmitteln, die nicht auf natürliche Weise oder zufällig geschehen und die viele Menschen sehr verunsichern.

KK: Meiner Ansicht nach haben Firmen wie Monsanto, Bayer und Hoechst einen großen Fehler begangen, als sie sich in den 1990er Jahren ausschließlich auf die Herbizidresistenz konzentrierten. Denn es ging ihnen dabei vor allem um den profitablen Absatz von Herbiziden im Verbund mit dem resistenten Saatgut dazu, also um das Umsetzen einer Geschäftsidee.

Es wurde aber zu jenem Zeitpunkt nicht daran gearbeitet, Pflanzen auf gentechnischem Weg zum Beispiel streßtoleranter zu machen. Man hätte den Fokus vor allem auf humanitäre Projekte richten sollen, wie die Verbesserung der Welternährung. Mit solchen Zielen hätte man für die Grüne Gentechnik eine ganz andere Akzeptanz erreichen können. Wenn man dann zum Beispiel, wie das Prof. Graner mit der vergleichenden Genomik gerade macht, also Wildformen von Getreide nach möglichen Resistenzen untersucht, um diese Gene dann in Kulturen einzukreuzen, wenn man derart sinnvolle Forschungen angestrengt hätte, wäre die Grüne Gentechnik gar nicht erst so in Verruf geraten. Doch diese Chance ist meines Erachtens vorbei. Gentechnisch veränderte Kulturpflanzen werden wir in Europa nicht mehr aufs Feld bekommen.

Mit CRISPR/Cas9 haben die Genforscher jetzt theoretisch ein Werkzeug in die Hand bekommen, mit dem man im Prinzip auch gezielt Pflanzen erzeugen kann, die den spontan entstandenen Mutanten komplett entsprechen, die sonst in der klassischen Züchtung verwendet werden.

Für letztere hat man große Sammlungen von Mutanten angelegt, die sich irgendwann einmal in der Natur gebildet haben oder deren Entstehung durch Röntgenstrahlung, chemische Mutagenese oder andere Faktoren induziert worden sind. Das Genom wurde dabei breitflächig an allen möglichen Stellen verändert und ich muß später durch Kreuzen und Selektieren erst herausfinden, was davon überhaupt brauchbar ist.

Daß die Einkreuzung solcher Mutanten in der Züchtung schon etabliert wurde, als Gentechnik noch kein Thema war, ist meines Erachtens in der Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt. Sonst hätte man vielleicht auch nicht so eine schreckliche Angst vor einer gezielten gentechnischen Veränderung, die einen viel geringeren Eingriff darstellt als herkömmliche Züchtungsansätze, mit denen die Öffentlichkeit ganz zufrieden zu sein scheint.

SB: Kann man denn tatsächlich erkennen, daß es sich um die gleiche Pflanze handelt? Gibt es dafür überhaupt zuverlässige Kriterien? Oder könnte es auch Unterschiede in Bereichen geben, die man einfach noch nicht untersucht hat, weil man vielleicht bisher noch nicht darauf gekommen ist, dort überhaupt nachzusehen?

KK: Theoretisch sind wir in der Lage, die Genome komplett zu sequenzieren. Allerdings ist das aufwenig und teuer. Die Genomdaten zeigen klar, daß man die künstlich im Labor gemachten "CRISPR/Cas9-Mutanten" nicht von den natürlich entstandenen unterscheiden kann.

SB: Verstehe ich das richtig, daß man die Gentechnik gewissermaßen als Beschleuniger für die konventionelle Forschung verwendet?

KK: Genau, man benutzt ein künstlich erzeugtes Gen als Marker für die klassische Kreuzung. Die Pflanzenzüchter suchen nach interessanten Kandidatengenen, von denen man annimmt, daß sich damit beispielsweise eine gewisse Resistenz gegen einen bestimmten Streßfaktor erzeugen läßt. Inwieweit das zutrifft und ob es sich lohnt, nach diesem Gen weiter zu kreuzen, testet man in einem Labor oder einem Forschungsbetrieb, der dafür das notwendige Equipment hat, an einer gentechnisch veränderten Pflanze.

Das heißt man nimmt die Gentechnik begleitend dazu, um nur auf einem viel schnelleren Wege als durch die Kreuzung zu testen: Ist das das richtige Markergen, auf das ich hier setze? Und ich denke, da hat die Gentechnologie ihre große Berechtigung im Moment, einfach, um etwas exemplarisch und zügig auszutesten.

SB: Gerade im Zusammenhang mit dem Klimawandel sind einige Agrarwissenschaftler der Ansicht, daß Pflanzen durchaus das Potential besitzen [4], sich im Zuge der Evolution auch an schwierige klimatische Veränderungen anzupassen, nur daß der Klimawandel so rapide voranschreitet, daß für eine natürliche Evolution die Zeit fehlt. Wäre das Ihrer Ansicht nach auch noch eine ausreichende Berechtigung für den Einsatz von Gentechnik, um den evolutionären Fortschritt gewissermaßen voranzutreiben?

KK: Die natürlichen Prozesse sind einfach zu langsam. Die gentechnischen Methoden können schneller sein. Das wurde gestern auch in der Podiumsdiskussion angesprochen. Heute morgen wurde darüber gesprochen [5], wie wahnsinnig schnell sich Pathogene an veränderte Umweltbedingungen oder auch an Pflanzenschutzmittel neu anpassen können. Das ist nur möglich, weil es eine ganz enorme Vielfalt und unzählige Varianten dieses pathogenen Pilzes in so einem Feld gibt. Umgekehrt können Pflanzen oder auch gerade Kulturpflanzen nicht mit diesem Reichtum an Variationen konkurrieren. Um aber einen natürlichen Abwehrmechanismus gegen das Pathogen zu finden oder eine Anpassung gegen den Befall aufzubauen, braucht man genetische Variation.

SB: Nun schließt sich Vielfalt und der genormte höchste Ertrag bei Kulturpflanzen oftmals aus. Wäre es rein theoretisch vorstellbar, daß sich Pflanzen züchten oder gentechnisch so verändern ließen, daß sich andere unerwünschte Faktoren für die Umwelt, beispielsweise die oft verpönte Agrarchemie, in stärkerem Maße einsparen ließen? Könnte mehr Pflanzenpotential ausgeschöpft werden, um Chemie zu sparen?

KK: Tatsächlich wird in diese Richtung schon einiges getan. Denken Sie nur an die Gründüngung. Dabei wird versucht, stickstofffixierende Pflanzen anzubauen, sozusagen als Zwischenfrucht, die dann untergepflügt werden. Beinahe alle Schmetterlingsblütler, Senf oder die Lupine zum Beispiel, sind dazu in der Lage. In Symbiose mit bestimmten stickstofffixierenden Bodenbakterien entsteht auf diese Weise gewissermaßen ein Naturdünger.

SB: Aber so eine Zwischenfrucht wäre dafür nötig. Eine Nutzpflanze so zu optimieren, daß sie keine Chemie mehr braucht, wäre wohl reines Wunschdenken?

KK: Oh, dann müßte man so etwas wie eine Weizenpflanze bauen, die mit diesen Rhizobien zusammen arbeiten könnte. Solche Symbiosen sind sehr komplizierte Prozesse. Daraus ergeben sich zahlreiche Fragen, die zunächst beantwortet werden müssen: Wieso kommt es nur bei wenigen Pflanzen zur Ausbildung von Wurzel-Knöllchen, in denen die Stickstoff-Fixierung durch die Bakterien stattfindet. Wie kommunizieren die Organismen untereinander. Aber das wäre natürlich eine sehr interessante Forschungsrichtung, an der durchaus Interesse besteht.

Ganz wichtig gerade im Hinblick auf für die Pflanze begrenzte Ressourcen ist auch - und auf diese Weise komme ich indirekt noch mal auf die Seneszenz zurück - die Frage der Remobilisierung. Getreidesorten sind äußerst effizient darin, möglich nichts zu vergeuden. Das könnte aber immer noch verbessert werden. Derzeit forscht man daran, welche Transportmechanismen der Pflanze dafür zur Verfügung stehen oder wo die Stoffe dann eingelagert werden.

Eine ineffiziente Seneszenz, wie sie etwa beim Raps vorkommt, der ja immer mehr angebaut und intensiv gedüngt wird, kann zudem ein Riesenproblem darstellen. [6] Denn er scheidet vermehrt Stickoxide aus, die in die Atmosphäre gelangen und in der Nähe von Rapsfeldern für schlechte Luft sorgen. Ein Grund dafür ist die für Pflanzen unnatürliche Dunkelheit in einem Rapsfeld, die dadurch zustande kommt, daß die Pflanzen sehr dicht gesät werden. Die dadurch verminderte Lichtintensität kann schon Seneszenz induzieren. Die Rapspflanzen seneszieren sozusagen verfrüht und noch ehe sie überhaupt die Remobilisierungsprozesse richtig beenden konnten, fallen schon die Blätter ab. Der Stickstoff geht dann in den Boden und in die Luft. Dadurch kommt der vermehrte Eintrag von Lachgas oder Stickoxidkonzentrationen in die Atmosphäre zustande.

Wenn die Pflanzen eine andere Architektur hätten, so daß sie auch dann noch mehr Licht bekämen, würden Sie weiter produzieren. Auch über die Züchtung von Pflanzen mit einer anderen Architektur wurde schon nachgedacht.

SB: Reichen denn solche Erkenntnisse nicht, um die Anbaumethoden in Frage zu stellen? [7]

KK: Natürlich könnte man mit anderen Dichten arbeiten. Aber dann steht man wieder vor dem Problem, daß wir einfach nicht genug Platz haben.

Zu ähnlichen Schlußfolgerungen kam übrigens auch Stephen Long in seinem Vortrag über Photosynthese. [8] Er meinte, daß unsere Pflanzenbestände immer einer unergiebigen Schattensituation ausgesetzt werden, die dem Potential der Pflanze, zumindest im Hinblick auf die Photosyntheseleistung, gar nicht richtig entgegen kommt. Es wird auf diese Weise nicht richtig ausgeschöpft.

SB: Was erhoffen Sie sich in Zukunft für Ihre eigene Forschung?

KK: Wir möchten die Anpassung von Pflanzen an Stress-Situationen besser verstehen und die wichtigen Regulatoren identifizieren.

Interessanterweise hat mich auf dieser Tagung das Seegras eines Kieler Kollegen [9] auf eine neue Idee gebracht: Das Seegras lebt im Wasser. Es braucht sich demzufolge nicht gegen Trockenstreß verteidigen. Ihm fehlen also die ganzen Streßsignalketten, die ich untersuche. Nun haben wir gerade ein Protein gefunden, dem vermutlich eine Rolle bei der Trockenstreßantwort zukommt. Das müßte eigentlich in diesem Seegras fehlen. Und wenn das so ist, wäre ich durch diese Konferenz durch etwas, an das ich nie zuvor gedacht hätte auf eine erste Bestätigung für die richtige Interpretation meiner Forschungsergebnisse gestoßen.

SB: Haben Sie bei dieser Puzzlearbeit manchmal das Gefühl, daß Sie sich mit der Grundlagenforschung, in der es um die Konzentration auf spezielle isolierte Prozesse in der Pflanze und nur um bestimmte Aspekte des Stoffwechsels, um irgendwelche abstrakte Kurven von Inhaltsstoffen oder bestimmte Moleküle geht, von Ihrem ursprünglichen Interessengebiet - den Pflanzen - entfernen?

KK: Das ist richtig. Man braucht eigentlich einen größeren Überblick über die Pflanzenmodelle, denn nicht immer ist das einfachste Modell auch das beste. Mit dem Modell der Arabidopsis [die Ackerschmalwand, Anm. d. SB-Red.] das häufig als Forschungsmodell genommen wird, weil sie ein relativ kleines Genom hat, das zudem komplett sequenziert wurde und weil es große Mutantensammlungen davon gibt, läßt sich wenig über Getreidepflanzen aussagen. Die Unterschiede sind zu groß, wenn es um komplexere Prozesse wie die Steuerung oder Streßantworten geht. Wir brauchen eigentlich eine größere Vielfalt an Modellen, ein Repertoire von diversen Pflanzen ebenso wie das Wissen darüber, um in der Forschung die richtigen Ergebnisse liefern zu können. Deshalb behaupte ich immer, daß Biodiversitätsexperten bald sehr gefragt sein werden, die in der Lage sind, für die notwendige Forschung die jeweils passenden Modellpflanzen herauszusuchen. Leider werden diese Kenntnisse immer rarer.

Auch aus diesem Grund haben solche allgemeinen, breit aufgestellten Kongresse wie die Tagungen der Deutschen Botanischen Gesellschaft ihre Berechtigung, damit Forscher auch mal etwas anderes sehen und sich interdisziplinär austauschen können. Leider ziehen immer mehr Kollegen zunehmend die fachspezifischen Kongresse vor, die ausschließlich auf ein bestimmtes Forschungsthema zugeschnitten sind, was man an den Teilnehmerzahlen ablesen kann, die sich von über tausend auf etwa die Hälfte reduziert haben.

Aber das, was ich eben erwähnte, daß man zufällig etwas auf die Spur kommt, weil man etwas sieht oder hört, dessen Bedeutung für die eigene Forschung man sonst gar nicht erkannt hätte, ist auf solchen Spezialisten-Veranstaltungen nicht so wahrscheinlich.

Wir möchten auch die jungen Leute anregen, sich nicht nur Arabidopsis anzusehen. Sondern auch über den eigenen Suppentopf hinwegzuschauen, welche weiteren Möglichkeiten die Botanik zu bieten hat. Sie sollen neue Ideen mitnehmen, die sie für ihre Projekte nutzen können und die sie auch voranbringen.

SB: Das ist ein schönes Credo für künftige Botanikertagungen. Haben Sie vielen Dank, Frau Prof. Krupinska.


Botanisches vor dem Auditorium der CAU in Kiel - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aus pflanzlicher Sicht ist auch Ertragssteigerung ein Streßfaktor.
Foto: © 2017 by Schattenblick


Anmerkungen:


[1] https://www.deutsche-botanische-gesellschaft.de/article/drei-ausgezeichnete-pflanzenwissenschaftler/?no_cache=1&back=1

[2] http://www.greenpeace-aachen.de/archiv/gentechnik/gentechnik_weltweit.php

[3] http://www.gbsdd.de/genmanipulierte-tomaten.html

[4] https://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0258.html

[5] Am 19 September hielt Prof. Eva H. Stukenbrock, CAU Kiel, den Plenarvortrag "Comparative population genomics of closely related plant pathogens from natural grasslands and agro-ecosystems",

[6] Zum einen, entsteht durch die im intensiven Rapsanbau nötige hohe Stickstoffdüngung viel Distickstoffoxid (Lachgas, N2O), welches ein bis zu 320-fach stärker wirkendes Treibhausgas ist als Kohlenstoffdioxid (CO2). Zum anderen liefern Pflanzen einen meßbaren Beitrag an ozonschädigenden Verbindungen. Kreuzblütengewächse produzieren Methylbromid. Allein der Raps produziert 6600 Tonnen im Jahr, dies ist ein Anteil von 15% dessen, was immer noch industriell hergestellt wird.
https://klimakatastrophe.wordpress.com/2008/10/30/klimakiller-vom-acker/

[7] Im Reisanbau gibt es dazu bereits Versuche. Siehe auch
http://sri.ciifad.cornell.edu/

Ein Interview mit einem Verfechter des SRI-Verfahrens, dem holländischen Agrarwissenschaftler Dr. Willem A. Stoop, finden Sie hier:
https://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0101.html

[8] Am 19. September hielt Stephen Long, University of Illinois, USA den Plenarvortrag: "Increasing crop productivity sustainably by bioengineering improved photosynthetic efficiency".

[9] Am 18. September hielt Prof. Thorsten Reusch (Geomar Kiel) den Plenarvortrag "A return to the sea: evolutionary adaptations in marine angiosperms or seagrasses", auf den sich Frau Prof. Krupinska bezieht.

Bisher zur öffentlichen Abendveranstaltung der Botanikertagung 2017 in Kiel im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/127: Botanik 2017 - Agrarpfründe, Agrarsünde ... (SB)
BERICHT/128: Botanik 2017 - mundgerechtes Zählen ... (SB)
BERICHT/129: Botanik 2017 - Gretchens gefährliche Rechnungen ... (SB)

INTERVIEW/261: Botanik 2017 - Nahrungsquellen nicht grenzenlos ...     Prof. Dr. Andreas Graner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/262: Botanik 2017 - Finanzbedarf und Wissensmängel ...     Prof. Dr. Andreas Weber im Gespräch (SB)


7. November 2017


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