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FRAGEN/003: Wissen und Begegnung, ein Gespräch mit Florian Volm (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Wissen und Begegnung, ein Gespräch mit Florian Volm

von Milena Rampoldi, 2. März 2016


Logo - Bild: © 3ALOG e.V.

Bild: © 3ALOG e.V.

Florian Volm M.A. ist Mitgründer und Vorstandsvorsitzender von 3ALOG e.V. [1], Promovend der Islamwissenschaft & Turkologie an der Bamberger Graduiertenschule für Orient-Studien (BaGOS). Im Interview mit ihm sprechen wir über den interreligiösen Dialog, über die Begegnung, die Ziele seines Vereins, Empathie und Strategien zwecks Bekämpfung der Islamfeindlichkeit.


Milena Rampoldi: Warum ist die mediale Vermittlung religiöser und interreligiöser Inhalte heute so wichtig?

Florian Volm: Kurz und knapp: Weil Religion und religiöse Akteure sich wie jeder andere Akteur (oder Dienstleister) im gesellschaftlichen Leben den Vorbedingungen anpassen müssen; und religiöse Institutionen bilden in dieser Entwicklung leider das Schlusslicht.

Jede Schülerin und jeder Schüler nutzt ab der fünften Klasse ein Smartphone, wir verbringen 54% unseres Tages am Handy, Studierende konsumieren TV-Inhalte per Online-Stream, Kommunikation ohne Whatsapp ist unvorstellbar. Seit Gründung im Jahr 2006 verzeichnet YouTube enorme Zugriffszahlen und zeitgleich ist auch die Anzahl an kritisch zu hinterfragenden Online-Predigern gestiegen. Weil religiöse oder konfessionell-gebundene Institutionen nicht reagiert haben und keine Konkurrenz bieten, können Leute wie Pierre Vogel den Jugendlichen auch falsche theologische Inhalte auftischen, die dennoch konsumiert werden.

Letztlich kann man salafistischen oder radikalen YouTubern sicher einen unzeitgemäßen Islam vorwerfen, ihre Methoden sind es jedoch überhaupt nicht! Aber auch die christlichen Kirchen leiden unter Mitgliederschwund. Hier ist eine deutliche Abkehr vom institutionalisierten Christentum auszumachen, auch weil man religiöse Inhalte dann abrufen will, wenn es passt und nicht sonntags im Gottesdienst - was dem Prinzip Streaming nämlich diametral gegenübersteht. Deutschlandweit sind 2013 über 176.000 Personen aus der EKD ausgetreten, aus der katholischen Kirche im Jahr 2014 über 217.000; in beiden Kirchen ein starker Zuwachs an Austritten gegenüber den Vorjahren. Auf der anderen Seite stehen Freikirchen, die online unglaublich aktiv und erfolgreich sind. Um weiterhin junge Menschen zu erreichen, braucht es neue Angebote der etablierten Akteure und diese müssen sich im Netz, in den sozialen Medien, in entsprechender Sprache, neuem Design und angepassten Inhalten finden. Ein schönes Beispiel - und auch als Print erhältlich - ist die katholische Zeitschrift Melchior, die sich vor herkömmlichen Hipster-Magazinen nicht verstecken muss.

Welche Hauptziele verfolgen Sie mit 3ALOG?

Wir wollen aktiv an den oben genannten Problemen mitgestalten und im Internet mehr interreligiöse Inhalte teilen und damit das friedliche Miteinander - vor allem zwischen Jugendlichen - sichern.

Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, religiöse Themen differenziert von ExpertInnen erklären zu lassen und damit religiöse und gesellschaftliche Vielfalt abzubilden. Wir betreiben letztlich Dialog und Prävention, indem wir unterschiedliche Perspektiven zusammenbringen, keine Schwarz-Weiß-Malerei betreiben und Differenz positiv konnotieren.

Der Salafisten-Szene im Netz stellen wir somit Gegennarrative entgegen. Was uns von anderen Projekten unterscheidet ist, dass wir den Fokus auf die Bedürfnisse der Jugendlichen in Deutschland legen. Wir publizieren keine Bücher, sondern produzieren Kurzvideos mit maximal 7 Minuten Länge (man beachte die Aufmerksamkeitsspanne auf YouTube) und teilen diese auf allen verfügbaren sozialen Kanälen und responsive auf allen Endgeräten. Entsprechend Mühe geben wir uns bei der Auswahl der ExpertInnen in den Videos, die als role models wahrgenommen werden sollen und vor allem die Sprache der Jugendlichen sprechen. Neben einem ansprechenden Design, das nicht auf den ersten Blick religiös wirken soll, ist hinter den Videos die technische Komponente wichtig. 3ALOG setzt auf Suchmaschinenoptimierung (SEO), AdWords und weitere Standards, um bei Suchanfragen auf Google weit oben angezeigt zu werden. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass junge Menschen Webseiten differenziert betrachten und aussortieren; meist wird doch eines der ersten Suchergebnisse geklickt und der erste Schritt zu falscher Information ist getan. Wenn wir geklickt werden, gibt es immerhin einen jungen Menschen weniger, der ein Vogel-Video schaut!

ProMosaik ist der Ansicht, dass Wissen und Beziehung zu Menschen die beiden besten Instrumente sind, um Vorurteile gegenüber anderen Religionen zu überwinden. Wie sehen Sie das?

Dem kann ich nur zustimmen. Wer mit Scheuklappen durch die Welt geht und dabei nicht über den berühmten Tellerrand hinauskommt, wird mit subjektiv Fremdem nicht umgehen können oder es vielleicht sogar als Bedrohung wahrnehmen, egal ob man das christliche Abendland oder eine religiöse Weltanschauung in Gefahr sieht. Aber jeder, der schon im Ausland war, einen Sprachkurs außerhalb Deutschlands gemacht hat oder auch nur im Heimatdorf mit den muslimischen Nachbarn ins Gespräch gekommen ist, bemerkt schnell, dass man im Endeffekt immer mehr Gemeinsames als Trennendes findet. Vor allem kann auch das Interesse am Gegenüber geweckt werden. Ich bin Teilnehmer in einem Sonderprojekt namens Dialogperspektiven, bei dem Menschen unterschiedlichster Religionen partizipieren. Wir mieten uns alle sechs Monate für eine Woche in einem Tagungshaus ein und diskutieren einfach nur über Religion und vor allem über uns... der persönliche Gewinn ist enorm und schon jetzt ist die Vorfreude auf das kommende Treffen groß. Dieses Interesse an einer anderen - aber auch der eigenen - Religion wollen wir als 3ALOG bei jungen Menschen wecken, indem wir ihnen in Videos zeigen, was es alles gibt und wie schön Differenz sein kann.

Die Pegida-Bewegung rückt immer mehr den Islam als Problemreligion in den Fokus. Wie setzen Sie sich dafür ein, damit der Islam im Westen auch positiv gesehen wird?

Wie Sie bereits gesagt haben, mit Wissen und Begegnung. Zum einen, indem wir unterschiedliche Inhalte, Interpretationen und Strömungen des Islams und somit dessen Vielfalt vorstellen, zum anderen durch Offline-Begegnung inmitten der Gesellschaft, die wir momentan als Projekt an Schulen realisieren. Unsere Videos bieten hier einen Einstieg, der im Alltag fortgeführt werden muss.

Wir wollen die Pegida-AnhängerInnen nicht einfach kritisieren, sondern durch unsere Videos eine positive und konstruktive Gegenrealität aufzeigen und Ängste abbauen. Dazu sollen in Zukunft vermehrt persönliche Videos gedreht werden, in denen junge Muslime einfach nur von ihrem muslimisch-jüdisch-christlichen Freundeskreis oder ihrem Lieblingshobby erzählen. Dann entdecken die ZuschauerInnen Parallelen und plötzlich ist man nicht mehr fremd oder problematisch und vielleicht wird dann auch damit aufgehört, eine ganze Religion pauschal zu verurteilen. Wir haben aber nur einen begrenzten Pool an Freiwilligen, die vor die Kamera treten wollen und sind hier auf die Unterstützung beispielsweise der islamischen Verbände angewiesen. Sie könnten in den Gemeinden Werbung für 3ALOG machen und Freiwillige zum Engagement ermutigen; womit die Menge an Videos steigen würde, wodurch wiederum sowohl salafistische als auch anti-islamische Videos im Netz verdrängt werden würden. Je mehr differenzierte Videos es gibt, desto höher die Chance einer Veränderung der Sichtweise auf den Islam.

Wichtig ist, keine rosarote Brille aufzusetzen, wenn es um Probleme in traditionell-muslimischen Gesellschaften oder theologischen Diskursen geht, diese klar zu benennen aber vor allem positive Gegenbeispiele aufzuführen. Das Belächeln der Pegida-AnhängerInnen hilft niemandem, man muss die durchaus fragwürdigen Parolen als Fragen aufnehmen, die man in unseren Videos beantworten kann. Will eine deutsche Muslima die Einführung der Scharia? Gibt es Muslimas, die kein Kopftuch tragen und dennoch gläubig sind? Wenn es für diese und ähnliche Fragen mediale Anlaufstellen gibt, lösen sich bestimmt einige Fragezeichen und damit auch die Parolen auf Montagsdemos auf.

Wie wichtig sind für Sie Empathie und Respekt der Unterschiede im interreligiösen Dialog?

Dialog ist ein kommunikativer Prozess, der neben meinem Sprechakt auch die Gegenrede eines Gegenübers fordert. Dafür sind Empathie und Respekt unerlässlich, weil nur dann ein wechselseitiges Gespräch entstehen kann. Auch wenn ich mir persönlich nicht vorstellen könnte, in aller Frühe zum Gebet aufzustehen, habe ich Respekt vor jedem Menschen, der genau das tut und reagiere nicht mit Unverständnis. Man muss mir aber auch das Recht zugestehen, diese Meinung und die Entscheidung gegen das Morgengebet so äußern zu dürfen. Für beide Seiten ist Empathie und Verständnis also der Schlüssel zum erfolgreichen Dialog, alles andere gleicht Überzeugungsarbeit, Abschottung oder einem Monolog. Je mehr Dialog ich führe, auf desto mehr Unterschiede werde ich stoßen und schnell feststellen, dass diese Differenzen unglaublich bereichernd sind. Ich bin in dieser Hinsicht vielleicht etwas naiv, aber bin der Meinung, dass jeder Mensch ab einem bestimmten Punkt diese Empathie und diesen Respekt aufbringt, es kommt nur auf die Häufigkeit der Begegnungen an. Vielleicht muss man im Dialog auch nicht immer alles verstehen, was gesagt wird, aber solange niemand Drittes dadurch geschädigt wird, ist das völlig in Ordnung.

Wie wichtig ist der Austausch mit Experten verschiedener Religionen und warum?

Für wichtiger als den Austausch zwischen ExpertInnen untereinander halte ich den Austausch und den Dialog von ExpertInnen mit der Mehrheitsgesellschaft. Ich bin oft auf Konferenzen, bei denen interessante und spannende Gespräche und Debatten geführt werden, solange diese und vor allem deren Resultate aber nicht in die Gesellschaft durchsickern, werden sie keine Früchte tragen. Das heißt, ExpertInnen sollen sich austauschen, Konsens festlegen, Quellen historisch-kritisch interpretieren, aber die Ergebnisse verständlich nach außen kommunizieren. Vor allem sind die ExpertInnen per se FreundInnen des Dialogs, die ihre Erkenntnis mit Menschen teilen sollten, die diese noch nicht erlangt haben. TheologInnen aller Religionen und WissenschaftlerInnen aller Disziplinen sind hier Vorbilder für Gesellschaft und Politik. Daher plädiere ich für ExpertInnen, die ihr Wissen mit 3ALOG und somit der Welt teilen.


Über die Autorin

Dr. phil. Milena Rampoldi ist freie Schriftstellerin, Buchübersetzerin und Menschenrechtlerin. 1973 in Bozen geboren, hat sie nach ihrem Studium in Theologie, Pädagogik und Orientalistik ihren Doktortitel mit einer Arbeit über arabische Didaktik des Korans in Wien erhalten. Neben ihrer Tätigkeit als Sprachlehrerin und Übersetzerin beschäftigt sie sich seit Jahren mit der islamischen Geschichte und Religion aus einem politischen und humanitären Standpunkt, mit Feminismus und Menschenrechten und mit der Geschichte des Mittleren Ostens und Afrikas. Sie wurde verschiedentlich publiziert, mehrheitlich in der deutschen Sprache. Sie ist auch die treibende Kraft hinter dem Verein für interkulturellen und interreligiösen Dialog Promosaik.
www.promosaik.com


Anmerkung:
[1] http://www.3alog.net/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2016

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