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TIPS/044: Kleine Kasselerkunde (SB)


Kleine Kasselerkunde


Wer hat's erfunden?

Ebenso wie bei der Herkunft der Currywurst streiten sich auch bei der des Kasselers die Gelehrten. Man sollte doch eigentlich annehmen, die deftigen gepökelten und geräucherten Schweinerücken, -schultern, -nacken, -bäuche oder -rippchen, die so vorzüglich zu Grünkohl- oder Sauerkrautgerichten oder im Blätterteig schmecken, wurden erstmals in Kassel zubereitet. Nicht wenige Bewohner dieser hessischen Stadt bestätigen es auch und liefern auf Nachfrage mehr oder minder fundierte Beweise.

Aber auch die Berliner beanspruchen die Erfindung dieser schmackhaften Fleischzubereitung für sich - und warten sogar mit Zeitangabe, Namen und Adresse auf: Um 1900 herum soll der Berliner Fleischermeister Cassel aus Charlottenburg als erster ein Stück Schweinefleisch gepökelt und anschließend zart geräuchert haben. Zwar wird bestätigt, daß es diese Fleischerei am besagten Ort zu jener Zeit gegeben hat, nirgends aber ist ein solcher Fleischermeister dieses Namens verzeichnet gewesen.

Wirklich beweisen können es beide Seiten also nicht. Stünden nicht der Prestigefaktor, und somit auch ökonomische Interessen dahinter, könnte man sich doch schlicht gütlich auf eine dritte, nicht minder plausible Erklärung dieses Namens einigen. Danach rührt Kasseler von Kasserolle her, jenem Küchengeschirr, in dem er meistens zubereitet wird. Der Name Kasserolle wiederum stammt von französisch "Casserole", in dem auch Gerichte wie "Cassoulet", ein Eintopf aus weißen Bohnen mit gepökeltem Schweinefleisch, zubereitet wird. Auch hier könnte dieser Name also seine Wurzeln haben.

Losgelöst von dieser Streitfrage nennt man in Österreich den Kasseler Rippenspeer "Selchkarree", welches wiederum vom althochdeutschen "arselchen" herrührt und soviel wie "dörren" bedeutet. Ein Selcher ist bei unseren alpinen Nachbarn ein Fleischer, der Geselchtes herstellt und verkauft.


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Einst als geniale Konservierungmethode entwickelt

Wie dem auch sei, wie so viele Fleischzubereitungen aus früherer Zeit, als es noch keine Kühl- und Gefrierschränke gab, diente auch diese Erfindung in erster Linie weniger dem Heben des Geschmacks als der Haltbarmachung. Das Einlegen des Schweinefleisches in einer Salzlake führt dazu, daß ihm Flüssigkeit entzogen wird. Das hemmt das Bakterienwachstum. Auch das anschließende Räuchern diente einst diesem Zweck. Das Kasseler-eigene Aroma war somit zunächst nurmehr eine angenehme Nebensache.

Kasseler, auch "Kassler" oder "Casseler" genannt, wird zunächst gepökelt. Fachsprachlich bedeutet der Pökelprozeß, daß dabei der wenig beständige Muskelfarbstoff (Myoglobin) in eine stabilere Variante umgewandelt wird (Umrötung). Das Fleisch erhält so die zartrosa Farbe und das typische Aroma wird ausgebildet.

Grundsätzlich lassen sich dabei drei Methoden unterscheiden: die Trocken-, Naß- und die Impfpökelung. Erstere wird zumeist bei größeren Stücken angewendet, sie ist die schonendste und zugleich aufwendigste Art, sie führt aber auch zu den besten Qualitätsergebnissen.

Bei der Naßpökelung werden die Fleischstücke mit der trockenen Salzmischung eingerieben und dann in Pökellake eingelegt. Im Verlauf der Pökelung nimmt die Lakekonzentration ab und muß durch weitere Zugabe auf Niveau gehalten werden. Lachsschinken aus dem sehnen- und fettarmen Kotelettstrang beispielsweise wird in der Regel naß gepökelt.

Die Impfpökelung ist die schnellste und billigste Methode. Hier werden Salz und Pökelstoffe direkt in die Fleischstücke injiziert, so daß er sich gleichmäßig im Fleisch verteilt, was den Pökelprozeß enorm beschleunigt. Nach der Pökelung wird das Schweinefleisch einige Stunden mild geräuchert, so daß es außen goldbraun und innen zartrosa ist. Danach darf es gekocht oder gebacken, gegebenenfalls auch gebraten, aber nicht gegrillt werden.


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Bedenkliche chemische Prozesse

Ernährungstechnisch gesehen gibt es für Gesundheitsbewußte, so lecker Kasseler auch schmecken mag, einiges zu bedenken: Durch diesen speziellen Pökel- und Räucher-Vorgang gehen ein Teil der im Fleisch enthaltenen Mineralstoffe und Eiweiße verloren. Und nicht nur das, bei diesem Verfahren können Nitrosamine freigesetzt werden - Stoffe, die im Tierversuch eine krebserregende Wirkung zeigten. Das Wort Nitrosamine setzt sich aus Nitrit, das durch die gepökelten Fleischwaren aufgenommen wird, und Aminen, also Eiweißabbauprodukte, zusammen. Sie entstehen möglicherweise erst im Magen. Um diese Bildung nicht noch zu verstärken, wird vom Grillen von Kasseler abgeraten.

30. September 2011