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INTERVIEW/287: Klimawandel - und kontrafinanziert ...    Elenita Daño im Gespräch (SB)



Einer neuen Studie des Weltklimarats zufolge haben wir noch eine letzte Chance, den Klimawandel zu stoppen, bevor er unumkehrbar wird. Zwar reichen die im Pariser Abkommen dargelegten Pläne nicht aus, um die Erwärmung tatsächlich nicht über das Niveau von 1,5 Grad hinausschießen zu lassen. Es sei aber dennoch möglich, das Ziel innerhalb der Gesetze der Chemie und Physik zu erreichen, nur würde es "beispiellose Veränderungen" und "bis 2030 eine Reduzierung der Emissionen um 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 2010 erfordern", ist das Credo der Autoren des IPCC Sonderberichts 1.5.

Über die ebenso einschneidenden wie wirksamen Maßnahmen, die überhaupt im sogenannten Landsektor vorgenommen werden können, ohne weiteren Schaden zu verursachen, waren sich Referenten und fachkundige Teilnehmer auf dem Forum 4 der von VENRO und der Klima Allianz organisierten Konferenz am 23. Oktober in Berlin, auf dem die "Bedeutung der Landnutzung, Landwirtschaft und Wälder für das Einhalten des 1.5 Grad Ziel thematisiert wurde, im großen und ganzen einig. Die meisten Szenarien gehen davon aus, daß dafür Treibhausgase aus der Atmosphäre wieder entnommen werden müssen. Aufforstungs- und Renaturierungsprojekte von Wäldern bilden daher einen Schwerpunkt dieser Debatten. [1] Daneben wurden unterschiedliche Aspekte einer intelligenteren, klimaschonenderen Nutzung der Landwirtschaft vorgestellt, die gemeinhin als eine der größten Treibhausgas-Schleudern gilt. Ob durch konzertierte Aktionen in den besprochenen Bereichen, Fleischproduktion, agroökologische Ansätze und systematischere Waldwirtschaft, allerdings die erforderlichen negativen Emissionen erreicht werden können, die dieser Sektor schaffen soll, ist fraglich. Um mit dem 1.5 IPCC-Pfad das schlimmste zu vermeiden, müßten bis 2050 neun Milliarden Tonnen CO₂ und bis 2100 16 Milliarden Tonnen aus der Atmosphäre entfernt worden sein. Von einer ebenfalls häufig diskutierten Option des Landsektors, Bioenergie zu gewinnen und mit CCS aus dem CO₂-Kreislauf dauerhaft zu entfernen, hielten die Teilnehmer des Forums im Unterschied zum Mainstream so wenig, daß sie nur beiläufig als undiskutabel erwähnt wurde. Das Kürzel dieser Technik BECCS, das für Bioenergie mit Carbon Capture and Storage steht, findet man allerdings zunehmend im Zusammenhang mit Klimaschutzprojekten.

Unter dem Vorwand "Entwicklungsförderung-" sind als Standorte für diese umstrittenen Vorhaben vor allem die weniger begünstigten Länder der Dritten Welt vorgesehen, die dadurch neben den Problemen des Klimawandels auch noch mit der sozioökonomischen und ökologischen Belastung durch Landgrabbing, Monokulturanbau und Ressourcenschwund konfrontiert sind. Unter anderem darüber sprach der Schattenblick im Anschluß an das Forum mit der stellvertretenden Geschäftsführerin der etc-GROUP Elenita "Neth" Daño.

Sie kommt von den Philippinen, eines jener Länder, denen schon heute durch zunehmende Wetterkatastrophen wie Taifune der Klimawandel um die Ohren fegt und die als eines der ersten vom Meeresspiegelanstieg betroffen sein werden. Die etc-Aktionsgruppe ist bekannt dafür, die Einführung neuer Technologien kritisch zu begleiten, die eigentlichen Profiteure zu outen und Mißstände und Menschenrechtsverletzungen aufzudecken. Die Wissenschaftlerin arbeitet selbst im Referat Entwicklung und Politik zu Fragen der Landwirtschaft, Agrarökologie, Biodiversität, Biosicherheit, des Klimawandels und der Umweltpolitik in Südostasien und hat sich auf die Probleme bei der Entwicklung von kleinbäuerlichen Gemeinschaften spezialisiert. Deren handwerkliche Landwirtschaft, so beschrieb sie es in ihrem Vortrag, sei wesentlich schonender für Umwelt und Klima, mache aber einen massiven Anteil an der weltweiten Lebensmittelproduktion aus.


Foto: © 2018 by Schattenblick

Neth Daño (etc-GROUP)
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Daño, Sie erwähnten in Ihrem Vortrag, daß zwischen 44 bis 57 Prozent der gesamten Treibhausgas Emissionen weltweit aus der industriellen Landwirtschaft stammen. Selbst wenn man die CO₂-Äquivalente von Lachgas (N₂O)- und Methan (CH₄)-Emissionen dazu rechnet, ist das eine immens hohe Zahl. Im Vergleich dazu geht das Umweltbundesamt in Deutschland von einem jährlichen Beitrag von 7,2 Prozent aus, auch wenn die Landwirtschaft mit insgesamt 65,4 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente 2017 als zweitgrößter Erzeuger von Treibhausgasen gilt. Was wurde bei diesen "schöneren Zahlen" nicht mitgerechnet?

Elenita Daño (ED): Es ist natürlich eine Frage des Standpunkts, welche Zahlen zugrunde gelegt wurden. Wenn man zum Beispiel den CO₂-Fußabdruck von Getreide berechnet, ist die präzise Aufstellung aller CO₂ erzeugenden Faktoren viel umfangreicher als die reinen Produktionswerte. Man muß die gesamte Kette vom Bauernhof bis zur Verarbeitung, von der Verarbeitung bis zum Einzelhandel berücksichtigen, einschließlich der Produktion und des Einsatzes von Düngemitteln und Pestiziden, des Transports und der Lagerung. Diese Zahlen sind hier berücksichtigt worden. Das sind tatsächlich Faktoren, die in anderen Berechnungen fehlen. Unsere Rechnung berücksichtigt zudem die Vernichtung von Wäldern für landwirtschaftliche Nutzflächen, die wirklich massiv ist.

SB: Wenn kurz gesagt, kleinbäuerliche Landwirtschaft die Lösung für das Klimaproblem ist, die Weltbevölkerung aber 2050 möglicherweise die 10 Milliardengrenze überschreitet, wäre sie dann überhaupt in einem entsprechend größeren Maßstab durchführbar?

ED: Es geht nicht allein darum, die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu fördern, sondern um den agrarökologischen Ansatz als solches, der von vielen NGOs und auch einigen Bauernorganisationen in meinem Teil der Welt unterstützt wird. In Verbindung mit alternativen, gemeinschaftlich unterstützten Wirtschaftssystemen oder -beziehungen, etwa Landwirtschaftskooperativen, ist daraus in Südostasien bereits ein wirklich florierender Sektor entstanden. Dort gibt es funktionstüchtige Netzwerke zwischen Verbrauchern und Lebensmittel- beziehungsweise Futtermittelproduzenten, mit deren Hilfe stabilere Märkte und fairere Preise für landwirtschaftliche Produkte geschaffen wurden. In vielen Entwicklungsländern werden solche Ansätze durchaus von den regulären Mainstream-Genossenschaften und sogar in meinem eigenen Dorf unterstützt. Man muß nicht progressiv sein, um zu erkennen, daß der kleinbäuerliche Ansatz dadurch rentabel sein kann. Damit das durchführbar ist, brauchen wir keine Subventionen oder andere Anreize. Die einzige Voraussetzung wäre, daß man dem Kleinbauerntum in den Entwicklungländern ein menschenwürdigeres Leben gewährleistet. Damit meine ich grundlegende Dinge wie ein funktionierendes Gesundheitssystem, Zugang zu Bildung und dergleichen. Darüber hinaus sollte kleinbäuerlichen Landwirten ein angemessenes und anständiges Einkommen garantiert sein, sowie ein Recht, das ihnen die Bewirtschaftung und den Zugang zu ihrem Land sichert. Diese Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben sind in vielen Entwicklungsländern nicht selbstverständlich.

SB: Sie sprachen davon, daß heute schon 70 Prozent der Menschheit durch die kleinbäuerliche Landwirtschaft ernährt wird. Meinten Sie damit vor allem die Menschen im ärmeren Süden?

ED: Ich würde Sie hier gerne auf die ursprüngliche Studie der etc- GROUP verweisen [2], die Sie auf unserer Webseite kostenlos herunterladen können. Dort finden sie dezidiert aufgerechnet, wie sich die Zahlen, die ich in meinem Vortrag nur angerissen habe, zusammensetzen. Allerdings importieren einige Entwicklungsländer auch landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel. Nur sind diese Nahrungsmittel nicht für diejenigen bestimmt, die sie am nötigsten bräuchten, sondern werden von jenen gegessen, die sich teure Importware leisten können.

SB: Wie schätzen Sie angesichts der ungesicherten Landrechte in einigen Ländern die Gefahr ein, daß beispielsweise der Grüne Klimafonds, durch den ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für die armen Länder aufgebracht werden sollen, Projekte finanziert, die auf riskanten oder kontraproduktiven Technologien beruhen wie BECCS oder riskantere Formen des Climate-Engineerings?

ED: Das Risiko, daß der Green Climate Fonds (GCF) auf diese Weise mißbraucht wird, ist tatsächlich sehr groß. Natürlich gibt es im GCF Prozesse, die das verhindern oder zumindest einschränken sollen, aber die Möglichkeit dazu besteht weiterhin. Das hängt damit zusammen, daß der GCF auf der globalen Ebene operiert und vorzugsweise Projekte akzeptiert, die eine bestimmte Größenordnung mit sich bringen, damit sie den ökonomischen und effizienten Einsatz der Finanzmittel garantieren. Darüber hinaus besteht der direkte Zugang für alle, den der GCF verspricht, nur auf dem Papier. Denn man erhält ihn nicht ohne einen größeren Partner, der bereits als Projektträger oder Implementierer akkreditiert und registriert ist. Eine kleine Gemeinde kann also nicht einfach direkt zum Green Climate Fonds gehen, ohne nicht zuvor viele Stellen abgeklappert zu haben, um so eine Institution zu finden, die ihr Anliegen unterstützt. Hierbei ist das Risiko natürlich hoch, an die falsche Organisation zu geraten. Allein die Bedingung, daß ein wirtschaftlicher Umfang nachgewiesen werden muß, erhöht die Gefahr, daß ein unerwünschtes Profitunternehmen finanziert wird. Kleine Gemeinden oder Organisationen, die ein Vorhaben durchsetzen möchten, stehen also vor der zusätzlichen Herausforderung, die Projektgröße mithilfe anderer kleiner Organisationen so aufzustocken, daß es rentabel wird. Die Kriterien, die der Grüne Klimafonds ansonsten für förderwürdige Projekte anlegt, sind im großen und ganzen streng. Aber es werden immer wieder Schlupflöcher eingebaut. So gibt es beispielsweise eine Entscheidung vom Vorstand des Fonds, Carbon Capture and Storage als Klimaschutzmaßnahme anzuerkennen, die dann aus dem Green Climate Fonds finanziert werden kann. Das sind hochgradig riskante Technologien in großem Maßstab, so daß auch besonders viel Schaden entstehen kann, wenn etwas mißglückt.

Das Risiko, daß die Förderung des GCF in falsche Kanäle fließt, ist somit immens hoch, weil die kleinsten und ärmsten Antragsteller von vornherein wenig Chancen haben, die hohen Auflagen und Anforderungen des Green Climate Fonds zu erfüllen und von profitableren Projekten an den Rand gedrängt werden.

SB: Haben Sie konkrete Anhaltspunkte dafür, daß ökologisch umstrittene Klimaschutzmaßnahmen bereits Mittel durch den Green Climate Fonds erhalten haben?

ED: Ja. Wir arbeiten übrigens in diesen Fragen eng mit Biofuelwatch, verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen und NGOs zusammen. In einer unserer letzten Untersuchungen wurden zahlreiche an den GCF gerichtete Förderungsanträge, die im Zusammenhang mit der Erzeugung von Bioenergie standen, überprüft. In einem Fall ging es einfach um die Produktion von Bioenergie in Plantagen auf den pazifischen Inseln, insbesondere auf Fidschi. Es handelte sich dabei nicht um BECCS, also um die Erzeugung von Biotreibstoffen, bei deren Verbrennung CO₂ abgeschieden und gespeichert werden soll, sondern einzig um die Gewinnung von Biodiesel, der dann anstelle von fossilem Treibstoff genutzt wird. Das Projekt wurde von der Korea Development Bank unterstützt, eine GCF akkreditierte Institution zur Projektimplementierung, die es gemeinsam mit zahlreichen Beratungsfirmen und auch einigen Regierungsinstitutionen in Fidschi durchsetzen wollte. Aufgrund gründlicher Analysen und einer präzisen Machbarkeitsstudie, die verschiedene NGOs in Kooperation mit Gruppierungen, die wiederum in dem zivilgesellschaftlichen Zusammenschluß CLARA eingebunden sind, erstellt und dem Green Climate Fonds in einer Anhörung vorgelegt haben, konnte dieses Projekt tatsächlich noch verhindert werden.


Aufnahme eines pazifischen Korallenatolls, das durch die zunehmende Versauerung der Meere bedroht ist. - Foto: by Mr. Ben Mieremet, Senior Advisor OSD, NOAA [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Alles abholzen und die zum Untergang geweihten Pazifischen Inseln für Bioenergieplantagen nutzen?
Ein Projekt wurde gerade noch verhindert.
Foto: by Mr. Ben Mieremet, Senior Advisor OSD, NOAA [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

SB: Kann man sagen, wer bei diesen riskanten Projekten am meisten gewinnt? Und wer am Ende die Verlierer sind?

ED: Was die CO₂-Abscheidung und -Speicherung betrifft, so kommen 98 Prozent der Projekte in irgendeiner Form den Produzenten fossiler Energien zugute. Entweder ermöglichen sie die Fortsetzung von klimaschädlicher Kohleverstromung, indem sie deren Emissionen scheinbar reduzieren oder es ist für die CO₂-Speicherung eine Zweitnutzung der bereits ausgebeuteten Öl- oder Gasfelder im Gespräch. Das heißt, die fossile Brennstoffindustrie macht damit auf jeden Fall weitere Gewinne.

Wenn diese Projekte also vom GCF finanziert werden, der eigentlich für die Unterstützung von Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen der vom Klimawandel betroffenen Entwicklungsländer bestimmt ist, gewinnen paradoxerweise tatsächlich fast immer die Interessen der fossilen Brennstoffindustrie zu Lasten der vermeintlichen Nutznießer des Fonds. Ein Teil der CO₂-Abscheidung und -Speicherung findet darüber hinaus in Entwicklungsländern statt, die somit faktisch die Risiken tragen. Die fossilen Interessen stellen dies allerdings so dar, als würden diese Projekte tatsächlich den Entwicklungsländern zugute kommen. In Wahrheit soll damit schöngeredet werden, daß sie selbst am meisten davon profitieren.

SB: Mir ist aufgefallen, daß in dem sogenannten SPM - Summary for policy makers (Kurzbericht für politische Entscheidungsträger), das Wort Klimagerechtigkeit nicht erwähnt wird, ebensowenig wie der Begriff sozialverträglicher oder gerechter Übergang, "Just Transition".

ED: Diese beiden Formulierungen fehlen definitiv. Tatsächlich stimmen einige der Autoren darin überein, daß das besagte Kapitel 5 des IPCC Sonderberichts 1.5, das mit dem Untertitel "poverty eradication and reducing inequalities" (Armutsbekämpfung und Abbau von Ungleichheiten) überschrieben wurde, und in welchem die Diskussionen über 1,5 °C-Pfade mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verknüpft werden sollen, eines der schwächsten und am meisten vernachlässigten Kapitel ist. Es wird darin genaugenommen nichts von Wert gesagt, wie sich der Diskurs über 1.5 °C-Pfade mit den angestrebten Nachhaltigkeitszielen verbinden ließe. Wir halten es für unabdingbar, daß der IPCC-Sonderbericht 1.5 nicht diskutiert wird, ohne die Fragen des sozial gerechten Übergangs oder der Klimagerechtigkeit im Rahmen der der Agenda 2030 miteinzubeziehen und ohne sicherzustellen, daß niemand dabei vernachlässigt wird. Sonst läuft es höchstwahrscheinlich wieder auf ein "Business as usual" hinaus. Das käme dem Aktzeptieren von technologischen Lösungen gleich, die uns aufoktroyiert würden. Deshalb müssen wir sehr darauf achten, daß uns diese wichtigen Entscheidungen, nicht aus den Händen genommen werden und in Reichweite bleiben. Gerade in der Landwirtschaft liegen die praktischen Lösungen wortwörtlich in den Händen der Menschen, mit denen sie den Großteil der Welt ernähren.

SB: Die Kurzversion für Entscheidungsträger (SPM) des neuen Sonderberichts ist schon in den Hauptaussagen für einen Laien schlecht oder sogar mißverständlich. Zudem werden oftmals wenig gebräuchliche Begriffe wie Kohlenstoffdioxidentnahme statt Geoengineering verwendet. Wäre eine verständlichere Sprache nicht zielführender gewesen?

ED: Man hat uns mit diesem Bericht tatsächlich einen Bärendienst erwiesen. Denn man muß ihn mehrmals lesen, um überhaupt etwas Nützliches darin zu finden, das beispielsweise die kleinbäuerliche Landwirtschaft voranbringen könnte. Dadurch, daß hier mit den Problemen und Lösungen auf eine derart fachelitäre Weise umgegangen wird, daß sie nur Wissenschaftler oder entsprechende Institutionen verstehen, wird der größte Teil der Bevölkerung marginalisiert. Meines Erachtens liegt die Lösung eher in den Menschen selbst. Sie sind keine passiven Empfänger von elitären Problemlösungsmodellen, die von einigen privilegierten Wissenschaftlern ersonnen wurden. Daher sollte in einer demokratischeren Welt, die sich mit Ungleichheit auseinandersetzt, auch ein Bericht geschrieben werden, der den Menschen etwas in die Hand gibt.

SB: Wäre es Ihrer Ansicht nach noch möglich, mit Hilfe agrarökologischer Landwirtschaft und ausschließlich nachhaltigen Lösungen, das heißt ohne Climate-Engineering, die Emissionen der Welt zu reduzieren und sie auf einen 1.5 °C-Pfad zu bringen, auf dem keiner zu kurz kommt?

ED: Ich bin nach wie vor optimistisch, daß wir das 1.5°C-Ziel noch schaffen können, wenn es einen ausreichenden politischen Willen seitens der Regierungen gibt, aber auch die Bürgerbewegungen entsprechenden Druck auf die Regierungen ausüben, endlich zu handeln. Wir sind ebenfalls davon überzeugt, daß durch entsprechende Unterstützung die Kapazität der kleinbäuerlichen Landwirte noch erweitert und damit ihr Beitrag für eine klimafreundliche agrarökologische Landwirtschaft größer werden kann. Unabdingbar für den Rest der Welt und ihren Regierungen wäre damit verbunden, daß sie die bedeutende Rolle der Kleinbauern für die Welternährung anerkennen und sich um die Bedürfnisse derjenigen kümmern, die den größten Teil unserer Lebensmittel produzieren. Ich erwähnte sie schon: Zugang zu landwirtschaftlich nutzbaren Flächen, Zugang zu Ressourcen wie Wasser, Kontrolle über notwendige Ressourcen, grundlegende landwirtschaftliche Dienstleistungen, wie auch entsprechende Bildungs- und Gesundheitssysteme. Die vielleicht wichtigste Voraussetzung, daß wir es noch schaffen, wäre aber die grundsätzliche Erkenntnis, daß dies eine gemeinschaftliche Aufgabe für alle Menschen bedeutet und eine aufgezwungene Technologie keine Lösung dafür ist.

SB: 2010 fand eine ganz andere Art von Klimakonfernz in Chochabamba, Bolivien statt. Was ist eigentlich aus der Initiative geworden, mit der das Treffen endete?

ED: Die Chochabamba Deklaration 2009 war von der bolivianischen Regierung ausgegangen, die damit gemeinsam mit weltweiten zivilgesellschaftlichen Organisationen und anderen sozialen Bewegungen auf die gescheiterten internationalen Klimaverhandlungen in Kopenhagen reagierten. Die sozialen Bewegungen hatten sich darin verpflichtet, ein umfassendes Lösungspaket anzubieten und damit die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu ziehen, um für Unterstützung der darin vorgeschlagenen Lösungskonzepte zu werben, die ausschließlich auf den persönlichen Einsatz von Menschen beruhen. Natürlich gehörte zu den Forderungen der Chochabamba Erklärung auch, auf schnelle technologische Lösungen zu verzichten, einschließlich der des Geoengineering. Denn die hochriskanten und unausgereiften Technologien schaffen nur größere und ernsthaftere Probleme, ohne Garantie, die Probleme, die damit gelöst werden sollen, tatsächlich auch zu beseitigen. Darüber hinaus wurden umfassende und demokratischere Regelungen gefordert, die alle Bürger und insbesondere die kleinbäuerlichen Produzenten mit berücksichtigen.

SB: Können Sie sagen, ob sich durch diese Initiative der offizielle UNFCCC-Klimaprozeß verändert hat, und ob sich dieser Einfluß fortsetzen läßt?

ED: Das ist eine sehr heikle Angelegenheit. Wir hatten alle gehofft, daß die Staaten das UNFCCC, also das Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, umsetzen und damit auf gleichen Kurs mit den weltweiten sozialen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen gehen würden, die sich gemeinhin an den Grundsätzen der Vereinten Nationen und insbesondere an der UN-Rahmenklimakonvention orientieren. Dafür gab es zunächst begründete Hoffnung in einigen Staaten. Dennoch gab es auch gegenläufige Entwicklungen. So wurde die Cochabamba Deklaration von der bolivianischen Regierung anfangs geradezu vorbildlich umgesetzt, um - unterstützt durch ALBA (die Bolivianische Allianz), Venezuela und viele Staaten der Dritten Welt, die Gruppe der 77 inklusive China -, der Zivilgesellschaft den Weg zu ebnen, einen proaktiven Beitrag zu den Diskussionen über die UNFCCC zu leisten und ihren Einfluß gelten zu machen. Aber seit Bolivien international marginalisiert wird, scheint dieser Prozeß ins Stocken geraten zu sein. Inzwischen gibt es neue Möglichkeiten, wie den Talanoa-Dialog, der im letzten Jahr von Fidschi während seiner Präsidentschaft in der UNFCCC eröffnet wurde. Auch damit sollen zivilgesellschaftliche Stimmen in der offiziellen Diskussion zu Wort kommen. Doch was wurde denn von den Ergebnissen des Talanoa-Dialogs bisher an Entscheidungen von den Parteien in der UNFCCC umgesetzt? Es hängt schließlich nicht nur davon ab, wie sehr es der Zivilgesellschaft gelingt, mit ihren Forderungen den Druck auf die Entscheidungsträger zu erhöhen, sondern letztlich in wieweit Regierungen überhaupt bereit sind zuzuhören.

SB: Sowohl in der Cochabamba Deklaration als auch in den Talanoa- Dialogen fand die Bedeutung der "Mutter Erde" weltweit große Akzeptanz. Was versteht das Konzept Mutter Erde unter einem freien Marktmechanismus?

ED (lachend): Ich würde Sie jetzt normalerweise bitten, die Frage zu wiederholen, weil sie komplett widersinnig ist. Die beiden Konzepte sind derart gegensätzlich, daß es keine Berührung zwischen ihnen gibt. Patchamama oder Mutter Erde steht schon vom Begriff her für die Konzentration auf das Wesentliche. Das ist selbstverständlich der achtsame, bewahrende Umgang mit der Natur, die Schöpferin allen Lebens. Bolivien, das die Rechte der Mutter Erde zur Sicherung des Allgemeinwohls in seine Verfassung aufgenommen hat, war in dieser Hinsicht auch in der UN-Generalversammlung erfolgreich. Doch wie relevant ist die politische Verankerung dieses Rechts in Debatten um den freien Marktmechanismus? Es scheint geradezu schizophren, daß sich dieselbe Regierung, die sich national und international für Mutter Erde einsetzt, gleichzeitig an Freihandelsabkommen beteiligen und mit dem freien Marktmechanismus operieren will. Tatsächlich hat Bolivien derzeit das stärkste Wirtschaftswachstum in Südamerika und die bolivianische Regierung scheint besonders intensiv darüber nachzudenken, wie sie den Markt durchdringen und Bereiche der Wirtschaft nationalisieren kann, die bislang von gigantischen transnationalen Konzernen dominiert werden, die reicher sind als viele Länder mit mittlerem Einkommen. Das alles steht in einem krassen Gegensatz zu "Mother Earth", denn ganz gleich mit welcher Rhetorik darum geworben wird, daß man Wirtschaftsmodelle einführen würde, in denen auch Großunternehmen mit natürlichen Ressourcen nachhaltig umgehen und die Umwelt respektieren müßten, der Beweis dafür steht noch aus.

Nachweise für das Gegenteil gibt es reichlich. Denken Sie nur an das Plastikproblem. Chemieunternehmen wie BASF oder BAYER dominieren seit Jahren den Markt für verschiedene Kunststofferzeugnisse, mit denen sie enorme Profite erzielen, während gleichzeitig die damit verbundene Belastung von Mutter Erde nicht mehr zu ignorieren ist. Beinahe jede Woche wird eine neue Studie veröffentlicht, in der die Aufnahme von Kunststoffen oder Mikroplastikteilchen in den menschlichen Körper nach oben korrigiert wird, denn die Auswirkungen des Plastikkonsums betrifft das ganze globale Ökosystem, einschließlich der Menschen. Noch weiß man nicht, welche gesundheitlichen Auswirkungen das in Zukunft für uns haben wird. Die Verursacherpflicht solcher Unternehmen läßt sich also nicht von der Diskussion über die Verantwortung gegenüber Mutter Erde ausklammern.

Und was ist mit der Verantwortung, die der freie Markt mit seinen Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem gegenüber Mutter Erde und ihren Kindern trägt? Wir können die Rechte von Mutter Erde und die von Konzernen nicht in einem Atemzug nennen, wenn wir über freie Marktmechanismen sprechen. Wir müssen aber darüber nachdenken, wohin sie diese Welt führen werden.

Selbst das Kunststoffproblem ist größer als daß man es mit Verbrauchsregulierungen von Einwegverpackungen lösen könnte. Es wächst immer weiter an. In der Natur ist schon fast jedes Körperteil von Mutter Erde mit Plastikmüll kontaminiert. Wie sollten wir den freien Markt managen, der letztlich durch seine Mechanismen, durch die Ignoranz von entsprechenden Studien und ohne einschränkende Vorschriften, die beteiligten Unternehmen überhaupt erst dazu befähigt hat, die Umwelt in dieser Weise zu schädigen? Da gibt offensichtlich noch vieles, das gemeinsam zu Ende gedacht und diskutiert werden muß.

SB: Vielen Dank, Neth, für Ihren engagierten Beitrag.


Die Bioethanolanlage der Südzucker Bioethanol GmbH in Zeitz (Sachsen-Anhalt) ist die größte Europas. - Foto: by High Contrast CC BY 3.0 de [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/deed.en], via Wikimedia Commons

Zuckerfresser
Mit Bioenergieanlagen werden mehr Probleme geschaffen als gelöst.
Foto: by High Contrast CC BY 3.0 de [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/deed.en], via Wikimedia Commons


Anmerkungen:


[1] Mehr zu dem Thema finden Sie hier:
https://www.greenpeace.de/themen/waelder/die-mischung-machts
und demnächst an dieser Stelle im Schattenblick.

[2] http://www.etcgroup.org/content/who-will-feed-us-industrial-food-chain-vs-peasant-food-web


Bisher sind zur Konferenz "Jedes Zehntelgrad zählt" am 23. Oktober 2018 in Berlin im Schattenblick im Schattenblick unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/146: Klimawandel - Schaden genug ... (SB)
BERICHT/147: Klimawandel - Zertifikationshandel befördert Emissionen ... (SB)
BERICHT/148: Klimawandel - klagen und wagen ... (SB)

INTERVIEW/285: Klimawandel - entfesselte Gefährlichkeit ...    Dr. Werner Würtele im Gespräch (SB)
INTERVIEW/286: Klimawandel - Überlebensnot und Nahrungsmangel ...     Sabine Minninger im Gespräch (SB)


14. November 2018


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