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MASSNAHMEN/154: Plädoyer für eine Prämie zum naturnahen Hochwasserrückhalt (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 965 vom 05. Februar 2011 - 30. Jahrgang

Plädoyer für eine Prämie zum naturnahen Hochwasserrückhalt


Angesichts der Häufung von "Jahrhundertfluten" in den letzten Jahren sind sich alle einig: Aus Hochwasser muss wieder Breitwasser werden! Demzufolge heißt es auch im Koalitionsvertrag zur Bildung der schwarz-gelben Bundesregierung vom Sept. 2009: "Für den Natur- und Hochwasserschutz sollen natürliche Auen reaktiviert und Flusstäler, wo immer möglich, renaturiert werden." Alle Parteien im Bundestag, alle Flussgebietskommissionen und alle Ministerkonferenzen in den großen Stromgebieten beteuern, dass den Flüssen und Strömen wieder der notwendige Raum zurückgegeben werden muss. Tatsächlich sind Deichrückverlegungen in den letzten zwanzig Jahren nur in wenigen Ausnahmefällen erfolgt. Dafür gibt es zwei Hauptgründe:

• In den 60er und 70er Jahren wurden fatalerweise zahlreiche Neubaugebiete im Tiefgestade ausgewiesen. Die Neubürger befürchten nasse Keller, falls es in ihrer Nachbarschaft zu Deichrückverlegungen kommen sollte.

• Der größte Flächenanteil sowohl der rezenten Aue als auch der Altaue wird landwirtschaftlich genutzt. Die dort wirtschaftenden Landwirte bekämpfen erbittert jeden Ansatz für eine Deichrückverlegung.

Deshalb: Deichrückverlegungen müssen für die betroffenen Landwirte ökonomisch attraktiv ausgestaltet werden. Es bedarf einer zugkräftigen Prämie für die Extensivierung der Landwirtschaft in der ehemaligen Aue. Die Prämie muss in einer Größenordnung liegen, die die Landwirte schon aus wirtschaftlichem Kalkül dazu bewegt, ihre Flächen für den naturnahen Hochwasserrückhalt zur Verfügung zu stellen.


Vom Katastrophenfonds in die Hochwasservorsorge umschichten!

Mit ihrer Zustimmung zu Deichrückverlegungen und zur Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion erbringen die Landwirte nicht nur eine große persönliche, sondern auch eine außerordentliche volkswirtschaftliche Leistung, die entsprechend entgolten werden sollte: Deichrückverlegungen und freifließende Polder sind in aller Regel preisgünstiger als gesteuerte Polder mit ihren kostenträchtigen Ein- und Auslaufbauwerken sowie mit ihrem aufwendigen Steuerungsbedarf. (Wobei in der Regel - aber nicht immer - in gesteuerten Poldern auf kleinerer Fläche gezielter die Scheitel abgeschnitten werden können.) Wenn an unseren Flüssen genügend Flächen für einen naturnahen Hochwasserrückhalt zur Verfügung stehen, können flussab Schäden in Milliardenhöhe vermieden werden.

Die EU, der Bund und die Länder stellen Milliarden Euro aus Katastrophenfonds für die Beseitigung von Hochwasserschäden zur Verfügung. Sinnvoller wäre es, diese Gelder in den vorsorgenden Hochwasserrückhalt zu investieren - damit es erst gar nicht zu diesen Schäden kommt!

Wir regen deshalb an, im Zuge der laufenden Debatte über die GAP-Reform auch eine Prämie für den naturnahen Hochwasserrückhalt in Erwägung zu ziehen! Die Prämie stünde EU-weit für extensivierungswillige Land- und Forstwirte in den (ehemaligen) Auen entlang der Ströme und Flüsse zur Verfügung.

Die Gesamtfläche der morphologischen Flussauen beträgt in Deutschland ca. 15.000 Quadratkilometer und damit rd. 4,4% der Fläche Deutschlands. Derzeit können nur noch rund ein Drittel der ehemaligen Überschwemmungsflächen von Flüssen bei großen Hochwasserereignissen überflutet werden. Zwei Drittel der ehemaligen Überschwemmungsgebiete sind durch Deichbau und andere Hochwasserschutzmaßnahmen verloren gegangen.

Aufgrund von Siedlungsflächen, Infrastrukturanlagen usw. wird sich von diesen 10.000 Quadratkilometern zunächst nur ein Zehntel für Deichrückverlegungen eignen. (Zur Abgrenzung der Förderkulisse könnten zunächst ein Mal die Hochwassergefahrenkarten dienen, die nach der EG-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie bis 2013 an allen hochwasserträchtigen Flüssen in der EU erstellt sein müssen.) Nimmt man ferner an, dass die Prämie mit 1.000 Euro pro Hektar veranschlagt wird (bei Entfall aller übrigen Prämien auf den betroffenen landwirtschaftlichen Nutzflächen), müssten für die verbleibenden 100.000 Hektar bundesweit 100 Mio. Euro im Jahr zur Verfügung gestellt werden (bei Kofinanzierung: 50 Mio. Euro). Im Vergleich zu den Bau- und Unterhaltungskosten von technischen Poldern erscheint uns dies als ein moderater Betrag (von den vermiedenen Milliardenschäden durch Hochwasser ganz zu schweigen). Allein das "Integrierte Rheinprogramm" mit seinen 13 Rückhalteflächen in Baden-Württemberg wird bezüglich der Baukosten auf mindestens 750 Mio. Euro veranschlagt.


100.000 Hektar für den naturnahen Hochwasserrückhalt!

Geht man davon aus, dass die 100.000 ha im Schnitt mit einem Meter Wasserstand geflutet werden, dann kann auf dieser Fläche eine Milliarde Kubikmeter Wasser zurückgehalten werden. (Alle 13 Polder des "Integrierten Rheinprogramms" in Ba.-Wü. speichern 176 Mio. Kubikmeter.) Die Prämie zum naturnahen Hochwasserrückhalt könnte aus der "Zweiten Säule" der GAP finanziert werden - und wäre ein starker Beitrag zum "Greening" der EU-Agrarzahlungen. Denn die extensivierten Flächen wären nicht nur ein Beitrag zum Hochwasserrückhalt, sondern auch zur Auenrevitalisierung. Der Mehrwert zur Biodiversität wäre kaum zu überschätzen. Auen gelten als die hot spots der Artenvielfalt.


Warum steht eine Auenrevitalisierung auf der Tagesordnung?

• An Rhein, Elbe, Donau und Oder sind an vielen Abschnitten nur noch 10-20% der ehemaligen Auen vorhanden.

• Rezente Auen werden überwiegend als Grünland (47%) genutzt, aber auch zu etwa einem Drittel intensiv als Ackerflächen (27%) und als Siedlungsflächen (6%). Wälder besitzen einen Anteil von 13 %, Feuchtgebiete von 2%.

• Ökologisch funktionsfähige Auen machen weniger als 10% der rezenten Auen aus, naturnahe Hartholzauwälder ca. 1%.

• 36% der rezenten Flussauen werden der Auenzustandsklasse 3 - deutlich verändert - zugeordnet, besitzen aber gleichermaßen noch "Auencharakter".

• Die Auenzustandsklassen 4 (stark verändert) und 5 (sehr stark verändert) dominieren mit zusammen 54%.

• In den Altauen überwiegen mit rund 80% die Auenzustandsklassen 4 (stark verändert) und 5 (sehr stark verändert). [Alle Zahlen: Bundesamt für Naturschutz.]


Wie kann die Biomasse verwertet werden?

Bei dem geringen Heubedarf könnten der Grünschnitt von den extensivierten Grünlandparzellen sowie sonstiges Landschaftspflegematerial aus der revitalisierten Aue energetisch in Biogasanlagen verwertet werden. Auf begrenzten Teilflächen könnten auch Kurzumtriebsplantagen angepflanzt und deren Biomasse ebenfalls energetisch genutzt werden. Auf Teilflächen wäre zudem eine extensive Weidetierhaltung (Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde usw.) mit Qualitätsfleischerzeugung denkbar. Voraussetzung für eine naturnahe Weidetierhaltung wäre eine kontrollierte Schadstoffarmut auf den Weiden, die mehr oder weniger periodisch überflutet werden. Die Nutzung der Biomasse für die Energiegewinnung bzw. für die Weidetierhaltung könnte den Landwirten in der Aue zusätzlich eine wirtschaftliche Perspektive bieten.


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 965/2011
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2011