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FORSCHUNG/412: Winzige Giganten im Kampf gegen chemisch verunreinigtes Wasser (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt

Winzige Giganten

von Michael Kraske



Professor Dr. Frank-Dieter Kopinke greift im Labor nach einem kleinen Gefäß und kippt eine Messerspitze schwarzen Pulvers auf den Finger seines Besuchers. Eine kohlenstaubfeine Substanz klebt nun wie Ruß an seiner Haut, unspektakulär und schmutzig. Für Kopinke aber steckt in der Substanz eine Art Zauberformel im Kampf gegen chemisch verunreinigtes Wasser: Carbo-Iron hat die Gruppe der Wissenschaftler um ihn den Stoff getauft, den sie hier im UFZ entwickelt haben und damit an der Spitze der Technologieentwicklung in diesem Bereich stehen.

Er wägt sorgsam die Worte, um den Stoff treffend zu beschreiben. Denn ein einziges Partikel dieser klassischen Anwendung der Nano-Technologie ist so klein, dass Größeneinheiten keine anschauliche Vorstellung vermitteln. "Kleiner als ein Bakterium", sagt Kopinke schließlich. Carbo-Iron wird aus Kohlenstoff und Eisen hergestellt, kostengünstigen und umweltverträglichen Ausgangsstoffen. Im Labor steht ein Drehrohrofen, in dem die Eisensalze zu metallischem Eisen reduziert werden. Die Wissenschaftler erzeugen Eisen-Nanopartikel auf Kohlenstoff-Mikropartikeln und verleihen dem Material so chemische Reaktivität. Heraus kommen Winzlinge mit einer riesigen inneren Oberfläche. "Es ist kaum vorstellbar", veranschaulicht Dr. Katrin Mackenzie, eine der beteiligten Wissenschaftlerinnen, die Dimensionen. "Aber könnte man die hauchdünnen Innenwände von zehn Gramm dieser Partikel auseinanderfalten, würden sie tatsächlich das Spielfeld eines Fußballplatzes bedecken." An dieser großen Oberfläche werden die Schadstoffe aus dem Wasser gesammelt. Das besorgt der Kohlenstoff. Das metallische Eisen in den Poren wiederum zerstört chlorierte Schadstoffe. Einsammeln und zerstören: Mit dieser Formel lässt sich die Innovation des UFZ beschreiben. Zudem ist Carbo-Iron aufgrund seiner geringen Dichte so leicht, dass die Teilchen in sandigen Grundwasserleitern gut transportiert werden. Diese Beweglichkeit erhöht seine Wirksamkeit.

Die gängigen Methoden zur Grundwasserreinigung hält Kopinke für mangelhaft. Das klassische "Pump and Treat", also das Abpumpen und anschließende Säubern von Wasser, ist oft unwirtschaftlich, weil es sehr lange Zeiträume, häufig Jahre oder gar Jahrzehnte, benötigt. Aber auch neuere Methoden, so genannte in situ-Verfahren, haben Nachteile, obwohl sie die Schadstoffe direkt in der Umwelt ohne den Umweg über chemische Reaktoren angreifen. Advanced Oxidation Processes (AOPs) beispielsweise zerstören die Schadstoffe durch Oxidation mittels starker Oxidationsmittel. "Damit bekommt man zwar fast jede Chemikalie kaputt, aber das ist die ganz große Keule", sagt Kopinke. Bei der in situ-Chemical Oxidation (ISCO), so Kopinke, könne man die Reaktionsbedingungen, anders als in einem chemischen Reaktor, nicht kontrollieren. So entstünden häufig unerwünschte Nebenprodukte. "Das Verfahren ist en vogue, hat aber einen fragwürdigen Charme", sagt Kopinke, "denn Behörden überprüfen nach einer Sanierung in der Regel, ob der zu beseitigende Schadstoff weg ist, nicht aber, ob neue hinzu gekommen sind."

Die Anforderungen an ein neues Verfahren waren somit klar: Es sollte treffsicher und wirtschaftlich sein, vor allem aber nicht Probleme dadurch lösen, dass es neue schafft. "Wir haben ein Verfahren entwickelt, das mehr dem Einstreuen von Krümeln gleicht als dem Abwurf einer Bombe", sagt Kopinke und betont damit die vielleicht entscheidende Eigenschaft von Carbo-Iron: Umweltverträglichkeit. Carbo-Iron kann im Grundwasserleiter verbleiben, nachdem es die chemischen Schadstoffe gesammelt und zerstört hat. Es ist völlig ungefährlich und stellt keinerlei Umweltrisiko dar. Denn die Bestandteile von Carbo-Iron kommen auch in der Natur vor, jedenfalls beinahe, weil die Aktivkohle in ihren Eigenschaften dem Ruß ähnelt, wie er etwa bei Waldbränden entsteht. Auch den kann die Natur verkraften.

Die Wissenschaftler um Frank-Dieter Kopinke haben ein effizientes Reagenz ohne schädliche Nebenwirkungen entwickelt. Durch die Eigenproduktion im Labor konnte kürzlich der erste Feldversuch mit Carbo-Iron in einem kontaminierten Grundwasserleiter durchgeführt werden. Dabei wird sich zeigen, ob Carbo-Iron-Partikel tatsächlich winzige Giganten der Wasserreinigung sein können. Jetzt ist die Industrie am Zug, die Innovation zum Stand der Technik zu machen.

UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Frank-Dieter Kopinke
Leiter Dept. Technische Umweltchemie

e-mail: frank-dieter.kopinke[at]ufz.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Einsammeln und zerstören - das ist die Aufgabe von Carbo-Iron, einer kohlenstaubfeinen Substanz, die am UFZ entwickelt wurde, um Grundwasser zu reinigen.

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Quelle:
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt, S. 24
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2013