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SCHLUCKAUF/0062: Das Welterbe sichern - Nachtisch & Satire (SB)


Das Welterbe sichern


Der vom SCHLUCKAUF in seinem mediterranen Ruhestands-Domizil aufgestörte Kies Schmutzstecken (81), ehemaliger wirtschaftstrategischer Berater der UNESCO (1972 bis 1981), hat sich nach langem Zögern nun doch zu einem offenen Gespräch zum Thema "Welterbe" bereiterklärt.

SCHLUCKAUF: Herr Schmutzstecken, die UNESCO hat 1972 die Begriffe "Weltkulturerbe" und "Weltnaturerbe" international eingeführt. Wollte sie sich dadurch gewissermaßen zum "Weltnotar" aufschwingen?

SCHMUTZSTECKEN: Kommen Sie mir bloß nicht so neunmalkritisch. Sie haben doch keinen Schimmer, vor welchen Problemen wir damals standen. Der Hunger der jungen Konzerne nach prestigeträchtigen Großobjekten wurde ständig größer.

SCHLUCKAUF: Aber was hatte die Investitionsnot der Konzerne mit dem Welterbe zu tun?

SCHMUTZSTECKEN: Klar war, diese Unternehmen würden zunehmend Investitionsobjekte in nie dagewesener Größenordnung benötigen. Bei Einkaufzentren, Flughäfen und Fußballstadien war das okay. Aber das würde bei weitem nicht genügen. Die müßten sich vor allem nach Objekten umsehen, deren Wert durch ihre Einzigartigkeit astronomisch hoch war.

SCHLUCKAUF: Teure, alte Kunstobjekte, meinen Sie?

SCHMUTZSTECKEN: Ja, aber in richtig großem Stil. Die Sphinx, zum Beispiel, die Akropolis, Schloß Neuschwanstein. Solche Sachen. Schon damals konnten wir uns viele Regierungsoberhäupter vorstellen, die auf derartige Geschäfte durchaus ansprechbar wären. Schließlich ist Alaska 1867 von den Russen an die USA verkauft worden und erst kürzlich machte der FDPler Frank Schäffler (FDP) den Griechen den Vorschlag, einige ihrer Inseln zu veräußern.

SCHLUCKAUF: Sie meinen, der Cola-Konzern hätte längst eine ägyptische Pyramide gekauft, die Steinstufen mit Coke, Sprite, Fanta und Co vollgestellt und am Nil den ersten Kultur-Getränkeshop eröffnet - wenn die Weltkulturerbe-Kampagne der UNESCO nicht ein Bewußtsein von Allgemeinbesitz hinsichtlich der Kulturgüter geweckt hätte?

SCHMUTZSTECKEN: Nehmen Sie die Zerstörung der afghanischen Felsenbuddhas durch die Taliban. Weltweit haben sie sich dadurch unbeliebt gemacht. Weil sie Kulturerbe zerstört haben, das allen gehört. Was Besitz angeht, sind die meisten Leute sehr empfindlich und auch nachtragend. Daher hatten wir gezielt den Begriff "Erbe" gewählt. Nicht etwa "Weltwunder" oder "Welt-Attraktionen". Erbe. Besitz oder zu erwartender Besitz.

SCHLUCKAUF: Wie gerissen.

SCHMUTZSTECKEN: Außerdem war es schon damals für das Tourismusgeschäft wichtig, auf der Welterbe-Liste zustehen. Und für das Naturerbe gilt im Prinzip dasselbe. Die Einzigartigkeit macht die Regionen interessant. Mal abgesehen davon, daß Süßwasser-Reservoirs wie der Baikal-See ohnehin eine gute Geldanlage wären. Eine Naturerbe-Region in der Hand eines Konzerns? Stellen Sie sich doch mal das norddeutsche Wattenmeer als GM-eigene Werbepiste einer neuen Opel-Generation vor.

SCHLUCKAUF: Kein schöner Gedanke. Aber Sie erwähnten gerade die Wasserreservoirs. Da die einzelnen Staaten sich verpflichtet haben, die UNESCO über den Zustand des jeweiligen Welterbes in ihrem Land genau zu informieren, verfügt die UNESCO damit auch über ein globales Netz aktueller Trinkwasserdaten. Hat Sie das nie nachdenklich gemacht?

SCHMUTZSTECKEN: Na hören Sie mal. Wer die UNESCO für einen internationalen Gutmenschen-Club hält, ist selbst schuld. Natürlich haben alle Programme auch einen gut durchdachten, imperialistischen Hintergrund. Und die Gelder aus dem UNESCO-Fond dienen sicher nicht nur der Restauration zerfallender Gebäude, sondern schmieren auch die Hände hilfsbereiter Politiker. Und kehren wir noch einmal zum Kulturerbe zurück - da geht es nicht nur um altertümliche Gebäude, sondern auch um kulturelle Artikulationsmöglichkeiten. Und zwar nicht nur Stierkampf. Jeder weiß, daß gerade in repressiven Regierungssystemen die Kulturszene oft die einzige Möglichkeit bietet, wenigstens noch ansatzweise Widerstand zu formulieren.

SCHLUCKAUF: Ach so, dann könnten Rapper bald auch als Kulturerbe gelten, oder politisches Kabarett. Das käme auf die Weltkulturerbe-Liste und die Leute müßten der UNESCO jedes Jahr ausführlich Rechenschaft über ihr Tun ablegen. Ob sie ihren Welterbe- Status auch noch verdienen. Solche Daten können durchaus aufschlußreich sein.

SCHMUTZSTECKEN: Na klar, so läuft das dann. Und zwar inzwischen ganz prima, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Viele glauben, wenn sie erst auf der Weltkulturerbe-Liste stehen, kann ihnen nichts mehr passieren.

SCHLUCKAUF: Das klingt jetzt beinah zynisch. Bei Ihnen als engagiert Mitwirkendem an der scheinheiligen Installation dieser Überwachungsinstrumente kann man wohl kein Bedauern der eigenen Handlungsweise erwarten.

SCHMUTZSTECKEN: (lacht) Nee. Das nun wirklich nicht. Ich überlasse es andern, so zu tun, als ob sie Bambi wären oder Bussibär. Ich hatte mir damals einfach überlegt, daß ich die Welt lieber in den Händen der Vereinten Nationen sähe als in denen einiger weniger Global Player. Daß die Wirklichkeit inzwischen meine Gedanken von damals längst überholt hat -

SCHLUCKAUF: Inwiefern überholt?

SCHMUTZSTECKEN: Heute ein Felsendom oder eine Tempelstadt als Investitionsobjekt? Ich bitte Sie. Selbst der Kauf von ganzen Ländern ist nicht mehr zukunftsweisend. Heute verhandelt man über den Mond, über den Mars und was sich sonst noch an Himmelskörpern in Erdnähe herumtreibt. Da müßte die UNESCO schleunigst nachbessern. Extraterrestrisches Welterbe oder so. Wer weiß, das tut sie vielleicht noch.

SCHLUCKAUF: Herr Schmutzstecken, wir danken Ihnen für das Gespräch und verbleiben in froher Erwartung der Welterbschaftssteuer, die jeder UNESCO-Mitgliedstaat bald von seinen Bürgern erheben wird.

SCHMUTZSTECKEN: Ach, wer hat das denn ausgeplaudert?

SCHLUCKAUF: Berufsgeheimnis. Aber das kennen Sie ja.

10. September 2010