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GESELLSCHAFT/009: Anmerkungen zu Gebrauch und Mißbrauch von Sprache (Freidenker)


Freidenker Nr. 1-07 März 2007
Organ des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V.

Anmerkungen zu Gebrauch und Missbrauch von Sprache

Von Horst Schild


Gegen die Ignoranten der Aufklärung, gegen Volksverdummer und Vernunftzerstörer vorzugehen - das erfordert zwar zuallererst, sich mit bestimmten Inhalten systematisch und kontinuierlich auseinanderzusetzen. Doch das allein reicht oft nicht aus. Wichtig ist es genauso, die Methoden und das sprachliche Instrumentarium zu kennen und zu entlarven, mit denen die geistige Verneblung der Menschen über Politiker, Parteien, bestimmte Interessenverbände und vor allem über die Medien erfolgt.


Funktionen von Sprache

Für Karl Marx ist die Sprache "die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens" (MEW 3, S. 432). Aus Sicht unserer dialektisch-materialistischen Philosophie dient die Sprache zum einen dazu, Gedanken zwischen Menschen auszutauschen, und zum anderen, Gedanken über die Welt darzustellen. Grundsätzlich fungiert die Sprache als Kommunikationsmittel und als Werkzeug des Denkens. Oder anders gesagt: Sprache hat sowohl eine kommunikative bzw. dialogische Funktion als auch eine Erkenntnisfunktion. Diese grundlegenden Funktionen von Sprache verweisen sowohl auf deren gesellschaftlichen Charakter als auch, daraus resultierend, auf die historische Bedingtheit der Sprache. Aus den Funktionen der Sprache erwachsen dem Menschen die Möglichkeiten, Vorstellungen und Planungen für sein praktisches Handeln abzuleiten. Handlungsanweisungen jedweder Art zur Veränderung der Realität existieren darum ebenfalls in sprachlicher Gestalt.

Sprachliche Gebilde bezeichnen etwas. Und ihnen ist eine bestimmte Bedeutung zugeordnet, sie bedeuten etwas. Schließlich bewirken sie etwas beim Rezipienten, sind bewusstseinsbildend (oder -verändernd!) und handlungsmotivierend. Nur in dieser Dreiheit - Bezeichnung, Bedeutung, Wirkung - ist Sprache geeignet, den genannten Funktionen überhaupt gerecht zu werden.

Indes, um an das Marx-Zitat anzuknüpfen - die Wirklichkeit kann bekanntlich auch auf dem Kopf stehend oder verzerrt abgebildet werden. Die Erkenntnisfunktion von Sprache ist dadurch nicht aufgehoben, nicht dadurch also, dass die Wirklichkeit in Form falscher Aussagen, Hypothesen oder Theorien abgebildet werden kann bzw. wird. Erkenntnisfortschritt realisiert sich bekanntlich häufig über zunächst "falsche" gedankliche Abbilder und deren schrittweise Korrektur. Man denke nur an das Prinzip "trial and error" ["Versuch und Fehler", Anm. d. Red.]. Darum ist es auch zunächst nicht unbedingt bedenklich, wenn falsche Abbilder der Wirklichkeit zu Kommunikationsinhalten werden.


"Was ist Wahrheit?"

Ganz anders sieht es aber aus, wenn bestimmte Interessengruppen mittels sprachlicher Konstrukte die Wirklichkeit bewusst falsch, verzerrt oder verschleiert darstellen bzw. mittels Multiplikatoren darstellen lassen. Hierbei geht es darum, Meinungen massiv zu manipulieren und damit politische, wirtschaftliche und ideologische Ziele durchzusetzen. Dann wird das theoretisch Falsche auch "praktisch gefährlich". (vgl. MEW, 16, S. 103)

Die wesentlichen Multiplikatoren für die Meinungsmanipulation sind die Massenmedien - auch in der Bundesrepublik weitgehend gleichgeschaltete und den Herrschenden, nicht zuletzt den Geldgebern, hörig. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte sich der keineswegs für Kampf um gesellschaftlichen Fortschritt verdächtige Oswald Spengler nicht ohne Häme fragen: "Was ist Wahrheit? Für die Menge das, was man ständig liest und hört. Mag ein armer Tropf irgendwo sitzen und Gründe sammeln, um 'die Wahrheit' festzustellen - es bleibt seine Wahrheit. Die andre, die öffentliche des Augenblicks, auf die es ... allein ankommt, ist heute ein Produkt der Presse. Was sie will, ist wahr. Ihre Befehlshaber erzeugen, verwandeln, vertauschen Wahrheiten. Ihre Gründe sind so lange unwiderleglich, als Geld vorhanden ist, um sie ununterbrochen zu wiederholen." (aus: "Der Untergang des Abendlandes")

Die Wahrheit, die Spengler als jene bezeichnet, auf die es ankommt, ist aber eben nicht die tatsächliche Wahrheit, sondern Ausdruck manipulierter öffentlicher, veröffentlichter Meinung. Richtig allerdings benennt Spengler die Abhängigkeit der Medien von ihren Finanziers.

Heute, und das ist keineswegs einfacher, wird das Lesen und Hören ja weitgehend noch vom (Fern-)Sehen überlagert, und die Rezipienten werden unablässig davon überflutet. Der Kampf gegen Manipulation und Gehirnwäsche scheint darum wie ein Kampf gegen Windmühlen zu sein. Ist er aber deswegen aussichtslos?


Sprachmanipulation

Ehe eine Antwort auf diese Frage versucht wird, soll auf einige Instrumente und Methoden der Sprachmanipulation anhand von Beispielen eingegangen werden.

Die veränderte Bedeutungszuweisung ist häufig anzutreffen, und sie wird bewusst zur Verschleierung eingesetzt. Manche Bedeutungsänderung ist sogar so weit zum Bestandteil des gesellschaftlichen Bewusstseins geworden, dass die ursprüngliche Bedeutung nahezu ungebräuchlich oder für die Kommunikation untauglich geworden ist. Es sei hier als Beispiel auf das Begriffspaar "Arbeitgeber - Arbeitnehmer" verwiesen. Jeder der verwendeten Begriffe hat die faktische Bedeutung seines realen Gegenteils. Und dem, der die Arbeit (das Produkt der Arbeit!) in Wirklichkeit nimmt, wird zusätzlich begrifflich noch ein moralisch positiver Wertaspekt bescheinigt, denn er gibt ja etwas - "Geben ist seliger denn Nehmen!" Ähnlich die Bedeutungszuweisung des Begriffs "Reform". Die ursprüngliche Bedeutung ist "eine Neuordnung, um etwas Bestehendes zu verbessern". In der politischen und sozialen Realität freilich ist "Reform" allenfalls eine Neuordnung, um Kosten zu sparen bzw. die Kosten dem Volk aufzubürden, also die Menschen auszuplündern.

Es ist den Meinungsmachern hier (noch) nicht gelungen, die veränderte Bedeutungszuweisung zum Allgemeingut zu machen. Noch denkt die Mehrheit der Bürger, wenn von Reform die Rede ist, zuerst daran, den eigenen Geldbeutel zuzuhalten. "Nullrunde" - der Begriff bedeutet vom Wortursprung etwa das Ausbleiben einer realen Lohn- oder Rentensteigerung. Verwendet wird er aber jetzt weitgehend dafür, "Minusrunden" zu bezeichnen, das heißt ohne Berücksichtigung inflationär oder (mehrwert-)steuerlich bedingter und beabsichtigter Lohn- oder Rentenabschläge. Und "Internationale Gemeinschaft" muss synonym für die Rechtfertigung jedweden Komplotts der führenden kapitalistischen Staaten und einiger ihrer Helfershelfer mit den USA an der Spitze herhalten.

Begriffliche Neuschöpfungen können ein weiteres methodisches Vehikel der Sprachmanipulation sein. Die in der Altbundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg geprägte Kombination "soziale Marktwirtschaft" soll etwas bezeichnen, was objektiv gar nicht existieren kann. Eingestanden - allerdings eine sehr wirksame Wortschöpfung zur Verschleierung der kapitalistischen Wirklichkeit. Objektiv aber: Entweder ist es "Marktwirtschaft", dann ist das. "Soziale" allenfalls das vorgezeigte Feigenblatt, das ohnehin mühsam erkämpft wurde und permanent gegen seine fortschreitende Aushöhlung verteidigt werden muss. Oder es ist eine soziale Wirtschaft, dann ist das Wirken des Marktes, das Wirken der Wolfsgesetze des Kapitalismus, im Interesse der Menschen restriktiv stark eingegrenzt oder gar aufgehoben. Der derzeitige Sozialabbau. das Auseinanderdriften von Arm und Reich, von Oben und Unten, die skandalös-unerträgliche Kinderarmut in unserer Gesellschaft, der Blick auf Arbeitslosenzahlen und die von Hartz IV-Empfängern mögen hier als Beleg für die Unsinnigkeit des Begriffs "soziale Marktwirtschaft" genügen.

Seit kurzer Zeit begegnet man der Wortschöpfung "christlich-jüdische Tradition". Auch angesichts der Tatsache, dass die Heiligen Schriften des alten Judentums zum Bestandteil der christlichen Bibel wurden, bleibt die Wortschöpfung inhaltsleer, denn eine christlich-jüdische Tradition lässt sich historisch nicht begründen. Es waren schließlich Christen, die über Jahrhunderte die Juden Verfolgungen und Massakern aussetzten, sie als Christusmörder diffamierten. Das ist alles bekannt. Wo aber soll da eine christlich-jüdische Tradition herkommen? Und übrigens: Selbst Fachleute müssen feststellen, dass die Menschen in unserem Land von der jüdischen Religion nahezu keine Ahnung haben.

Andere aktuelle Neuschöpfungen ohne exakt definierte Bedeutung sind beispielsweise auch "Prekariat" als verbale Mixtur etwa aus "prekär" und "Proletariat", "Lohnnebenkosten" für einen vom Unternehmen innerhalb (!) der Lohnkosten wohl kalkulierten Anteil, oder die Wortschöpfung "Islamist".


Gleichgeschaltete Medien

Das Weglassen oder Totschweigen, das bewusste Verknappen gehört bevorzugt zu den 'bewährten' Mitteln der Desinformation und damit der Sprachmanipulation. Getreu dem Motto "Was nicht in der Zeitung steht, ist auch nicht passiert" findet in den weitgehend gleichgeschalteten Medien nahezu wie abgesprochen eine Selektion darüber statt, was und in welchem Kontext zu kommunizieren ist. Beispiel: Unmittelbar nach dem Anschluss der DDR an die Alt-BRD gab der damalige Bundesinnenminister Klaus Kinkel die politische Richtung vor, nämlich, die DDR allseitig und umfassend zu delegitimieren.

Das schließt notwendig ein Totschweigen jedweder progressiver Errungenschaft der DDR-Geschichte und der gesellschaftlichen Wirklichkeit des anderen deutschen Staates ein. Die vorgegebene Richtung wird bis heute in den Medien weitgehend eingehalten, und so soll in den Köpfen der Menschen die DDR wesentlich auf Stasi, Unrecht und Doping reduziert werden und bleiben.

Aktuelles Beispiel: Als kürzlich die Einführung des Elterngeldes mit viel propagandistischem Aufwand und in unzähligen Talk-Shows bejubelt wurde, ist dem Autor kein einziger beteiligter Akteur aufgefallen, der daran erinnerte, dass es in der DDR bereits ein Babyjahr mit vollem Lohnausgleich und Sicherheit des Arbeitsplatzes gab. Das war weit mehr als das Elterngeld, aber es durfte halt nicht gewesen sein! Auch über die Enteignung der DDR-Bürger via Treuhand und flankierender adäquater Gesetzgebung sucht man Kommentare oder gar diskursive Auseinandersetzungen in den offiziösen Medien vergeblich. Totgeschwiegen werden auch die Ursachen und die tatsächlichen Motive, die zu den Kriegen auf dem Balkan, in Afghanistan oder im Irak geführt haben. Dass sich am Aggressionskrieg gegen Serbien/Jugoslawien erstmalig nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten außerhalb der BRD beteiligten, und das zudem ausgerechnet unter einer SPD-geführten Regierung, bleibt in der medialen Informationsstrategie weitgehend ausgeklammert.

Hier wäre noch eine weitere Methode der Meinungsmanipulation anzufügen, nämlich die unverblümte Lüge.

Offiziell im Bundestag hatte Rudolf Scharping als damaliger Bundesverteidigungsminister den Krieg gegen Serbien mit einem erfundenen "Hufeisenplan" begründet. Darüber hinaus, damit auch das emotionale Terrain aufbereitet wurde, zeigte er den Abgeordneten Bilder virtueller serbischer Konzentrationslager. Wie ist doch das christliche Abendland moralisch heruntergekommen, wenn seine Politiker vergessen haben, dass ihnen ihre Bibel als "Vater der Lüge" den Teufel vorhält? (Johannes 8,44)

Die verbale Suggestion zählt auch zum Instrumentarium der Gehirnwäsche. Beispiel: Bei einem zweifellos zu verurteilenden Attentat kommt ein libanesischer Minister zu Tode. Unisono, quasi sprachgeregelt vermelden daraufhin Presse und Funk, dass es sich bei dem Minister um einen syrienkritischen Politiker gehandelt habe. Suggeriert wird damit: Der Täter kann nur aus Syrien oder wenigstens aus syrienfreundlichen Kreisen stammen. Na ja, Syrien gehört doch wohl ohnehin zur "Achse des Bösen"!

Dem Autor begegnete jüngst eine Anzeige, auf der lediglich zu lesen war: "Polonium 210 - Putin (54)". Die Absicht der Suggestion ist ebenso eindeutig wie unverschämt. Die Spitze der Manipulation war der Nachsatz: "Zeitung lesen, besser verstehen."


"Freundliches Desinteresse"

Ergänzt werden soll dieser Ausschnitt aus dem methodischen Arsenal der sprachlichen Manipulation bzw. des Sprachmissbrauchs durch eine anscheinend nicht manipulative Informationsstrategie. Gesetzt wird dabei auf die um sich greifende und beängstigende Ausmaße annehmende Politikverdrossenheit. Die Menschen interessieren sich immer weniger für Politik, halten Politiker für überflüssig oder allenfalls für ein notwendiges Übel, das man ertragen muss. In solch einer Situation können sich die herrschende Politik und die von ihr beeinflussten Medien sogar erlauben, tatsächliche Wahrheiten zu veröffentlichen oder öffentlich zugänglich zu machen. Mögen die Wahrheiten noch so ungeheuerlich sein - wenn sie keiner oder nur ein kleiner Kreis von Experten hören will, hindert nichts, sie publik zu machen.

Das Ganze soll möglichst noch als Indiz für Meinungsfreiheit herhalten. Das soll nachstehend am Beispiel der aktuellen Militärpolitik der Bundesrepublik gezeigt werden.(1) Bezogen auf die Bundesbürger musste selbst Bundespräsident Horst Köhler ein "freundliches Desinteresse" an der Militärpolitik konstatieren. Das aber ist genau die Sachlage, um sukzessive und nahezu unbemerkt, allem Anschein nach jedoch öffentlich, die Militärpolitik der BRD neu auszurichten. Der deutsche Michel, um hier einmal despektierlich zu formulieren, würde die Augen aufreißen und vielleicht sogar protestieren, wüsste er, wie diese Neuausrichtung aussieht. Aber - er weiß es nicht, er will es gar nicht wissen, und es interessiert ihn nicht.

In den einschlägigen Dokumenten, z. B. den Verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesministeriums für Verteidigung, dem Konzept für die Bundeswehr von 2004, den periodisch erscheinenden Bundeswehrweißbüchern und anderen Dokumenten kann dies jederzeit nachgelesen werden. So ist "die Bundeswehr durch den größten Wandel ihrer Geschichte gegangen. Sie ist immer mehr zu einer Armee im Einsatz geworden." Die Soldaten "schaffen erst die Voraussetzungen dafür, dass Deutschland seine Interessen wahrnehmen kann, in der Lage ist, seine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen und dass das Ansehen unseres Landes in der Welt wächst." (Bundeswehrweißbuch 2006).

Zu den "deutschen Interessen" gehört denn auch, den "globalen Herausforderungen, vor allem der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ... zu begegnen", aber ebenso, "den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern". (ebd.) Für welche Interessen setzt sich die Bundeswehr wohl ein, wenn sie den freien und ungehinderten Welthandel fördert? Warum übernimmt sie Aufgaben, die traditionell der Diplomatie zustehen?

In den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2003 wurde der Verteidigungsbegriff, der dem Grundgesetz Artikel 87a zugrunde liegt, modifiziert: "Verteidigung heute umfasst ... weit mehr als die herkömmliche Verteidigung an der Landesgrenze. Unsere Sicherheit wird auch an anderer Stelle dieser Erde verteidigt. In der heutigen Welt gibt es keine nationalen Friedensoasen mehr. Verteidigung lässt sich geografisch nicht mehr begrenzen." Übrigens wurde - das hätte vielleicht Aufsehen erregen können - der Artikel 87a GG gleich gar nicht geändert! Die Bundeswehr, als Teil der NATO-Streitkräfte, ist objektiv in die Unterwerfung der gesamten Welt unter dem von den USA geführten Westen als Juniorpartner fest eingebunden. Im Interesse dieses Westens besteht ihr Auftrag darin, mittels "Polizeiaktionen" unbotmäßig gewordene Staaten wieder unterzuordnen. Die Bundeswehr ist damit zu einem wichtigen außenpolitischen, wirtschaftlichen, geplant auch innenpolitischen, Machtinstrument umfunktioniert worden. Das ist bereits Realität!


Wahrheiten in Alltagssprache transponieren

In Auseinandersetzung mit den Inhalten der Wahrheitsverdreher und Volksverdummer, in Auseinandersetzung auch mit dem von ihnen manipulativ eingesetzten sprachmethodischen Arsenal, sollte zuallererst gefragt werden: Welchen Zwecken dient die Wortschöpfung oder Wortwahl, welchen Zwecken dient der Text? Welche Absichten hat der jeweilige Schreiber (oder Sprecher), die Wirklichkeit zu verschleiern oder auf den Kopf zu stellen? Wer sind seine Adressaten? Möglicherweise sind diese, zumindest in Teilen, auch unsere Ansprechpartner. Sie genauer, aber auch differenziert zu bestimmen, bleibt eine wichtige Aufgabe. Eine Aufgabe, die ständig zu lösen ist! Bertolt Brecht lässt seinen Galilei sagen: "Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein." ("Das Leben des Galilei") Das ist uneingeschränkter auch Anspruch und Aufforderung für uns Freidenker, für all unsere Auftritte, gleich welcher Art, für unsere Öffentlichkeitsarbeit insgesamt, eingeschlossen das Internet.

Die Klarheit darüber bedingt aber auch ein stärkeres Nachdenken über das "Wie" der Erfüllung dieses Anspruchs. Es reicht halt nicht aus, wenn wir unsere Wahrheiten der Welt "nur" verkünden, sie den Halb- oder Unwahrheiten der veröffentlichten Meinung entgegensetzen. Was, wenn unsere Wahrheiten gerade die nicht verstehen, die sie verstehen sollen, oder - noch schlimmer - nicht verstehen wollen, weil sie keinen Bedarf dafür zu haben meinen?

Wahrheiten durchzusetzen, wie es Brecht anmahnte, ist keine einfache Sache. Schon gar nicht gegen die geballte, sprachgeregelte Medienmacht. Die Freidenkerbewegung hat jedoch in ihrer langen Geschichte viele und gute Erfahrungen sammeln können, Überzeugungen zu vermitteln und Bildungsarbeit zu betreiben. Knüpfen wir einfach an diese Traditionen an! Thomas Kuczynski hat jüngst unter dem Titel "Arbeiterbildung neu denken" (siehe "Junge Welt" vom 31. Jan. 2007, S. 10) interessante Überlegungen entwickelt. Daran möchte ich kurz anknüpfen.

Auch in unserer Arbeit ist es wichtig zu beachten, dass die Menschen, an die wir uns wenden, mehrheitlich über keine wissenschaftliche Bildung verfügen. Darum haben sie Kommunikationsprobleme, gingen wir auf sie vorwiegend mit "wissenschaftlicher" Sprache los. Die Menschen, die wir erreichen wollen, verfügen aber über ein Alltagsbewusstsein, das sich auch in ihrer Sprache widerspiegelt. Es gibt m. E. keine unübersteigbaren Barrieren, theoretische Inhalte, seien sie auch noch so kompliziert, ohne Wahrheitsverlust in diese Alltagssprache zu transponieren. Karl Marx oder Albert Einstein, um nur diese zu nennen, haben das exzellent praktiziert. Die URANIA hat in der Weimarer Republik und auch später in der DDR erfolgreiche Bildungsarbeit geleistet. Auch die Mottos und Losungen unseres Verbandes aus der jüngsten Zeit sind ja einfach, griffig und verständlich.

Damit aber keine Missverständnisse entstehen: Ich plädiere keineswegs dafür, die Inhalte, die wir den Menschen nahe bringen wollen, auf die Form von Losungen zu reduzieren. Auch nicht dafür, im Verband auf wissenschaftliche Diskussionen und Debatten, auf wissenschaftliche Arbeit insgesamt zu verzichten. Dies ist sogar nötiger denn je. Wofür ich plädiere ist, in unserer Arbeit nach außen stärker und differenzierter die Adressaten zu bestimmen, die von unseren Botschaften erreicht werden sollen und sie mit der Sprache anzusprechen, die sie verstehen. Beachten wir also auch hier den untrennbaren Zusammenhang von Sprache und Bewusstsein.


Dr. Horst Schild, Dresden, Referent für Öffentlichkeitsarbeit des DFV


Anmerkung:
(1) Hinweise zu diesem Abschnitt, die er dessen Vortrag zum Freidenkertreff im Januar 2007 entnehmen konnte, verdankt der Autor dem Dresdner Freidenker Andreas Schöbel.


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Quelle:
Freidenker - Nr. 1-07 März 2007, Seite 7-12, 66. Jahrgang
Herausgeber:
Verbandsvorstand des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V.
Schillstraße 7, 63067 Offenbach
E-Mail: vorstand@freidenker.de
Internet: www.freidenker.de

Erscheinungsweise: vierteljährlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2010