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SCHADSTOFFE/153: Trifluoracetat - "Repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1122, vom 22. Januar 2018, 37. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

§ 57 WHG & Trifluoracetat: "Repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt"


Interessant für die in den RUNDBR. 1117/1, 1115 und 1109 erwähnte Auseinandersetzungen um die Einleitung von Trifluoracetat (TFA) in den Neckar sind die Ausführungen des WHG-Kommentars zu § 57 WHG. Zur Erinnerung. Der Solvay-Konzern als TFA-Emittent entschuldigt die jahrelangen TFA-Einleitungen in der Größenordnung von über 100 Kilogramm pro Tag damit, dass TFA in der wasserrechtlichen Einleiteerlaubnis von der Wasserrechtsbehörde beim Regierungspräsidium Stuttgart nicht reglementiert worden sei. Insofern habe man nicht im Geringsten unrechtmäßig gehandelt. Denn was nicht ausdrücklich verboten sei, sei eben erlaubt und damit nicht strafbar. § 57 WHG legt die Kriterien fest, nach denen Abwassereinleitungen von den Behörden nach dem Stand der Technik begrenzt und reglementiert - oder ggf. auch völlig untersagt -werden müssen. Der Auslegung von § 57 widmet der WHG-Kommentar allein 75 Seiten! Im Hinblick auf die TFA-Einleitung am Neckar ist dabei folgende Aussage im WHG-Kommentar von Bedeutung:

"Schadparameter, von deren Existenz die Erlaubnisbehörde nicht weiß und die sie deshalb auch nicht bewerten und limitieren kann, werden demzufolge von der Erlaubnis nicht umfasst: Was die Behörde nicht erwartet, kann sie auch nicht erlauben - was nicht erlaubt wird, bleibt verboten."

Im Juristendeutsch wird dies als "repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" bezeichnet. Soweit man bis jetzt weiß, hatte die Firma Solvay Fluor Chemie GmbH in dem von ihr vorgelegten Abwasserkataster zur gewichtigen TFA-Einleitung keine substanziellen Angaben gemacht. (Siehe zum TFA-Problem auch die nächsten beiden Notizen.)

Umweltbundesamt: TFA-Konsum wird immer gesünder

Wie im RUNDBR. 1109 erläutert worden ist, ist Trifluoracetat (TFA) als Abbauprodukt von fluorhaltigen Pestiziden erstmals 2016 in die Schlagzeilen geraten. Damals hatte die GELSENWASSER AG das Abbauprodukt in ihrem Rohwasser festgestellt. Das Umweltbundesamt (UBA) hatte seinerzeit für TFA einen "Gesundheitlichen Orientierungswert" (GWO) von 1 Mikrogramm pro Liter (µg/l) festgelegt gehabt. Ein GWO wird festgelegt, wenn man über die gesundheitliche Relevanz eines Schadstoffs noch so gut wie gar nichts weiß. Vorsichtshalber wird der GWO zunächst sehr tief angesiedelt. Bringt man dann mehr über die Ungefährlichkeit eines Schadstoffs in Erfahrung, passt man den GOW sukzessive nach oben an (s. 1057/3). So auch im Beispiel von TFA in den Grundwasserressourcen der GELSENWASSER AG: Aufgrund von Gutachten der BAYER AG - dem Hersteller der fluorierten Pestizide - hatte das UBA den GWO für TFA auf 3 µg/l angehoben. Damit waren die Grundwasserressourcen der GELSENWASSER AG wieder im grünen Bereich. Als nächstes wurde dann TFA im Neckar, im Neckaruferfiltrat und dann auch im Trinkwasser von Edingen-Neckarhausen am unteren Neckar analysiert - und zwar in einem Bereich bis über 20 µg/l. Obwohl das UBA zwischenzeitlich den Maßnahmenwert (s. Kasten auf S. 4) für TFA schon auf 10 µg/l angehoben hatte, war man mit 23 µg/l im Trinkwasser von Edingen-Neckarhausen immer noch nicht aus dem Schneider. Im Oktober 2017 hob das UBA den Maßnahmenwert für TFA aber noch ein Mal an - und zwar auf 30 µg/l! Auf der einen Seite dürfte der Bürgermeister von Edingen-Neckarhausen darüber erleichtert gewesen sein, weil er damit nicht länger gezwungen war, kostenträchtig seine Trinkwasserversorgung von Neckaruferfiltrat auf eine neue Bezugsbasis umzustellen. Auf der anderen Seite ist es aber sicher auch nicht angenehm, den BürgerInnen erklären zu müssen, dass sie jetzt noch jahrelang TFA-belastetes Trinkwasser "genießen" müssen. Beim UBA verteidigt man die fortgesetzte Anhebung des GOW für TFA mit einem Hinweis auf die Niederlanden: Dort würde man schon darüber nachdenken, TFA in einer Größenordnung von über 300 µg/l im Trinkwasser zu tolerieren.

Ohne TFA-Schaden auch kein Schadenersatz

Höchst angenehm ist die fortgesetzte Anhebung des Gesundheitlichen Orientierungswertes (GOW) und des darauf basierenden Maßnahmenwertes durch das Umweltbundesamt (UBA) für die Firma Solvay. Hätte man die Trinkwasserversorgung von Edingen-Neckarhausen wegen dem TFA-Problem mit Hunderttausenden oder gar Millionen Euro umbauen müssen, hätte die Gemeinde die Firma Solvay nach § 89 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) schadenersatzpflichtig machen können - denn:

"Wer in ein Gewässer Stoffe einbringt oder einleitet oder wer in anderer Weise auf ein Gewässer einwirkt und dadurch die Wasserbeschaffenheit nachteilig verändert, ist zum Ersatz des daraus einem anderen entstehenden Schadens verpflichtet." (§ 89 (1))

Mehr zu diesem Paragraphen über die "Haftung für Gewässerveränderungen" und seiner "sehr große(n) praktische(n) Bedeutung" kann man in dem oben genannten WHG-Kommentar auf 96 (!) Seiten nachlesen. § 89 (1) würde selbst dann greifen, wenn Solvay für die TFA-Einleitung eine wasserrechtliche Erlaubnis gehabt hätte - oder auch dann, wenn die Behörde die TFA-Einleitung wissentlich geduldet hätte. Darüber hinaus ergibt sich nach § 89 die Schadenersatzpflicht "verschuldensunabhängig". Dank der sukzessiven Heraufsetzung des GOW und des Maßnahmenwertes für TFA durch das Umwelt bundesamt ist der Gemeinde Edingen-Neckar-hausen letztendlich aber gar kein größerer Schaden

Große Wertevielfalt im Trinkwasser: GOW, Maßnahmenwert und Leitwert

Neben dem Gesundheitlichen Orientierungswert (GOW) gibt es noch einen "Maßnahmenwert". Der Maßnahmenwert ergibt sich in der Regel durch Multiplikation des GOW mit dem Faktor 10. Als der GOW für TFA noch bei 1 µg/l gelegen hat, hat also ein Maßnahmenwert von 10 µg/l gegolten. Dann ist der GOW auf Grund der von BAYER vorgelegten Untersuchungen auf 3µg/l erhöht worden. Und auf der Basis des auf 3 µg/l angehobenen TFA-GOW gilt seit letztem Jahr ein Maßnahmenwert von 30 µg/l (3µg/l x 10 = 30 µg/l)

Der "Maßnahmenwert" heißt "Maßnahmenwert", weil er von UBA nur dann erlassen werden darf, wenn Maßnahmen ergriffen werden:

- Erstens muss klar sein, dass die Einleitungen des betreffenden Stoffs signifikant reduziert werden.

- Zweitens müssen Untersuchungen in Angriff genommen werden, die es besser als bis jetzt erlauben, die humantoxikologische Relevanz des betreffenden Stoffs beurteilen zu können. Zu erstens hat Solvay die TFA-Einleitungen inzw. mindestens halbiert und ist um weitere Reduzierungsmaßnahmen bemüht. [Dabei hat das UBA möglicherweise nicht berücksichtigt, dass es im Neckaruferfiltrat - und damit auch in der Trinkwasserversorgung von Edingen-Neckarhausen - noch sehr lange dauern wird, bis sich die Reduzierung der Einleitungen in den Neckar tatsächlich auch in einer Trendumkehr im Uferfiltrat bemerkbar machen wird; Anm. BBU]

Zu zweitens hat Solvay Tierversuche in Auftrag gegeben, um besser beurteilen zu können, wie (un-) giftig das Zeugs tatsächlich ist. Die Ergebnisse sollen spätestens in Jahresfrist vorliegen. Wenn sich die Maßnahmen als Erfolg erwiesen haben und wenn es die humantoxikologische Datenbasis hergibt, kann das UBA anschließend den Maßnahmenwert in einen "Leitwert" umwandeln.

Der "Leitwert" ersetzt dann den GOW. In der Regel liegt der Leitwert immer deutlich über dem GOW. Der GOW hat sozusagen eine Stellvertreterfunktion bis man mehr über den betreffenden Stoff weiß. entstanden: Man muss sich nicht mehr länger Gedanken darüber machen, mit hohem finanziellen Aufwand die Trinkwasserversorgung umzustellen. Und da es damit keinen finanziellen Schaden gibt, kann man auf der Basis von § 89 (1) WHG die Firma Solvay auch nicht zu einem zivilrechtlichen Schadenersatz heranziehen.

GOW-Anhebung: Ist Solvay jetzt auch strafrechtlich aus dem Schneider?

Neben dem Insleerelaufen der zivilrechtlichen Schadenersatzpflicht hat die fortschreitende Verlaschung des GOW durch das UBA aber auch zur Konsequenz, dass Solvay eine Strafbarkeit der TFA-Einleitungen - noch mehr als bislang schon - in Frage stellen wird. Auch wenn man davon ausgeht, dass die TFA-Einleitungen unbefugt erfolgt sind, ist durch diese Einleitungen der öffentlichen Wasserversorgung keinerlei Schaden entstanden. Darüber hinaus sei es zu keiner "schädlichen Gewässerveränderung" gekommen. Zumindest sind keine Fischsterben und auch keine Schädigungen an der Kleintierwelt ("Makrobenthosfauna") im Neckar im Zusammenhang mit der langjährigen TFA-Einleitung bekannt geworden. Damit kann auch nicht argumentiert werden, dass die Wasserrechtsbehörde die TFA-Einleitungen hätte versagen müssen. Denn nach § 12 WHG ist eine Erlaubnis insbesondere dann zu versagen, wenn es zu einer Beeinträchtigung der öffentlichen Wasserversorgung kommen würde, so der oben genannte WHG-Kommentar in seinen Ausführungen zu § 50 "Öffentliche Wasserversorgung". Wie man sieht, hat das UBA mit der fortschreitenden Verlaschung des Gesundheitlichen Orientierungswertes (GOW) für TFA dem Solvay-Konzern - in jeder Beziehung mächtig aus der Patsche geholfen. Ein führender Wasserforscher uns gegenüber zur Erhöhung des TFA-Maßnahmewertes durch das UBA auf 30 µg/l:

"Ich bin sprachlos über das, was das UBA da treibt. Das zieht dem Vorsorgeprinzip den Boden unter den Füßen weg!"

Und ein ebenfalls für Industrieabwassereinleitungen zuständiger Behördenmitarbeiter hatte uns zur Vorgehensweise des UBA geschrieben:

"Da fliegt mir glatt der Hut weg. (...) Jedenfalls sollte das Vorsorge- und Minimierungsgebot gelten. Das ist aber hier nicht erkennbar. Das Vorgehen des UBA entspricht zwar der "GOW-Philosophie" - wird aber von uns in diesem Fall ebenfalls kritisch gesehen, weil damit das Tor zur Tolerierung von trinkwasserfremden Stoffen im Trinkwasser weit aufgestoßen wird.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1122
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2018

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