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BERICHT/189: Die Urania Berlin wird 120 Jahre alt (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 82/2008
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Die Urania Berlin wird 120 Jahre alt

Von Ulrich Bleyer


Wenn man in Berlin nach der Urania fragt, so erhält man sehr unterschiedliche Antworten: "Die Urania ist ein großes Kino - ich bin immer zur Berlinale dort", "Ich war schon als Kind bei den Weihnachtsmärchen, jetzt gehe ich mit meinen Kindern im Advent ins Theater" oder "Ich fahre fast täglich daran vorbei und sehe immer die spannenden Themen der Vorträge". Was ist nun die Urania - Theater, Kino oder Vortragszentrum? Die Urania ist all das gemeinsam, sie ist einer der größten Veranstaltungsorte für Wissenschaft und Kultur, für Bildung, Kunst und Unterhaltung in Berlin.


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Und diese Urania wird am 3. März 120 Jahre alt. Das eigentliche Ziel ihrer Gründer war die Schaffung einer Einrichtung zur Vermittlung der aufstrebenden Naturwissenschaft und den damit einhergehenden technischen Neuigkeiten an eine breite Öffentlichkeit. Es war die Zeit, als die Spektroskopie von Kirchhoff und Bunsen entwickelt und damit aus der Astronomie die Astrophysik wurde, es war die Zeit, als Faraday das Induktionsgesetz entdeckte und Werner von Siemens seinen ersten elektrischen Generator baute. Es war auch Siemens, der den Zeigertelegraphen und die Kabelisolierung erfand und damit weltweit die ersten elektrischen Telegrafenleitungen errichtete.

Doch war es nicht nur der Geist der Aufklärung, sondern auch ganz praktisches ökonomisches Interesse, Naturwissenschaft und Technik nicht nur dem Bildungsbürger, sondern auch dem sogenannten "kleinen Mann" zu vermitteln. Zurück geht diese Idee auf Alexander von Humboldt, der 1827/28 mit seinen berühmten Kosmos-Vorlesungen in der Berliner Singakademie erstmals vorführte, dass man wissenschaftliche Erkenntnisse einem öffentlichen Publikum vermitteln kann. Das war ihm dank seiner Prominenz möglich, denn unter seinen Zuhörern saßen buchstäblich Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer und Bettelmann. Und es war auch Humboldt, der die Öffnung der 1835 neu errichteten Königlichen Sternwarte für die Öffentlichkeit einforderte. Deshalb verfolgte der Berliner Astronom Wilhelm Foerster neben vielen Neugründungen wissenschaftlicher Einrichtungen wie dem Astrophysikalischen Observatorium auf dem Potsdamer Telegrafenberg das Projekt einer Volkssternwarte. Er traf auf den Astronomen Max-Wilhelm Meyer, der die Idee eines wissenschaftlichen Theaters entwickelt hatte. Hier wurden Vorführungen zu wissenschaftlichen Themen inszeniert, bei denen Bühnenbilder unsere heutigen Projektionstechniken ersetzten.


Muse der Himmelskunde

Es entstand das Konzept einer vollkommen neuartigen Einrichtung, die eine Sternwarte, wissenschaftlich-technische Ausstellungen und ein wissenschaftliches Theater unter einem Dach vereinen sollte. Berliner Bankiers und Industrielle, unter ihnen auch Werner von Siemens, sammelten bis zum Februar 1888 ein Aktienkapital von mehr als 200.000 Mark, so dass am 3. März 1888 die Gesellschaft Urania, benannt nach der Muse der Himmelskunde, gegründet werden konnte. Und dann wurde etwas realisiert, das uns vom zeitlichen Ablauf aus heutiger Sicht kaum machbar erscheint: Nach nur gut einem Jahr, am 1. Juli 1889, eröffnete ein hochmodernes Gebäude mit drei Sternwartenkuppeln, Ausstellungs- und Experimentiersälen und mit modernster Bühnentechnik ausgestattetem Theatersaal in der Invalidenstraße in Moabit seine Pforten.

Eine besondere Attraktion war der Physiksaal. Der Physiker Eugen Goldstein, der Entdecker der Kanalstrahlen, hatte Experimente aufgebaut, die der Besucher selbst beeinflussen konnte, ein Konzept, dass wir heute Hands-on-Experimente nennen.

Im wissenschaftlichen Theater hat man mit opulenten Bühnenbildern die Urgeschichte der Erde ebenso illustriert wie die Oberfläche des Mondes. Es war eine schöne Entdeckung der letzten Monate, dass dieser Saal heute noch in großen Teilen erhalten ist.

Mit diesem Gebäude hatte Berlin eine wirkliche Attraktion. Zehntausende strömten in die Urania. Diese Einrichtung war das erste Science Center der Welt und folgerichtig entstanden in vielen Städten, auch in anderen Ländern, Einrichtungen nach diesem Vorbild. Das Deutsche Museum in München geht auf den Urania-Gedanken ebenso zurück wie die heute noch unter dem Namen Urania existierenden Einrichtungen. Das Planetarium in Zürich gehört dazu wie auch die Volksbildungseinrichtungen Urania in Wien, Meran und Graz.


Attraktiv für jeden Geldbeutel

Für die Urania Berlin folgte eine wechselvolle Geschichte. Ein zweites, noch größeres Gebäude wurde in der Taubenstraße mitten in der Stadt errichtet, doch durch die Weltwirtschaftskrise konnten die Gebäude der Urania nicht gehalten werden. Programme gab es weiter, z.B. im inzwischen neu restaurierten Hörsaal im Langenbeck-Virchow-Haus neben der Charité, auch noch mitten im zweiten Weltkrieg.

Seit 1962 hat die Urania, 1953 als Verein wiederbegründet, ihren Sitz unweit des Wittenbergplatzes in einem eigenen Gebäudekomplex an einer nach ihr benannten Straße. Hier wird die große Tradition der populären Vermittlung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse konsequent fortgesetzt und immer wieder unseren heutigen Bedürfnissen nach anschaulichen, unterhaltsamen und vielfältigen Veranstaltungsformen angepasst. Ganz ohne institutionelle Förderung bietet die Urania, getragen von ihrem großen Mitgliederverein, ein vielfältiges und niveauvolles Programm. Berühmte Wissenschaftler, darunter nahezu alle deutschsprachigen Nobelpreisträger, Künstler, Politiker, Publizisten, Expeditionsreisende, Astronauten und Ingenieure standen und stehen am Pult der Urania.

Darüber hinaus bietet die Urania Berlins größtes Programmkino, präsentiert mit "Kinder tanzen für Kinder" das Kinderballett der Deutschen Oper, inszeniert auf der Urania-Bühne Kabarett und Konzert und ist Gastgeber für viele Kulturveranstalter ebenso wie für Unternehmensveranstaltungen, Kongresse oder Ausstellungen. Mit Unterstützung der Lottostiftung frisch renoviert, lädt die Urania in ihre modernen Räume mit Veranstaltungsangeboten ein, die wohl für jedes Interesse und auch für den kleinen Geldbeutel attraktiv sind.

120 Jahre Urania - das ist schon deshalb ein besonderes Ereignis für Berlin, weil es eine Bürgerinitiative der Berlinerinnen und Berliner darstellt, dass diese Einrichtung entstehen und getragen durch das unverminderte Interesse der Bürger unserer Stadt bis heute bestehen konnte. Und gebraucht wird die Urania mehr denn je. Lebenslanges Lernen, die schlichte Notwendigkeit, Deutschland als Land der Innovationen zu entwickeln, brauchen Orte wie die Urania, die den neuesten Stand der Entwicklung in Wissenschaft und Technik, Gesellschaft und Politik, die globalen Probleme unserer Zeit und die alltäglichen Lebenshilfen allen Interessierten zugänglich macht.

Dr. Ulrich Bleyer ist Programmdirektor und Geschäftsführer der Urania Berlin e.V.


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Urania-Gründer Wilhelm Foerster wurde 1892 zum Rektor der Berliner Universität berufen. Im gleichen Jahr war er maßgeblich an der Gründung der "Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur" beteiligt, deren Präsidentschaft er auch übernahm. Anlass war der Volksschulgesetzentwurf des Preußischen Kultusministers von Zedlitz, der eine Pflichtteilnahme dissidentischer Kinder am Religionsunterricht vorsah. Als Gegenmaßnahme startete die Gesellschaft einen eigenen Moralunterricht für zunächst 24 Kinder.

Als Ziele der Gesellschaft werden u.a. "Maßnahmen, um der gesamten Jugenderziehung eine rein ethische Grundlage zu geben und zu sichern und "Erschließung der Schätze der Kunst und Wissenschaft in ihrer kritischen erzieherischen Bedeutung für das ganze Volk" formuliert.

Mit Beginn des ersten Weltkrieges führen gegensätzliche Positionen innerhalb der Mitgliedschaft sowohl in Fragen der weltlichen Schule, der Familien- und Frauenpolitik als auch zur Friedens- und Ethnienfrage schließlich zur Spaltung der Gesellschaft. Mitglieder gründen neue Vereine. Zuerst 1901 die Arbeitsgemeinschaft "Liga für Moralunterricht", ab 1906 mit dem Namen "Deutscher Bund für weltliche Schule und Moralunterricht. Wilhelm Foerster übernimmt auch hier die Leitung.


Veranstaltungen der Urania in Kooperation mit dem Humanistischen Verband
Die Urania bietet regelmäßig Veranstaltungen an, die in Kooperation mit dem Humanistischen Verband konzipiert werden. Im Jahr 2008 sind das die Vorlesungsreihen "Der Humanismus und das humanistische Denken", Vorträge zur Gehirnforschung und die neue Veranstaltungsreihe "Kino für Menschenrechte". Monatlich wird es einen ausgewählten Film zu diesem Thema geben. Die Besucher haben im Anschluss Gelegenheit mit geladenen Gästen zu diskutieren. Zu diesen Veranstaltungen zahlen Mitglieder des Humanistischen Verbandes einen ermäßigten Eintrittspreis.


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Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 82/März/08, S. 29-31
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 13,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,25 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2008