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TOURTIP/864: Anders reisen - Projekte in Venezuela (extratour - DJH)


Deutsches Jugendherbergswerk - extratour Nr. 4, Juli/August 2007

Anders reisen: Projekte in Venezuela
Aufbruchstimmung im "Land der vielen Wasser"

Von Claudia Heinrich


"In Venezuela herrscht großer Wille zur Veränderung", stellt Reiseexpertin Barbara Köhler auf ihren Reisen immer wieder fest. Interessierte, die das Land im Norden Südamerikas kennen lernen und dabei gemeinsam mit jungen Einheimischen an Aufbauprojekten mitwirken möchten, haben hierzu auf der Halbinsel Paria Gelegenheit.


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Paria, auf Indianisch das Land mit viel Wasser, prägen bezaubernde Kontraste. Karibikflair trifft auf südamerikanische Lebenswelt. Dichte Wälder rücken vor bis an menschenleere Badebuchten und Palmenstrände mit feinstem Sand. Wenige Meter im Inland fängt sich in den hügeligen Küstenurwäldern verdunstendes Meereswasser als Nebel zwischen den Bäumen. Weite Bereiche im Norden Parias sind als Nationalpark besonders geschützt und reich an Flora und Fauna. Inmitten von Bromelien, Orchideen, Lianen fühlen sich Pumas, Affen und Gürteltiere unbeobachtet wohl. In den Feuchtsavannen und sumpfigen Wäldern im Süden der Halbinsel leben Seekühe und Waldhunde. Hier laden Thermalquellen zum Suhlen in schwefelhaltigem Heilschlamm ein - Wellness für Haut und Gemüt. Kleinstadtflair erwartet Besucher in Carúpano, dem Tor zur Halbinsel. Hier lohnt ein Stadtbummel. Carúpanos Kathedrale, der Hafen, die Plätze mit Schatten spendenden Bäumen und die alten Kolonialbauten sind sehenswert.


Auf den Spuren eines Auswanderers

Doch es gibt auch Probleme auf Paria. Die Region zählt zu den ärmsten Venezuelas. Die Thomas-Merle-Stiftung leistet hier seit Jahrzehnten Hilfe zur Selbsthilfe. Gegründet hat sie der deutsche Auswanderer und ehemalige Entwicklungshelfer Wilfried Merle. Die Geschäftsführerin des DJH-Reisepartners Profil Cuba Reisen, kennt Land und Leute von zahlreichen Venezuela-Touren. Als reizvolle Reiseregion entdeckte sie 2005 die schmale Halbinsel im Nordosten des Landes - und führt Reisende mitten hinein in Parias Alltag. Im Kabelhaus - ältestes Haus von Carúpano und erste Telefonstation für Direktverbindungen zwischen Europa und Amerika - hat die Thomas-Merle-Stiftung ihren Sitz. Reisende finden Unterkunft im stiftungseigenen Centro Ambientat, Carúpanos Umweltzentrum mitten in einem botanischen Garten. Hier kommen sie bei gemeinsamen Pflanzaktionen mit den Jugendlichen aus der Umweltbrigade rasch ins Gespräch. Falls die eigenen Spanischkenntnisse nicht ausreichen, dolmetschen die Reisebegleiter. Sie organisieren den Aufenthalt und die Ausflüge in die Umgebung.


Nachhaltig reisen mit Engagement

Merles Fundación engagiert sich intensiv für die Bewohner der Region. Von Mitarbeitern der Stiftung lernen Bergbauern ökologiebewusste Alternativen zur Brandrodung. Heute bauen sie andernorts Kakao, Bananen und Zitrusfrüchte an, gründen Pensionen und andere Kleinunternehmen - und forsten die Wälder wieder auf. "Hier geben wir Reisenden Gelegenheit, den jungen Umweltbrigadieren zu helfen." Profil Cuba Reisen unterstützt damit auch Merles Idee eines nachhaltigen Paria-Tourismus: Ein Teil der Reisekosten kommt Merles Projekten zugute. Vom Engagement der Urlauber profitieren alle. Stundenweise wird angepackt und mitgemischt: unterrichtet, gepflanzt, oder Schulen und Krankenstationen eingerichtet - eben getan, was gerade anliegt, wenn die Reisegruppe im Land ist. Wo unser Einsatz erwünscht ist, erfahren wir meist erst vor Ort. Wie in allen südamerikanischen Ländern ist Flexibilität gefragt, sagt Barbara Köhler. Seit Regierungspräsident Chavez in Venezuela den Demokratisierungsprozess vorantreibt, tut sich einiges - auch für die arme Bevölkerung, die nicht vom Erdölreichtum Venezuelas profitieren konnte. An erster Stelle steht Eigeninitiative nach dem Vorbild Wilfried Merles auf Paria: Seine Stiftung hilft die genügsamen, rasch wachsenden Neembäume zu züchten, schult in Ökofragen, vergibt Kleinkredite, bietet den Kindern Sport- und Freizeitaktivitäten und fördert den sanften Tourismus vor Ort. "Paria ist sehr, sehr grün, einfach eine Naturpracht", schwärmt Barbara Köhler. "Damit die Reisenden die Schönheiten des Landes kennen lernen können, bleibt neben unserem Engagement natürlich viel Zeit für Sightseeing, Naturerfahrung und karibisches Strandleben."


Abtauchen in kristallklare Fluten

Selbst nach Ende der Regenzeit ist es in Venezuela tropisch feuchtwarm. Ein Dutzend leichte T-Shirts zum Wechseln gehören ins Reisegepäck, ebenso wie der dicke Pulli für kühle Abende in den Bergen. Und natürlich Badesachen! Am feinen Sandstrand "Playa Medina" können die Reisenden ausgiebige Sonnenbäder genießen und in kristallklare Fluten abtauchen. Und wer das Glück hat, zur rechten Zeit in "Playa Puipuy" zu sein und sich diskret verhält, kann neben Pelikanen und Fregattvögeln auch Meeresschildkröten beobachten: Sie kommen alljährlich zum Laichen an diesen Strand. Ihr Schutz ist ebenfalls ein Anliegen von Wilfried Merles "Proyecto Paria". "In den letzten Jahren hat der Staat immer häufiger die Betreuung und Finanzierung der von ihm angestoßenen Initiativen übernommen", freut sich Barbara Köhler. "Das schaffte Freiraum für neue Projekte." Eines davon ist die Wasserbüffelranch Campamento Río de Agua. Lange hatte Merle überlegt, wie er fast 1.000 Hektar Feuchtsavanne im Süden Parias ökologisch sinnvoll nutzen könnte. Die ideale Lösung: eine Wasserbüffelzucht. Die rund 800 Tiere dienen zur Fleisch-, Milch- und Käseproduktion - und als motive für Reisegruppen. Auch Merles ökologisch geführte Kakaohacienda steht für Besichtigungen offen. Hier können Interessierte alle Stationen von der Kakaobohne bis zur Schokoladenverkostung verfolgen. Naschen erlaubt! Ob Büffel, Kakao oder ein Besuch beim Bürgermeister - welche Begegnungen der Aufenthalt für die Reisegruppe bereithält, entscheidet sich vor Ort. Spontaneität ist Trumpf. Wer dabei Lust bekommt auf einen längeren Paria-Aufenthalt, erhält von Profit Cuba Reisen Unterstützung bei der Planung. "Einer unserer Reiseteilnehmer hat sich entschieden, im Anschluss einfach ein paar Wochen lang zu bleiben und in einer Bergdorfschule Englisch zu unterrichten", erinnert sich Barbara Köhler. Wilfried Merle ist eben nicht der Einzige, den das "Land mit viel Wasser" inspiriert.

Wilfried Merle wurde als deutscher Entwicklungshelfer vor mehr als 30 Jahren in Venezuela sesshaft. Hier gründete er die nach seinem verstorbenen Sohn benannte Stiftung "Fundación Thomas Merle".


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Quelle:
extratour Nr. 4, Juli/August 2007, S. 26-28
Die Zeitschrift für Mitglieder im Deutschen Jugendherbergswerk
Herausgeber: Deutsches Jugendherbergswerk DJH
Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V.
Leonardo-da-Vinci-Weg 1, 32760 Detmold
Tel.: 05231/99 36-0, Fax: 05231/99 36-66
Internet: www.jugendherberge.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Der Bezugspreis der Zeitung ist im
DJH-Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2007