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INTERVIEW/283: Meeressterben - Zuwachs ökosystemischer Wandlungen ...    Dr. Helena Hauss im Gespräch (SB)




Porträt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Dr. Helena Hauss
Foto: © 2018 by Schattenblick

Hitzewellen treten nicht nur an Land auf, wie das in diesem Sommer in weiten Teilen Deutschlands zu spüren war, sondern auch in den Ozeanen. So wurden im vergangenen Monat während einer Hitzewelle vor der kalifornischen Küste in Höhe der Stadt San Diego die höchsten Wassertemperaturen in dieser Region seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1916 gemessen. Zwischen 1982 und 2016 hat sich die Zahl der Meereshitzewellen weltweit verdoppelt, ein Trend, der sich mit der globalen Erwärmung noch verstärken dürfte, heißt es in einer "Nature"-Studie vom 15. August dieses Jahres [1].

Hitzewellen und eine allgemeine Erwärmung der Ozeane verändern die Meeresumwelt deutlich. Die beobachtete Sauerstoffabnahme in den Ozeanen von zwei Prozent in den letzten 50 Jahren geht nicht zuletzt auf den Klimawandel zurück. In Verbindung mit anderen Faktoren kann die Erwärmung lokal bereits massive Veränderungen der Meeresökosysteme auslösen, wenn ein Gebiet einen Sauerstoffschwund verzeichnet (Hypoxie) oder überhaupt keinen Sauerstoff mehr aufweist (Apoxie).

Welche Auswirkungen der Sauerstoffschwund auf das Plankton hat, ist eine der Fragen, mit denen sich Dr. Helena Hauss vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel befaßt. Plankton ist eine aus dem Altgriechischen entlehnte Sammelbezeichnung für das "Umherirrende" oder "Treibende". Damit sind Meeresorganismen gemeint, die von der Strömung getrieben werden, unter Umständen jedoch sich in der Wassersäule vertikal bewegen.

Hauss hat an mehr als ein Dutzend Seereisen teilgenommen, zuletzt im Februar dieses Jahres mit der Poseidon 520 zu den Kapverdischen Inseln, und arbeitet von Beginn an im Sonderforschungsbereich 754 (SFB 754). In dessen Rahmen hat sie auch ihre Doktorarbeit geschrieben.

Am 5. September 2018 nahm die Wissenschaftlerin im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung mit dem Titel "Geht dem Ozean die Luft aus?" anläßlich einer vom SFB 754 organisierten, internationalen Konferenz zum Sauerstoffschwund in den Ozeanen teil und hat einen der insgesamt vier Vorträge gehalten. Dabei bot sie einen Einblick in ihre Arbeit im SFB 754, das typische ozeanographische Handwerkszeug und die häufig verwendeten Methoden. Vor Beginn der Veranstaltung beantwortete die biologische Ozeanographin dem Schattenblick einige Fragen.


Qualle mit Tentakeln über Seegras - Foto: Wusel007, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Die gelbe Haarqualle (Cyanea capillata) kommt mit Sauerstoffarmut eine Zeitlang gut zurecht.
Ostsee, Kieler Bucht, vor Strande, 10.9.2014.
Foto: Wusel007, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Schattenblick (SB): Werden Quallen die wahren Überlebenskünstler sein, sollte die Sauerstoffabnahme in den Ozeanen anhalten?

Dr. Helena Hauss (HH): Das kann gut sein, zumindest können wir im Moment beobachten, daß in Regionen, in denen niedrige Sauerstoffverhältnisse auftreten, Quallen damit sehr gut klarkommen, weil sie geringere Stoffwechselraten haben. Sie bewegen sich sehr langsam und haben auch im Unterschied zum Beispiel zu Fischen nicht so viel Muskelgewebe, das viel Sauerstoff verbraucht. Nicht alle, aber einige Quallen kommen sehr gut mit wenig Sauerstoff zurecht. Was wir als Quallen bezeichnen, umfaßt übrigens verschiedene Tiergruppen.

SB: Vor zwei Jahren berichtete GEOMAR [2], daß Sie und Ihre Kollegen einen neu entwickelten Underwater Vision Profiler (UVP) zum Auszählen kleiner Meeresorganismen eingesetzt haben. Waren die bisherigen Beobachtungs- und Zählmethoden unzureichend?

HH: Zumindest für das, was wir wissen wollen. Denn wir sind bis jetzt immer auf Netzfänge angewiesen gewesen, was auf eine lange Tradition in Kiel zurückgeht. Hier wurde schon 1887 das erste Planktonnetz erfunden. Aber wenn man Tiere mit Netzen fängt, zerstört man beim Vorgang des Fangens oft Exemplare, die besonders fragil und zerbrechlich sind. Wenn man sie dann fixiert - so nennen wir das, wenn man sie in Formalin einmacht - und sie mit ins Labor nimmt, lösen sich wiederum welche auf. Für manche Tiergruppen oder manche Organismen ist es ganz wichtig, daß man sie in situ, also an der Stelle, wo sie sich im Ozean aufhalten, beobachtet. Das geht nur mit einem Kamerasystem.

So hat uns gerade dieses Instrument tolle Ergebnisse beschert - nicht nur für jene fragilen Gruppen, sondern auch für andere, die wir eigentlich mit Netzen gut fangen können, zum Beispiel Krill oder Ruderfußkrebse. Mit Netzen erhalten wir aber immer nur ein ganz großes Integral [3]. Wenn wir ein sogenanntes Multinetz benutzen, wie es hier von einer Kieler Firma angeboten wird, können wir verschiedene Tiefenstufen einstellen. Doch dann hat man immer noch das gesamte Plankton einer vielleicht mehrere hundert Meter langen Wassersäule im Netz. Untersucht man dagegen die Strecke mit der Kamera, weiß man genau, an welcher Stelle sich ein Tier aufgehalten hat. Ist die Kamera mit CTD-Sensoren [4] für Salzgehalt, Temperatur und Tiefe bestückt und werden die Daten laufend aufgezeichnet, weiß man genau, beispielsweise wieviel Sauerstoff ein Tier an dieser einen Stelle zur Verfügung hatte, und das bei Tag und bei Nacht. Daraus haben wir viele, schöne, neue Erkenntnisse gewonnen.

SB: Da Plankton im Tag-Nacht-Rhythmus teilweise mehrere hundert Meter auf- und absteigt, stelle ich mir vor, müssen die Messungen dementsprechend umfangreich sein, um sich ein Bild vom Leben im Meer zu machen.

HH: Genau. Wenn wir so ein gestaffeltes Multinetz einsetzen, besteht unsere Standardmethode darin, daß wir es am Tage und in der Nacht an der gleichen Stelle ausfahren und aus der Differenz die Wanderung der Tiere bestimmen. Das Kamerasystem hingegen fährt üblicherweise immer auf der CTD-Rosette mit, unabhängig davon, ob es Tag oder Nacht ist. Dadurch erhalten wir sehr viel mehr Profile. Im Anschluß daran führen wir eine Datenanalyse durch, so daß wir einteilen können, was am Tage und was in der Nacht beobachtet wurde. Darüber bestimmen wir dann die Vertikalwanderung.


In einem kreisrunden Rohrrahmen befestigte Meß- und Probenentnahmegeräte - Foto: Hannes Grobe, Alfred-Wegener-Institut, CC-BY-SA-2.5 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en]

1,5 Meter hohes CTD-Gerät zum Messen von Leitfähigkeit (Salzgehalt), Temperatur und Druck (Meerestiefe), umgeben von einem Kranz an Niskin-Flaschen zur Entnahme von Wasserproben in bestimmte Tiefen.
Foto: Hannes Grobe, Alfred-Wegener-Institut, CC-BY-SA-2.5 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en]

SB: Ich hatte mich über die Frage bzw. das Thema, über das Sie gleich referieren werden - "Leben ohne Sauerstoff - ist das möglich?" - etwas gewundert. Ich kenne das eigentlich nur von Extremophilen, die ohne Sauerstoff auskommen. Gibt es noch andere Lebewesen?

HH: Es gibt verschiedene Mikroben, die ohne Sauerstoff leben können, und auch verschiedene mehrzellige Tiere, die das unter bestimmten Bedingungen können. Aber von den pelagischen, also den im Freiwasser lebenden Tieren, kann das keines dauerhaft. Es gibt nur einige, die sehr tolerant sind. Die können das über einen gewissen Zeitraum aushalten, müssen dann aber Meeresbereiche aufsuchen, in denen der Sauerstoffgehalt höher ist. Ansonsten würden sie sterben. Das sind die Tiere, mit denen wir uns beschäftigen. Sie führen Vertikalwanderungen aus und wenn sie sich am Tag in der Tiefe, im Dunkeln, verstecken, halten sie die dort vorherrschende Sauerstoffarmut ganz gut aus.

Für Tiere, die nicht so mobil oder die am Boden festgewachsen sind, ist das natürlich noch ein viel größeres Problem, die können sich nicht wegbewegen. Beispielsweise kommt es hier in der Ostsee oft vor, daß durch einen Auftrieb von sauerstoffarmem oder sauerstofflosem Wasser alles Leben, das nicht fliehen kann, getötet wird.

SB: In der Klimaforschung wird von Tipping Points - Kippunkten - gesprochen. Sind solche Schwellenwerte auch vom Sauerstoffgehalt der Meere bekannt?

HH: Bedingt. Es gibt Tipping Points bei einer Anoxia. Das heißt, wenn kein Sauerstoff vorliegt, finden andere mikrobielle Prozesse statt. Das ist dann das Tor zu Prozessen, die zum Verlust von mineralisch gelöstem Stickstoff führen, also zum Ausgasen von N2 in die Atmosphäre. Das sind bakterielle Prozesse. Doch für Tiere ist ein Tipping Point viel schwieriger zu definieren, weil das auf die jeweilige Toleranz und auf das Habitat ankommt. Ein Tier, das im tropischen Ostpazifik lebt, hat in meinen Augen eine andere Hypoxiadefinition als eines, das im Atlantik lebt, was eigentlich sehr viel höhere Sauerstoffbedingungen gewohnt ist und vielleicht schon bei 50 Mikromol Sauerstoff in Streß geraten kann. Deswegen sind da die Tipping Points ein bißchen schwieriger zu definieren.

SB: In den Medien werden sauerstoffarme Zonen manchmal "tote Zonen" genannt, obgleich in den so bezeichneten Gebieten jede Menge Algen leben. Gibt es weitere Ausnahmen an Lebensformen?

HH: Ja, das sind dann ganz eigene Ökosysteme. Wir haben vor zwei, drei Jahren eine Serie an Beobachtungen im Ostatlantik durchgeführt, wo wir einen Wirbel gefunden haben, der überraschend niedrige Sauerstoffbedingungen aufwies. Da hat eine Kollegin, die mit dem Genom von Mikroben arbeitet, herausgefunden, daß in dem fast sauerstofflosen Kern des Wirbels ein ganz eigenes Ökosystem besteht. Dort lebte eine ganz andere bakterielle Gemeinschaft. Also, natürlich gibt es in toten Zonen noch Leben, aber es ist nicht unbedingt das Leben, das wir direkt essen könnten oder was wir uns als eines in einem diversen und bunten Ozean vorstellen.


Porträt - Foto: Wikimedia Commons Kurs der Expedition kreuz und quer über den Atlantik von Kiel über die Nordsee nach Südgrönland, Bermuda-Inseln, Kapverden, Ascension, Amazonasmündung, Sao Miguel und durch den Ärmelkanal zurück nach Kiel - Karte: Tentotwo, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Der Mediziner und Meeresbiologe Victor Hensen (1835 - 1924) erfand das Planktonnetz und leitete 1889 die weltweit erste Planktonexpedition. Start und Zielhafen war Kiel.
Foto: Wikimedia Commons
Karte: Tentotwo, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

SB: Sie arbeiten im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 754 - "Climate-Biogeochemistry Interactions in the Tropical Ocean" - es geht dort also um tropische Ozeane. Hat das einen bestimmten Grund, warum die biogeochemischen Interaktionen darauf begrenzt werden?

HH: Ja, der Grund ist einfach der, daß es vier Regionen in der Welt gibt, in denen bereits große Sauerstoffminimumzonen entstanden sind, und zwar jeweils auf der Nord- und Südhalbkugel am östlichen Rand im Pazifik und Atlantik. Wir haben uns zwei dieser Gebiete zur Untersuchung ausgesucht, nämlich den tropischen Südostpazifik vor Peru, wo schon eine ganz extreme Sauerstoffminimumzone existiert, die sich aber noch weiter ausdehnt und vergrößert, und eben den Ostatlantik vor Westafrika, in der Nähe der Kapverdischen Inseln. Da sind die Bedingungen noch nicht so ausgeprägt, aber auch dort setzt sich der Sauerstoffschwund fort. Diese beiden tropischen Gebiete liefern uns sehr gute Vergleichsmöglichkeiten, da sich die Systeme noch in einem unterschiedlichen Zustand der Entwicklung befinden.

SB: Beide Meeresregionen sind für ihren Fischreichtum bekannt. Wir hören nachher einen Vortrag zur Lage vor Peru. Wirkt sich der Sauerstoffmangel auch bei den Kapverdischen Inseln so weit aus, daß dadurch die Fischbestände reduziert werden?

HH: Von den Kapverden kann man noch nicht sagen, daß dort die Fischbestände reduziert werden. Man beobachtet in dieser Region allerdings, daß sie von sehr aktiven, schnell schwimmenden Fischen wie Marlinen oder Segelfischen gemieden wird. Man hat mit Hilfe von Datenloggern nachgewiesen, daß die Fische nicht mehr so tief tauchen. Sie haben einen sehr hohen Sauerstoffbedarf und schwimmen dann nur in der sauerstoffreichen Oberflächenschicht. Für die Fischer ist es dann einfacher, einen Bestand abzufischen, der in einem engen Volumen komprimiert ist und sich nicht in der ganzen Wassersäule bewegen kann. Aber soweit ich weiß, konnten in der Region noch keine Auswirkungen der Sauerstoffabnahme auf den Fischfang beobachtet werden.

SB: Wenn die Ozeane weniger Sauerstoff enthalten, ändern sich dann auch andere chemische oder physikalische Parameter?

HH: Physikalische Parameter nicht, chemische durchaus, weil natürlich das Redoxpotential [5] ein anderes ist. Sauerstoffmangelgebiete sind auch immer Gebiete mit sehr hohem CO2-Gehalt, also mit niedrigen pH- und O2-Werten. Die Organismen sind somit gleichzeitig der Ozeanversauerung und dem Sauerstoffverlust ausgesetzt. Andere chemische Änderungen gehen auf biologische Prozesse zurück. So können sich beispielsweise andere Spurengase im Meer lösen und die Nährstoffdynamik verändern. Das hängt also eher von der Biologie ab, die auf die Meereschemie rückkoppelt.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Rund ein halbes Dutzend in weiten Teilen transparente Krebstiere - Foto: Matt Wilson/Jay Clark, NOAA NMFS AFSC, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Zooplankton - eine Ansammlung von Krustazeen. Foto: Matt Wilson/Jay Clark, NOAA NMFS AFSC, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]


Fußnoten:


[1] https://www.nature.com/articles/d41586-018-05978-1

[2] https://www.geomar.de/service/kommunikation/geomar-news-single-archiv/article/einzelliges-plankton/

[3] Mit einem einfachen Planktonnetz, das man beispielsweise aus 500 Meter Tiefe heraufzieht, kann man nur die Summe aller gefangenen Lebewesen in dieser Wassersäule bestimmen. Das heißt, das Integral ist sehr groß.

[4] CTD: Akronym für engl. Conductivity, Temperature, Depth, z. Dt.: Leitfähigkeit, Temperatur, Tiefe. Über die Leitfähigkeit wird der Salzgehalt bestimmt, und die Tiefe wird über Drucksensoren registriert.

[5] Das Redoxpotential kann positiv oder negativ sein und es bezeichnet die Bereitschaft eines Stoffes, entweder Elektronen aufzunehmen und damit in die oxidierte Form überzugehen oder Elektronen abzugeben und als Reduktionsmittel zu wirken.

Bisher im Schattenblick zu der Veranstaltung "Geht dem Ozean die Luft aus?" am 5. September 2018 in Kiel unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/144: Meeressterben - Mangelzonen wachsen an ... (SB)
INTERVIEW/281: Meeressterben - Die Größe eines Kontinents ...    Prof. Dr. Andreas Oschlies im Gespräch (SB)
INTERVIEW/282: Meeressterben - wir wissen genug ...    Dr. Christiane Schelten und Dr. Paul Kähler im Gespräch (SB)


13. September 2018


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