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TOURTIP/970: Die Insel Wangerooge in Niedersachsen (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2010

Die Insel Wangerooge in Niedersachsen - Vogelbeobachten aus der Eisenbahn

Von Felix Weiß, Christopher König, Christoph Moning, Christian Wagner


Wangerooge liegt im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, dem 2009 von der UNESCO die Auszeichnung Weltnaturerbe verliehen wurde. Sie ist die östlichste der Ostfriesischen Inseln und mit etwa 8 km2 die zweitkleinste. Sumpfohreule und Kornweihe sind stetige Brutvögel und im Frühjahr und Herbst lässt sich der Vogelzug eindrucksvoll beobachten.


Landschaftsgeschichte und Lebensräume

Wangerooge, die Insel (Oog) vor dem Wangerland, ist wie alle ostfriesischen Inseln eine Düneninsel und somit nach geologischen Zeitmaßstäben sehr jung. Sie entstand erst nach dem Ende der Eiszeiten. Die Insel ging aus einer Sandbank hervor, die sich in der Brandungszone zwischen offener Nordsee und Wattenmeer im Zusammenspiel von Strömung und Wellen bildete. Kleine vom Wind geformte Sanddünen wurden von der Dünen-Quecke (Agropyron pungens) besiedelt und befestigten Primärdünen, die weiter in die Höhe wuchsen und schließlich vom Gewöhnlichen Strandhafer (Ammophila arenaria) besiedelt werden konnten, der charakteristisch für die jungen, sogenannten Weißdünen ist. Auf der dem Wattenmeer zugewanden Seite der Dünen lagerte sich Schlick ab, der zunächst vom Europäischen Queller (Salicornia europaea) besiedelt wurde und sich schließlich zu einer artenreichen Salzwiese entwickelte. Von der Entstehung der Ostfriesischen Inseln hat man eine sehr gute Vorstellung, da sie noch heute an vielen Orten im Wattenmeer beobachtet werden kann. So entstand auf diese Weise im 20. Jahrhundert der Hohe Knechtsand, eine kleine Insel zwischen Wangerooge und Neuwerk, die mittlerweile jedoch wieder verschwunden ist.

Aus den Weißdünen wurde mit der Zeit Kalk ausgewaschen und es bildete sich eine dünne Humusschicht und Graudünen entstanden. Mit fortschreitender Bodenbildung wurden diese zu Braundünen, auf denen unter anderem Sanddorngebüsche und Heiden wachsen. Zwischen den Dünenkämmen bildeten sich feuchte, vermoorte Senken.

Die natürliche Abfolge der Lebensräume ist auf Wangerooge noch vielerorts, vor allem aber im Ostteil der Insel, zu erkennen. Andere Bereiche der Insel wurden durch den Menschen stark überformt. West- und Ostinnengroden wurden durch Deiche dem Einfluss der Nordsee entzogen und süßten aus. Kreisrunde, wassergefüllte Bombentrichter in den Wiesen sind Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs. Im Ort wachsen Bäume und Sträucher auf der ursprünglich baumfreien Insel. Der Strand ist an vielen Stellen durch Buhnen befestigt und die Dünen im Westen der Insel sind teilweise durch ein Deckwerk aus Steinen und Asphalt ersetzt worden. Ohne diese Küstenschutzmaßnahmen würde Wangerooge immer weiter nach Osten wandern. In den letzten 300 Jahren legte das Eiland gut zwei Kilometer zurück.


Besondere Vogelarten und Reisezeit

Sumpfohreulen und Kornweihen haben auf den Ostfriesischen Inseln ihren Verbreitungsschwerpunkt innerhalb Deutschlands. Von April bis Juli hat man sehr gute Chancen, die beiden Arten auf Wangerooge zu beobachten. Die Wiesen im West- und Ostinnengroden sind ein bedeutendes Brutgebiet für Uferschnepfen und Kiebitze. In den Salzwiesen brüten Austernfischer und Rotschenkel in hoher Dichte. Feldlerchen und Wiesenpieper kommen hier ebenfalls vor. Große Möwen- oder Seeschwalbenkolonien fehlen auf Wangerooge, dennoch kommen Herings-, Silber-, Sturm- und Lachmöwe als Brutvögel vor. In den Dünen brüten Brandgänse in zahlreichen Paaren. Im Ort leben viele Dohlen und Türkentauben. Birkenzeisige sind auf der Insel verbreitete, aber unauffällige Brutvögel.

Der Vogelzug ist im Frühjahr besonders stark ausgeprägt. Die Kette der Ostfriesischen Inseln übt zu dieser Jahreszeit eine starke Leitlinienfunktion aus, die auf dem Herbstzug in dieser Form nicht gegeben ist. Neben tagziehenden Singvogelarten aus den Familien der Finken, Lerchen, Pieper und Schwalben sind auch Entenvögel sehr zahlreich, vor allem Eiderenten, Ringelgänse, Weißwangengänse und Blässgänse.

Im Herbst ist Wangerooge ein ausgezeichneter Ort zum Beobachten von Seevögeln. Wellenläufer und Dunkle Sturmtaucher werden alljährlich beobachtet. Zu dieser Zeit beeindrucken auch die großen Schwärme arktischer Limikolen. Alpenstrandläufer und Knutts sind besonders zahlreich. Kiebitzregenpfeifer, Sandregenpfeifer und Große Brachvögel sind jedoch ebenfalls allgegenwärtig.

Ohrenlerchen, Berghänflinge, Strandpieper und vereinzelt auch Spornammern überwintern in Wangerooges Salzwiesen. Schneeammern können vor allem auf dem Strand beobachtet werden. An den Küstenschutzanlagen im Westen der Insel überwintern Steinwälzer und Meerstrandläufer. Sanderlinge bevorzugen den langen Strand der Insel.


Beobachtungsmöglichkeiten

Wangerooge ist Teil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Lediglich der Ort, der Flugplatz und die besiedelten Flächen im Westen der Insel gehören nicht zum Nationalpark, die übrigen Bereiche sind in drei Schutzkategorien mit unterschiedlichen Betretungsregelungen aufgeteilt. Die mit blauen Schildern gekennzeichnete Ruhezone schützt die empfindlichsten und wertvollsten Bereiche des Nationalparks und darf nur auf ausgewiesenen Wegen betreten werden. Die Zwischenzone darf auch außerhalb der Wege betreten werden. Ausgenommen hiervon sind Salzwiesen in der Brutzeit vom 1. April bis 31. Juli und die trittempfindlichen Dünen. Die Erholungszone schließlich umfasst unter anderem den Strandbereich, der frei betreten werden darf. Wattwanderungen sollten nur mit einem ortskundigen Wattführer unternommen werden.

Die Überfahrt nach Wangerooge ist nur in einem kurzen Zeitraum vor und nach Hochwasser möglich. Die Wattflächen stehen daher während der Fahrt unter Wasser. Zahlreiche Eiderenten schwimmen in den flachen Gewässern zwischen Insel und Festland und Flussseeschwalben sind bei der Jagd zu beobachten.

Der Hafen von Wangerooge liegt an der Südwestspitze der Insel und bietet bereits erste Eindrücke der Vogelwelt. Steinwälzer und einzelne Meerstrandläufer rasten auf dem Bahndamm und die Weidenbüsche hinter den Hafengebäuden wirken wie ein Magnet auf durchziehende Singvögel.

Vom Hafen fährt die Inselbahn durch den Westaußengroden in den Ort. Die Fahrt führt vorbei an Hochwasserrastplätzen von Großen Brachvögeln, Austernfischern, Pfuhlschnepfen und Ringelgänsen. Der Zug fährt langsam und die Vögel sind bis zu einem gewissen Grad an ihn gewöhnt, wodurch sich ausgezeichnete Möglichkeiten zum Beobachten und Fotografieren bieten. Bei den im Oktober 2010 zum zweiten Mal in Nationalpark veranstalteten Zugvogeltagen wurde die Bahn erstmals auch gezielt als rollendes Beobachtungsversteck eingesetzt.

Vom Bahnhofsgebäude im Ort verläuft die Zedeliusstraße nach Norden zur Kurpromenade. Vorbei am alten Leuchtturm, der heute als Aussichtsturm dient, liegt nach etwa 300 m rechterhand der Rosengarten, an dessen östlichen Ende etwas versteckt das Nationalpark-Haus "Rosenhaus" steht. Das Rosenhaus beherbergt das ganzjährig geöffnete Informationszentrum des Nationalparks mit einer umfangreichen Ausstellung zur Inselnatur. Die Mitarbeiter veranstalten zudem naturkundliche Führungen, unter anderem auch Wattwanderungen. Vogelkundliche Führungen werden im Sommerhalbjahr vom Mellumrat e. V. angeboten, der im Osten und Westen der Insel jeweils eine Station unterhält. Die Termine richten sich nach den Gezeiten und hängen in den Schaukästen an den Stationen aus.

Die Bäume um das Rosenhaus und im angrenzenden Park sind zu den Zugzeiten beliebte Rastplätze von Singvögeln. Vor allem Grau- und Trauerschnäpper, Fitisse, Zilpzalpe und Rotkehlchen sind zu beobachten. Regelmäßig wurden in den letzten Jahren im Oktober Gelbbrauen-Laubsänger entdeckt.

Die Kurpromenade am Ende der Zedeliusstraße ist im Frühjahr und Herbst ein ausgezeichneter Ort, um den Zug von See- und Meeresvögeln entlang der Küste zu beobachten. Vor allem Eiderenten und Gänse ziehen in großer Zahl durch. Bei Herbststürmen aus nordwestlicher Richtung sind Seevögel wie Basstölpel oder Dreizehenmöwen zu sehen. Im Sommerhalbjahr patrouillieren am Strand stets Brandseeschwalben, im Winter können Sanderlinge beobachtet werden. Die Gebäude am Schwimmbad im Westen der Promenade bieten Schutz vor Wind und Regen.

Die Wiesen im Westinnengroden sind ein wichtiges Brutgebiet für Uferschnepfen und Kiebitze, die sich vom Deich oder vom neuen Leuchtturm aus beobachten lassen. Bei Hochwasser rasten auf den Wiesen Herings- und Silbermöwen. Im Frühling äsen Ringelgänse das frisch sprießende Grün und Goldregenpfeifer rasten. Weißwangengänse sind ganzjährig zu beobachten und brüten hier auch. Kornweihen fliegen im niedrigen Jagdflug über dem Gelände und in der Dämmerung ist dies ein guter Ort, um Sumpfohreulen zu sehen.

Ähnliche Arten sind auch im Ostinnengroden zu beobachten. Zudem bietet der Sielausfluss vom Ostinnengroden auch bei Niedrigwasser sehr gute Beobachtungsmöglichkeiten. Ringelgänse, Pfeifenten und Spießenten rasten hier gerne und die Salzwiesen mit ihren kurzen Quellerrasen bieten Nahrung für Ohrenlerchen und Berghänflinge. Bei Hochwasser rasten zahlreiche Austernfischer in diesem Bereich.

Der breite Strand an der Ostspitze von Wangerooge ist ein großer Hochwasserrastplatz, den vor allem Alpenstrandläufer, Knutts und Kiebitzregenpfeifer nutzen. Die Schwärme sind sehr störungsempfindlich und sollten daher nur aus gebührendem Abstand, am besten mit einem Spektiv, beobachtet werden. Am Strand halten sich im Winter Schneeammern auf.

Zu den besten Beobachtungspunkten auf Wangerooge gehört eine Plattform auf dem Dünenkamm im Osten der Insel. Vor allem bei schwachem Ostwind lässt sich hier im Frühjahr und Herbst in den Morgenstunden spektakulärer Durchzug von Singvögeln und Gänsen beobachten. Zu den häufigsten Durchzüglern gehören Rauchschwalben, Stare, Sing-, Rot- und Wacholderdrosseln, Wiesen- und Baumpieper, Bach-, Thunberg- und Wiesenschafstelzen, sowie Buch- und Bergfinken. Aber auch seltenere Arten wie Ringdrosseln sind zu erwarten und schon mehrfach wurden hier durchziehende Spornpieper beobachtet.


Weitere Freizeitmöglichkeiten

Von Wangerooges Ostspitze blickt man auf die Nachbarinsel Minsener Oog, die nur zeitweise von einem Naturschutzwart des Mellumrats und Wissenschaftlern des Instituts für Vogelforschung bewohnt wird. Mit Ausnahme eines kleinen Besucherbereichs im Südteil, liegt die Insel vollständig in der Ruhezone des Nationalparks. Von Schillig, 15 km östlich von Harlesiel, aus werden im Sommerhalbjahr geführte Wattwanderungen nach Minsener Oog angeboten. Auf Minsener Oog brüten Brand-, Fluss-, Küsten- und Zwergseeschwalben.


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Infomaterial/Literatur:

Dierschke J, Lottmann R, Potel P 2008: Vögel beobachten im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer.
Verlag der Heinrichshofen-Bücher, Wilhelmshaven.

Moning C, Weiß, F 2007: Vögel beobachten in Norddeutschland - Die besten Beobachtungsgebiete zwischen Sylt und Niederrhein.
Franckh-Kosmos-Verlag, Stuttgart.



Anfahrt

Mit Bahn und Bus:
Der nächstgelegene Bahnhof ist Sande. Von dort verkehrt der "Tidebus" zum Fähranleger in Harlesiel. Die Fahrzeiten von Bus und Fähre sind aufeinander abgestimmt. Der Fährverkehr ist von den Gezeiten abhängig. Abfahrtzeiten können bei der Reiseauskunft der Bahn abgerufen werden. Die Überfahrt dauert etwa 50 Minuten. In der Regel finden zwei Abfahrten am Tag statt. Vom Anleger an der Westspitze Wangerooges verkehrt die Inselbahn in den zentralen Ort.

Mit dem Auto:
Den Fähranleger in Harlesiel erreicht man über die A 29 bis Wilhelmshavener Kreuz und weiter über die B 210 Richtung "Wittmund/Jever". Bei Wittmund wechselt man auf die B 461 Richtung "Carolinensiel". Wangerooge ist eine autofreie Insel. Am Fähranleger in Harlesiel sind kostenpflichtige Parkplätze vorhanden.



Adressen

Nationalpark-Haus (Rosenhaus) Wangerooge
Friedrich-August-Straße 18, 26486 Wangerooge
Tel.: 04469/8397, E-Mail: nationalparkhaus.wangerooge@t-online.de
www.nationalparkhaus-wangerooge.de

Mellumrat e.V, Vogelwärterhaus
im Osten (ganzjährig) Tel.: 04469/8174
im Westen (März-Oktober) Tel.: 04469/8179
www.mellumrat.de


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2010
57. Jahrgang, Dezember 2010, S. 485-488
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2010