Schattenblick →INFOPOOL →UNTERHALTUNG → REISEN

TOURTIP/967: Hochseevögel in der Deutschen Bucht in Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2010

Hochseevögel in der Deutschen Bucht in Niedersachsen und Schleswig-Holstein -
Das Spiel mit dem Wind

Von Christoph Moning, Christopher König, Christian Wagner und Felix Weiß


Erst seit Beginn der 1990er Jahre richten Ornithologen und Vogelbeobachter ihre Augen verstärkt in Richtung der offenen See. Insbesondere durch das deutsche Seabirds at Sea Programm und planmäßige Beobachtungen des Vogelzuges auf Helgoland wuchs das Wissen über das Auftreten von Hochseevögeln in Deutschland rasch an. In den letzten Jahren erweitern zahlreiche Untersuchungen im Rahmen von Genehmigungsverfahren für Offshore Windparks die Erkenntnisse zum Auftreten von Hochseevögeln in der Deutschen Bucht. Ehemals als selten eingestufte Arten, wie beispielsweise Dunkler Sturmtaucher oder Skua, werden nun alljährlich und teilweise in beachtlicher Zahl beobachtet. Wer allerdings bei einer Überfahrt nach Helgoland über die weite See blickt, stellt bald fest, dass die Nordsee kein Eldorado für Hochseevögel ist. Nur unregelmäßig lassen sich beispielsweise Lummen, Basstölpel oder gar Röhrennasen blicken. Jedoch liegt die Möglichkeit, in Deutschland seltene Arten zu entdecken, stets nur ein Wellental entfernt und die Beobachtung ziehender Singvögel, die sich erschöpft an Deck niederlassen, vermittelt ein beeindruckendes Bild vom Vogelzug.

Besonders wer von Land aus das Meer beobachtet, kann Vogelzug live erleben, denn fast das ganze Jahr überqueren Schwäne, Gänse, Enten, Limikolen, Möwen und Seeschwalben teilweise in sehr großer Zahl die offene See und nutzen die Küste als Leitlinie. Dabei bietet die Bestimmung weit entfernt fliegender Vögel die Möglichkeit, die eigenen Bestimmungsfähigkeiten stetig zu verbessern.



Hochseevögel beobachten

Die Beobachtung von Seevögeln von der Küste oder von Inseln aus wird auch im deutschen Sprachraum gemeinhin als "Seawatching" bezeichnet. Die zumindest sinngemäß richtige Bezeichnung dieser Tätigkeit offenbart sich immer wieder, denn Seawatching ist über weite Strecken nichts anderes als die Beobachtung der See. Wie bereits der englische Vogelkundler Bill Oddie treffend bemerkte, erwecken dabei manche Beobachter den Eindruck, ihr Spektiv lediglich als Stütze für ein Nickerchen zu verwenden. Der Reiz des Seawatching erschließt sich nicht für jedermann und oft erst im Laufe der Zeit, wenn sich an guten Zug- oder Sturmtagen erinnerungswürdige Erfolge einstellen.

Die abseits des Atlantiks gelegene Deutsche Bucht und besonders deren Küste wird von den meisten Hochseevögeln eher gemieden. Nur starke Stürme aus nordwestlicher Richtung besonders im Herbst, wenn viele Hochseevögel im Ostatlantik nach Süden ziehen, vermögen es diese regelmäßig in die südöstliche Nordsee zu verdriften.

Die einfachste Möglichkeit, Hochseevögel auf kurze Distanz zu beobachten, bietet sich zwischen März und Juni am Lummenfelsen auf Helgoland. Hier hinterlassen Eissturmvögel, Basstölpel, Dreizehenmöwen, Trottellummen und Tordalke durch Betriebsamkeit, Lärm und Gestank einen bleibenden Eindruck. Die beste Zeit ist März bis Juni, wenn die Lummen auf den Felsen brüten. Eissturmvögel, Basstölpel und Dreizehenmöwen lassen sich noch bis weit in den Spätsommer hinein beobachten. Die Fährfahrt nach Helgoland ist eine weitere Möglichkeit, Hochseevögel in ihrer natürlichen Umgebung zu erleben. Ein Spektiv ist auf dem schwankenden Schiffsdeck jedoch nutzlos, ein Fernglas muss reichen.

Ab Windstärke 7 aus west-nord-westlichen Richtungen hat man auch von Land aus sehr gute Chancen, Hochseevögel zu entdecken. Bei stürmischen Winden sind die Beobachtungspunkte an der Küste sogar meistens besser als auf Helgoland und auf den Schiffsrouten. Die Hochseevögel werden vom starken Wind verdriftet und gelangen so nah an die Küste und in die Flussmündungen zum Beispiel von Elbe und Weser. Der erste Tag direkt nach einem Sturm ist erfahrungsgemäß der lohnendste. Die beste Tageszeit ist der Morgen.

Bei der Beobachtung von Land aus wird man die Objekte der Begierde oft nur als weit entfernte Punkte sehen können, sodass ein Spektiv mit stabilem Stativ unerlässlich ist. An vielen Spektiven lässt sich an der Mittelsäule ein Haken anbringen, an dem man beispielsweise einen Rucksack anhängen kann, sodass zusätzliches Gewicht dem Stativ weitere Stabilität verleiht. Ebenso wichtig wie ein stabiles Stativ ist der richtige Spektivkopf. Für die Beobachtung von Seevögeln sind praktisch nur sogenannte Videoneiger zu gebrauchen. Sie erlauben ein müheloses mitschwenken mit den oft schnell vorbeifliegenden Vögeln. Kugelköpfe oder Dreiwegeneiger, wie sie besonders von Fotografen verwendet werden, lassen sich nicht gleichmäßig schwenken. So verliert man Vögel schnell aus dem Blick und findet sie dann vor dem gleichförmigen Hintergrund oft nicht wieder. Warme, wind- und wasserdichte Kleidung sowie ein Sitzkissen sind bei langen Aufenthalten an der herbstlichen Küste ebenfalls dringend erforderlich.

Die Wahl des Beobachtungsplatzes bestimmt sich aus zwei Aspekten: Er muss exponiert ins Meer ragen, um möglichst nahe an die Hochseevögel heranzukommen und gleichzeitig windgeschützt sein. Schon ab Windstärke 4 bis 5 verwackelt das Spektivbild derartig, dass artdiagnostische Merkmale nicht mehr erkannt werden können. Flach über das Wasser ziehende Vögel können in langen Wellentälern verborgen bleiben. Man sollte beim Seawatching also nicht von zu niedriger Warte aus beobachten. Andererseits sollte der Beobachtungsstandort, wenn möglich, nicht mehr als 15über dem Meeresspiegel liegen, da aufgrund des hohen Beobachtungswinkels nahe vorbeifliegende Vögel sonst kaum entdeckt werden können.

Einem einzelnen Beobachter entgehen immer wieder interessante Vögel. Es ist daher effektiver, in der Gruppe zu beobachten. Zur schnellen Verständigung sollte man sich anfangs über Fixpunkte wie Fahrwassertonnen und Seezeichen einigen, die später beim Auffinden von angesagten Vögeln dienen können. Der Horizont wird mit dem Spektiv regelmäßig mit geringer Geschwindigkeit abgeschwenkt. Wenn deutlicher Vogelzug zu verzeichnen ist, macht es Sinn, gegen die Hauptzugrichtung zu schwenken, sodass man möglichst viele vorbeiziehende Vögel frühzeitig mitbekommt.

Verfügt man am Spektiv über ein Zoom-Okular, beobachtet man am besten zur Übersicht mit einer geringen Vergrößerung, um dann, wenn man einen interessanten Vogel entdeckt hat, näher heranzuzoomen.



Besondere Vogelarten und Reisezeit

Zur Beobachtung von Hochseevögeln eignet sich besonders der Zeitraum von Spätsommer bis Herbst. Früher wurden die Spektive vor allem in den klassischen Zugmonaten September und Oktober auf das Meer gerichtet. Zu dieser Zeit darf der geduldige Beobachter auf Dunkle Sturmtaucher, Wellenläufer und Schwalbenmöwen hoffen. Der Durchzug junger Raubmöwen erreicht im September seinen Höhepunkt und neben den dominierenden Schmarotzerraubmöwen lassen sich vereinzelte Spatelraubmöwen und selten auch Falkenraubmöwen beobachten. Basstölpel und Dreizehenmöwen sind in diesen Monaten häufig zu sehen. Der Sommer bietet einen ganz eigenen Aspekt und kann, im Gegensatz zur allgemeinen Annahme, dass diese Jahreszeit wenig Sehenswertes bietet, sehr lohnend zum Seawatchen sein. Atlantiksturmtaucher und Balearensturmtaucher gelangen zu dieser Jahreszeit regelmäßig in die Deutsche Bucht. Der Durchzug der Raubmöwen beginnt mit den leichter zu bestimmenden Altvögeln, außerdem ziehen Fluss- und Küstenseeschwalben in großer Zahl durch. Von Seiten der Witterung häufig eine Herausforderung und auch von der Vogelwelt her wieder völlig anders präsentiert sich der November. Nach Stürmen aus nordwestlicher Richtung darf man in diesem Monat auf Sturmschwalben, Thorshühnchen und Krabbentaucher hoffen. Skuas sind regelmäßig zu sehen, ebenso wie Stern- und Prachttaucher.

In allen Monaten hängt der Beobachtungserfolg, abgesehen von der Seevogelkolonie am Helgoländer Lummenfelsen, wesentlich von den Wetterbedingungen ab. Es macht Sinn, in Abhängigkeit von der Witterung kurzfristig aufzubrechen. Einen guten Überblick über das aktuelle Zuggeschehen bietet die Seite www.trektellen.nl. Dort werden aktuelle Tagessummen von diversen europäischen Beobachtungspunkten, darunter die Kurpromenade von Westerland, veröffentlicht. Neben echten Hochseevögeln lassen sich, deutlich unabhängiger von der Windsituation, praktisch alle in Deutschland durchziehenden Entenvögel, Limikolen und viele Singvogelarten bei ihrem Zug über die Deutsche Bucht beobachten.



Beobachtungsmöglichkeiten

Bei Nordweststürmen im Spätsommer und Herbst zählt die Kugelbake Cuxhaven aufgrund ihrer Lage an der Elbmündung zu den lohnendsten Beobachtungsorten für Hochseevögel in Deutschland. Die besten Beobachtungspunkte sind die "Alte Liebe" oder das "Steubenhöft", weil man sich hier windgeschützt postieren kann. Auch ziehende Gänse, Enten und Singvögel lassen sich gut beobachten. Wenn kein Sturm herrscht, stellt man sich am besten an der Deichkrone südlich der Kugelbake auf. Ab Ende Februar setzt der Durchzug der Weißwangen- und Blässgänse ein. Danach prägen Singvögel, vor allem Wiesen- und Baumpieper, Stelzen und Schwalben das Bild. Auch durchziehende Mäusebussarde, Fischadler, alle drei Weihenarten und Merline lassen sich beobachten. Wanderfalken rasten auf der Kugelbake selbst oder auf den Seezeichen, die dem Leitdamm vorgelagert sind. Im Herbst dominieren Drosseln, Wiesenpieper und Finken den Singvogelzug. Rastende Vögel können am besten direkt hinter dem Deich in dem Wäldchen rund um das Fort beobachtet werden. Hier findet man auch Grasmücken, Laubsänger und viele Wintergoldhähnchen. An der Kugelbake und am Bauhafen rasten Steinschmätzer, Stelzen und Ammern. Im Winter halten sich hier oft Schneeammern auf. Auch Sanderlinge, Steinwälzer und Meerstrandläufer besuchen diesen Bereich im Winter. Im Becken des Bauhafens schwimmen Lappentaucher und Enten, darunter regelmäßig Mittelsäger. Westlich der Kugelbake sammeln sich im Winter besonders viele Eiderenten, aber auch Sterntaucher.

Fährverbindungen nach Helgoland werden im Sommer von zahlreichen Häfen an der Küste und von einigen Inseln angeboten. Die wichtigsten Abfahrtshäfen sind Büsum, Hamburg, Cuxhaven und Wilhelmshaven. Ab Mitte Oktober verkehrt nur noch die Fährverbindung ab Cuxhaven. Auf der Insel selbst ist die Jugendherberge im Nordosten der Hauptinsel der beste Platz für die Beobachtung von vorbeiziehenden Hochseevögeln (Windschutz am Gebäude).

Die Kurpromenade in Westerland auf Sylt gehört bei Starkwinden aus westlicher Richtung ebenfalls zu den sehr lohnenden Beobachtungspunkten. Hier hat man nachmittags jedoch störendes Gegenlicht und verbringt viel Zeit damit, Urlaubern Fragen zu beantworten. Unabhängig von der Windstärke lassen sich ziehende Gänse, Trauerenten, Sterntaucher, Seeschwalben, Zwergmöwen und andere Wasservögel beobachten. Im Winter rasten Sanderlinge am Strand. Der Zugang zur Kurpromenade ist kostenpflichtig. Wettergeschützte Beobachtungsstandorte sind die überdachten Bänke direkt an der Musikmuschel auf der Kurpromenade.

Nach starken Nordweststürmen im Herbst werden Hochseevögel in die Elbe bis nach Hamburg verdriftet. Wenn der Sturm sich abschwächt, verlassen die Vögel die Elbe wieder in Richtung Nordsee. Neben Cuxhaven ist dann auch die "Strandhalle" in Brunsbüttel ein guter Beobachtungsort. Es handelt sich um ein Lokal auf dem Elbdeich im Südwesten Brunsbüttels (Deichstraße 75). Weitere lohnende Beobachtungspunkte sind auch die Kühlwasserausflüsse der Atomkraftwerke von Brunsbüttel und Brokdorf. Auf Neuwerk ist das Badehäuschen im Norden der Insel ein guter Punkt, um nach Stürmen nach verdrifteten Hochseevögeln Ausschau zu halten. Allerdings sind die Beobachtungsdistanzen recht groß.

Auf Wangerooge ist die Kurpromenade der beste Seawatchingplatz. Windschutz findet man z. B. am Schwimmbad. Bei schwächerem Wind sind ähnliche Beobachtungen auch vom Deichübergang östlich des ehemaligen Mutter-Kind-Kurheimes "Villa Kunterbunt" möglich (östlich des Ortes). Zu den Zugzeiten und im Winterhalbjahr können stets einige Trauerententrupps und einzelne Sterntaucher beobachtet werden. An guten Zugtagen kann der Zug von Eiderenten und Weißwangengänsen spektakulär sein.

Auf Norderney stellt das Ostende der Strandpromenade den besten Kompromiss bei stürmischem Wetter dar. Dort steht man geschützt und gleichzeitig einigermaßen exponiert.

Auf Borkum ist der Nordstrand die beste Stelle zum Seawatchen. Auf der Uferpromenade in Borkum-Ort gelangt man entlang des Nordstrandes auf dem Dünenweg zum "Cafe Seeblick". Hier liegen etwa 200 m vor einem, bis die offene See beginnt. Der Küstenverlauf bewirkt an dieser Stelle, dass Meeresenten, Seetaucher, Sturmvögel, Basstölpel, Raubmöwen, Alke und Dreizehenmöwen in Ufernähe vorbeikommen. Gleichzeitig steht man windgeschützt.

Weitere gute Beobachtungspunkte sind der Bereich der Wesermündung (Bremerhaven), exponierte Punkte an der Westküste Schleswig-Holsteins (z. B. St. Peter-Ording) und alle weiteren Ostfriesischen Inseln.


*


Infomaterial/Literatur:

Blomdahl A, Breife B, Holmstrom N 2003: Flight Identification of European Seabirds. Christopher Helm.

Dierschke J, Lottmann R, Potel P 2008: Vögel beobachten im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer.

Mendel B, Sonntag N, Wahl J, Schwemmer P, Dries H, Guse N, Müller S, Garthe S 2008: Artensteckbriefe von See- und Wasservögeln der deutschen Nord- und Ostsee. Naturschutz und Biologische Vielfalt 61.

Moning C, Weiß F 2007: Vögel beobachten in Norddeutschland. Kosmos, Stuttgart.

Oddie B 1998: Bill Oddie's Little Black Bird Book. Anova Robson Books.


*


Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2010
57. Jahrgang, Oktober 2010, S. 389-392
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2010