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GESELLSCHAFT/040: Gespräch über konservative Ministerinnen, ... und die Zukunft der Frauenbewegung (MIZ)


MIZ - Materialien und Informationen zur Zeit
Politisches Magazin für Konfessionslose und AtheistInnen - Nr. 2/11

"Die Durchsetzung von Frauenemanzipation wird von allen drei großen Weltreligionen nicht wirklich unterstützt"

Ein Gespräch über konservative Ministerinnen, Gleichberechtigung und die Zukunft der Frauenbewegung


Der Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft ist alt. Wenngleich es diesbezüglich Fortschritte gegeben hat, sind wir dennoch weit davon entfernt von einer Erfolgsgeschichte zu sprechen. Das konservative Lager besetzt für sich neue Themenfelder und versucht dadurch ihre religiösen Wertevorstellungen in der Öffentlichkeit zu platzieren. Über diese Aspekte sprach die MIZ mit der Sozialwissenschaftlerin Gisela Notz.


MIZ: Mittlerweile hat selbst im konservativen Lager - auf den ersten Blick zumindest - ein Umdenken stattgefunden. Es wird über die Einführung einer Frauenquote diskutiert. Kann man davon ausgehen, dass es gelungen ist, für die Frage nach der Gleichberechtigung der Geschlechter ein politisches wie gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen?

Gisela Notz: Davon kann man leider nicht so ohne weiteres ausgehen. Es ist das Verdienst der "alten" und der "neuen" Frauenbewegungen, dass es immer mehr Frauen gibt, die sich nicht mehr in bestimmte ihnen zugedachte Rollen zwängen lassen. Aktuell tobt der Kampf um die Quote für die Spitzenpositionen in der bundesdeutschen Wirtschaft, in den Chefetagen und Aufsichtsräten der Dax-Unternehmen und in anderen Gremien, in denen die Herrenclubs noch ungebrochen regieren und die Fotos bestenfalls ein "Gruppenbild mit Dame" zeigen. Die Diskussion um die Frauenquote hat eine lange Geschichte. In der Politik begann sie in der SPD vor mehr als hundert Jahren, als Frauen endlich reichsweit Parteien und politischen Organisationen beitreten durften. Ohne das "konservative Lager" wären wir in der Quotendiskussion und in der Ebenbürtigkeit zwischen den Geschlechtern schon viel weiter.

MIZ: Mit Schavan, Schröder und von der Leyen besetzen drei konservative Politikerinnen wichtige Ministeriumsämter. Wie beurteilen Sie deren politische Arbeit?

Gisela Notz: Die drei Ministerinnen stehen nach wie vor für eine konservative Politik, Frauenpolitik ist für sie weiterhin Familienpolitik. Und die geht von der heil(ig)en Familie und der Arbeitsteilung zwischen Haupternährer und Hausfrau, bzw. Zuverdienerin aus. Freilich kann niemand mehr heute so einfach sagen: Frauen zurück an den Herd, weil die meisten Frauen da nicht mehr hin wollen, selbst wenn es der hochtechnisierte Mikrowellenherd ist. Der neo-liberale Umbau der Gesellschaft wird durch alle drei Ministerinnen gefördert. Schauen wir uns drei Beispiele an: Bundesforschungsministerin Annette Schavan dankte - neben anderen prominenten CDU/CSU-PolitikerInnen anlässlich des durch den christlich-fundamentalistischen "Bundesverband Lebensrecht" am 18. September 2010 in Berlin veranstalteten "Marsch für das Leben", mit einer Grußadresse allen, "die sich mit unermüdlichem Engagement für den Schutz des Lebens und die Unantastbarkeit der menschlichen Würde einsetzen." Das tut der "Bundesverband Lebensrecht" nicht, er verlangt ein ausnahmsloses Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen - selbst bei Schwangerschaften, die durch Vergewaltigung und Inzest ausgelöst wurden. Damit unterstützt sie eine Politik, die die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen missachtet. Familienministerin Kristina Schröder sagt in Zeitungsinterviews, sie will den Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben müssen, tritt aber für das Betreuungsgeld ein, das für Nicht-Berufstätige gezahlt werden soll, die "eine Zeit lang für ihr Kind zuhause bleiben" und damit auf frühkindliche Bildung und Betreuung verzichten. So werden finanzielle Anreize geschaffen, Erwerbstätigkeit der Eltern zu verringern, anstatt sie zu erhöhen. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat seit Januar 2011 das bundesweite Modell "Bürgerarbeit" eingeführt. Geschaffen werden sollen Beschäftigungsverhältnisse auf kommunaler Ebene für Erwerbslose. Bürgerarbeit unterliegt der Kostenneutralität, soll also nicht mehr Kosten verursachen als der Bezug von ALG II. Betroffene nennen es "neue Zwangsarbeit", denn sie kann nicht verweigert werden. Sieht man sich Photos von praktizierter Bürgerarbeit in vorhandenen Broschüren an, so stammen sie aus dem Bereich der Altenpflege. Dort ist bekanntlich der Bedarf an Arbeitskräften am größten. Altenpflege ist aber ein Ausbildungsberuf und ein Feld, in dem vor allem Frauen arbeiten. Statt dort qualifizierte Erwerbsarbeitsplätze zu schaffen, werden die eben ausgehandelten Mindestlöhne für diese Branche durch dieses Instrument umgangen.

MIZ: Welche konkreten Veränderungen innerhalb der Gesellschaft haben Sie als Wissenschaftlerin und politische Aktivistin beobachten können? Und welche negativen wie positiven Entwicklungen kommen Ihnen in den Sinn?

Gisela Notz: Einige habe ich schon genannt. Zweifelsohne hat sich einiges bewegt und es bewegt sich immer noch. Was aber ist aus den feministischen Forderungen geworden, die nicht oder nur halbherzig eingelöst wurden? Wo bleibt der gleiche Lohn für gleiche Arbeit? Was ist los mit der gleichmäßigen Verteilung von Erziehungsaufgaben, die ganz ungleichmäßig immer noch eine riesige Anzahl von Müttern, aber nicht Vätern, in die meist nicht existenzsichernde Teilzeitarbeit drängen? Warum werden alternative Familienmodelle immer noch benachteiligt. Was ist mit der Streichung des Ehegattensplitting oder gar des § 218 aus dem Strafgesetzbuch, dem zentralen feministischen Thema der 1970er Jahre? Auch die Alpha"mädchen" werden nicht die Hälfte der Uni-Lehrstühle bekommen oder die Hälfte der Positionen, die jetzt Männer innehaben - wenn es so weiter geht. Die positive Veränderung der letzten Jahrzehnte liegt darin, dass es immer mehr gut ausgebildete Frauen gibt, die sich nicht einreden lassen, dass sie ihre GesellInnenbriefe oder Diplome an den Wickeltisch hängen wollen und die nach neuen Lebens- und Arbeitsformen suchen.

MIZ: Worin sehen Sie die Ursachen in dieser Entwicklung?

Gisela Notz: Sie meinen sicher die negativen Entwicklungen. Natürlich gibt es immer noch bewegte Frauen, aber die Frauenbewegung in der BRD ist nicht im besten Zustand. Mit Barbara Holland-Cunz bedauere ich, dass "Leidenschaft und Herrschaftskritik (...) in der nordwestlichen Frauenbewegung zunehmend rare politische Tugenden" werden und das, obwohl die Schere der geschlechtsspezifischen Ungleichheit weiter auseinander klafft. In der BRD wird die Diskussion um Frauenquoten in Partei und Wirtschaft meist von Spitzenfrauen geführt, die zu Recht monieren, dass ihnen der Zutritt verwehrt bleibt. Denn Frauen sind nicht mehr und nicht weniger inkompetent als Männer. Ob das den Frauen auf den unteren Ebenen und in den prekären Beschäftigungsverhältnissen nützt, können wir nicht sagen, bis jetzt mangelt es an der empirischen Basis für einen Beweis. Bewiesen sind allerdings die Auswirkungen des neoliberalen Umbaus des Sozialstaates und der Arbeitswelt auf Frauen. Schaut man sich die geschlechterbezogenen Arbeitsmarktdaten an, so muss man sich schon wundern, dass einige Menschen der Meinung sind, es gäbe keine Frauendiskriminierung mehr. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen hat zugenommen, aber auf Kosten der eigenständigen Existenzsicherung. Die modernisierte Variante des Alleinernährerkonzepts ist ein in Vollzeit beschäftigter Mann und eine in prekären Arbeitsverhältnissen arbeitende Frau. Die Feministin Carola Möller entlarvte bereits Anfang der 1980er Jahre die sich damals schon ausbreitenden prekären Arbeitsformen als "eine der wichtigsten Kapitalstrategien", die geeignet sei, "die Arbeit von der gutbezahlten über die schlechtbezahlte zur unbezahlten Arbeit hin umzuverteilen. Und sie stellte schon damals fest, dass diese Strategie weder neu, noch eine kurzfristige Erscheinung im Rahmen einer 'Krise' sei, "sondern eine konsequente und notwendige Weiterentwicklung der Kapitalverwertungsform". Leider sollte sie auch später Recht behalten.

MIZ: Welche Rolle würden Sie dem Konservativismus als religiöser Wert- und Moralvorstellung in diesem Prozess zusprechen?

Gisela Notz: Der Einfluss der christlichen Wertvorstellungen und der damit verbundenen Familienideologie darf nicht übersehen werden. Er spielt in diesem Prozess eine große Rolle. Konservative PolitikerInnen verherrlichen nach wie vor das Bild der treusorgenden Mutter und sind wesentlicher Motor, dass die gesetzlichen Bedingungen, die das immer noch an die Wand genagelte bürgerliche Familienbild stützen, erhalten bleiben, auch wenn die Realität längst andere Wege geht. Frauen, die die "natürlichen" Aufgaben verweigerten, wurden und werden auch heute immer wieder für eine inhumane Gesellschaft verantwortlich gemacht. Auch wenn Homo-Paare ihre Partnerschaft jetzt eintragen lassen dürfen, stehen "Ehe und Familie" unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Die Formulierung wurde nach heftigen Debatten im Parlamentarischen Rat durchgesetzt, bei denen sich die christlich-konservativen Abgeordneten durchsetzen konnten. Damit wird nach wie vor die Vergünstigung für ein Lebensmodell gerechtfertigt (Beispiel: Ehegattensplitting etc.) und alle anderen Zusammenlebensformen benachteiligt. Wie die Diskussionen um eine Verschärfung der medizinischen Indikation bei einer Schwangerschaft zeigten, haben konservative PolitikerInnen und die hinter ihnen stehenden christlichen Kirchen auf Bundestagsentscheidungen noch immer großen Einfluss.

MIZ: Einerseits haben sich die Konservativen im Hinblick auf die Rechte von Frauen nicht mit Ruhm bekleckert. Bis heute fordern Vertreterinnen des politischen Konservativismus dazu auf, das christliche Frauenbild (Kirche, Küche und Kinder) zu verteidigen und fürchten, dass die Emanzipation, den Untergang des Abendlandes einläutet. Andererseits fordem die gleichen VordenkerInnen von den islamischen Verbänden die Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frauen in deren Community. Wie passt das zusammen?

Gisela Notz: Auch die katholische Kirche, vertreten durch den Papst, steht für eine menschenfeindliche Geschlechter- und Sozialpolitik. Sie grenzt - ebenso wie die Evangelikalen - Menschen aus, diskriminiert Homosexuelle und Transgender auf der ganzen Welt und missachtete die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen durch das Verbot von Schwangerschaftsverhütung und Abtreibung. Die Durchsetzung von Frauenemanzipation wird von allen drei großen Weltreligionen (Christen, Juden und Islam) nicht wirklich unterstützt. Wer von den islamischen Verbänden den Einsatz für die Gleichberechtigung fordert, muss das auch von den anderen Religionen verlangen. Bis heute sind Religionen meist institutionelle Systeme mit patriarchalen Strukturen. Frauen, Männer und Kinder brauchen Institutionen, die sich dafür einsetzen, dass allen Menschen gleiche Existenzberechtigung für die von ihnen gewählte Lebensform zugebilligt wird, solange dort niemand ausgebeutet, unterdrückt oder seinen eigenen Interessen widersprechend behandelt wird. Und auch dafür, dass Frauen und Männer selbst entscheiden können ob und wann sie (eigene) Kinder haben.

MIZ: Würden Sie die Ansicht teilen, dass durch die muslimische Community Diskurse (beispielsweise zu Ehre, Jungfräulichkeit etc.) in die deutsche Gesellschaft hineintransportiert werden, die es vor langer Zeit bereits gab, die aber im Zuge mehrerer Emanzipationswellen zurückgedrängt werden konnten?

Gisela Notz: Bis weit in die 1960er Jahre war auch in der Bundesrepublik die (heterosexuelle) Ehe, Familie und mehrere Kinder und der (zumindest vorübergehende) Ausstieg aus der Erwerbsarbeit das einzig gültige Lebensmuster für Frauen. "Ehre" und Jungfräulichkeit galten auch in der christlichen BRD bis vor kurzem als unumstößliche Werte, "uneheliche Kinder" als Schande. Erst 1969 wurden "Kuppeleiparagraph", "Ehebruch", "einfache Homosexualität" abgeschafft. Jungfräulichkeit und eheliche "Treue" spielten bis dahin in christlichen Kreisen eine große Rolle; in konservativen Kreisen heute noch. Erst unlängst wurde ein Kirchenmitarbeiter aus dem Dienst entlassen, weil er geschieden wurde. Es geht nicht nur um einen "Hineintransport" in die "deutsche Gesellschaft", konservative Werte müssen auch noch heraustransportiert werden.

MIZ: Zwei Positionen der Konservativen lassen sieh meines Erachtens kontrastieren: Diejenigen, die den Islam nach wie vor als Bedrohung für das 'christliche Abendland' sehen bzw. diejenigen, die den Islam funktionalisieren, um so tradierte konservative Vorstellungen wieder in die Diskussion zu bringen. Welche Position bewerten Sie gesellschaftspolitisch als einflussreicher?

Gisela Notz: Das kann ich nicht bewerten, beide scheinen einflussreich. Wie schon deutlich wurde, entspricht das "christliche Abendland" nicht meinen Wunschvorstellungen. Und konservativen Kräften erscheint jede Möglichkeit recht, um ihre fundamentalistischen Vorstellungen wieder salonfähig zu machen. Selbst die katholischen und evangelikalen selbsternannten "Lebensschützer" sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch die beiden christlichen Kirchen waren nie Orte der Emanzipation.

MIZ: Daran anschließend die Frage, ob wir davon ausgehen können, dass die bisher erreichten Rechte sakrosankt sind oder müssen wir damit rechnen, dass es sich um einen permanenten Zustand der politischen Auseinandersetzung handelt?

Gisela Notz: Dass Errungenschaften der sozialen Bewegungen, insbesondere der Frauenbewegungen auch wieder zurückgedreht werden können, haben die Alteren von uns selbst erlebt. Dennoch gibt es kaum mehr Empörung über Kriegseinsätze, die Anti-Choice-Bewegung, den Umgang mit Asylbewerbern, Geschlechterdemokratie, Gewalt und Unterdrückung von Frauen, Männern und Kindern, Rechtspopulismus und zunehmende Ausgrenzung von Anderen kaum mehr Empörung. Schon gar nicht auf den Kirchentagen.

MIZ: Wen sehen Sie in der politischen wie
gesellschaftlichen Verantwortung?

Gisela Notz: Natürlich: "die Politik", aber wer ist die Politik? Diejenigen, die eine Gesellschaft wollen, in der die "freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (Karl Marx), sind schon lange nicht mehr in der Mainstream-Politik zu finden. Es braucht Menschen, für die der Kampf für Emanzipation von Ausbeutung nicht einer um die Teilhabe an derselben sein kann, sondern die ihn konsequent in die Perspektive der gleichen Möglichkeiten für alle stellen. Eine solche Gesellschaft ist bis heute Utopie. Und utopisches Denken ist nicht gerade hoch im Kurs. Die Geschichte der sozialen Bewegungen hat gezeigt, das es gerade die Erfahrungen sind, die Menschen am Rande des Mainstreams oder außerhalb der Dominanzkultur gesammelt haben, die soziale und gesellschaftliche Veränderungen bewirkt haben. Was sie erreicht haben, war nur zu erreichen, indem Menschen innerhalb der Parlamente, der Parteien und Gewerkschaften mit denen, die jenseits von traditionellen Partei- und Gewerkschaftsstrukturen in die Politik eingreifen, zusammen gearbeitet und an einem Strang gezogen haben.


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Quelle:
MIZ - Materialien und Informationen zur Zeit
Nr. 2/11, S. 22-26, 40. Jahrgang
Herausgeber: Internationaler Bund der Konfessionslosen
und Atheisten (IBKA e.V.), Postfach 1745, 58017 Hagen
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Erscheinungsweise: vierteljährlich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2011