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INTERVIEW/297: Klimaschutz in der Schiffahrt - freier Flug und freie Schrauben ...    Daniel Rieger im Gespräch (SB)




Interviewpartner vor NABU-Stehplakat - Foto: © 2019 by Schattenblick

Daniel Rieger, NABU-Leiter Verkehrspolitik
Foto: © 2019 by Schattenblick

Als einer der führenden Wirtschaftsstandorte der Welt zählt die Bundesrepublik Deutschland zu jenen Staaten, die eine besondere historische Verantwortung für den Klimawandel haben. Weil hierzulande fossile Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas seit rund zwei Jahrhunderten den industriellen Fortschritt befeuern, sind die Lebens- und Überlebensvoraussetzungen zahlreicher Menschen vor allem in Ländern des Globalen Südens gefährdet. Zugespitzt formuliert könnte man es als eine Form der Freiheitsberaubung bezeichnen, daß sie in ihrer Lebensführung durch das Konsumverhalten in den Wohlstandsregionen eingeschränkt werden. Ausgerechnet Flugverkehr und Schiffahrt, vertreten durch die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO - International Civil Aviation Organization) und die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO - International Maritime Organization), die beide hohe Wachstumsraten verzeichnen und einen zunehmenden Anteil an den klimarelevanten Treibhausgasemissionen haben, unterliegen nicht den Bestimmungen des 2015 beschlossenen Klimaschutzübereinkommens von Paris. Die Freiheit der Lüfte und die Freiheit der Meere haben offenbar noch lange Zeit einen Preis, den andere entrichten.

Unter dem Titel "Klimaschutz in der Schifffahrt - Ein Sektor ab vom Kurs?" lud die Naturschutzorganisation NABU Hamburg am 4. September 2019 zu einem Maritimen Fachgespräch ein, an dem Wirtschaft, Wissenschaft, Behörden und Zivilgesellschaft vertreten waren, um über Maßnahmen zum Klimaschutz zu informieren und sich miteinander auszutauschen. Im Vorfeld des Treffens stellte sich Daniel Rieger, Leiter der Verkehrspolitik des NABU, dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Warum befaßt sich eine Naturschutzorganisation wie NABU mit Schiffahrt?

Daniel Rieger (DR): Unser eigentlicher Antrieb ist die Verkehrswende. Vor dem Hintergrund der Klimakrise und daß Verkehr mittlerweile einen eklatanten Beitrag an den Treibhausgasemissionen hat, ist in den vergangenen Jahren festzustellen, daß er als einziger Sektor diese nicht reduzieren konnte. Das betrifft den Straßenverkehr mit Pkw, genauso den Straßengüterverkehr über Lkw, den Luftverkehr, aber eben auch die Schiffahrt.

SB: Welchen Anteil hat die Schiffahrt an den menschengemachten CO₂-Emissionen?

DR: Dazu gibt es unterschiedliche Zahlen, häufig ist von drei Prozent die Rede. Jüngste Zahlen sprechen eher von sechs Prozent. Der Anteil wird aus zwei Gründen wachsen: In dem Moment, wo wir an Land verschiedene Sektoren zunehmend dekarbonisieren, wächst in Relation dazu, was die Schiffahrt an globalen Emissionen produziert. Außerdem nimmt der Schiffsverkehr insgesamt zu. Bis zum Jahr 2050 wird ein Wachstum von bis zu 250 Prozent angenommen. Beide Trends sind eigentlich überhaupt nicht mit dem Pariser Klimaschutzabkommen zusammenzubringen.

SB: Wie bewerten Sie dieses Übereinkommen hinsichtlich der beiden Ausnahmen Flugverkehr und Schiffahrt? Halten Sie das für einen Fehler?

DR: Ja! Das ist ein fataler Fehler. Ich will gar nicht von Irrtum sprechen, denn das ist ja nicht aus Versehen passiert. Sondern das war eine bewußte Lobbystrategie genau dieser beiden Branchen, den Luftverkehr und die Schiffahrt nicht mit aufzunehmen. Beziehungsweise umgekehrt, man hat es ihnen freigestellt, ob und in welchem Maße sie sich an den globalen Klimaschutzanstrengungen beteiligen wollen. So etwas darf man einfach nicht zulassen! Das sind Branchen, die rein wirtschaftsgetrieben sind. Es interessiert am Ende die Wertschöpfung - Klimaschutz ist da eher lästiges Beiwerk. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten nicht gesehen, daß sich diese Branchen in irgendeiner Form auf Umweltschutz im weiteren Sinne einlassen wollten. Man mußte sie wirklich dazu zwingen und dann ist das Signal von Paris sicherlich fatal, nach dem Motto: Macht mal, wir haben ja Zeit.

Wir haben keine Zeit! Wir wollen bis 2050 die vollständige Dekarbonisierung des Verkehrssektors erreichen. Wir müssen auf null Emissionen kommen, und wenn jetzt die Schiffahrt über die IMO davon spricht, daß sie ihre Emissionen bis zum Jahr 2050 um 50 Prozent reduzieren will, dann frage ich mich, was ist mit den anderen 50 Prozent?

SB: Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Selbstverpflichtungen der Industrie gemacht? Hat das jemals funktioniert?

DR: Nein, das funktioniert nicht. Prominentestes Beispiel ist hier die Automobilindustrie. Ursprünglich hat man beschlossen, daß die Fahrzeuge effizienter werden müssen und nicht mehr so viel Sprit verbrauchen dürfen. Das sollte reguliert werden, und im Jahr 2008 hat die Autoindustrie erklärt: Das sehen wir genauso, wir machen das; wir werden uns freiwillig Selbstverpflichtungen auferlegen. De facto hatte das jedoch nur eine minimale Ersparnis eingebracht. Mittlerweile hat der Gesetzgeber CO₂-Grenzwerte vorgegeben und festgelegt, wie stark die Kraftstoffverbräuche bis 2030 runtergehen müssen. Und siehe da, plötzlich hat sich die Effizienz im Durchschnitt verdreifacht. Daran sieht man, daß man den Klimaschutz nicht der Industrie oder einer bestimmten Branche selbst überlassen darf. Da muß der Gesetzgeber knallharte Vorgaben machen.

SB: Wir werden heute verschiedene Referate zu technischen Ansätzen und Lösungen hören. Halten Sie die Klimakrise auf diese Weise für bewältigbar?

DR: Ich glaube, wir müssen zwei Dinge unterscheiden. Ich halte nichts von dem Ansatz, der auch von Teilen der Bundesregierung, insbesondere dem Verkehrsminister, proklamiert wird, im Sinne von: Wir können alles so weitermachen wie bisher, und die Technologie wird es schon richten. Das wird sie nicht! Wir müssen auch die Debatte führen, wie wir wirtschaften wollen. Welche Konsummuster und Lebensstile werden an den Tag gelegt? Was ist innerhalb der planetaren Grenzen vertretbar? Wir werden also auch massiv etwas umstellen müssen, das heißt schlicht und ergreifend, den Verkehr reduzieren. Es ist eine Grundvoraussetzung, daß wir den Energiebedarf des Verkehrssektors so klein wie möglich halten.

Das zweite betrifft die rein technische Seite. Gerade im Bereich der Schiffahrt ist noch erhebliche Musik hinsichtlich der Effizienzsteigerung drin. Innerhalb des vorhandenen Bestands kann man heute durch neue Propeller, durch den Anstrich, durch Änderungen im Rumpfdesign und so weiter locker 40 Prozent Emissionen sparen. Das macht heute keiner, weil das Schweröl so günstig ist, daß sich solche Maßnahmen nicht rentieren. Ein Ansatz wäre also, alles das zu machen, was unmittelbar möglich ist.

Des weiteren müssen wir darüber reden, welche Technologien am Ende des Tages einen Null-Emissions-Schiffsverkehr ermöglichen. Ich will nicht behaupten, daß wir schon genau wissen, welche Technologie das sein wird, aber eines ist klar, wir müssen von den fossilen Kraftstoffen wegkommen und auf Erneuerbare umsteigen. Unser Favorit ist im Moment Wasserstoff mit Brennstoffzellen. Wir halten uns immer an das Effizienzprinzip. Eine direkte Stromnutzung wäre natürlich am effizientesten, doch batterieelektrische Antriebe auf so langen Strecken wie Hamburg-Asien wären schlicht und ergreifend irrsinnig. Das geht in diesem Fall nicht. Deshalb müssen wir die elektrische Energie in flüssige und gasförmige Kraftstoffe umwandeln. Der erste Schritt ist, in der Elektrolyse aus erneuerbarem Strom erneuerbaren Wasserstoff zu erzeugen. Da verlieren wir relativ wenig von der eingesetzten Gesamtenergiemenge. Deshalb wäre das aus unserer Sicht eine sehr interessante Technologie.

SB: Gibt es noch weitere Vorteile?

DR: Ja, gleichzeitig entweichen bei der Wasserstofftechnologie keine problematischen Emissionen. Anders als beispielsweise beim Flüssiggas, dem LNG, über das zur Zeit in der Schiffahrt heiß diskutiert wird. Dabei entweicht Methan, das eine deutlich stärkere Klimawirksamkeit hat als CO₂. Schon kleinste Mengen an Methanemissionen können einem die Klimabilanz verhageln. Das wäre ein weiterer Vorteil des Wasserstoffs.

Gleichzeitig sehen wir, daß diese Technologien ad hoc nicht verfügbar sind. Deshalb unterscheiden wir zwischen dem, was wir im Bestand machen können, und dem, was bei Neubauten getan werden sollte. Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe für mich.

Bestandteil unserer Arbeit ist eben auch, daß wir auf das massive Problem hinweisen und versuchen, den Druck auf die Branche zu erhöhen, damit solche Technologien überhaupt einmal nachgefragt werden. Bisher hat sich die Schiffahrt einfach weggeduckt und aus der Verantwortung gezogen. Inzwischen ändert sich das allmählich, insbesondere im Bereich der Kreuzschiffahrt. Da fragen die Reeder bei den Werften an, welche Technologien sie ihnen bieten können, um die Emissionen zu reduzieren. Das löst dann an dieser einen Stelle einen Innovationsschub aus. Doch generell sind wir in der Schiffahrt Jahrzehnte hinter dem zurück, was wir beispielsweise im Bereich Straßenverkehr erleben.

SB: Wasserstoff soll nicht nur im Schiffs-, sondern auch Straßenverkehr eingesetzt werden. Angesichts dessen, daß für die Wasserstofftechnologie kein Salzwasser verwendet werden kann und schon heute in vielen Weltregionen Wasserknappheit besteht, stellt sich da nicht die Frage, ob es überhaupt genügend Wasser gibt? Wurden dazu schon Berechnungen angestellt?

DR: Solche Berechnungen kenne ich nicht, aber von der Idee her steht für uns klar die Effizienzsteigerung im Zentrum. Der Energiebedarf muß so weit heruntergeschraubt werden, wie es nur irgendwie geht. Das ist das eine. Darüber hinaus benötigen wir erneuerbaren Strom in großen Mengen. Der könnte in den Regionen mit besonders vielen Sonnenstunden produziert werden, für die europäische Perspektive beispielsweise in Nordafrika. Das Wasser, das man dafür braucht, würde man über Entsalzungsanlagen gewinnen. Da fällt dann jede Menge Salz an. Das macht etwas mit Landstrichen, mit Fläche, letztlich auch mit den Ökosystemen. Auch das muß bedacht werden.

Es wird ja häufig suggeriert, man könne einfach Wasserstoff aus Überschußstrom erzeugen. Da frage ich mich, wo ist denn dieser Strom? Mir ist auch klar, daß es manchmal zu Spitzenwerten kommt, aber diese Anlagen sind sowieso schon wahnsinnig teuer. Die brauchen eine erhebliche Anzahl von Vollaststunden, um wirtschaftlich betrieben werden zu können. Wir reden hier im Moment bei Wasserstoff über Kosten, die etwa beim Vier- bis Fünffachen über denen für fossile Energieträger liegen. Kein Unternehmen würde freiwillig umsatteln, wenn das nicht vom Gesetzgeber verpflichtend gemacht würde. Wer aus reinem Altruismus auf saubere Energien umsteigt, wäre ruckzuck vom Markt verschwunden. Das würde nicht funktionieren.

SB: Herr Rieger, vielen Dank für das Gespräch.

Bisher zur Veranstaltung "Klimaschutz in der Schifffahrt - Ein Sektor ab vom Kurs?" der Naturschutzorganisation NABU Hamburg am 4. September 2019 im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/154: Klimaschutz in der Schiffahrt - Maßnahmen unreflektiert ... (SB)
INTERVIEW/297: Klimaschutz in der Schiffahrt - freier Flug und freie Schrauben ...    Daniel Rieger im Gespräch (SB)
INTERVIEW/298: Klimaschutz in der Schiffahrt - Schranken statt Planken ...    Sönke Diesener im Gespräch (SB)


10. September 2019


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