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DILJA/16: Headhunter (13) - Jenseits von Gut und Böse - Ende (SB)


HEADHUNTER

Teil 13: Jenseits von Gut und Böse (letzter Teil)

Science-Fiction-Story


"Und mit wem habe ich die Ehre?" fragte Mike Rosefield und fixierte die überlebensgroße dämonische Fratze, die in etwa zwei Meter Entfernung über ihm zu schweben schien. 'Jetzt schlägt's endgültig dreizehn', dachte er zugleich. Bei allem, was der ehemalige Headhunter in seinem Leben schon gesehen, erlebt und getan hatte, zweifelte er nun doch an seinem Verstand. Der Innenraum der kleinen Kabine des Hubschraubers, in den Major O'Connor und Sergeant O'Brian ihn verfrachtet hatten, umfaßte kaum mehr als zwei Quadratmeter. Ein Wesen, wie der ehemalige Headhunter es nun vor sich zu sehen glaubte, hätte in dieser schmalen Kammer eigentlich keinen Platz finden können. Doch die überhaus fremdartige Kreatur, die sich vor ihm erhob, kümmerte sich nicht im Ansatz um etwaige physikalische Gesetzmäßigkeiten.

"Wer ich bin, willst du wissen?" erklang eine Stimme, die so unwirklich war, daß Mike nicht hätte sagen können, ob sie nur in seinem Kopf entstanden oder tatsächlich in der kleinen Kammer zu hören war.

"Also gut, du sollst es wissen" - und bei diesen Worten kam das unheimliche Gesicht noch näher auf ihn zu -, "ich bin dein Tod."

Mike fuhr sich mit der Hand über die Augen. 'Oh je', grübelte er, 'meine Nerven sind doch wohl etwas überspannt.' Und laut sagte er, an sein undefinierbares Gegenüber gerichtet: "Mit der Masche bist du hier an den Falschen geraten. Das ist meine Tour, also laß dir was Neues einfallen, wenn du mich beeindrucken willst".

"Gönn' mir doch den Spaß", murmelte die Fratze und legte einen beleidigten Unterton in ihre sphärische Stimme. "Wenn du nicht auf mich hören willst - bitte. Du wirst schon noch dein blaues Wunder erleben, wenn du in der Zentrale in Brüssel ankommst - wenn überhaupt."


*


Mit einem Schlag war Mike Rosefield hellwach und riß die Augen auf. Doch die mysteriöse Erscheinung hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Auf der grauen Kabinenwand ließ sich nicht die geringste Spur des Unheimlichen ausmachen. Nachdenklich setzte sich der Kopfgeldjäger auf und schwang die Beine über den Rand der Pritsche. Bislang war er immer recht gut damit gefahren, solche Visionen, und seien sie auch noch so wirr, nicht allein auf seine womöglich krankhafte Phantasie zurückzuführen. Doch diesmal ließ sich das Unheimliche kaum interpretieren; es sei denn, er ging davon aus, daß sein Gefahrenbewußtsein ihm mit recht drastischen Mitteln etwas deutlich zu machen suchte, was er partout nicht wissen wollte.

"Papperlapapp", murmelte Mike noch, bevor er sich zurücklehnte und auf der schmalen Liege zu dösen begann. "Ich hab's satt. Gefahren hier, Gefahren da, immer dieses Theater. Ich bin müde."


*


"In einer halben Stunde werden wir die Zentrale erreicht haben. Sie schicken uns eine Bomberstaffel, die Geleitschutz fliegen soll", informierte Sergeant O'Brian seinen Vorgesetzten.

'Was für ein Unsinn', dachte Major O'Connor und seufzte vernehmlich, 'der Luftraum steht doch ohnehin unter völliger Kontrolle'. Keine Schwalbe würde ihnen hier etwas zuleide tun können, ohne daß die elektonische Überwachung die böse Absicht im Vorwege registrieren würde. Der Aufwand, der um diesen VIP-0 getrieben wurde, grenzte nahezu ans Groteske. Die Schizophrenie der militärischen Befehle brachte das, was der portugiesische Offizier seinen gesunden Menschenverstand nannte, wieder einmal in Aufruhr. Vor gar nicht langer Zeit hatte er einen Befehl ausgeführt, der auch diesem Menschen das Leben hätte kosten müssen - und doch hatte der VIP überlebt. Verletzt und entkräftet hatten sie ihn aufgelesen im Tohuwabohu der von ihnen im Dienste von 'Sicherheit und Ordnung' selbst initiierten Katastrophe, die das kleine Städtchen Gent an diesem Morgen so plötzlich aus der geruhsamen Alltagsroutine gerissen hatte.

"Ich möchte zu gern wissen, was da eigentlich passiert ist", murmelte O'Connor vor sich hin. Und wie immer hatte sein hellhöriger Adjutant gerade die Worte verstanden, die nicht unbedingt an ihn gerichtet waren.

"Mit Verlaub, Sir", ließ er sich vernehmen. "Warum fragen Sie ihn nicht einfach? Wir bekommen schließlich nicht alle Tage einen VIP-0 zu Gesicht!"

"Eben drum. Bei dieser Geheimhaltungsstufe - und das sollten Sie eigentlich wissen, Sergeant O'Brian! - stehen uns keine Ermittlungen zu." Innerlich mußte Major O'Connor grinsen, er durfte jedoch die Rolle des gestrengen Vorgesetzten auch in dieser Situation nicht vernachlässigen.

"Noch eine halbe Stunde bis Brüssel", meldete Fairbanks, der Pilot, der sich ansonsten den Anschein gab, als würde er der Unterhaltung nicht folgen.

"Ermittlungen, Ermittlungen", fuhr Sergeant O'Brian ungerührt fort. "Davon sprech' ich ja gar nicht. Er ist doch auch bloß ein Mensch, dem kann man doch mal, so ganz unverbindlich natürlich, ein bißchen auf den Zahn fühlen. Soll ich vielleicht mal nach ihm sehen?"

"Jetzt reicht's, Sergeant", herrschte der Major ihn an, denn die Eigenmächtigkeiten des Unteroffiziers hatten nun das von ihm tolerierbare Maß überschritten. "Sie bleiben hier und achten auf jeden Funkspruch, der 'reinkommt, sonst fühle ich Ihnen 'mal auf den Zahn!"

Mit unbeweglicher Miene erhob sich Major O'Connor von seinem Sitz, zwängte sich durch den schmalen Gang des Hubschraubers in Richtung der hinteren Kammer, in der er den hochrangigen Beamten wußte. Es stand einwandfrei fest, daß dieser Mann der VIP-0 war. Um ganz sicherzugehen, hatte der mißtrauische Offizier den Gehirnwellen-Scanner gleich mehrmals auf ihn angesetzt - und damit war klar, daß für den Schutz dieses unscheinbar und doch auch rätselhaft wirkenden Mannes keine Kosten und Mühen gescheut werden durften. Und zu gern hätte O'Conner gewußt, welchen Rang oder Titel dieser Mensch wohl inne hatte, schließlich waren die Zeiten der Könige, Präsidenten und Würdenträger längst graue Geschichte.


*


"Hallo, hallo? Ist jemand zu Hause?" Die dämonische Fratze tanzte dem Headhunter fast schon auf der Nase herum, doch der weigerte sich beharrlich, ihre Anwesenheit überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Der Schlafende schnarchte laut und vernehmlich.

"Ich bin's nochmal", drang die unangenehme Stimme des Unidentifizierbaren in die hinterste Ecke von Mikes Bewußtsein. "Ich kann ja verstehen, daß du nicht gut auf mich zu sprechen bist, schließlich bin ich dein Tod. Du hast wohl mehr Erfahrung darin, andere in die 'ewigen Jagdgründe' zu schicken, als selbst dem letzten Verhängnis zu begegnen, nicht wahr? Du müßtest doch eigentlich begriffen haben, daß jedem sein Schicksal im Nacken sitzt! Oder hast Du vielleicht gedacht, du machst da eine Ausnahme und kämest irgendwie drumherum?"

Mike Rosefield blinzelte mit den Augen und versuchte vergeblich, die vor ihm wabernde Erscheinung optisch zu fixieren. "Ich werde mich dem Schicksal, wie du es nennst, schon stellen, wenn es soweit ist. Laß das nur meine Sorge sein. Und nun verschwinde und laß' mich schlafen." Der Kopfgeldjäger, der die Identität seines letzten Opfers übernommen hatte, zeigte sein Desinteresse an einer weiteren Konversation mit dem Gespenst ganz unverhohlen.

"Schlafen, schlafen", echote der Ungreifbare. "Was du Schlafen nennst, sind die Fänge, die ich nach dir ausgeworfen habe und in denen du dich schon reichlich verstrickt hast."

Mike Rosefield blieb ungerührt. "Und wenn schon", murmelte er teilnahmslos. "Wenn es so wäre, warum erzählst du mir das dann?"

"Um die Jagd noch ein wenig interessanter zu gestalten. Das solltest du" - und in diesem Moment meinte der erschöpfte Mensch, ein hämisches Grinsen in der Fratze ausmachen zu können - "doch am besten wissen."

"Oh, du bekommst gleich Besuch", flüsterte die Gestalt in verschwörerischem Ton, bevor Mike zu einer Antwort ansetzen konnte. "Da will ich nicht länger stören. Genieße deine letzten Minuten." Unversehens war der Spuk vorbei, und nun hörte auch Mike den festen Schritt eines Mannes, der in diesem Moment die Klinke der Kabinentür herunterdrückte und hereinkam.


*


Major C'Connor hatte sich die Worte sorgfältig zurechtgelegt und eine freundlich-bestimmte Miene aufgesetzt. So gut es in der Enge des Hubschraubers ging, wollte er seinem hohen Gast mit allem zu Gebote stehenden Respekt begegnen. Doch die Zeit lief ihm davon, denn in nunmehr 20 Minuten würden sie in Brüssel landen - und wer weiß, wohin der Geheimnisvolle dann entschwinden würde? Bestimmt würde er sich kaum noch die Zeit nehmen, ihm - einem von unzähligen Funktionsträgern in Polizei und Militär - neugierige Fragen zu beantworten. Es galt also, die Gunst der Stunde zu nutzen, sonst würde er nie erfahren, wie dieser Mensch dem flammenden Inferno hatte entkommen können.

"Nun, wie geht es Ihnen?" fragte der Offizier jovial, nachdem er die kleine Kammer betreten hatte und ob der Enge unmittelbar vor dem Geretteten stand. "Haben Sie noch Schmerzen? Können wir noch etwas für Sie tun?"

Mike Rosefield starrte den Mann an, als habe er ihn nie zuvor gesehen. In seinem Hinterkopf war in den letzten Minuten und Sekunden ein Plan herangereift, der so ziemlich alles überbot, was er sich bislang geleistet hatte. Nun galt es, den Koordinator, den der Major vom Ansehen her ganz offensichtlich nicht kannte, überzeugend darzustellen. Die Individualimpulse zu imitieren, war für die technischen Möglichkeiten des ehemaligen Kopfgeldjägers ein leichtes. Das Gesicht des Koordinators mit Bioplast-Masse nachzustellen, würde jedoch wesentlich mehr Aufwand erfordern, und dazu blieb kaum noch Zeit.

"Ja, danke, mir geht es gut", antwortete der falsche Koordinator gedehnt. Er konnte sich noch lebhaft an das Gebaren seines Widersachers erinnern, der ihm zutiefst zuwider gewesen war. "Ich habe noch ein wenig Schmerzen. Hier, sehen Sie, bei den Schnittverletzungen an den Armen. Aber gleich sind wir ja in der Zentrale, da werde ich mich ein wenig ausruhen können."

Mike Rosefield mußte mit dieser Antwort den Erwartungen des Majors entsprochen haben. Seiner Miene war allerdings zu entnehmen, daß er eigentlich etwas ganz anderes auf dem Herzen hatte. Um Zeit zu gewinnen, half der Headhunter seinem Gegenüber auf die Sprünge.

"Ich habe mich bei Ihnen noch gar nicht für meine Rettung bedankt", fuhr er moderat fort.

"Ich bitte Sie, ich tue doch nur meine Pflicht", warf der Offizier eilfertig ein.

"Apropos Pflicht", griff Mike das Stichwort auf. "Sicherlich ist es auch unter diesen etwas ungewöhnlichen Umständen überflüssig, zwischen uns die Kompetenzen zu klären ..."

Bei diesen Worten gelang es Major O'Connor nicht, seine Irritation vollständig zu verbergen. Was wollte der VIP, dessen Identität ihm nach wie vor ein Rätsel war, denn damit andeuten?

"Mit Verlaub, Sir, ich verstehe nicht ganz", hakte er beunruhigt ein. "Sollte ich mich Ihnen gegenüber im Ton vergriffen haben ..."

"Nein, nein, um Himmels willen", der Headhunter nahm ihm den Wind aus den Segeln. "Guter Freund, da haben Sie mich völlig mißverstanden. Ich wollte mich lediglich vergewissern, ob Sie meine Befehle in jedem Fall anerkennen oder ob ich mich Ihnen gegenüber noch weiter legitimieren muß."

"Nein, nein, nein", antwortete O'Connor schnell und diesmal gelang es ihm, seine Enttäuschung zu verbergen. Das Gespräch nahm eine gänzlich andere Wendung, als er sich erhofft hatte; und es hatte nicht den Anschein, als würde der VIP ihm gegenüber sein Incognito lüften oder weitere Geheimnisse preisgeben.

"Wie lauten denn Ihre Befehle, Sir?" fragte er dann förmlich.

"Nun mal nicht so steif", entgegnete der Mann, den er für einen der höchsten Sicherheitsbeamten hielt. "Es ist leider unabdingbar, daß wir eine Zwischenlandung machen, und zwar" - der Headhunter sah angestrengt auf seinen Armchronometer - "in exakt drei Minuten. Wird sich das machen lassen?"

"Eine Zwischenlandung?" echote O'Connor verständnislos und besann sich dann seiner Pflichten. "Natürlich wird sich das machen lassen. Ich informiere gleich die Zentrale und ..."

"Nein", unterbrach ihn der VIP, "das werden Sie nicht tun. Ich übernehme alles weitere. Sie brauchen bloß den Piloten anzuweisen, mir den Platz freizumachen, wenn ich gleich ins Cockpit komme."

Bei diesen Worten fühlte Major O'Connor sich verabschiedet. Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ nach einem kurzen Gruß die Kabine, gänzlich uneins mit sich und der aktuellsten Entwicklung der Ereignisse.


*


Die Idee mit der Zwischenlandung war dem Headhunter recht spontan gekommen. Die drei Männer noch während des Fluges zu töten, hätte zu unkalkulierbaren Komplikationen und damit vermeidbaren Risiken geführt. Ein Querschläger, der die dünnen Wände des Hubschraubers durchschlug, hätte ihrer aller Ende sein können, und Mike Rosefield dachte nicht daran, freiwillig 'den Löffel abzugeben'. Wollte der ehemalige Headhunter die Rolle des Koordinators in der Brüsseler Zentrale weiterspielen, mußten die Mitwisser eliminiert werden. Um eine entsprechende Bioplast-Maske anzulegen, würde er dann noch eine Viertelstunde brauchen.

"Wird Zeit, daß ich die Sache mal wieder in die Hand nehme", murmelte Mike, während er aufstand, um ein paar Vorbereitungen zu treffen. "Ich habe nun wirklich lange genug die Zügel schleifen lassen."

Mit akribischer Genauigkeit überprüfte er seine K-27. Er setzte den Schallisolierer auf die Spezialwaffe und stellte sie auf mittlere Schubkraft im Letal-Bereich. Auch das Kombimesser befand sich, wie der Headhunter sich vergewisserte, an Ort und Stelle; es steckte wie immer in seinem rechten Stiefelschacht.

"Na, dann wollen wir mal", sagte er noch, bevor er die Tür erreichte, die der frustrierte Beamte recht laut hinter sich hatte zufallen lassen. "Ich glaub', ich werd' allmächlich alt - immer diese Selbstgespräche, und immer öfter diese 'wilden fünf Minuten' ..."

Sein Plan war so einfach wie kompromißlos: Um im Brüsseler Sicherheitshauptamt die Rolle des Koordinators zu spielen, würde es nicht ausreichen, dessen Individualimpulse zu imitieren. Menschen, die es nicht besser wußten, ließen sich auf diese Weise vielleicht täuschen, doch in Brüssel würde die optische Überwachung sofort erkennen, daß er nicht Jack Clifton war. Mike Rosefield erreichte mit wenigen Schritten das Cockpit.


*


Stimme A: "Ziel erfaßt?" Stimme B: "Positiv." Stimme A: "Objekt identifiziert?" Stimme B: "Positiv." Stimme A: "Zündung initiieren. X minus 10 Minuten." Stimme B: "Zündung initiiert."


*


Mit gemischten Gefühlen sah Major O'Connor seinem mysteriösen Gast entgegen. Eigentlich war die ganze Angelegenheit reine Routine, und dennoch beschlich den portugiesischen Beamten das ungute Gefühl, als enthielte diese Geschichte Dimensionen, die ihm bislang verschlossen geblieben waren.

"Nun, meine Herren", übernahm Mike Rosefield in seiner Rolle als VIP-0 die Initiative. "Ich möchte Sie bitten, mir für die nächsten fünf Minuten die Steuerung zu überlassen. Wir werden eine kleine Zwischenlandung vornehmen."

Der Pilot warf Major O'Connor einen kurzen Seitenblick zu, so als wolle er sich vergewissern, ob er diesen Befehl, mochte er auch in die Worte einer Bitte gekleidet sein, tatsächlich zu befolgen hatte.

"Du hast unseren Gast gehört, Sam", wandte sich der Offizier an den Piloten. Fairbanks zuckte mit den Achseln, aktivierte die automatische Steuerung und erhob sich recht umständlich von seinem Platz. In dem kleinen Cockpit, das den vier Männern kaum genug Platz bot, herrschte eine gespannte Atmosphäre. Mike kümmerte sich nicht weiter um den Seelenfrieden dieser drei Militärangehörigen, deren entscheidender und am Ende tödlicher Fehler einzig und allein darin bestand, daß sie ihn mit seinem tatsächlichen Gesicht gesehen hatten. Solche 'Augenzeugen' hatte der ehemalige Headhunter nicht einmal in seiner aktiven Zeit beim regulären Militär zurückgelassen.

Mike ließ sich in den Pilotensitz sinken und warf einen kurzen Blick auf die vor ihm liegende Konsole. Die Sensoren, Digitalanzeigen und Funktionstasten waren ihm in ihrer Struktur recht vertraut, solche Hubschrauber hatte er vor vielen Jahren in Afrika geflogen. Zahllose Hungerrevolten waren seinerzeit durch massive Militäreinsätze im Keim erstickt worden.

Der Headhunter seufzte erleichtert und wandte sich kurz den drei Männern zu, die mit verbissenen Gesichten jeden seiner Handgriffe verfolgten.

"Sie können sich sicherlich vorstellen, daß ein Mann in meiner Position selten Gelegenheit hat, mit solch einem Ding zu fliegen", bemerkte er und registrierte beiläufig, wie die drei Umstehenden verständig nickten, obwohl sie nicht einmal wußten, wer er eigentlich war.

"Sie können ob meiner Flugkünste ganz beruhigt sein", fuhr er fort, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, einen solchen Flug kurz vor dem Ziel zu unterbrechen, um kurzerhand auf offenem Gelände zu landen.

"Ist es denn wirklich nötig zu landen?" fragte Sergeant O'Brian, der auch in dieser ungewöhlichen Situation seinem Ruf gerecht wurde, die größte Klappe der gesamten Einheit zu haben.

Mike Rosefield grinste und sah dem Mann voll ins Gesicht, mit einem Blick, der dem Sergeanten durch Mark und Bein ging. "Sie ahnen gar nicht", bemerkte er doppeldeutig, "wie nötig unser kleiner Stopp sein wird. Es könnte ja sein, daß es um Leben und Tod geht, oder?"

Längst hatte der ehemalige Headhunter den Flieger in manueller Steuerung übernommen und die Landung eingeleitet. Der Hubschrauber verlor kontinuierlich an Höhe, die zentrale Flugüberwachung mußte die Unterschreitung der Toleranzwerte längst registriert haben.


*


Stimme B: "Flugroute des Zielobjekts wurde bei X minus 7 Minuten verlassen. Objekt wird bei X minus 3 außerhalb des Maximalbereichs der Zielerfassung sein. Erbitte weitere Anweisungen."

Stimme A: "Wo fliegt das Zielobjekt hin?"

Stimme B: "Mit 97prozentiger Wahrscheinlichkeit setzt Zielobjekt zur Landung an. Alternative Beta käme in Betracht."

Stimme A: "Kann ein Flugkörper gemäß Plan Beta das Zielobjekt noch vor der Landung zur Explosion bringen?"

Stimme B: "Positiv."

Stimme A: "Plan Beta ausführen."


*


Major O'Connor, Sergeant O'Brian und Sam Fairbanks sahen sich an, doch keiner sagte ein weiteres Wort. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als den geheimnisvollen Mann gewähren zu lassen. Warum, in drei Gottes Namen, wollte dieser Mensch so kurz vor Brüssel landen, noch dazu auf freiem Feld und unter Verletzung sämtlicher Sicherheitsvorschriften? Ließ sein hoher Status tatsächlich einen solchen Unsinn zu? Mußten sie sich die Spielereien eines Mannes gefallen lassen, der wohl ansonsten hinter seinem Schreibtisch vor Langeweile umkam? Hatte er nichts Besseres zu tun?

Sergeant O'Brian war nicht länger gewillt, dieses Spielchen einfach mitzumachen. "Hören Sie, Sir", setzte er an und ignorierte den stechenden Blick seines Vorgesetzten. "Es mag ja sein, daß Sie gute Gründe für diese Landung haben, aber ..."

"Die habe ich in der Tat, mein Freund", murmelte der Headhunter, der die Maschine schon auf 2000 Meter heruntergebracht hatte. "Es würde jetzt nur zu lange dauern, dir die Hintergründe auseinanderzusetzen, so gern ich's täte." Mikes Gehirn arbeitete auf Hochtouren, denn er wußte, daß er gleich drei Dinge auf einmal machen mußte; schließlich waren die drei bewaffnet und sicherlich nicht völlig unvertraut mit ihren Schußwaffen. Als erstes würde dieser vorwitzige Sergeant dran glauben müssen. Ihm war zuzutrauen, daß er sofort die Initiative ergriff. Die Zentrale in Brüssel würde die Kursabweichung und irreguläre Landung des Hubschraubers nahezu in Nullzeit registrieren. Wieviel Zeit würde ihm bleiben, bis er einer Kamera oder einem menschlichen Auge gegenüberstand, das sofort wissen würde, daß er der Falsche war?

"Hej, Mister", wieder war es der Sergeant, der den unliebsamen Gast aus seinen Überlegungen riß. "Ich kann auch ungemütlich werden. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ..."

Ohne mit der Wimper zu zucken, zog der Headhunter seine Waffe, drehte sich in seinem Sitz herum, ohne die Armaturen völlig aus den Augen zu lassen und drückte dem überraschten Soldaten den Lauf der K-27 an die Schläfe.

Nur ein kurzes Plopp war zu hören, nachdem der ehemalige Kopfgeldjäger abgedrückt hatte. All das ging so schnell, daß Major O'Connor und der Pilot zu keiner Reaktion fähig waren. Das blanke Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben, als sie hilflos mitansehen mußten, wie Sergeant O'Brian mit einem dumpfen Röcheln in sich zusammensackte. Er war tot, bevor der schwere Körper auf dem Boden aufschlug.

Mike Rosefield hatte sich längst wieder seiner Konsole zugewandt, die Pistole lag für die beiden Überlebenden gut sichtbar neben seiner rechten Hand.

"Ich würde Ihnen davon abraten", sagte er mit ruhiger Stimme, ohne sich zu den beiden umzusehen. "Fairerweise möchte ich Sie darüber in Kenntnis setzen, daß ich ein Telepath bin. Ich wäre also immer schneller. Lassen Sie sich das Schicksal Ihres Kollegen eine Warnung sein."

Kreidebleich lehnte Major O'Connor an der Kabinenwand. Die Luft in dem kleinen Cockpit empfand er plötzlich als drückend. Der stechende Geruch von Blut und Tod nahm den ganzen Raum ein, obwohl nur ein kleines Rinnsal an der Schläfe des Sergeanten von der tödlichen Verletzung zeugte. Langsam ließ der Offizier seine Hand, die zu seiner Waffe greifen wollte, wieder sinken. 'Was ist das bloß für ein Wahnsinniger, der einen Menschen so mir nichts, dir nichts tötet? Und was ist das für ein Quatsch mit Telepathen, so etwas gibt es doch nur in den alten Science-Fiction-Schinken aus dem vorigen Jahrhundert?!'

"Sie können's ja gerne mal ausprobieren, wenn Sie unbedingt denselben Fehler machen wollen wie der arme Teufel hier." Der VIP-0 drehte sich bei diesen Worten nicht einmal um, dennoch schien er genau zu wissen, was hinter ihm vor sich ging.

Fairbanks, der Pilot, suchte sich mit dem Major zu verständigen. Er warf ihm einen Blick zu, der nicht anders zu deuten war als: Zu zweit könnten wir ihn überwältigen ...

"Laß das, Sam", wies der Major den Piloten zurecht. "Es hat keinen Zweck. Er kann tatsächlich Gedanken lesen."

"Sehr vernünftig", lobte der falsche Koordinator. "Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich möchte mich auf die Landung konzentrieren. Oder wollen Sie vielleicht mit mir abstürzen?"

Major O'Connor antwortete nicht. Er bückte sich, so gut es in der Enge ging, und hockte sich neben den Toten. Er nahm dessen Hand, die sich schon kalt anzufühlen schien. Mit weitaufgerissenen Augen starrte der Sergeant ihn an, doch der Blick war längst gebrochen und drückte namenloses Entsetzen aus, so als hätte er in den wenigen Sekundenbruchteilen vor seinem Tod noch sehr genau begriffen, was geschehen würde.

Der Offizier fühlte sich mitschuldig am Tod seines jungen Adjutanten, den er nicht hatte bewahren können vor einem so sinnlosen und furchtbaren Ende. Wie oft hatte er ihn hart angefaßt, ihn angebrüllt, um ihm die Flausen aus dem Kopf zu treiben? Und doch war er ihm fast ans Herz gewachsen; schließlich sind sechs Jahre eine lange Zeit, zumal, wenn man sie unter so widrigen Umständen miteinander verbringt.

Jason O'Connor fühlte, wie eine kalte Wut in ihm hochstieg. Gehorsam hin, Gehorsam her, irgendwo gab es eine Grenze, wo es selbst ihm zuviel wurde ... Doch dann schlug eine Alarmsirene an, die er in diesen Breitengraden niemals zu hören erwartet hätte. "Marschflugkörper mit aktivierter Zündung im Anflug". Waren denn nun alle verrückt geworden? Wer wollte sie denn da abschießen? Oder konnte der Alarm auf einem Instrumentenfehler beruhen?

Sam Fairbanks, der neben dem Offizier gehockt hatte, fing an zu zittern. Auch er kannte diesen Alarm ganz genau und wußte, daß es für sie keine Rettung mehr gab, denn bis zum Aufschlag würden maximal 30 Sekunden vergehen.


*


Teilnahmslos und ohne jede innere Regung hatte Mike Rosefield Sekunden zuvor realisiert, in welch tödlicher Gefahr sie alle schwebten. Das Ortungssystem ließ sich so spezifizieren, daß der Marschflugkörper als kleiner Punkt auf dem Piloten-Bildschirm dargestellt wurde. Und dieser kleine Punkt kam dem ihm gegenüber wesentlich behäbigeren Hubschrauber unaufhaltsam näher. Wenn die optische Wiedergabe nicht täuschte - und Mike wußte, daß es tatsächlich so war - mußte man sogar den Eindruck gewinnen, daß der Flugkörper seine Geschwindigkeit steigerte, je näher er seinem Ziel kam.

Der ehemalige Headhunter lehnte sich im Pilotensessel zurück und ging auf automatische Steuerung - es würde keine Zeit mehr bleiben, um das Landemanöver zu Ende zu bringen. Vielleicht, so sinnierte er, war das sogar die beste Lösung, ein großer Knall, und alles war vorbei ...

'Wer sagt denn das?' Eine lautlose Stimme mußte diese Worte geflüstert oder seinen überspannten Nerven vorgegaukelt haben; Mike Rosefield hätte beim besten Willen nicht sagen können, wer hier zu ihm gesprochen hatte.

Mit einer für ihn eigentlich atypischen Langsamkeit - auf dem Bildschirm war der tödliche Punkt mittlerweile ein gutes Stück nähergekommen, nun blieben ihnen vielleicht noch 20 Sekunden - wandte der ehemalige Headhunter sich um und betrachtete die beiden hinter ihm auf dem Boden kauernden Männer, so als sähe er sie zum ersten Mal.

Die Todesangst stand ihnen ins Gesicht geschrieben, doch Mike fragte, so als gäbe es in diesem Moment nicht Wichtigeres zu tun, ob einer von ihnen eben etwas gesagt hätte.

"Mister, ich weiß nicht, was Sie wollen. Von uns beiden hat keiner etwas gesagt", antwortete der Pilot mit bleiernder Stimme. "Was auch? Oder wissen Sie vielleicht nicht, was dieser klitzekleine Punkt da zu bedeuten hat?"

"Danke der Nachfrage", hob Mike Rosefield an, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß er in nicht einmal einer halben Minute all seine Pläne würde vergessen können.

Der Major indessen starrte ihn mit offenem Mund an; er murmelte unentwegt Worte vor sich hin, die beim besten Willen nicht zu verstehen waren und in Ermangelung genauerer Kenntnisse als verzweifelte Gebete interpretiert werden konnten. Der Blick des Offiziers ging jedoch durch ihn hindurch, so als wäre er schon nicht mehr von dieser Welt.


*


Stimme A: "Situationsbericht."

Stimme B: "Plan Beta läuft reibungslos. Aufschlag und Zündung in 28 Sekunden. Das Zielobjekt hat inzwischen eine Flughöhe von 1800 Metern erreicht. Innerhalb des Zielobjekts hat eine Energieentladung stattgefunden, die auf den Einsatz konventioneller Schußwaffen mit hochenergetischem Nutzungsprofil schließen läßt."

Stimme A: "Irrelevant. Katastrophendienste an die voraussichtliche Absturzstelle beordern. Sondereinheit Flugstaffel Brüssel Nord soll etwaige Überlebende liquidieren."

Stimme B: "Logischer Fehler. Überlebenschancen menschlicher Wesen liegen bei absolut Null."

Stimme A: "Logikschaltung desaktivieren. Absturzstelle militärisch absichern, Zielobjekt restlos vernichten."


*


"Mike! Mike!! MIKE!!!" Von einer Sekunde zur nächsten wurde Mike Rosefield aus der Wirklichkeit gerissen. Er wußte nicht, wie ihm geschah, hätte nicht sagen können, ob er sich noch im Cockpit des Hubschraubers befand oder nicht - da war nichts außer dieser gellenden Stimme. Eine Frauenstimme, die ihn an irgendjemanden erinnerte ...

"MIKE!! MIKE!!!"

"Jetzt komm' ich drauf", sinnierte der ehemalige Headhunter. "Das ist doch dieselbe Stimme, die mir vorhin etwas einflüstern wollte. Na sowas!"

"Mike! Jetzt reicht's aber!! Bist du denn von Sinnen?"

"Woher kenn' ich diese Stimme bloß? An wen erinnert mich dieses Geschrei bloß?" grübelte Mike und war den tatsächlichen Geschehnissen noch immer weit entrückt. Und unaufhaltsam kroch die digitale Sekundenanzeige weiter, die der Computerdisplay des Hubschraubers mit maschineller Gefühlslosigkeit anzeigte. Noch 15 Sekunden bis zum Aufschlag, 14, 13 ...

"Mike! Du Idiot! Du verdammter Idiot!!"

"Idiot?" Allmählich dämmerte es in Mikes umnebeltem Gehirn. Es hatte nur einen Menschen gegeben, der ihn jemals so hatte beschimpfen dürfen - Darja.

"Darja?" fragte er leise und wußte nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte. Er hatte nie etwas auf dieses Jenseits- Gefasel abgedrehter Typen gegeben, und auch jetzt dachte er nicht darüber nach, ob Tote wohl wieder aufstehen oder sich aus der Hölle bemerkbar machen konnten ...

"Mike, du absoluter Vollidiot! Der Schleudersitz! Nimm' endlich den Schleudersitz!! Was soll denn dieses Theater!"

Schleudersitz? Schleudersitz!! Mike wandte sich der Konsole zu und überflog die Anzeigen, Schalter und Sensoren. Schleudersitz, das mußte eine Sonderfunktion sein, leicht zu finden im Notfall.

Der ehemalige Headhunter gewann seine Reaktions- oder besser Aktionsgeschwindigkeit zurück, so schnell, wie er sie verloren hatte. Mit untrüglichem Instinkt betätigte er den richtigen Hebel und nahezu zeitgleich wurde er hinausgerissen. Die Kälte des Fahrtwinds raubte ihm den Atem und trieb ihm Tränen in die Augen. Er umklammerte den Sitz und fingerte an den Gurten, bis die Schnalle einklickte - und in diesem Moment detonierte der Hubschrauber. Von der Wucht der Explosion wurde er samt Sitz noch weiter zurückgerissen, und das mit einer Gewalt, die ihm endgültig die Sinne raubte. Bewußtlos hing er zwischen den Seilen des Fallschirms, der sich über ihm entfaltet hatte und den freien Fall mit einem harschen Ruck abbremste - doch davon spürte Mike in diesem Moment nichts.


*


Bericht Flugstaffel Brüssel Nord: "Absturzstelle im Umkreis von 300 Metern hermetisch abgeriegelt. Zielobjekt nach dem Aufprall durch punktuellen Beschuß zerstrahlt."

Stimme A: "Besondere Vorkommnisse?"

Flugstaffelführer: "Negativ. Sondereinsatzstaffel bricht Einsatz ab. Katastrophendienste vor Ort im Einsatz. Ende."


*


Geordi Mescara, Staffelführer des Sondereinsatzkommandos, hätte beim besten Willen und selbst unter Folter nicht sagen können, warum er den kleinen Fallschirm, den er in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Hubschrauberabschuß registriert hatte, gegenüber der Zentrale unerwähnt ließ. Es war, als wäre speziell diese Information vollständig ausradiert worden. Leutnant Mescara war sich nicht einmal bewußt, welchen Frevel er da beging. Es gab allerdings auch niemanden, der ihm in diesem Punkt hätte Vorhaltungen machen können. Kein Mensch hatte den Fallschirm in einem nahegelegenen Wald landen sehen, und niemand hat je erfahren, was aus dem ohnehin längst totgeglaubten Headhunter am Ende geworden ist.


*


Ob durch ein Wunder oder nicht, Mike Rosefield hat die Explosion und den Absturz des Hubschraubers überlebt. Weitere Fragen drängen sich auf: Ist der ehemalige Headhunter sicher auf der Erde gelandet? Was allerdings heißt 'Überleben' in einer Welt, in der Perspektivlosigkeit längst zur greif- und fühlbaren Realität für jeden geworden ist?

(Ende des 13. und letzten Teils)


Erstveröffentlichung am 2. August 1997

22. Januar 2007