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NUTZUNG/203: Modellbasiertes Wasser-Management-System für die Megacity Peking (idw)


Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung IITB - 23.04.2009

Wasser für die Megacity Peking


Duschen, waschen, kochen, trinken, Felder bewässern, Lebensmittel produzieren... Der Gebrauch von Wasser ist für uns selbstverständlich. In Nordeuropa müssen wir uns wenig Gedanken darüber machen, ob diese existenzielle Ressource in ausreichendem Maß zur Verfügung steht. Das sieht jedoch in vielen Teilen der Welt ganz anders aus. Besonders in den rasant wachsenden Metropolen wie z. B. in Kalifornien, Mexiko, Südeuropa, Nordafrika oder China. Hier ist die Bereitstellung von Wasser in ausreichender Menge und Qualität ein zunehmendes Problem.

Karlsruhe. Ein Forscherteam des Fraunhofer-Instituts für Informations- und Datenverarbeitung IITB in Karlsruhe hat zusammen mit seinem Anwendungszentrum für Systemtechnik AST in Ilmenau für die Megacity Peking ein modellbasiertes Wasser-Management-System entwickelt, mit dem die Region nachhaltig ihre Wasserversorgung sichern kann.

Peking liegt am nördlichen Rand der Nordchinesischen Ebene und hat derzeit eine Einwohnerzahl von ca. 14 Mio., mit einer durch Zuwanderung bedingten Wachstumsrate von 0,5 bis 1 Mio. pro Jahr. Das Verwaltungsgebiet der Hauptstadt (Beijing Municipality) umfasst ca. 16.500 km². Durch die starke wirtschaftliche Entwicklung und die permanent wachsende Bevölkerung ist der Wasserbedarf der Region kontinuierlich gestiegen, zumal bisher das Wasser in Peking für die Einwohner kostenlos ist und eine systematische Erfassung des Verbrauchs durch Wasserzähler auch in den privaten Haushalten nicht stattfand. Bei gleichzeitig ausbleibenden Niederschlägen musste in den letzten Jahrzehnten der Bedarf weitestgehend aus dem Grundwasser gedeckt werden mit der Folge, dass dieser im Mittel um 1,5 m pro Jahr absinkt. Auch die Oberflächenwasserressourcen gingen stark zurück oder konnten aufgrund von Kontaminationen nur eingeschränkt genutzt werden. All diese Faktoren waren der Anlass zu einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem chinesischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie geförderten Projekt, im Rahmen dessen die Fraunhofer Wissenschaftler ein alle Wasserressourcen berücksichtigendes Verteilungs- und Entscheidungsunterstützungssystem entwickelten. Mit diesem System kann die Wasserbehörde Peking jederzeit anhand von aktuellen Verbrauchszahlen und abgeleiteten Prognosen die Wasserentnahmen und -verteilung für unterschiedlichste Zeithorizonte planen und steuern. Die besonderen Herausforderungen bei diesem Projekt waren zum einen das sehr große Modellgebiet von 6300 km², für das sowohl ein Grundwasser- als auch ein Oberflächenwassermodell entwickelt und miteinander gekoppelt werden mussten. Zum anderen sollte das System sowohl reine Simulationsläufe der Modelle erlauben, andererseits jedoch auch Optimierungen zulassen.

Da die Rechenzeiten für eine Optimierung mit dem Grundwasser-Modell bei dieser Gebietsgröße ins Unendliche explodiert wären, mussten die Wissenschaftler eine automatisierte Reduktion der Grundwassermodelle entwickeln, die die 150.000 Variablen auf ein reines Datenmodell von 10-50 Freiheitsgraden 'runterkochte'. Dieses Konzept dürfte weltweit einmalig sein. Selbstverständlich sollte das ganze System darüber hinaus über eine benutzerfreundliche grafische Oberfläche eine leichte Einstellung der Modelle ermöglichen. Mit Hilfe dieser Benutzeroberfläche kann der Anwender vielfältige Szenarien generieren, die eine mögliche Entwicklung des Niederschlags, des Wasserverbrauchs und anderer Größen beschreiben und für die das System eine optimale Bewirtschaftungsstrategie berechnet.

Der erste Arbeitsschritt bestand aus einer Bestandsaufnahme der tatsächlich vorhandenen Menge und Verteilung an Wasser und dem Verbrauch durch Haushalte, Landwirtschaft und Industrie. In der betrachteten Region mussten zunächst alle verfügbaren Daten und Messwerte aus vergangenen Jahren recherchiert,aufbereitet und in einer Datenbank verfügbar gemacht werden. Nach Abgleich mit den lokalen Gegebenheiten wie Niederschlagsmenge, Verdunstung und Verbrauch war der erste Meilenstein mit dem Erhalt einer Wasserbilanz für diese Region erreicht. "Wir mussten erst mal ein Gefühl für die ungeheure Größe der zu analysierenden Region bekommen" so Prof. Dr. Hartwig Steusloff. Aufbauend auf dieser Wasserbilanz lassen sich Modelle erstellen, anhand derer Prognosen für die zukünftige Wasserverteilung berechnet werden können.

Steusloff erklärt: "Das System unterscheidet zwischen Grundwasser und Oberflächenwasser. Beim räumlich verteilten Grundwassermodell wird unter Berücksichtigung der beeinflussenden Faktoren wie z. B. geografische und klimatische Gegebenheiten sowie hydrogeologische Einflussfaktoren, wie z. B. Durchlässigkeit und Porosität des Bodens der Grundwasserspiegel berechnet." Hier war die Schwierigkeit die ebenfalls räumlich verteilten Eingangsgrößen aus den Informationen der Wasserbilanz abzuleiten und in Form von Karten aufzubereiten, also zu regionalisieren. Dies geschieht über Wasserbedarfsmodelle, die sich für unterschiedliche Landnutzungen und Verbraucher räumlich und zeitlich unterschiedlich gestalten. Bei 2 Ernten pro Jahr ist die Landwirtschaft der größte Wasserverbraucher und belegt in der Modellregion eine Fläche von ca. 3500 - 4000 km². Das sind annähernd 2/3 der zu analysierenden Gesamtfläche. Allein zur Bewässerung der Felder haben die Bauern um die 40.000 Brunnen angelegt, eine Anzahl, die mit derzeitigen Mitteln nicht mehr messbar ist. "Daher werden die landwirtschaftlichen Grundwasserentnahmen, aber auch die Grundwasserneubildung über den Wasserbedarf der angebauten Pflanzenkulturen abgeschätzt." erläutert Wissenschaftler Dr. Oliver Krol. Im Gegensatz dazu ist das Problem im städtischen Raum die krakenartig ausgreifende Versiegelung des Bodens zur Gewinnung neuer Bau- und Verkehrsflächen. Das bewirkt eine Reduktion der Versickerungsflächen mit einhergehender Minderung der Grundwasserneubildung.

Das Oberflächenwasser wird in Flüssen, Seen, Kanälen, Reservoiren, Schleusen und Wasserwerken transportiert, gesammelt und verteilt. Diese Elemente sind untereinander vernetzt und nehmen ebenfalls Einfluss auf den Grundwasserstand." Dr. habil. Thomas Rauschenbach vom Anwendungszentrum AST in Ilmenau ist Experte für das Oberflächenwasser: "Die Herausforderung lag darin, die wesentlichen Elemente des Oberflächenwassersystems in dem sehr großen Modellgebiet zu identifizieren und zu modellieren sowie in der zusätzlichen Betrachtung von Einzugsgebieten der Reservoire mit Flächen von bis zu 50.000 km²." Da das Grundwasser- und das Oberflächenwassersystem voneinander abhängen, mussten auch die Modelle datentechnisch miteinander gekoppelt werden, um das Gesamtsystem abzubilden. Im letzten Schritt mussten die Modelle zur Berechnung optimaler Strategien in einen Optimierungsverfahren eingebunden werden. Das gelang für die weniger datenintensiven Oberflächenwassermodelle verhältnismäßig einfach. Für das Grundwassermodell war dies auf direktem Wege nicht möglich, da sonst die Rechenzeiten für einen Optimierungslauf unendlich lang gedauert hätte. Mit Strategien der Modellreduktion konnte das komplexe GW-Modell derart verkleinert werden, dass die wesentlichen Effekte damit beschrieben sind, es aber so klein wird, dass es sinnvoll im Optimierungsalgorithmus berücksichtigt werden kann. Das Ergebnis der 4-jährigen Forschungszeit ist ein Entscheidungsunterstützungssystem, mit dessen Hilfe die Behörde die Verteilung der Wasserressourcen kurz-, mittel- und langfristig planen und steuern kann. Neu an diesem Entscheidungsunterstützungssystem ist, dass auf Basis der erstellten Simulationsmodelle und dem Einsatz von Optimierungsverfahren, Strategien für die optimale Verteilung der Wasserressourcen berechnet werden können. Diese Aufgabe kann vom Menschen allein für ein solch komplexes Gesamtsystem nicht zufrieden stellend gelöst werden.

Seit Sommer 2008 ist das System in der Wasserbehörde in Peking im Einsatz und die dortigen Mitarbeiter wurden im Umgang mit dem System bereits geschult. Aufgrund der großen Zufriedenheit wird derzeit eine Erweiterung des Systems, das bisher nur die Quantität berücksichtigt, auf die Untersuchung der Qualität erwogen. Die Forscher sehen viele Möglichkeiten, dieses System auch auf andere Städte in China und Wassermangelgebiete wie z. B. die Mongolei, Ägypten oder Vietnam zu adaptieren.

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.iitb.fraunhofer.de/servlet/is/26771/
http://www.iitb.fraunhofer.de/servlet/is/9247/
http://www.ast.iitb.fraunhofer.de/servlet/is/13479/

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image89747
In Trockenzeiten bleibt vom Fluss Yongding an der Marco-Polo-Brücke in der Provinz Peking nur noch sein ausgetrocknetes breites Bett.

http://idw-online.de/pages/de/image89748
Das in einzelne Elemente unterteilte 3-dimensionale Grundwassermodell der Region.

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news311431

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution381


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung IITB,
Dipl.-Ing. Sibylle Wirth, 23.04.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2009