Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → SOZIALES

LANDRAUB/004: Gefährliche Milchmädchenrechnung - Steuerfreiheit für Landgrabber (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Januar 2012

Entwicklung: Gefährliche Milchmädchenrechnung - Steuerfreiheit für Landgrabber

von Kanya D'Almeida

Bäuerinnen aus dem Township Philippi in Kapstadt - Bild: © Kristin Palitza/IPS

Bäuerinnen aus dem Township Philippi in Kapstadt
Bild: © Kristin Palitza/IPS

Washington, 5. Januar (IPS) - Afrikas Wälder speichern jährlich mehr als 1,2 Milliarden Tonnen CO2. Da jedoch monokulturelle Investitionsprojekte diese und andere artenreiche Ökosysteme in ihrer Existenz bedrohen, dürfte bald nicht mehr viel übrig sein, um Hunger- und Klimakatastrophen abzuwehren.

"Ob sie nun der Biotreibstoffproduktion oder Exportwirtschaft dienen, Monokulturen bringen die Ökosysteme an ihre Grenzen", meint dazu der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter. "Sie dürsten nach Wasser, versagen bei der Regenerierung der Böden und verlangen den Einsatz von Unmengen an Pestiziden, da die natürlichen Schutzmaßnahmen (dank der Pflanzenvielfalt) wegfallen."

Dass sie die Nahrungsmittelproduktion bis 2050 um 70 Prozent ankurbeln können, hält De Schutter für nahezu ausgeschlossen. Die durch Düngemittel und Pestizide erzielte Erntesteigerung beeinträchtige zusammen mit der Zerstörung der Regenwälder und anderer verbliebener CO2-Senken an sich schon die Nahrungsmittelproduktion, und zwar noch bevor die Ökosysteme ihre Selbsterhaltungsfähigkeiten endgültig eingebüßt hätten.


"Wettlauf gegen die Zeit"

Die Nichtnachhaltigkeit im Umgang mit der Natur sei "ein Wettlauf gegen die Zeit, den wir irgendwann verlieren werden und der dazu führt, dass sich der Klimawandel und dessen Fähigkeit, Ernten zu zerstören, nur noch beschleunigen", so De Schutter gegenüber IPS.

In einem Bericht für den UN-Menschenrechtsrat hatte der UN-Sonderberichterstatter 2010 die Notwendigkeit betont, endlich auf eine ökologisch vertretbare Landwirtschaft umzusteigen. Erforderlich seien traditionelle Praktiken, die die Produktivität der Böden gewährleisten, hieß es in der Studie. Auch wurde eine natürliche Schädlingsbekämpfung unter Einbeziehung bestimmter Bäume, Pflanzen und Insekten empfohlen.

"Durch die agroökologischen Projekte ist es gelungen, die durchschnittlichen Agrarerträge in 57 Entwicklungsländern um 80 Prozent zu steigern. In allen afrikanischen Projekten konnten sie sogar um 116 Prozent zulegen", sagt der UN-Sonderberichterstatter. Projekte, die man kürzlich in 20 afrikanischen Staaten durchgeführt habe, hätten in einem Zeitraum von drei bis zehn Jahren eine Verdopplung der Ernten verzeichnet.

"Dass wir uns Hals über Kopf in eine zweite 'grüne Revolution' stürzen, die auf industrielle Lösungen im großen Stil setzt, ist vor allem deshalb eine Tragödie, weil sich alternative Lösungen quasi in Reichweite befinden", stellt De Schutter fest.

Die nachhaltige Landwirtschaft braucht wenig Kapital. Doch der Landklau in Afrika, der nicht zuletzt durch das Streben nach klimafreundlichen Energieträgern angetrieben wird, bringt viele arme Länder auf dem schwarzen Kontinent um das Land, das sie selbst so dringend benötigen. Aufgrund der Steuerbefreiungen, die Regierungen multinationalen Investoren anbieten, sind sie gleich doppelt angeschmiert. So fehlen ihnen die Gelder für lokale Entwicklungsmaßnahmen.

Das US-amerikanische 'Oakland Institute' fand heraus, dass die Regierung in Mosambik eine in Südafrika angesiedelte Firma namens 'EmVest Asset Management', die derzeit ein 2.000 Hektar großes Grundstück für den Anbau von Nahrungsmitteln und für Viehzucht unter den Pflug nimmt, für den Zeitraum 2010 bis 2015 von der Zahlung der Einkommenssteuer befreit hat. Die mosambikanischen Steuerzahler werden dadurch um eine Million Dollar geprellt.

In einem ähnlichen Fall handelte die Firma' AgriSol Energy' mit der Regierung von Tansania Steuererleichterungen für ein 325.000 Hektar großes Gebiet aus, das dem Agrokonzern Schätzungen zufolge Nettoeinnahmen in Höhe von jährlich 275 Millionen Dollar bescheren wird. Der Betrag übersteigt den jährlichen Haushalt des tansanischen Landwirtschaftsministeriums.

Die ostafrikanische Nichtregierungsorganisation 'Uwazi' moniert in einem Bericht, dass in Tansania 2009/10 Steuern in Höhe von 425 Millionen Dollar erlassen wurden. Dieser Betrag hätte die Mittel für den Bildungsbereich um 40 Prozent und für den Gesundheitssektor um 72 Prozent aufgestockt.


Neue Kolonisierung

"Der Blick in die Vergangenheit zeigt uns, dass es bei der Kolonialisierung vorrangig darum ging, alle Ressourcen aus den Kolonien zu holen, die die Kolonisatoren brauchten", erläutert Henry Saragih, Generalkoordinator der 200 Millionen Mitglieder zählenden internationalen Bauernbewegung 'La Via Campesina'. Zunächst habe man Land und Nahrungsmittel gestohlen. Erst später seien Öl, Gas und Mineralien hinzugekommen. Inzwischen kämpften Bauern und Indigene in Afrika und anderswo darum, dass man ihnen ihr geraubtes Land zurückgebe.

Betrachtet man den Preis, der ausländischen Unternehmen oder Staaten für Land in Afrika abverlangt werde, fühlt man sich schnell an die Kolonialzeit erinnert. Während die USA für einen Hektar Land pro Jahr eine Pacht von 16.000 Dollar verlangen, hat Äthiopien dem 'Saudi Star', einem Unternehmen des saudisch-äthiopischen Milliardärs Mohammed Al-Amoud, gleich 10.000 Hektar für 60 Jahre zum Nulltarif überlassen. Mali hat für einen ebenso langen Zeitraum gleich 100.000 Hektar Land verschleudert.

"Unsere Untersuchungen ergaben, dass Akteure wie die Weltbank-Gruppe (WBG) und die US-Entwicklungsagentur USAID Regierungen nicht nur zur Privatisierung von Land, sondern auch zu Änderungen lokal geltender Landbesitzrechte drängen" sagt Frederic Mousseau vom Oakland Institute. In zahlreichen afrikanischen Staaten arbeite die WBG mit den Zentralregierungen an einer Abschaffung der wenigen schwachen Gesetze, die die Landrechte von Bauern schützen.

2007 hatte die WBG-Vertreterin in Mosambik, Susan Hume, die dortige Regierung aufgefordert, die geltenden Landbesitzrechte zu überdenken, eine Erstattung der Umsatzsteuer für private Unternehmen zu beschleunigen und neue Lizenzen für Land auszugeben. Die Weltbank wäre erfreut, der Regierung in diesem Prozess zu Seite zu stehen, sagte sie.


Ökosozialismus

Auf der Weltklimakonferenz im letzten Jahr im südafrikanischen Durban hatten sich Gegner dieser Entwicklungen mit den Graswurzelnetzwerken zur Ökosozialismus-Bewegung zusammengeschlossen. Sie soll einen wirtschaftlichen Wandel herbeiführen, der die Rechte der Erde künftig in den Mittelpunkt rückt. Die Einfriedung von Gemeindeland, so Joel Kovel, Mitbegründer der US-Organisation 'Ecosocialist Horizons', sei der Anfang des Kapitalismus gewesen. Die Gründung der Occupy-Bewegung in den USA sei auch als ein Versuch zu betrachten, eine Rückgabe der Gemeingüter zu erreichen und die neuerliche Kontrolle über die Produktionsmittel zu gewinnen. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.srfood.org/index.php/en/component/content/article/1174-report-agroecology-and-the-right-to-food
http://www.agrisolenergy.com/us/
http://www.oaklandinstitute.org/sites/oaklandinstitute.org/files/OI_country_report_mozambique_0.pdf
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106133

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. Januar 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2012