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LANDRAUB/030: Kenia - Ware Land, Dorfbewohner wehren sich gegen Erschließungsversuche (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Mai 2015

Kenia: Ware Land - Dorfbewohner wehren sich gegen Erschließungsversuche

von Miriam Gathigah


Bild: © Miriam Gathigah/IPS

Ein Bauer auf seiner Aloe-Pflanzung in Zentralkenia
Bild: © Miriam Gathigah/IPS

NGANGARITHI, KENIA (IPS) - In Ngangarithi, einem Dorf in Zentralkenia, leben die Menschen von der Landwirtschaft. Die Böden geben so viel her, dass die Bauern einen Teil ihrer Erträge auf den Märkten der 150 Kilometer südlich gelegenen Hauptstadt Nairobi verkaufen können.

Spinat, Möhren, Grünkohl, Tomaten, Mais, Hülsenfrüchte und Wurzelknollen gibt es hier in Hülle und Fülle. Die 25.000 Einwohner zählende Ortschaft ist reich an sauberen Flüssen. Sie gehört zum Landkreis Nyeri in den Central Highlands, eingebettet zwischen den östlichen Ausläufern der Abadare-Gebirgskette und dem westlichen Teil des Kenia-Berges.

Anfang des 20. Jahrhunderts war die Region Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen der imperialen britischen Armee und den Kikuyu-Kriegern. Die Kolonialzeit ist zwar vorbei, nicht aber der Hunger auf Land. So versuchen derzeit Immobilienhaie sich ein möglichst großes Stück vom lukrativen Kuchen abzuschneiden.

Ramadhan Njoroge, ein Bewohner von Ngangarithi, schildert IPS die Sorge der Dorfbevölkerung, eines Tages ihr Traditionsland zu verlieren. Wie er berichtet, sind Kleinbauern auf Grenzsteine gestoßen, die in Abständen rund um das kommunale Farmland aufgepflanzt wurden, Land, das sie niemals vorhatten, zu verkaufen. Sie seien so tief in den Boden gerammt worden, dass die stärksten Männer des Dorfes große Probleme gehabt hätten, sie wieder zu entfernen. Später sei durchgesickert, dass ein mächtiger Immobilienunternehmer aus dem Landkreis Nyeri County hinter den Markierungsversuchen stecke.

Die Rigorosität, die der Unternehmer an den Tag legte, diente offenbar dazu, Tatsachen zu schaffen. Doch die betroffenen Bauern sind nicht bereit, ihr Traditionsland aufzugeben. Wie sie versichern, werden sie sich dem Landklau widersetzen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Leute hierherkommen und uns von unserem Land vertreiben", meint Paul Njogu, ein weiterer Dorfbewohner. "Wir werden anderen Mut machen und ihnen zeigen, wie sie sich gegen die Mächtigen zur Wehr setzen können."


"Wir werden unsere Böden verteidigen"

Njogu hat seine Parzelle vor 20 Jahren von seiner Großmutter geerbt. "Das hier ist meine Heimat, die meiner Familie eine Existenz sichert. Wir, die wir für Ernährungssicherheit und Beschäftigungsmöglichkeiten sorgen, werden unsere Böden verteidigen."

Den kenianischen Immobilienmarkt, der in den vergangenen sieben Jahren einen unerhörten Aufschwung erlebt hat, lassen solche Argumente kalt. Die Gewinner dieses äußerst lukrativen Geschäfts sind deshalb bestrebt, sich mit allen verfügbaren Mitteln möglichst viel Land unter den Nagel zu reißen. Die Verlierer sind Kleinbauern wie Njoroge und Njogu, die in dem 44 Millionen Einwohner zählenden Land die Bevölkerungsmehrheit stellen. Nach Angaben des Agrarministeriums hängen fünf Millionen der rund acht Millionen kenianischen Haushalte direkt von der Landwirtschaft ab.


Bild: © Miriam Gathigah/IPS

Eine Bäuerin aus der Ortschaft Ngangarithi, die ihr Feld mit dem Wasser aus dem umliegenden Feuchtgebiet bewässert
Bild: © Miriam Gathigah/IPS

Im vergangenen September ist Kenia in die Riege der Länder mittlerer Einkommen aufgerückt. Wie die Weltbank im letzten Jahr in einer Pressemitteilung erklärte, hat es Kenia nach Nigeria, Südafrika, Angola und dem Sudan zur fünftgrößten Volkswirtschaft der Subsahara-Staaten gebracht. "Das Wirtschaftswachstum 2013 konnte von 4,7 Prozent auf 5,7 Prozent nach oben korrigiert werden, das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat sich buchstäblich über Nacht von 994 auf 1.256 US-Dollar erhöht."

Bei der Überprüfung durch das kenianische Statistikamt kam heraus, dass der Immobiliensektor einen bemerkenswert hohen Anteil an dem Nationaleinkommen des Landes hatte. So rangierte er an dritter Stelle gleich hinter dem Agrarsektor (25,4 Prozent) und dem herstellenden Gewerbe (11,3 Prozent).

David Owiro vom Institut für wirtschaftliche Angelegenheiten (IEA), einer lokalen Denkfabrik, spricht von einem exponentiellen Wachstum des Land- und Eigentumsmarktes. Und aus einem im Januar veröffentlichten Bericht der Investitionsberatungsfirma 'HassConsult and Stanlib Investments' geht hervor, dass der Run auf die Böden in dem ostafrikanischen Staat darauf zurückzuführen sei. Seit 2007 wirft Land mit bis zu 98 Prozent die höchsten Erträge von allen Vermögenswerten ab. Danach haben sich die Preise für Grund und Boden gegenüber denen für Vieh verdoppelt. Im gleichen Zeitraum sind die Öl- und Goldpreise gesunken.


Exorbitanter Anstieg der Immobilienpreise

Die Preise annoncierter Grundstücke sind um 535 Prozent gestiegen: von durchschnittlich 825.000 pro Hektar im Jahr 2007 auf 4,5 Millionen Dollar pro Hektar. Kein Wunder also, dass die Böden des 582.650 Quadratkilometer großen Staatsgebiets als neue Goldgruben gehandelt werden.

Owiro vom IEA zufolge sind die Immobilienpreise vor allem aufgrund der wachsenden Nachfrage nach Land für die kommerzielle Nutzung und den Bau von Hochhäusern in der Hauptstadt und der näheren Umgebung gestiegen. Nach offiziellen Angaben leben in Nairobi zwei Millionen Menschen. Doch jeden Tag strömen eine Million Menschen aus den umliegenden Gebieten zum Arbeiten in die Stadt. Diese Pendler hätten die Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum erhöht, bestätigt Njogu.

Während Landrausch und Immobilienboom in Kenia ins Bild der wirtschaftlichen Erfolgsstory passen, stehen sie in direktem Widerspruch zu den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs), die den Ende des Jahres auslaufenden Millenniumszielen zur Armutsbekämpfung folgen werden.

Der Versuch, sich das Land der Bauern in Ngangarithi anzueignen, zeigt im Kleinen, was im Großen längst praktiziert wird: das Wohl einer Mehrheit von Menschen den Interessen einer kleinen Elite zu opfern.

Bauern, die seit Generationen ihr Land bewirtschaften, bauen nicht nur Nahrungsmittel für ihre Familien an, sondern ernähren die ganze Bevölkerung und sind zudem ein wichtiges Glied in der Nahrungsmittellieferkette. Diesen Menschen das Land zu nehmen, wird weitreichende negative Konsequenzen haben: Zentralkenia und Rift Valley gelten als die Brotkörbe des ostafrikanischen Landes.


Bild: © Miriam Gathigah/IPS

David Njeru, ein Bauer aus Zentralkenia, auf seinem Land
Bild: © Miriam Gathigah/IPS

In einem Land, in dem jedes Jahr nach Angaben der US-Entwicklungsbehörde USAID 1,5 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit bedroht sind, macht es wirtschaftlich keinen Sinn, Bauern von ihrem Land zu trennen.

Außerdem ist die Erschließung der Feuchtgebiete für Bebauungsprojekte mit dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung unvereinbar. Dem UN-Umweltprogramm (UNEP) zufolge sind Kenias Feuchtgebiete für Landwirtschaft und Tourismus gleichermaßen bedeutend. UNEP hat die Regierung aufgefordert, diese artenreichen Gebiete im Rahmen internationaler Naturschutzverpflichtungen zu schützen.

Wie Njogu erläutert, ist der Landrausch zudem eine Gefahr für die traditionellen Lebensweisen. Er erinnert sich noch gut daran, wie seine Großmutter mit gekrümmtem Rücken, sodass ihr Gesicht beinahe die Knie berührte, auf dem Feld gearbeitet hatte. "Sie hat sich für uns so abgemüht", sagt er. Als sie zu alt geworden sei, um zu arbeiten, habe sie das Land unter ihren Kindern und Enkeln aufgeteilt. "Was wäre aus uns geworden, wenn sie das Land an Außenstehende verkauft hätte? Wovon würden wir uns ernähren? Wir hätten nichts, was wir als unser Zuhause bezeichnen könnten."

Die Folgen des Immobilienbooms sind bereits in einem Nachbardorf, das nur durch eine Straße von Ngangarithi getrennt ist, sichtbar. "Auf unserer Seite ist noch alles grün. Hier wächst von Spinat über Grünkohl bis zu Karotten einfach alles", sagt Njogu. "Doch das Land auf der anderen Seite ist inzwischen zur Stadt geworden."


Den Kindern eine Zukunft geben

Dieses Schicksal wollen sich die Menschen in Ngangarithi ersparen. Doch der Druck ist groß. So berichten sie von Versuchen, ihnen einen Fluss zu nehmen, auf dessen Wasser sie angewiesen sind und an dem ihre Kinder spielen. "Ich kämpfe nicht für mich, sondern für meine Kinder", meint Njogu. "Ich bin 85 Jahre alt, ich habe mein Leben bereits hinter mir. Aber meine Urenkel brauchen einen Ort, an dem sie zu Hause sind."

Die Entschlossenheit der Dorfbewohner, der Erschließung ihres Dorfes die Stirn zu bieten, hat die Aufmerksamkeit von Experten auf sich gezogen, die der Regierung empfehlen, die Nachhaltigkeit der scheinbar so lukrativen Erschließungsprojekte zu hinterfragen. Für Wilfred Subbo, Dozent an der Universität von Nairobi, sind Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung zwei verschiedene Paar Schuhe. "Doch eine Gemeinschaft, die sich selbst versorgen kann und ihren Kindern eine Zukunft sichert, ist sehr wohl eine nachhaltige Entwicklung."

Wie Subbo weiter betont, ist eine Gesellschaft, die Widerstand leistet und eine Entwicklungsagenda vorgibt, längst in der Zukunft angekommen. "Land ist eine endliche Ressource", fügt er hinzu. "Wir dürfen nicht alles Hochhäusern opfern." (Ende/IPS/kb/12.05.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/05/farmers-fight-real-estate-developers-for-kenyas-most-prized-asset-land/

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IPS-Tagesdienst vom 12. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2015

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